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11.11.2024 | Pädiatrie

TikTok statt Sandmännchen

verfasst von: Martin Krenek-Burger/ KI

Die Nutzung digitaler Medien hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Doch was bedeutet das für den Schlaf? Ein umfassender Blick auf die Auswirkungen und möglichen Interventionen zeigt, dass Bildschirmzeiten die Schlafqualität erheblich beeinträchtigen können.

Es gibt kaum noch eine Nacht, in der das Handy nicht mit ins Bett darf. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen gehört der Blick auf den Bildschirm für viele zur abendlichen Routine. Man könnte fast glauben, das Smartphone sei eine Art modernes Nachtlicht. Doch statt Ruhe zu bringen, führt es bei vielen Kindern zu Schlafproblemen – und die Zahlen sprechen für sich: Immer mehr Jugendliche leiden unter Einschlafschwierigkeiten, und das exzessive Medienverhalten könnte ein Hauptgrund sein. 

Der Einfluss digitaler Medien

Dass digitale Medien unseren Schlaf beeinträchtigen können, ist keine neue Erkenntnis. Doch wie stark der Effekt gerade bei Heranwachsenden ist, zeigt sich in aktuellen Untersuchungen: Die Nutzung von Smartphones, Tablets und Spielkonsolen vor dem Schlafengehen überreizt das Arbeitsgedächtnis und erschwert es ihm, zur Ruhe zu kommen. Gerade TikTok mit seinen kurzen, informativen Videos bringt das Gehirn in eine ständige Verarbeitungsphase, die das Einschlafen verhindert. Schlafprobleme – das zeigen zahlreiche Studien – sind dabei nicht das einzige Problem. Auch Angstzustände, depressive Verstimmungen und eine verringerte Schultauglichkeit stehen im direkten Zusammenhang mit übermäßiger Bildschirmzeit.

Was passiert im Gehirn?

„Leg dein Handy aus der Hand, wenn du schlafen willst“ – ein einfacher Rat, der oft gehört wird, aber schwer umzusetzen ist. Dr. Christoph Minar, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, erklärt, dass das blaue Licht der Bildschirme die Melatoninproduktion hemmt. Melatonin, das Schlafhormon, wird weniger ausgeschüttet, wenn wir uns intensiven Lichtquellen aussetzen. Besonders schlimm: Das Scrollen und Zocken kurz vor dem Schlafengehen hält das Gehirn in ständiger Anspannung und hindert es daran, in die wichtige Ruhephase überzugehen. Diese abendliche Routine führt zu einer chronischen Müdigkeit, die sich nicht nur auf das Wohlbefinden, sondern auch auf die schulische Leistungsfähigkeit der Jugendlichen auswirkt.

Peer Group und FoMO

FoMO – die Angst, etwas zu verpassen ( engl.: fear of missing out ) – ist kein rein jugendliches Phänomen, aber bei Jugendlichen besonders ausgeprägt. Die ständige Erreichbarkeit und der Druck, stets „dabei“ zu sein, verstärken die Angst, ausgegrenzt zu werden. „Was, wenn ich die Nachricht von meinen Freunden verpasse?“ Diese Fragen treiben viele Jugendliche um und sorgen dafür, dass das Handy oft bis tief in die Nacht genutzt wird. Doch diese Erreichbarkeit hat ihren Preis: Die Schlafqualität leidet erheblich. Das Gefühl, immer und überall erreichbar sein zu müssen, setzt Jugendliche enorm unter Druck. Gerade die sozialen Medien, die den Kontakt zu Freunden ermöglichen, fördern ein Verhalten, das langfristig zum Schlafproblem werden kann. Die ständige Benachrichtigung, das Aufleuchten des Bildschirms – all das sorgt für eine dauerhafte Reizüberflutung, die das Nervensystem nicht zur Ruhe kommen lässt.

