Skip to main content
Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie 3/2021

Open Access 31.08.2021 | Originalien

Moderne Diagnostik bei ösophagealen Motilitätsstörungen

verfasst von: Jan Levenfus, PD Dr. med. Daniel Pohl

Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie | Ausgabe 3/2021

Zusammenfassung

Für die Abklärung oberer gastrointestinaler Symptome wie der Dysphagie, nichtkardialer Thoraxschmerzen, Regurgitationen sowie des gastroösophagealen Refluxes stellt die hochauflösende Ösophagusmanometrie einen Goldstandard der modernen gastroenterologischen Funktionsdiagnostik dar. Seit Erscheinen der Chicago-Klassifikation 1.0 im Jahr 2008 als Befundungsrichtlinie folgten mehrere Überarbeitungen. Mittlerweile liegt nun die Version 4.0 vor, in der ein standardisiertes Protokoll sowie Weiterentwicklungen der differenzierbaren Störungen des EGJ-Abflusses sowie der tubulären Peristaltik enthalten sind. Ferner wurden mehrere Provokationsmanöver wie Positionswechsel, schnelle Trinkversuche sowie feste Testmahlzeiten integriert, welche bei nicht eindeutigen Befunden angewandt werden können. Einbezogen werden auch weitere moderne Verfahren, wie der Bariumbreischluck sowie die endoskopische Impedanzplanimetrie mittels FLIP(„functional lumen imaging probe“)-Technik, bei denen anhand der Messung von Durchmesser und Distensibilität eine erweiterte Motilitätsdiagnostik erfolgt und auch Aussagen über die Peristaltik getroffen werden können. Ziel der ösophagealen Funktionsuntersuchungen ist die Identifikation allfälliger peristaltischer oder statischer Motilitätsdefekte bei Patienten mit Symptomen einer ösophagealen Dysfunktion, welche für eine zielführende Therapiewahl wichtig sind.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Abkürzungen
CCv4.0
Chicago Classification version 4.0
CSA
Cross-sectional area
DCI
Distal contractile integral (distales Kontraktionsintegral)
DES
Distal esophageal spasm (distaler Ösophagusspasmus)
DL
Distale Latenz
EGJ
Esophagogastric junction (gastroösophagealer Übergang)
EGJ-CI
Esophagogastric junction outflow contraction integral
EGJOO
Esophagogastric junction outflow obstruction
EoE
Eosinophilic esophagitis (eosinophile Ösophagitis)
FLIP
Functional lumen imaging probe
GERD
Gastroesophageal reflux disease
HE
Hypercontractile esophagus (hyperkontraktiler Ösophagus)
HRM
High-resolution manometry (hochauflösende Manometrie)
HRIM
High-resolution impedance manometry (hochauflösende Impedanzmanometrie)
IBP
Intra-bolus pressure (Intrabolusdruck)
IEM
Ineffective esophageal motility (ineffektive Ösophagusmotilität)
IRP
Integrated relaxation pressure
LES
Lower esophageal sphincter (unterer Ösophagussphinkter)
MRS
Multiple rapid swallows
PIP/RIP
Pressure inversion point (respiratorischer Inversionspunkt)
RDC
Rapid drink challenge
TBS
Timed barium swallow (Bariumbreischluck)
UES
Upper esophageal sphincter (oberer Ösophagussphinkter)
Ösophageale Motilitätsstörungen sind relevante Ursachen oberer gastrointestinaler Symptome wie der Dysphagie, nichtkardialer Thoraxschmerzen, Regurgitationen sowie des gastroösophagealen Refluxes. Nach endoskopischem und histologischem Ausschluss einer mechanischen Obstruktion oder anderer offensichtlicher, struktureller Veränderungen des oberen Gastrointestinaltrakts ist der Goldstandard für die moderne Diagnostik von ösophagealen Motilitätsstörungen die hochauflösende Manometrie (HRM) des Ösophagus, welche Ende der 1990er Jahre entwickelt wurde [1, 2]. Das Hauptanliegen einer ösophagealen HRM ist die Identifikation eines allfälligen statischen oder peristaltischen Motilitätsdefekts bei Patienten mit Symptomen einer ösophagealen Dysfunktion. Dabei werden sowohl die zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen wie auch die Art der jeweiligen Dysfunktion (z. B. fehlgeschlagener Bolustransport, Reflux) samt den Symptomen (u. a. Dysphagie, retrosternale Schmerzen) betrachtet, um so die Grundlage für eine rationale Therapie zu schaffen mit dem Ziel, die Lebensqualität zu verbessern. Die ösophageale HRM kann um kombinierte Impedanzmessungen erweitert werden (HRIM), mit denen der Bolustransit dargestellt und quantifiziert werden kann [3, 4].

