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Ärzte Woche

25.11.2019 | Neurologie

„Ich kann Parmesan nicht mehr riechen, ohne an Erbrochenes zu denken“

verfasst von: Mit Johannes Frasnelli hat Raoul Mazhar gesprochen

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Der Geruchsinn ist einer der unterschätzten Gaben, sagt der aus Südtirol stammende und in Kanada lehrende Experte Johannes Frasnelli und erklärt, warum es sinnvoll ist, dass uns kein Geruch aus dem Schlaf holt und er eine Duftverschmutzung eher nicht fürchtet.

Ich habe mir lange überlegt, ob und wie ich mich heute einduften soll. Welches Parfüm verwenden Sie?

Frasnelli: Das ist ein Irrtum, dem die meisten aufsitzen. Nur weil ich Geruchsforscher bin, heißt das nicht, dass ich exzellent riechen kann. Ich bin Neuroanatom, kein Sommelier. Ich versuche, Parfüm spärlich zu verwenden. Ich wasche mich freilich, aber verwende nichts Zusätzliches. Ein starker Eigengeruch würde die Menschen im Labor stören, deren Geruchssinn wir testen.

Sie sind also kein Jean-Baptiste Grenouille (Anm.: Protagonist von „Das Parfum“). Woher kommt Ihre Affinität zum Thema?

Frasnelli: Das war ein Zusammenspiel von Zufall und Interesse. Ich habe immer schon gerne gegessen und dabei auf Vielfalt geachtet. Diese Vorlieben haben sich während meines Studiums in Wien bei Wein- und Gewürzverkostungen, insbesondere am Naschmarkt, vertieft. Als es darum ging, ein Wahlfachthema auszuwählen, stolperte ich über ein Inserat der HNO-Abteilung am AKH, die Studierende für das Thema Riechen und Schmecken begeistern wollte. Und heute stecke ich meine Nase in Sachen, um die Menschen normalerweise einen Bogen machen.

Jetzt haben Sie auch ein Buch zum Thema verfasst.Darin erfährt selbst der medizinisch Beschlagene Neues …

Frasnelli: Das ist eines meiner Ziele. Ich will nicht nur in die Welt des Riechens einführen, sondern auch Fakten präsentieren, die mich in den vergangenen Jahren selbst faszinierten. Umso mehr freuen mich Rückmeldungen aus der Kollegenschaft, die dann weitere Details zu der einen oder anderen Sache wissen wollen.

Sie legen Sachverhalte offen, die man zwar kennt, worüber man zuvor aber nicht nachgedacht hat, etwa, dass jeder unserer Sinne uns aus dem Schlaf holen kann, aber nicht der Geruchssinn. Wäre es nicht ein evolutionärer Vorteil gewesen, einen Brandmelder in der Nase zu haben?

Frasnelli: Wenn die Evolution zielgerichtet wäre, vielleicht. Andererseits es ist vernünftig, wenn man darüber nachdenkt. Stellen Sie sich den unruhigen Schlaf vor, wenn jeder Atemzug auf eine allfällige Gefahr geprüft werden würde. Aber selbst wenn der Geruchssinn als Wächter ausfällt, so haben wir ein Sicherheitsnetz, denn wenn wir aufgrund des Rauches husten oder die Augen brennen, wird der N. trigeminus gereizt. Spätestens dann wachen wir auf.

Sie sind Professor für Anatomie im kanadischen Québec. Würde man Leichen nicht konservieren, würden sie rasch nach Verwesung riechen. Ist das ein Beispiel für einen Geruch, der uns über Kultur- und Altersgrenzen hinweg abstößt?

Frasnelli: Wir Anatomen stöbern kaum mehr in Leichen, ich arbeite viel mit Neuroimaging. Tatsächlich betreibt aber das Institut für forensische Thanatologie an meiner Universität eine ‚Bodyfarm‘ also ein Verwesungsgelände für Leichen. Ich würde das gerne untersuchen, was dieser Geruch in diversen Konzentrationen in uns auslöst. Es ist spannend, dass man pauschal nicht sagen kann, mit welcher chemischen Zusammensetzung Ekel ausgelöst wird, ohne die Konzentration zu berücksichtigen. Es gibt Parfüm-Inhaltsstoffe, die in ihrer Reinform unappetitlich riechen, was vor allem für die schweren Noten gilt. Einige Beispiele sind der Glücksfall für die Parfümindustrie: im Meer treibendes Walerbrochenes mit dem klangvollen Namen Ambra oder das Sekret der Zibetkatzen. Diese Substanzen riechen nur angenehm, wenn sie stark verdünnt werden.

