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Ärzte Woche

21.06.2022 | Obstipation

Mit Kiwi gegen chronische Obstipation

verfasst von: Elke Oberhofer

© Mizina / Getty Images / iStock

Zur chronischen Verstopfung gibt es neue Studiendaten und eine überarbeitete Leitlinie mit einem praxisnahen Algorithmus. Bei den Basismaßnahmen kann man die ausgetretenen Pfade durchaus mal verlassen und etwa die Flohsamen durch Kiwi ersetzen. Wichtig: Um eine Langzeittherapie kommt man in der Regel nicht herum.

Für die Patientin ist es jeden Tag ein Drama, was sich auf der Toilette abspielt: Sie drückt, sie presst, sie sitzt eine halbe Stunde, manchmal eine Stunde, ohne dass etwas vorwärtsgeht. Weil sie das Gefühl hat, dass sich der After nicht vollständig entleert, hilft sie meist mit dem Finger nach. So geht das Tag für Tag, siebenmal die Woche. „Nach der alten Definition hätte diese Patientin gar keine Obstipation“, bemerkte Professor Andreas Stallmach aus Jena beim Praxis Update in Berlin, „nach der neuen dagegen sehr wohl.“

Neue Definition

Erst kürzlich haben die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) ihre gemeinsame Leitlinie zur chronischen Obstipation überarbeitet ( siehe Kasten ).

„Out“ ist laut Stallmach demnach die klassische Einteilung nach der Stuhlfrequenz. In der neuen S2k-Leitlinie gilt dagegen als Definition die „chronische unbefriedigende Stuhlentleerung“, wobei bei mindestens einem Viertel der Stühle mindestens zwei der folgenden Symptome zutreffen müssen:

  • starkes Pressen
  • klumpiger oder harter Stuhl
  • subjektiv unvollständige Entleerung
  • subjektive Obstruktion
  • manuelle Manöver zur Defäkationshilfe
  • weniger als drei Stühle pro Woche

Trinken: Mehr hilft nicht mehr

Für das Management der chronischen Obstipation sieht die Leitlinie ein Stufenschema vor. Im Rahmen der Basisdiagnostik sollte der Arzt vor allem nach verstopfungsauslösenden Medikamenten, beispielsweise Anticholinergika, Antidepressiva oder Opioiden, fragen, ebenso nach Warnsignalen fahnden, die auf eine Grunderkrankung hindeuten können ( siehe Warnsignale bei Verstopfung ).

Auf Stufe Ia des Algorithmus stehen danach Allgemeinmaßnahmen wie ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eine ballaststoffreiche Ernährung. Empfohlen wird eine tägliche Trinkmenge von 1,5 bis zwei Litern. Mehr hilft dabei nicht etwa mehr. Was über die genannte Menge hinaus geht, hat den Leitlinienexperten zufolge keinen therapeutischen Effekt. Da aber gerade ältere Patienten oft zu wenig trinken, wird geraten, in jedem Fall die Trinkmenge abzufragen und nach Möglichkeit anzupassen.

Kiwi statt langweilige Dörrzwetschke

Zusätzliche Ballaststoffe können helfen, wenn Allgemeinmaßnahmen nicht zum gewünschten Effekt führen (Stufe Ib). Nach Stallmach sind beispielsweise Flohsamenschalen und Dörrzwetschke etablierte Maßnahmen in der Behandlung der chronischen Verstopfung. Aber auch mit Kiwis lassen sich offenbar gute Erfolge erzielen, wie eine kleine Studie nahelegt ( Am J Gastroenterol 2021; 116(6)1304-1312 ). Darin wurden insgesamt 79 Patienten einer von drei Behandlungen zugelost:

  • zweimal täglich eine grüne Kiwi,
  • täglich 100 g Backpflaumen oder
  • Flohsamen in einer Dosis von 12 g pro Tag.

Primärer Endpunkt war ein Anstieg der Stuhlentleerungen um mindestens eine pro Woche in mindestens zwei der vier Behandlungswochen. Dieser Endpunkt wurde laut Stallmach in allen drei Gruppen in annähernd gleichem Ausmaß erreicht. Die Ergebnisse der Studie im Einzelnen:

  • Mit allen drei Maßnahmen war die Rate der kompletten Darmentleerungen gestiegen.
  • Sowohl in der Kiwi- als auch in der Backpflaumengruppe hatte sich die Stuhlkonsistenz signifikant verbessert.
  • Blähungen hatten sogar nur in der Kiwi-Gruppe signifikant abgenommen.