Chicago-Klassifikation

Die Befundung der hochauflösenden Ösophagusmanometrien basiert seit 2008 auf der Chicago-Klassifikation [5], welche bereits mehrfach überarbeitet bzw. aktualisiert wurde [6, 7]. Die zuletzt gültige Chicago-Klassifikation 3.0 wurde im Jahr 2015 als mehrstufiges Diagnosemodell für Ösophagusmotilitätsstörungen durch eine Gruppe bekannter Experten (International High Resolution Manometry Working Group) veröffentlicht. Der Diagnosealgorithmus begann bei der Analyse des Integrated Relaxation Pressure (IRP) bzw. der deglutitiven Relaxation des unteren Ösophagussphinkters, wodurch bereits Hinweise auf eine Achalasie oder eine Obstruktion des gastroösophagealen Übergangs („esophagogastric junction outflow obstruction“, EGJOO) erkennbar wären, dies je nach gleichzeitig bestehender Peristaltik oder Aperistaltik und Kontraktionsstärke des tubulären Segments. Anschliessend folgte die isolierte Beurteilung der tubulären Peristaltik, bei der ein distaler Ösophagusspasmus, ein Jackhammer-Ösophagus oder eine Aperistaltik erkannt werden konnten, welche bei gesunden Probanden grundsätzlich nicht vorkommen. Bis zu diesem Punkt waren die anhand des Algorithmus gestellten Diagnosen recht eindeutig („major disorders of peristalsis“). Es folgte der Übergang zu Peristaltikstörungen mit weniger deutlicher Pathologie („minor disorders of peristalsis“), wie der ineffektiven Ösophagusmotilität und der fragmentierten Peristaltik. Beide Störungen weisen zwar auf eine gestörte ösophageale Clearance hin, werden aber auch zum Teil bei asymptomatischen Probanden vorgefunden. Die Chicago-Klassifikation 3.0 war sechs Jahre lang gültig.

Was ist neu in der Chicago-Klassifikation 4.0?

Während der letzten zwei Jahre fanden wiederholt Treffen der aus 52 internationalen Experten bestehenden Chicago Classification Working Group statt, die sich das Ziel gesetzt hat, die Chicago-Klassifikation weiterzuentwickeln. Dabei wurden für die neue Version 4.0 sieben grundsätzliche Neuerungen erarbeitet:
1.
Entwicklung eines standardisierten Protokolls zur Durchführung hochauflösender Ösophagusmanometrien mit Positionsänderungen sowie physiologischen Provokationsmanövern,
 
2.
Weiterentwicklung der Achalasie-Klassifikation,
 
3.
Eingrenzung der Definition einer EGJOO,
 
4.
Weiterentwicklung der Definition des distalen Ösophagusspasmus,
 
5.
Eingrenzung der Definition des hyperkontraktilen Ösophagus,
 
6.
Weiterentwicklung der Definition einer ineffektiven Ösophagusmotilität,
 
7.
Einbezug des gastroösophagealen Übergangs in die Klassifikation.
 
Die Entwicklung eines standardisierten Protokolls, das die vorherigen Versionen der Chicago-Klassifikation nicht vorsahen, sollte eine kongruente Durchführung hochauflösender Ösophagusmanometrien erleichtern und damit eine Vergleichbarkeit der Untersuchungen zwischen verschiedenen Zentren sicherstellen. Dies sollte wiederum zur Verbesserung der diagnostischen Zuverlässigkeit und Förderung der kollaborativen Forschung beitragen. Die einzelnen Diagnosen wurden anhand der jeweils zugrundeliegenden Pathologie weiterentwickelt bzw. eingegrenzt, um klinisch relevante Konstellationen von weniger relevanten Nebenbefunden zu unterscheiden.