Ein unterschätzter Faktor ist die Erwartungshaltung. In einer Studie baten wir die Probanden, den Geruch von Parmesan von 0 bis 10 zu bewerten, nachdem wir ihnen gesagt hatten, dass sie Parmesan riechen würden. Das Resultat lag zwischen 7 und 8. Dann lenkten wir sie mit weiteren Düften ab, bis wir ihnen erneut den Geruch des italienischen Hartkäses anboten. Nun aber erwarteten die Probanden Erbrochenes. Der Duft fiel vollkommen durch und wurde mit 0,1 auf der zehnteiligen Skala bewertet. Übrigens kann ich seit damals Parmesan nicht mehr riechen, ohne an Erbrochenes zu denken. Das zeigt anschaulich, dass unsere Wahrnehmung von Duftstoffen unter anderem kontextabhängig ist.

Allerdings werden Gerüche auch kulturabhängig wahrgenommen.

Frasnelli: Das sehen wir vor allem beim Essen, weil Speise-Aromen ausschließlich über den Geruchssinn funktionieren. Da gibt es in Asien die Durianfrucht, die dort als Delikatesse gilt, während wir Europäer bei einer Verkostung unseren Brechreiz niederkämpfen müssen. Für uns trägt sie den Beinamen Stinkfrucht zu Recht. Das geht freilich auch in die andere Richtung: Geben Sie einem Asiaten einen Vorarlberger Bergkäse zum Kosten.

Warum in bestimmten Ländern, etwa im arabischen Raum, Parfüme mit schwerer Note bevorzugt werden, kann ich nur spekulieren, das weiß ein Parfümeur besser. Man fragt sich außerdem, warum in unseren Breiten Zitronenduft ein sauberes Image verbreitet. Sie können den schmutzigsten Ort mit ein wenig Zitronenduft aufpeppen – das funktioniert bei uns mit fast jeder Toilette.

Eine Frage, die mich seit meiner Kindheit bewegt: Für meine Großmutter wurde es erst Frühling, wenn Großvaters Maiglöckchenkorb auf dem Tisch stand. In einem Jahr aber, so erzählte man mir, sog meine Oma den Duft ein und verlor mit einem Schlag ihren Geruchssinn. Sie verbrachte eine traurige Zeit ohne Riechen und Schmecken, bis mein Großvater ein Jahr später wieder mit einem Korb Maiglöckchen ankam. Jäh fand sich der Geruchssinn ein. Kann die Geschichte wahr sein?

Frasnelli: Fünf Prozent der Bevölkerung riechen gar nichts, zusätzliche 15 Prozent haben einen reduzierten Geruchssinn. Jeder fünfte Mensch hat demnach Riechprobleme – mit mannigfaltigen Ursachen. Tatsächlich kann man infolge eines starken Geruchtriggers eine Anosmie erleiden, aber das ist extrem selten. Andere Auslöser sind Schädelhirntraumen, Viruserkrankungen, Nasen- und Nebenhöhlenentzündungen sowie Allergien, nur bei einem Prozent gibt es einen angeborenen Hintergrund. Wer seinen Geruchssinn verliert, merkt dies in der Regel sofort, wiewohl es Beispiele von Menschen nach einem Schädelhirntrauma gibt, die ihre Anosmie erst zwei Wochen später wahrnahmen.

Kommen wir nun zur Geschichte Ihrer Großmutter: Es passiert, dass bei postmenopausalen Frauen nach einer Viruserkrankung – wir vermuten einen hormonellen Hintergrund – sich der Geruchssinn verabschiedet. Es gibt Vermutungen, dass es auch viele männliche Betroffene gibt, die das aber ignorieren, sofern sie keine Beruf-Gourmets sind.