Dilemma für Eltern und Gesellschaft

Für Eltern ist es oft schwer, angemessene Regelungen zu finden. Was ist sinnvoller? Sollten Handys komplett aus dem Schlafzimmer verbannt werden? Dr. Minar sieht dies als eine mögliche Lösung, weist aber darauf hin, dass diese Maßnahme mit Einfühlung durchgesetzt werden sollte. Denn der plötzliche Entzug, der sogenannte „kalte Entzug“, könnte nur zu noch mehr Rebellion und Verlagerung auf andere, unter Umständen noch problematischere Bewältigungsstrategien führen. Der richtige Weg scheint eine Mischung aus Regelsetzung und Verständnis zu sein. Eltern müssen Vorbilder sein und mit gutem Beispiel vorangehen, was die eigene Bildschirmzeit betrifft.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Gespräch. Eltern sollten aktiv mit ihren Kindern über Medienkonsum sprechen und gemeinsam Regeln entwickeln, die für alle akzeptabel sind. Das bedeutet auch, dass Eltern zuhören müssen, wenn ihre Kinder über ihre Ängste und Bedürfnisse sprechen. Ein gemeinsames Verständnis und das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen, können viel dazu beitragen, den Medienkonsum zu regulieren. Eine klare Tagesstruktur, wie feste Zeiten für Hausaufgaben, Freizeit und Mediennutzung, kann helfen, einen ausgewogenen Umgang mit digitalen Medien zu schaffen.

Praktische Tipps

Doch was können Eltern konkret tun? Hier einige Tipps aus der Forschung und Praxis:

- Bildschirmfreie Zeit vor dem Schlafengehen: Eine Stunde vor dem Schlafengehen sollten keine digitalen Medien mehr genutzt werden. Alternativ können beruhigende Aktivitäten wie Lesen oder Hören von leiser Musik hilfreich sein. Diese Ruhephase vor dem Schlafengehen hilft, den Geist herunterzufahren und sich auf das Schlafen vorzubereiten. Auch Atemübungen oder Meditation können den Übergang in den Schlaf unterstützen.

- Ein festes Ritual etablieren: Kinder und Jugendliche profitieren von einer festen Routine, die Entspannung fördert. Das können gemeinsame Familienmomente, Gespräche oder entspannende Spiele sein. Rituale schaffen Verlässlichkeit und eine Struktur, die dem Gehirn signalisiert, dass es Zeit ist, abzuschalten. Solche Routinen können auch das Zähneputzen, das Vorlesen einer Geschichte oder das gemeinsame Beten umfassen.

- Kein Handy im Schlafzimmer: Das Schlafzimmer sollte als bildschirmfreier Raum etabliert werden. Ein einfacher Wecker kann das Handy als Weckmittel ersetzen. Studien zeigen, dass das Handy im Schlafzimmer eine ständige Versuchung darstellt und die Qualität des Schlafs erheblich beeinflussen kann. Eltern sollten Alternativen anbieten, beispielsweise traditionelle Wecker, und gemeinsam mit den Kindern Regeln für die Nutzung des Handys besprechen.

- Gespräche führen: Offene Gespräche mit den Jugendlichen darüber, wie sie sich fühlen, und über die Folgen von Schlafmangel sind entscheidend. Verständnis für ihre Bedürfnisse zeigt ihnen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Es geht nicht nur darum, Verbote auszusprechen, sondern die Gründe hinter den Regeln zu erklären. Jugendliche, die verstehen, warum bestimmte Maßnahmen sinnvoll sind, sind eher bereit, diese auch umzusetzen. Zudem kann es helfen, alternative Aktivitäten gemeinsam zu entdecken, die als Ersatz für den Medienkonsum dienen können.

- Physische Aktivität fördern: Körperliche Bewegung trägt zu einem besseren Schlaf bei. Kinder und Jugendliche sollten ausreichend Zeit für Sport und Bewegung haben, am besten im Freien. Sport baut Stress ab und hilft dem Körper, sich am Abend müde zu fühlen. Aktivitäten wie Laufen, Radfahren oder Mannschaftssportarten sind besonders gut geeignet, um überschüssige Energie abzubauen und den Geist zu entspannen.

- Vorbildfunktion wahrnehmen: Eltern sollten darauf achten, selbst einen gesunden Umgang mit digitalen Medien zu pflegen. Wenn Kinder sehen, dass ihre Eltern abends das Handy weglegen und sich anderen Dingen widmen, übernehmen sie dieses Verhalten eher. Kinder lernen durch Beobachtung, und Vorbilder innerhalb der Familie haben einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Gewohnheiten.

Der Einfluss von Corona

Die Corona-Pandemie hat die Mediennutzung der Kinder und Jugendlichen weiter verstärkt. Die Schulen waren geschlossen, Freizeitaktivitäten fanden nicht statt und der Kontakt zu Freunden wurde ins Digitale verlagert. Was anfangs eine Notlösung war, hat sich für viele als ein schwer umzukehrender Zustand etabliert. Eltern berichten über ihre Sorge, dass die Rückkehr zu einem normalen Tagesablauf ohne exzessive Bildschirmzeiten schwerfällt. Auch Minar beobachtet, dass viele Jugendliche nach wie vor Schwierigkeiten haben, die digitalen Gewohnheiten wieder auf ein normales Maß zu reduzieren.

