metamorworks / Getty Images / iStock × Wenn sich schon ein Onkologe spezialisieren muss, um die enorme Informationsflut bewältigen zu können, wie soll in Zukunft ein Allgemeinmediziner mit dem Wissen aller Bereiche mithalten? Prof. Heinz Ludwig im Interview über die Zukunft der Onkologie, Artificial Intelligence und den Hausarzt von morgen. Im September 2018 war Wien Austragungsort des DGHO-Kongresses. Welche Rolle spielt der Standort Wien allgemein in der internationalen Onkologie-Szene? Wenn wir uns vorstellen, dass die Welt sehr stark bevölkert ist, und es sehr kompetitive Gruppen gibt in Nordamerika, in Europa und mittlerweile in Asien, so muss man das realistisch sehen. Zweifelsohne gibt es hervorragende Gruppen, vor allem im klinischen Bereich sind die Studien - zum Beispiel auf dem Gebiet des Mammakarzinoms - trotz der Kleinheit des Landes beachtlich und weltweit sehr anerkannt. Auf der anderen Seite gibt es natürlich in der Grundlagenforschung auch tolle Sachen - das CeMM etwa, das Institut für Molekulare Pathologie, und so weiter. Aber: Man muss sagen, dass wir heute entsprechend der Bevölkerungszahl und der Größe eine Forschungsstätte von vielen anderen sind. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass etwa in Boston mit dem MIT, dem Broad Institute und dem Dana-Faber Cancer Center ganz andere Möglichkeiten entstanden sind. Außerdem hat die Grundlagenforschung in den USA eine ganz andere Tradition, wird ganz anders gefördert, ist deutlich kompetitiver und daher auch erfolgreicher. Dafür ist die klinische Forschung in Europa leichter durchzuführen. Die großen klinischen Studien kommen daher zum größeren Teil aus Europa. Und in Zukunft? In Zukunft werden diese klinischen Studien auch vermehrt aus Asien kommen. In China etwa läuft schon jetzt im Vergleich zu Europa und Nordamerika ein vielfaches an CAR-T-Cell-Programmen. Es ist klar, wo auch die Spitzenforschung letztlich hingeht. Man kann die Augen schließen und sagen, das ist noch nicht so weit. Aber man sieht es ja jetzt schon, wenn man etwa auf PubMed nachschlägt. Früher fand man chinesische Namen eher nur in amerikanischen Studien, also von Forschern, die in die USA ausgewandert waren. Heute finden Sie in den Datenbanken viele chinesische Gruppen und Journale - auch hier eine Transformation, wie sie in der Weltgeschichte immer wieder passiert. Apropos CAR-T Cells: Was ist das Besondere an der neuen Therapie, warum generiert gerade sie so viel Aufmerksamkeit? Aus zwei Gründen. Einerseits der Preis: Wenn etwas sehr teuer ist, glaubt jeder, es muss besonders gut sein. Zweitens: Bei der ALL und bei kindlichen ALL Patienten, beim multiplen Myelom sowie Patienten mit diffusen großzelligen B-Zell-Lymphomen (DLBCL) gibt es erstaunliche Veränderungen. Aber: Unser Problem ist das Risiko des Rückfalls. Die Frage ist: Wie kannst du die CAR-T Zellen so gestalten, dass sie beim Empfänger dann auch für den Rest des Lebens aktiv sein werden? Das ist vor allem beim Myelom noch sehr wesentlich, da braucht es noch neue Entwicklungen und Konzepte. In der onkologischen Praxis ist heute immer öfter von molekularen Tumorboards die Rede. Wie funktionieren diese? Das Tumorboard hat den Vorteil dass Kollegen, die auf molekularem Gebiet besondere Kompetenzen haben, mit den Klinikern in Diskurs treten können und schauen, wo es targeted lesions gibt, um eventuell personalisiert behandeln zu können. Bis jetzt sind der Erfolge noch eher bescheiden, abgesehen vom Lungenkarzinom oder beim CML etwa. Was wir heute damit meinen ist ja, dass wir die konventionelle Therapie oder die Immuntherapie ergänzen durch eine Therapie gegen bestimmte Treibermutationen - und das funktioniert noch nicht ausreichend gut derzeit. Selbst wenn Sie jetzt eine Therapie gegen eine Treibermutation haben, dann hängt es schon sehr vom Tumor ab. Meistens haben Sie die Treibermutationen nicht in allen Klonen des Tumors. Damit haben Sie eine klonale Heterogenität und damit auch automatisch das Problem, dass es früher oder später zum Auswachsen von resistenten Klonen kommt. Wenn also eine Mutation etwa nur in 60 Prozent der Tumorzellen zu finden ist, werden diese durch das Medikament kontrolliert, aber der Tumor wird erneut wachsen, weil die restlichen 40 Prozent