Verschwindet der Geruchssinn, so muss dies kein lebenslanges Schicksal sein. Die Riechrezeptorzellen im Nasendach regenerieren sich, ausgehend von Stammzellen, alle sechs Wochen bis sechs Monate. Im Alter verlangsamt sich dieser Prozess übrigens, was erklärt, warum wir immer schlechter riechen. Dennoch können wir bei einer viral ausgelösten Riechstörung durchaus mit einer spontanen Regeneration rechnen, und das könnte bei Ihrer Großmutter so gewesen sein, die nach einem erkältungsreichen Winter im Frühling wieder ihren Geruchsinn geschenkt bekam und sich dessen erst bewusst wurde, als ihr liebevoller Mann mit einem Strauß Maiglöckchen vor ihr stand.

Erst der Verlust lehrt den Wert der Sache. Wie würde die Welt aussehen, wenn der Mensch von Natur aus keinen Geruchssinn hätte?

Frasnelli: Interessanter Gedanke! Denken Sie an Weihrauch, Spirituosen, Parfüme oder Rauchwaren! Viele Luxusprodukte, die die menschliche Geschichte mitbestimmt haben, bestechen durch ihren Duft.

Unsere Landwirtschaft sähe auch ganz anders aus, wir kultivieren ja vor allem Pflanzen, die nicht nur Nährwert, sondern auch Geschmack anbieten. Dafür würden Farben eine noch bedeutendere Rolle spielen.

Der Geruch spielt ebenso in der Partnerwahl eine Rolle, wenngleich nicht die entscheidendste. Ein Indiz hierfür ist, dass sich viele über das Internet verlieben, wobei sich diese Menschen irgendwann real über den Weg laufen und spätestens dann der Körpergeruch mehr oder weniger schlagend wird.

Harte Fakten sind bei dieser Frage selten, Anekdoten gibt es hingegen viele. Etwa jene, in der die Frau ihren Kinderwunsch folgend die Pille absetzte, die sie seit frühester Jugend nahm. Mit dem veränderten Hormonhaushalt konnte sie ihren Partner plötzlich nicht mehr riechen – buchstäblich. Es verflog nicht nur der Kinderwunsch, sondern auch die Beziehung.

Diese Geschichte fußt durchaus auf einer wissenschaftlichen Erkenntnis, nämlich, dass die Wahrnehmung des männlichen Körpergeruchs bei Frauen zyklusabhängig ist. Während des Eisprungs werden Düfte, die mit Männern assoziiert sind, angenehmer empfunden als während der Regelblutung. Sexuelle Anziehung aufgrund des Körpergeruchs spielt sich auf einer sehr unbewussten Ebene ab.

Spielt bei der Partnerwahl nicht eine immunologische Komponente, der Haupthistokompatibilitätskomplex, eine Rolle?

Frasnelli: Die persönliche Geruchswolke ist ein Cocktail aus unterschiedlichen, flüchtigen Substanzen Der Grundkörpergeruch besteht aus Duftstoffen, die von apokrinen Schweißdrüsen im Achsel- und im Anogenitalbereich produziert werden. Andere Hautbereiche beteiligen sich noch mit ekkrinen Schweißdrüsen, die nur Wasser und Salz absondern und weiteren apokrinen Drüsen daran. Am Ende bekommt jeder seinen individuellen Grundgeruch, der mit seinem MHC (Anm.: major histocompatibility complex) zusammenhängt und den man sich nur mit seinem eineiigen Zwilling teilen muss. Man könnte demnach behaupten, dass man seinen genetischen Fingerabdruck riechen kann. Dieser Basiskörpergeruch wird noch moduliert, durch Hautbakterien, Nahrung und Hygienegewohnheiten. Selbst die Wäsche färbt geruchlich ab.

Dass Düfte uns prägen und bei der Partnerwahl beeinflussen, hat die Wirtschaft längst erkannt und setzt auf Marketing für alle Sinne. Dazu zählt, dass man seit Jahren Produkte, Hotels und Kaufzentren beduftet. Was halten Sie davon, und was macht diese Duftverschmutzung mit uns?

Frasnelli: Wir waren immer schon vielen Gerüchen ausgeliefert. Denken Sie nur daran, wonach ein Wald alles duftet. Ich glaube nicht, dass dies ein Problem ist, im Gegenteil, das trainiert das Gehirn.

Selbstverständlich erreichen die Leute, die sich das ausgedacht haben, ihr Ziel: nämlich unsere Aufmerksamkeit. Da gibt es ja diese Ecken im Supermarkt, wo Brot gebacken wird, dort duftet es neuerdings auch dann nach frischem Brot, wenn die Öfen kalt sind. Das ist schon raffiniert, denn dieser Duft, weckt bei fast allen Emotionen. Man sollte allerdings nicht zu dick auftragen, denn das könnte bei geruchssensiblen Menschen Migräne auslösen.