Gerade während der Lockdowns war es für viele Kinder und Jugendliche wichtig, durch die digitalen Medien in Kontakt mit ihren Freunden zu bleiben. Das führte jedoch dazu, dass sich viele daran gewöhnten, ihre sozialen Kontakte fast ausschließlich online zu pflegen. Die Rückkehr zu einer Normalität, in der persönliche Treffen und physische Aktivitäten wieder im Vordergrund stehen, fällt vielen schwer. Eltern sind hier gefragt, aktiv Möglichkeiten zu schaffen, die digitalen Zeiten durch „echte“ Aktivitäten zu ersetzen – sei es durch gemeinsame Ausflüge, Sport oder andere Freizeitaktivitäten.

Die Rolle der Schulen

Nicht nur die Eltern, sondern auch die Schulen haben eine entscheidende Rolle dabei, die Mediennutzung zu regulieren und den Kindern Alternativen anzubieten. Schulische Programme, die den gesunden Umgang mit digitalen Medien vermitteln, können helfen, das Bewusstsein der Jugendlichen zu schärfen. Unterrichtseinheiten zu Themen wie „Medienkompetenz“, „Selbstregulation“ und „Schlafhygiene“ können den Schülern die Werkzeuge an die Hand geben, die sie brauchen, um verantwortungsvoll mit ihrer Zeit umzugehen.

Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, welche Bedingungen geschaffen werden können, um den exzessiven Medienkonsum zu reduzieren. Gesetzliche Vorgaben, wie Werbeverbote für Apps, die speziell auf Jugendliche abzielen, oder die Etablierung von Bildschirmzeit-Limits durch technische Lösungen könnten Teil einer Lösung sein. Die Zusammenarbeit mit den Entwicklern und Anbietern digitaler Plattformen ist ebenfalls entscheidend, um kinder- und jugendgerechte Nutzungsbedingungen zu schaffen.

Schlafmangel hat zahlreiche negative Auswirkungen auf den Körper und die Psyche, besonders bei Kindern und Jugendlichen, die sich noch im Wachstum befinden. Ein nicht ausreichender Schlaf führt zu einer verminderten Konzentrationsfähigkeit und beeinträchtigt das Gedächtnis. Jugendliche haben Schwierigkeiten, sich in der Schule zu konzentrieren, was zu schlechteren Leistungen und Frustration führt. Studien haben gezeigt, dass chronischer Schlafmangel das Risiko für Depressionen und Angstzustände erhöht. Darüber hinaus ist das Immunsystem bei Schlafmangel geschwächt, was zu einer höheren Anfälligkeit für Infekte führt.

Folgen des Schlafmangels

Kinder und Jugendliche, die zu wenig schlafen, zeigen oft Verhaltensauffälligkeiten. Das Spektrum reicht von Gereiztheit und Wutausbrüchen bis hin zu Hyperaktivität und Konzentrationsstörungen, die leicht mit ADHS verwechselt werden können. Einige der Symptome, die wir mit ADHS assoziieren, sind bei vielen Kindern einfach die Folge von Schlafmangel. Die Förderung eines regelmäßigen und ausreichenden Schlafs verringert das Risiko von Fehldiagnosen.

Schlafmangel führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol, was zu Gewichtszunahme führt. Der Körper produziert durch den Schlafmangel vermehrt Hungerhormone, was das Risiko für Übergewicht erhöht. Ein Aspekt ist die Regeneration: Während des Schlafes repariert der Körper Zellen und Gewebe. Bei zu wenig Schlaf bleiben diese Prozesse auf der Strecke.

Der Artikel basiert auf der Veröffentlichung „Digitale Medien und Schlaf bei Kindern und Jugendlichen: Prävention und Intervention“ von Dr. Frank W. Paulus in der Pädiatrie Pädologie“ /2024, © Springer Verlag https://doi.org/10.1007/s00608-024-01212-6


Metadaten
Titel
TikTok statt Sandmännchen
Schlagwörter
Pädiatrie
Schlafmedizin
Publikationsdatum
11.11.2024

www.gesundheitswirtschaft.at (Link öffnet in neuem Fenster)

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