Beschleunigt Krebs den Alterungsprozess?

Sind Patienten, die eine Krebserkrankung überlebt haben, einem beschleunigten körperlichen Abbau unterworfen? US-Forscher haben diesen Zusammenhang in einer Longitudinalstudie untersucht. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Hinweise darauf, dass Patienten nach einer überstandenen Krebserkrankung möglicherweise schneller altern, wollen Forscher aus dem National Cancer Institute in Rockwell gefunden haben. Das Team um Arfan Siddique wertete Daten der Baltimore Longitudinal Study of Aging (BLSA) aus, einer Bevölkerungsstudie, in der seit 1958 spezifische Effekte des Alterns bei US-Bürgern beobachtet werden. An den insgesamt 1728 Teilnehmerinnen und Teilnehmern untersuchten die Forscher drei etablierte Marker für körperlichen Abbau, die sich unkompliziert erfassen lassen: Griffstärke, Gehgeschwindigkeit und allgemeine körperliche Performance, gemessen mit dem Health, Aging and Body Composition Physical Performance-Inventar (HABC PPB). Körperliche Performance signifikant schlechter Unter den Beteiligten waren 359 Patientinnen und Patienten, die entweder bereits zum Studienbeginn eine Krebserkrankung durchgemacht oder danach eine Krebsdiagnose erhalten hatten. Verglichen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ohne Krebs fielen die Messergebnisse in der unter anderem nach Alter, BMI, Rauchstatus und Begleiterkrankungen adjustierten Analyse bei den Krebsüberlebenden teilweise signifikant schlechter aus; das galt vor allem bei den über 65-Jährigen. In der Longitudinalstudie wurden alle Teilnehmenden im Mittel dreimal innerhalb von fünf Jahren auf die angegebenen Parameter hin untersucht. Dabei kam es bei der Griffstärke und der Gehgeschwindigkeit darauf an, ob vorab definierte Mindestwerte unterschritten wurden. Bei der Griffstärke geht die Schere auseinander Wer von den Männern weniger als 26 kg und von den Frauen weniger als 16 kg mit der Hand am Dynamometer drücken konnte, hatte definitionsgemäß einen „schwachen Griff“. Dies traf zu Studienbeginn auf median 12% der Krebspatienten und 9% der Teilnehmer ohne Krebserkrankung zu. Nach fünf Jahren war die Schere deutlich auseinandergegangen (23% versus 16%). Laut Siddique et al. ist die Griffstärke ein „exzellenter Marker“ für funktionelle Einschränkungen. Bei der Gehgeschwindigkeit lag die Grenze für „langsames Gehen“ bei 0,8 m/s. Dieser Wert wurde bei den älteren Krebspatienten (> 65 Jahre) um 60% häufiger unterschritten als in der Gruppe ohne Krebs. Im Mittel gingen Krebspatienten über 65 allerdings nur minimal langsamer als gleich alte Teilnehmende ohne Krebs. Zumindest statistisch signifikant waren auch die Unterschiede beim HABC-PPB-Score: Dieser war in der Gruppe der älteren Krebsüberlebenden von 2,2 zur Indexvisite auf 1,9 zur letzten Visite gesunken. In der Vergleichsgruppe war der Wert dagegen mit jeweils 2,4 gleichgeblieben (der Score reicht von 0 bis 4 Punkten, wobei eine 4 vollkommen erhaltenen Fähigkeiten entspricht). „Abbau geht schneller vonstatten“ Die Forscher errechneten, dass die Krebsüberlebenden insgesamt ein um median 46% höheres Risiko hatten, in der Beobachtungszeit mit der Greifkraft unter den Grenzwert abzusinken, als die anderen Teilnehmer, ebenso ein um 35% höheres Risiko, mit der Gehgeschwindigkeit unter den kritischen Wert zu fallen. „Eine Krebserkrankung in der Vorgeschichte ist nicht nur mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für körperlichen Abbau verbunden, sondern dieser scheint auch schneller vonstatten zu gehen“, so Siddique und sein Team. Die Unterschiede bei den einzelnen Parametern seien zwar insgesamt gering, aber statistisch signifikant und sie seien mit Blick auf die Literatur als „klinisch bedeutsam“ zu werten. Möglicher Einfluss der Krebstherapie Der Bevölkerungsstudie mangelt es sowohl an Informationen zum Krebsstadium bei den einzelnen Patienten als auch zu individuellen therapeutischen Maßnahmen. Ob es zwischen der Krebserkrankung und dem beobachteten körperlichen Abbau einen ursächlichen Zusammenhang gibt, darüber können die Forscher letztlich nur spekulieren. „Eine Krebsdiagnose kann sich auf verschiedenste biologische Abläufe niederschlagen“, so Siddique und sein Team. Dies könnten Genominstabilitäten sein, Telomerverkürzungen, Phänomene der Zellalterung, epigenetische Veränderungen oder Störungen der Mitochondrienfunktion. All diese Phänomene könnten jedoch auch durch die individuelle Krebstherapie beeinflusst sein, welche aber in der Studie gar nicht erfasst wurde. Die Wissenschaftler regen nun Interventionsstudien an, um zu sehen, ob und mit welchen Strategien man dem vorzeitigen Altern bei Krebspatienten möglicherweise entgegenwirken könnte. Das Wichtigste in Kürze Frage: Bauen Patienten, die eine Krebserkrankung überlebt haben, körperlich schneller ab als Menschen ohne Krebs? Antwort: Bei den Parametern Griffstärke, Gehgeschwindigkeit und allgemeiner körperlicher Performance schnitten die Krebspatienten in der Longitudinalstudie signifikant schlechter ab. Das galt vor allem ab einem Alter von 65 Jahren. Bedeutung: Bei Krebsüberlebenden sind Maßnahmen gegen den körperlichen Abbau möglicherweise besonders relevant. Einschränkung: Studie nicht auf Krebspatienten ausgerichtet; Krebsstadien und Therapieregime nicht erfasst. Originalartikel: SpringerMedizin.de

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