Anatomisch liegt die Spitze der Prostata (Apex) in enger Nähe zum Schliessmuskel, und bei der Entfernung des Organs kann es zu Kollateralschäden am Kontinenzapparat kommen. Bei der Operation gilt es stets, die Gratwanderung zwischen der Entfernung des Prostatakrebses im Gesunden und einer maximalen Erhaltung der Harninkontinenz zu meistern. Durch die verbesserte Visualisierung in der robotischen Chirurgie ging man in den letzten Jahren immer mehr dazu über, den Harnröhrenstumpf als Teil des Kontinenzapparates maximal zu schonen und gleichzeitig durch intraoperative Schnellschnittuntersuchungen die Tumorentfernung im Gesunden weiterhin zu gewährleisten. [
12,
13]. Die Konsequenz einer Schädigung des Kontinenzapparates ist der Verlust von Urin bei Erhöhung des intraabdominellen Drucks, wie z. B. bei Husten, körperlicher Betätigung oder schwerem Heben. Diese Art von Harninkontinenz wurde früher als Stressinkontinenz bezeichnet, heutzutage spricht man vermehrt von Belastungsinkontinenz. Während ein Grossteil der Männer initial, nach Entfernung des transurethralen Dauerkatheters, an einer Inkontinenz leidet (70–80 % nach 6 Wochen, 20–40 % nach 6 Monaten, [
14]), kann es signifikante Unterschiede beim Ausmass des Urinverlusts gegeben. Dieses wird anhand der notwendigen Einlagen pro Tag objektiviert. Mittels dieser Angabe kann auch der postoperative Verlauf dokumentiert werden. Studien aus Zentren mit grosser operativer Erfahrung zeigten, dass mehr als 90 % der Männer nach 1 Jahr keine oder nur eine Einlage pro Tag benötigen [
15]. Das Ausmass der Harninkontinenz ist jedoch nicht nur vom chirurgischen Können und der Ausdehnung des Tumors abhängig, sondern auch in signifikantem Masse von Patientenalter, Gewicht, Prostatagrösse und Nebendiagnosen wie z. B. einem Diabetes mellitus. Diese Aspekte werden in der Regel vor der Operation mit dem Patienten besprochen, um eine realistische Erwartungshaltung zu gewährleisten. In diesem Rahmen ist es äusserst wichtig, alle Patienten auf den postoperativen Verlauf vorzubereiten. Die klinische Erfahrung und auch wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass sich die Kontinenzfunktion auch 12 Monate nach der Operation weiterhin und stetig verbessert [
16,
17]. Die zeitige Information über die stetige Verbesserung der Kontinenzfunktion hilft den Männern, über die ersten schwierigen Wochen mit unwillkürlichem Harnverlust hinwegzukommen, und motiviert sie, unterstützende Massnahmen in Anspruch zu nehmen und durchzuführen. Zu diesen Massnahmen gehört v. a. die Beckenbodengymnastik. Das Beckenbodentraining beinhaltet sowohl Übungen zur Anspannung des externen Sphinktermuskels als auch Entspannungsübungen des Beckenbodens. Es wird versucht, durch eine Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur, welcher auch Teil des Kontinenzapparates ist, die Harninkontinenz zu verbessern. In der Regel werden die Patienten bereits präoperativ instruiert, da es Hinweise auf einen positiven Effekt für einen frühen Beginn gibt [
18]. Im Verlauf können die Übungen selbstständig durchgeführt werden, gelegentlich kann eine intermittierende Supervision durch einen Physiotherapeuten zu einer Intensivierung des therapeutischen Effektes führen. Alternativ oder zusätzlich besteht auch die Möglichkeit einer individualisierten physiotherapeutischen Therapie, die während des Trainings die Aktivität des Beckenbodens im Sinne eines Biofeedbacks misst. Auch wenn es bis heute keine klare wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen dieser Therapie gibt [
19], wird sie in der Schweiz so gut wie an allen Zentren aufgrund der klinischen Erfahrung den Patienten empfohlen, und von diesen erfahrungsgemäss auch sehr dankbar angenommen. In diesem Zusammenhang kann auch eine professionelle Inkontinenzberatung hilfreich sein. Spitäler haben hierfür oft speziell ausgebildete Pflegekräfte, welche mit Empathie für den jeweiligen Mann gemäss Inkontinenzgrad eine passende Lösung finden. Die intuitive Handhabung der Inkontinenzprodukte darf in diesem Patientenkollektiv nicht als selbstverständlich angesehen werden, und eine aktive Zuführung der Patienten an die Inkontinenzberatung ist zu empfehlen. Sollten die Harninkontinenz auch mehr als nach 1 Jahr weiterhin persistieren, ein hoher Leidensdruck bestehen oder das Ausmass schwer sein, können nichtkonservative Massnahmen wie eine Unterspritzung, eine Harnröhrenschlinge oder eine Sphinkterprothese in Betracht gezogen werden. Die Erfolgsraten für die jeweiligen Techniken werden mit 26, 59 und 63 % angegeben [
20]. Zu beachten für die Patientenaufklärung, Patientenselektion und Risiko-Nutzen-Abwägung ist, dass die Unterspritzung nur einen temporären Effekt erzielt und bei Prothesen eine hohe Reoperationsrate von über 20 % innerhalb der ersten 3 Jahre belegt ist.