Standardisiertes Protokoll

In der vorherigen Version der Chicago-Klassifikation wurde die Untersuchung in liegender Position mit kleinen Wassermengen und Einzelschlucken im Abstand von mindestens 20 s durchgeführt. Bei diesem Versuchsaufbau kam es jedoch nur selten zu einer Symptomauslösung. Die physiologische Nahrungsaufnahme erfolgt hingegen in aufrechter Körperposition, wobei Flüssigkeiten und feste Nahrung in variabler Bolusgrösse konsumiert werden. Das Trinken ist durch mehrfache Schlucke innerhalb einer kurzen Zeitspanne gekennzeichnet, wobei die Schlucke selbst in variablen Zeitintervallen erfolgen. Bei der Motilität sind Komponenten der primären Peristaltik sowie der Sekundärperistaltik zu beachten.
Allgemein erfolgt die ösophageale HRM in nüchternem Zustand, die Patienten sollten mindestens vier Stunden vor der Untersuchung keine feste Nahrung zu sich genommen haben. Der Untersuchungsablauf beginnt in der Regel in Rückenlage, neuerdings sind aber auch direkt Untersuchungen in aufrechter Körperposition möglich. Für die einzelnen Messungen gelten dabei stets spezifische Referenzwerte abhängig von Körperposition und Hersteller, die zu beachten sind.
Nach einer 60-sekündigen Adaptationsphase werden drei tiefe Inspirationen durchgeführt, die eine Identifizierung der anatomischen Landmarken ermöglichen, nämlich des oberen Ösophagussphinkters (UES), des unteren Ösophagussphinkters (LES) und des respiratorischen Inversionspunktes (RIP) als Lage des Diaphragmas. Es folgt eine 30 s lange EGJ-Basismessung sowie anschliessend 10 feuchte Schlucke mit jeweils 5 ml Wasser oder Kochsalzlösung (0,9 %; [8]). Zwischen den Einzelschlucken soll ein Abstand von mindestens 30 s eingehalten werden, um eine deglutitive Hemmung des vorhergehenden Schlucks mit Einfluss auf die Ösophagusmotilität und Sphinkterfunktion zu vermeiden. Nach den Einzelschlucken erfolgt eine Sequenz mehrfacher schneller Schlucke („multiple rapid swallow“, MRS), die bei Bedarf zwei oder drei Mal wiederholt wird. Diese Testsequenz dient dazu, die Vollständigkeit der deglutitiven Hemmung sowie eine Augmentation des DCI am Ende der MRS-Sequenz zu evaluieren, was auf eine intakte peristaltische Reserve hinweist. Eine Augmentation liegt vor, wenn der DCI in der Post-MRS-Kontraktion höher ist als der Durchschnitts-DCI der vorangegangenen feuchten Schlucke (bester von drei Versuchen). Dies ist beispielsweise in der präoperativen Beurteilung von Patienten vor einer Fundoplikatio hilfreich, denn eine intakte Augmentation am Ende der MRS ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit assoziiert, dass postoperativ keine Dysphagie auftritt. Umgekehrt besteht postoperativ ein höheres Dysphagierisiko bei Patienten ohne DCI-Augmentation [9, 10]. Neu im Protokoll ist der anschliessende Wechsel in die physiologische, aufrechte Körperposition, wo initial erneut drei tiefe Inspirationen stattfinden, gefolgt von einer EGJ-Basismessung, mindestens fünf feuchten Schlucken je 5 ml Wasser oder Kochsalzlösung (0,9 %) sowie zuletzt einem kontinuierlichen Trinkversuch mit schnellem Trinken einer grösseren Wassermenge (200 ml) über einen Strohhalm („rapid drink challenge“, RDC). Der kontinuierliche Trinkversuch kann eine EGJ-Obstruktion demaskieren. Typisch hierfür ist ein Anstieg des Intrabolusdruckes während des Trinkmanövers, gefolgt von einer Nachschluckkontraktion, die aber auch ausbleiben kann. Bei Störungen der EGJ-Relaxation steigt der IRP typischerweise auf >12 mm Hg während des Trinkens an, oft gefolgt von einer starken simultanen Nachkontraktion, die auf eine Kontraktion der Längsmuskulatur und eine Verkürzung der Speiseröhre hinweist [11]. Wird die Untersuchung in aufrechter Position begonnen, sollten 10 aufrechte Schlucke durchgeführt werden, wobei zu beachten ist, dass die jeweiligen normativen Werte lage- und herstellerabhängig sind.