Wie der Gastroenterologe betonte, sind Therapieversuche mit der schmackhaften Frucht also durchaus begründet. Zuvor sollte man allerdings gefragt haben, ob eine Kiwi-Allergie vorliegt.

Nach Stallmachs Erfahrung sind viele Betroffene froh, eine Alternative zu den Backpflaumen angeboten zu bekommen. Das habe auch die erwähnte Studie von Samuel Chey et al. bestätigt: „Am Ende war der Anteil der unzufriedenen Patientinnen und Patienten unter Kiwi am kleinsten.“

Flohsamenschalen richtig dosieren

Flohsamenschalen können mehr als das 40-Fache ihres eigenen Volumens an Wasser binden. Richtig angewendet, können sie harten Stuhl weicher und voluminöser machen. In der Praxis werden sie jedoch häufig unterdosiert.

Laut Stallmach sollte bis zu dreimal täglich ein gehäufter Esslöffel in 250 ml Flüssigkeit eingerührt und dann unmittelbar getrunken werden. „Der Quellprozess soll nicht im Trinkglas, sondern im Magen-Darm-Trakt erfolgen“, betonte der Gastroenterologe. Lasse man die Flohsamen zu lange in der Flüssigkeit stehen, bilde sich eine gallertartige Flüssigkeit, die schwer zu schlucken sei.

Auf Stufe II stellt sich nach Stallmach die Frage, welcher abführende Ansatz als erstes versucht werden sollte. Die Leitlinie bietet Laxanzien wie Macrogol, Bisacodyl sowie Natriumpicosulfat als Behandlungsoptionen der ersten Wahl an. Diese können zeitlich unbegrenzt und auch in der Schwangerschaft eingenommen werden.

Macrogol als osmotisch wirksames Laxans war laut Stallmach in einer Metaanalyse der stimulierenden Laktulose überlegen. Die Effektivität der dual wirksamen Substanzen Bisacodyl und Natriumpicosulfat wurde in kontrollierten Studien nachgewiesen. Sie wirkten in einer Studie auch bei Patienten, die auf Macrogol nicht angesprochen hatten.

Magnesiumoxid so sicher wie Senna

Zum Vergleich eines stimulierenden gegen ein osmotisches Prinzip gibt es erstmals eine randomisierte placebokontrollierte Studie ( Am J Gastroenterol 2021; 116(1)152-161 ). Die insgesamt 90 Teilnehmer hatten entweder das stimulierende Senna (ein Pflanzenextrakt; Dosierung: 1 g/Tag), das osmotisch wirkende Magnesiumoxid (1,5 g/Tag) oder Placebo über 28 Tage erhalten.

Das Ergebnis laut Stallmach: „Beide verbessern die Stuhlfrequenz und -konsistenz sowie die allgemeine Zufriedenheit der Patienten.“ Die Ansprechraten lagen in den beiden Verumgruppen bei 69 Prozent beziehungsweise bei 68 Prozent, unter Placebo dagegen bei zwölf Prozent.

Die spontane Stuhlfrequenz hatte unter den beiden Laxanzien jeweils signifikant stärker zugenommen als unter dem Scheinmedikament, wobei keine der beiden Substanzen der jeweils anderen überlegen war. Schwere Nebenwirkungen hatten sich in der Studie nicht ereignet. Das Fazit des Gastroenterologen: „Magnesiumoxid ist so wirksam und sicher wie Senna.“ Bei beiden Substanzen müsse man „keine Sorge haben, dass sich der Darm daran gewöhnt“.

Immer eine Langzeittherapie

Für Stallmach ergibt sich aus der Leitlinie vor allem eine zentrale Botschaft: „Die Therapie der chronischen Obstipation ist eine Dauertherapie.“ Den Patienten müsse man klarmachen, dass es sich um ein chronisches Krankheitsbild handle, ähnlich wie bei der arteriellen Hypertonie oder der koronaren Herzkrankheit. „Diese werden auch nicht nach Symptomen behandelt, sondern kontinuierlich“, sagte Stallmach.

Fazit für die Praxis

  • Die Definition der chronischen Obstipation richtet sich nicht mehr nach der Stuhlfrequenz.
  • Kiwis wirken bei Obstipation fast so gut wie Flohsamen oder Backpflaumen.
  • Auf Stufe II ist Magnesiumoxid so wirksam und sicher wie Senna.
  • Die Therapie der chronischen Obstipation muss langfristig erfolgen.
Metadaten
Titel
Mit Kiwi gegen chronische Obstipation
Publikationsdatum
21.06.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 25/2022

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