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Ärzte Woche

11.03.2022

Neffentrick für Ärzte

verfasst von: Medizin-Kabarettist Dr. Ronny Tekal

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© jujuenter // iStock

Wie man mit einem Fake-Kongress Mediziner abzockt.

Bei all dem Verbrechen, das in der Welt gerade begangen wird, wollen wir kurz innehalten und uns den schönen Seiten der Kriminalität widmen: der Trickbetrügerei. Sie hat imagemäßig einen deutlich höheren Stellenwert als der plumpe Meuchelmord und wurde durch Filme wie „Der Clou“, „Ocean’s Eleven“ oder „Das Ibiza-Video“ romantisiert. Je ausgeklügelter das ersonnene System, desto eher vergönnt man den Tätern ein Leben vor, statt hinter schwedischen Gardinen.

Besonders beliebt ist hierzulande der „Neffentrick“. Dabei werden unbedarfte Menschen angerufen, deren altersbedingte Demenz durch Vornamen wie Cecilie, Amalie oder Adolf bereits im Telefonbuch vermutet werden kann. Dann gaukelt man ihnen einen vermeintlichen Verwandten in einer Notlage vor und bringt die Opfer um eine gehörige Summe Geld. Zwar ist es nur schwer vorstellbar, wie man einem Neffen, an den man sich höchstens vage erinnert, sein Erspartes rüberschieben kann. Doch auch ich neige dazu, der vertrauenserweckenden Buchungsplattform im Internet Glauben zu schenken, dass tatsächlich nur mehr zwei Restplätze verfügbar sind und ich sofort zuschlagen muss. Ich habe allerdings noch ein wenig Zeit, bevor die Neffentrick-Verbrecher die Ronnys, Jessicas oder Kevins im Visier haben. Heute würde ich eher auf Menschen wie den „Tinder-Swindler“ reinfallen, der mir seine unendliche Liebe schwört, wenn ich seinen Privatjet einmal volltanke. Oder den Organisatoren eines Fake-Kongresses auf den Leim gehe, wie jüngst einige renommierte Ärzte.

Tatsächlich reiste vergangenen November eine Handvoll internationaler Spezialisten zur Tagung der Europäischen Gesellschaft für Medizin (ESMED) nach Wien. Erst vor Ort bemerkten sie, dass es weder die ESMED noch den Kongress gab, zumal der berühmte Eröffnungsredner Kazuo Murakami bereits ein halbes Jahr zuvor verstorben war. Die etwas späte Erkenntnis ist den Teilnehmern jedoch hoch anzurechnen, denn vielen Kollegen würde erst dann etwas auffallen, wenn die DFP-Punkte danach nicht am Fortbildungskonto gebucht worden wären – für die medizinische Zielgruppe also das perfekte Verbrechen.

Mein journalistisches Herz schlug höher, als ich davon Kenntnis bekam und ich undercover recherchierte. Konkret habe ich ESMED gegoogelt, um festzustellen, dass es tatsächlich eine Homepage gibt. Weiter traute ich mich jedoch nicht durchzuklicken, da ich schon alleine beim Gedanken daran, möglicherweise einen Newsletter zu abonnieren, den ich nicht möchte, Muffensausen bekomme. Soweit zu meinem Dasein als beinharter investigativer Journalist. Natürlich kann es sein, dass auch die Meldung über den Fake-Kongress selbst eine Ente ist, den alle journalistisch widerspruchslos voneinander abschreiben. Quasi eine mit Ente gefüllte Ente. Man sollte also doppelt vorsichtig sein. Übrigens kann man sich für den August-Kongress 2022 der ESMED bereits anmelden! Es gibt nur mehr wenige Restplätze!

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Metadaten
Titel
Neffentrick für Ärzte
Publikationsdatum
11.03.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 11/2022

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