ja noch da sind. Das sind die Limitationen derzeit. Wie oft kommt bei einer solchen molekularen Auswertung tatsächlich ein Befund heraus, der für die Therapieentscheidung relevant ist? Es gibt Standardläsionen, die heute standardmäßig untersucht werden, z.B. beim Bronchuskarzinom die EGF-Rezeptor-Mutation, die ALK-Translokation, etc. Das sind Bereiche, für die es dann auch targeted therapies gibt. Aber mit diesen ist, etwa beim Bronchuskarzinom, noch niemand geheilt worden, weil dieses Problem des tumor load und der hohen Mutationsrate besteht. Der einzige phänomenale Erfolg war ja bei der CML, wo jede Tumorzelle diese Translokation aufweist, und damit haben Sie auch die größte Chance, diese Patienten zu heilen. Aber wenn das nicht der Fall ist, oder wenn der Tumor eine extrem hohe Mutationsrate hat, dann kann es natürlich zu Mutanten kommen, die diese spezielle Mutation oder Translokation nicht aufweisen und daher resistent gegen das neue Medikament sind. Das ist der Grund, warum die Bronchuskarzinome dann wieder resistent werden. Die Onkologie entwickelt sich rasant weiter: Was heute State of the Art ist, ist im nächsten Halbjahr bereits wieder altes Wissen. Können Onkologen mit diesem enormen Informationsschwall überhaupt noch mithalten? Sie sprechen die Achillesferse der Onkologen an. Diese Informationsflut und die rasante Entwicklung sowohl auf molekularbiologischer als auch therapeutischer Ebene - damit Schritt zu halten wird zunehmend herausfordernder. Letztlich führt dies dazu, dass sich die Onkologen mehr und mehr spezialisieren müssen. Der allgemeine Onkologe wird, wie der allgemeine Innere Mediziner von früher, weichen. In den USA ist das schon so, und hier geht der Trend auch ganz klar dorthin. Würde das eine längere Ausbildungszeit bedeuten? Nein. Wenn sich die Leute spezialisieren, also z.B. nur mehr Lymphome machen, dann geht das ja. Aber wenn Sie diese 150 verschiedenen Tumore beherrschen wollen, die Pathophysiologie, die unzähligen verschiendenen Therapien, dann überschreitet das einfach das menschliche Auffassungvermögen und auch die Zeit, die man hat, um sich mit angesprochenen Neuerungen zu beschäftigen. Deshalb braucht es auch Artificial Intelligence in Zukunft. Wie gut muss sich Ihrer Meinung nach ein niedergelassener Arzt in der Onkologie auskennen? Für niedergelassene Ärzte wäre es wichtig, mit den Krebszentren gut zusammenzuarbeiten und zu wissen, was mit onkologischen Patienten zu tun ist, wenn sie Symptome der Erkrankung oder Probleme aufgrund der Therapien haben, etwa Infektionen, Durchfall, Obstipation, Schmerzen, Blutungen. Sie sollten ein gewisses Symptommanagement beherrschen und erkennen, wenn ein Patient kritisch gefährdet ist und diesen sofort an ein Zentrum zu verweisen. Das heißt, er sollte sich speziell auch onkologisch weiterbilden? Das, was wir bereits über den Onkologen gesagt haben, gilt für den Praktiker erst Recht. Der muss Meister aller Klassen sein, Kardiologie, Stoffwechselerkrankungen, Onkologie, Infektiologie, etc. beherrschen. Der Hausarzt braucht daher einfach in Zukunft EDV-basierte Hilfestellung, um ein Optimum an diagnostischer Präzision und therapeutischer Qualität zu erlangen. So wie wir heute sicherer fliegen, weil es den Autopilot gibt. Oder Garri Kasparow lange Zeit unschlagbar im Schach war um später von einem Computer entthront zu werden. So wird das auch in der Medizin sein: Die besten Ärzte werden von Computern übertroffen werden. Das heißt nicht, dass der Mediziner unnötig wird, ganz im Gegenteil. Der Anspruch an kompetente, empathische Betreuung, Erklärung etc. wird nach wie vor bestehen. Aber es wird sich das Aufgabengebiet ein wenig verschieben. Kommt es noch vor, dass Niedergelassene an Studien teilnehmen bzw. ist dies gewünscht? Das ist sogar höchst Willkomen! Aber ohne entsprechende Infrastruktur kann dieser das meines Erachtens nicht mehr wirklich schaffen - rein zeitlich schon. Bei Phase I-III Studien ist die Dokumentationsverpflichtung so überbordend, dass Zusatzpersonal notwendig ist. Was er machen kann, ist, in sogenannten observational studies teilzunehmen, wo ein zugelassenes Medikament verabreicht wird, um mehr Informationen zu generieren. Das ist zwar auch aufwendig, aber noch halbwegs durchführbar.