Da ist noch etwas, warum sich viele mit der Dauer-Beduftung unwohl fühlen: Bei visueller Werbung muss man nicht hinsehen, bei auditiver kann man weghören, aber dem Marketing via Nase sind wir ausgeliefert, da die Riechverarbeitung unbewusst abläuft. Hier wird man in der Wahrnehmung durch die Hintertür manipuliert. Dazu kommt, dass die Verarbeitung von Gerüchen im limbischen System stattfindet, wo Gerüche starke Emotionen und Gedächtnisinhalte auslösen können. Das kann schon verunsichern!

In gewisser Hinsicht ist Duftverschmutzung daher ein Stichwort der Zukunft, denn wir wissen nicht, wohin der Trend geht. Der Begriff Lärmbelästigung ist relativ gesehen auch eher jung. Früher kam niemanden in den Sinn, Geräusche könnten die Nerven angreifen. Heute wissen wir, dass Schallwellen per se nicht krank machen, sondern die nicht funktionierende Verarbeitung von Stress, der durch Lärm ausgelöst wird. Ich kann mir vorstellen, dass Gerüche einen ähnlichen Erregungslevel hervorrufen können.

Spannend finde ich, dass viele Menschen an sich selbst riechen. Manchmal zum eigenen Imageschaden, sofern dies live und in Großaufnahme im TV übertragen wird. Können Sie das erklären?

Frasnelli: Aufgrund des Gewöhnungseffektes können wir selbst uns ja nicht riechen, außer wir schnüffeln und saugen derart mehr Duftstoffmoleküle ein. Erst wenn wir übermäßig schwitzen, übersteigt unsere individuelle Geruchswolke die eigene Wahrnehmungsschwelle. Grundsätzlich riechen wir alle viel häufiger an uns selbst, als wir das zugeben, schließlich ist das etwas sehr Intimes!

Meines Erachtens wurde dieses Phänomen noch nie in seiner gesamten Tiefe erforscht. Es gibt allerdings eine israelische Studie, die beleuchtet, dass sich Menschen viel häufiger ins Gesicht greifen, wenn sie zuvor jemandem die Hand geschüttelt hatten. Ein weiterer Hinweis darauf, wie sehr uns Gerüche im Alltag beeinflussen, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen.

In der Medizin scheint der Geruch immer unwichtiger zu werden. Selbst Sie setzen ja hauptsächlich auf bildgebende Verfahren. Früher schnupperte man als Arzt schon mal an einer Urinprobe.

Frasnelli: Es gibt sie auch heute noch, die Erkrankungen, die mit einer typischen Veränderung des Körpergeruchs einhergehen, etwa Stoffwechselstörungen wie die seltene Fischgeruchskrankheit. Es gibt Untersuchungen, die darlegen, dass sich die Ausdünstung bei Menschen mit einer Fiebererkrankung ändert. Man kann das Fieber am Krankenbett förmlich riechen, was aus evolutionärer Sicht durchaus nachvollziehbar wäre.

Da wären außerdem Erkrankungen des Nervensystems, etwa Alzheimer oder Schizophrenie, die nicht nur mit einer Veränderung der Neurotransmitter einhergehen, sondern auch der Schweißdrüsen und so einen typischen Geruch generieren. Wenn wir das diagnostisch nützen könnten, wäre das ein Riesenschritt bei der Prophylaxe von Demenzen!

Es gibt zudem Versuche, Lungenkrebs mithilfe von Hunden zu erschnuppern. Hier bin ich skeptisch, da ich mich bei so einer relevanten Sache nicht auf die Launen und Befindlichkeiten eines Tieres verlassen will. Ich kann mir gut vorstellen, dass flüchtige Substanzen in der Atemluft vorliegen, nach denen würde ich aber lieber mit einer geeichten Maschine fahnden. Ich liebe Duftstoffe, aber die evidenzbasierte Medizin setzt auf objektive Verfahren, und daran will ich nicht einmal ansatzweise rütteln.


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Metadaten
Titel
„Ich kann Parmesan nicht mehr riechen, ohne an Erbrochenes zu denken“
Publikationsdatum
25.11.2019
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 48/2019

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