Zusätzliche Manöver während des Untersuchungsganges

Falls kein eindeutiger Hinweis auf eine Motilitätsstörung erkannt wird, die Ergebnisse der ösophagealen HRM nicht vollständig mit der klinischen Symptomatik übereinstimmen oder die erhobenen Befunde die Symptome des Patienten nicht ausreichend erklären, können ergänzende Manöver während der HRM durchgeführt werden. Dazu gehören solide Testschlucke in aufrechter Position, eine feste Testmahlzeit, die innerhalb von 8 min konsumiert werden sollte, sowie die postprandiale Nachbeobachtung auf Ruminationsphänomene oder provoziertes Aufstossen bzw. Eruktationen im Sinne eines Belchings. Im Allgemeinen besteht das Konzept von Testschlucken fester Konsistenz darin, der Speiseröhre eine physiologische Herausforderung durch erhöhten Boluswiderstand zu bieten. Die normale Reaktion auf einen festen Schluck ist eine langsamere sowie stärkere Kontraktion. Dadurch wird die peristaltische Reserve ausgetestet und gleichzeitig eine gewisse Beurteilung der Ösophagussensibilität ermöglicht. Während bei feuchten Schlucken nur 2–7 % der Patienten Symptome angeben, steigt dieser Anteil bei einer festen Testmahlzeit auf 55–83 % der Patienten an [1214]. Die Analyse einer festen Testmahlzeit ist etwas umständlicher, jedoch klinisch relevant. Kurz zusammengefasst, zählt man die pharyngealen Kontraktionen während der Testmahlzeit (wenn mehrere innerhalb von 4 s, werden diese als Einzelkontraktion gezählt), die in >20 % der Fälle von effektiven ösophagealen Kontraktionen (DL >4,5 s, DCI >750 mm Hg.s.cm, <3 cm peristaltische Pause in 25-mm Hg-Kontur, IRP >25 mm Hg) gefolgt sein sollten [12]. Es konnte gezeigt werden, dass dies die diagnostische Ausbeute bei Dysphagiepatienten mit schweren Motilitätsstörungen von 37 % bei Wasserschlucken auf 67 % bei einer festen Testmahlzeit erhöht [13]. Postprandiale Beobachtungen sind nützlich bei der Differenzierung zwischen Volumenreflux und Rumination und erlauben oft auch die Diagnose von supragastrischem Aufstossen („belching disorder“) durch zusätzliche Impedanzmessungen [15, 16].
Eine pharmakologische Provokation mittels inhalativem Amylnitrit und/oder Cholezystokinin i.v. kann angeschlossen werden, um die Diagnose einer echten Störung der EGJ-Relaxation zu stützen [17, 18]. Wenn der Verdacht auf eine nichtachalasieartige EGJ-Obstruktion besteht, sind jedoch zusätzliche apparative Untersuchungen wie der Bariumschluck, vorzugsweise mit einer Bariumtablette, und/oder die endoluminale Messung mittels „functional lumen imaging probe“ (FLIP) sinnvoll.
Im Allgemeinen sollte das Testprotokoll dem Konzept folgen, eine schlüssige Diagnose der vorliegenden Motilitätsstörung zu stellen, welche die Symptomatik des Patienten hinreichend erklärt. Die beschriebenen einzelnen Testsequenzen sollten eingesetzt werden, um dies zu erreichen. Das Protokoll kann daher auch gekürzt werden, wenn bereits früher ausreichend Anhaltspunkte für eine Diagnose vorliegen oder wenn umgekehrt eine Motilitätsstörung ausgeschlossen werden kann.
Die Beurteilung der ösophagealen HRM gemäss CCv4.0 umfasst sowohl die aus Chicago 3.0 bekannten Parameter IRP, DL, DCI, IBP, die Koordination und Stärke der Peristaltik bei 20 mm Hg Isobar-Kontur und neu auch Baseline-Parameter des EGJ (EGJ-CI, RIP, Abstand LES-Diaphragma) sowie Symptome, die während des Untersuchungsganges bzw. innerhalb von 15 s nach einer dokumentierten Motilitätsstörung auftreten.
Die Auswirkungen der Körperposition auf die Messungen sind zu berücksichtigen. Basaler EGJ-Druck, IRP und DCI sind in aufrechter Position reduziert – ein Effekt, welcher durch die Schwerkraft verursacht wird, die den Bolusabgang unterstützt. Dies führt zu größeren Unterbrechungen der kontraktilen Front, jedoch ohne signifikanten Einfluss auf die Latenz [19]. Während z. B. in Rückenlage ein IRP von >15 mm Hg als pathologisch gilt, ist dies in aufrechter Position schon bei einem IRP >12 mm Hg der Fall [20].

Achalasie

Der wichtigste Einzelparameter, welcher bei der Achalasie berücksichtigt werden muss, ist der Vier-Sekunden-IRP, da dieses Zeitfenster die beste kombinierte Sensitivität und Spezifität zur Erkennung von Abflussanomalien ergeben hat [21]. Bei Patienten mit einem IRP >15 mm Hg in Rückenlage oder aufrechter Position sowie zusätzlich einer gestörten Ösophagusmotilität, die als Achalasie Typ 1 (Aperistaltik, kein Druckaufbau), Typ 2 (panösophagealer Druckaufbau) oder Typ 3 (kompartimentierter Druckaufbau) charakterisiert werden kann, sind keine weiteren Tests erforderlich. Bei Patienten mit niedrigerem IRP, aber typischen Merkmalen, wurde in Chicago 4.0 neu die Diagnose einer nichteindeutigen Achalasie eingeführt. Diese Diagnose rechtfertigt zusätzliche Untersuchungen, wie z. B. einen Bariumbreischluck oder einen FLIP, um die Diagnose einer Achalasie zu bestätigen und ggf. eine entsprechende Therapie einzuleiten. Anzeichen, die auf eine sekundäre Ursache der Achalasie, d. h. eine Pseudoachalasie hinweisen und gleichzeitig auch „red flags“ darstellen, sind ein Alter >55 Jahre, Symptome <12 Monaten, Gewichtsverlust >10 kg sowie Schwierigkeiten beim Passieren des EGJ mit dem Endoskop [22]. Wenn zwei oder mehrere dieser Risikofaktoren positiv sind, werden auch zusätzliche bildgebende Untersuchungen, einschliesslich CT Thorax/Abdomen und Endosonographie zum Ausschluss mediastinaler, intrathorakaler oder intraabdomineller Prozesse als Ursachen einer Pseudoachalasie empfohlen.

EGJOO

Die EGJOO ist bezogen auf ihre klinische Relevanz eine unklare Ösophagusmotilitätsstörung. Eine alleinige Manometrie ist für die Diagnosestellung und Festlegung der weiteren Procedere nicht ausreichend. Gemäss CCv4.0 gilt bei den Einzelschlucken in Rückenlage ein IRP-Grenzwert von 15 mm Hg (Medtronic) bzw. 22 mm Hg (Laborie/Diversatek). In aufrechter Position gilt neu ein IRP ab 12 mm Hg (Medtronic) bzw. 15 mm Hg (Laborie, Diversatek) als erhöht. Eine weitere Neuerung in CCv4.0 ist auch der Positionswechsel, um auf eine Persistenz der IRP-Erhöhung zu überprüfen, da sich eine Normalisierung des IRP in aufrechter Position in den meisten Fällen als prädiktiv für ein normales Ösophagogramm erwiesen hat, während eine Persistenz der IRP-Erhöhung nur in 62 % der Fälle einen normalen Schlucktest ergab [20]. Neu in CCv4.0 ist auch die Beschreibung der tubulären Ösophagusperistaltik, die spastisch, hyperkontraktil, ineffektiv oder normal sein kann. Ein kontinuierlicher Trinkversuch (RDC) in aufrechter Position hilft, weitere Charakteristiken der EGJOO darzustellen. In einer kürzlich durchgeführten Studie zeigte ein Absinken des IRP auf weniger als 12 mm Hg während der RDC eine hohe Wahrscheinlichkeit für fehlende Pathologien im Ösophagogramm [25]. Ein persistierender IRP >12 mm Hg während der RDC war hingegen in 36 % der Fälle mit einem pathologischen Ösophagogramm assoziiert. Wenn auch ein panösophagealer Druck vorhanden war, stieg dies auf 48 %. Ein erhöhter IRP kann auch während einer standardisierten Testmahlzeit vorgefunden werden, wobei hier der Cut-off von >25 mm Hg als signifikant angesehen wird. Dies kann helfen, symptomatische Patienten zu identifizieren, bei denen einzelne Wasserschlucke normal bleiben, sich aber während der physiologischen festen Testmahlzeit eine Obstruktion entwickelt [13]. Bei vermuteten Erkrankungen des EGJ sollte die HRM-Diagnostik grundsätzlich ohne die Einnahme von Opioiden erfolgen, da diese eine mögliche Ursache falsch-positiver Diagnosen ist [23, 24].

Ergänzende Untersuchungen

Da die beschriebenen ergänzenden Testmanöver während der HRM-Untersuchung nicht als ausreichend gelten, um eine Therapieentscheidung zu treffen, ist bei jeder EGJOO ein Bariumbreischluck und/oder eine FLIP-Messung vorgeschrieben, um die tatsächliche Signifikanz des Befundes zu beurteilen (Abb. 1). Auch das Vorhandensein von typischen Symptomen ist gemäss CCv4.0 nun ebenfalls erforderlich.

Bariumbreischluck („timed barium swallow”, TBS)

Der Bariumbreischluck sollte standardisiert durchgeführt werden, möglichst unter Verwendung von 100–200 ml dünnem Barium mit a.p.-Bildern zu drei Zeitpunkten (1, 2 und 5 oder 1, 3 und 5 min), wobei die Bolussäulenhöhe und -breite beurteilt werden. Idealerweise wird diese Untersuchung um eine Bariumtablette von 13 mm ergänzt.

„Functional lumen imaging probe“ (FLIP)

Das Prinzip der im Jahr 2005 erstmals vorgestellten FLIP-Technik ist die Impedanzplanimetrie, bei welcher die intraluminale Querschnittsfläche („cross-sectional area“, CSA) in Abhängigkeit zum intraluminalen Druck gemessen wird, wodurch Distensibilität sowie Compliance bestimmt werden können [26, 27]. Mit einer FLIP-Untersuchung des Ösophagus werden somit die Distensibilität und der Durchmesser des EGJ sowie die sekundäre, tubuläre Ösophagusperistaltik bei verschiedenen Ballondrücken, welche einen Bolus simulieren, in sediertem Zustand während einer Endoskopie beurteilt. Diese Untersuchungstechnik ist relativ neu und lediglich an einigen spezialisierten Zentren verfügbar. Durchgeführt wird sie derzeit mit EndoFLIP-Geräten der Firma Medtronic. Es existieren bereits vorgeschlagene Normwerte für den gastroösophagealen Übergang [28] sowie Erfahrungswerte für relevante Pathologien (Achalasie, EGJOO). Auch lassen sich anhand der erhobenen Sekundärperistaltik während einer FLIP-Messung Rückschlüsse auf vorhandene Peristaltikstörungen ziehen (Abb. 2), denn gemäss einer neuen Studie besteht hierbei eine Korrelation mit in HRM-Befunden beschriebener Peristaltik [29]. Eine weitere Besonderheit der FLIP-Untersuchung ist, dass bei Feststellung einer pathologischen Distensibilität im selben Untersuchungsgang auch eine Dilatation der jeweiligen Engstelle (EGJ oder ggf. Pylorus) erfolgen kann. Dies wird mithilfe spezieller, rigiderer Ballonkatheter („EsoFLIP“) durchgeführt, welche an ein EndoFLIP-Gerät angeschlossen werden können und ebenfalls elektrohydraulisch, aber mit deutlich höheren Drücken (max. 22 psi) befüllt werden.
Die Eingrenzung der EGJOO-Definition sowie zusätzlich vorgeschlagene diagnostische Modalitäten in CCv4.0 zielen darauf ab, eine klinisch relevante EGJ-Abflussbehinderung zu identifizieren und diese von belanglosen Nebenbefunden zu differenzieren. Hierfür werden IRP-Erhöhungen in aufrechter Körperposition, Intrabolusphänomene, zusätzliche Informationen aus ergänzenden Testmanövern (RDC, feste Testmahlzeit) und, um eine eindeutige Diagnose zu stellen, nicht-HRM-basierte Untersuchungen wie der Bariumbreischluck und/oder FLIP einbezogen.

Peristaltikstörungen

Wo in Chicago 3.0 noch zwischen leichten („minor disorders of peristalsis“) und schweren Ösophagusmotilitätsstörungen („major disorders of peristalsis“) unterschieden wurde, rücken in CCv4.0 anatomische Orientierungspunkte in den Vordergrund, d. h. der EGJ und der tubuläre Ösophagus (Abb. 3). Am tubulären Ösophagus können in CCv4.0 vier Peristaltikstörungen unterschieden werden, die im Folgenden diskutiert werden.
Die Grenzwerte für den hyperkontraktilen Ösophagus (früher als Jackhammer-Ösophagus bezeichnet) und den distalen Ösophagusspasmus (DES) haben sich gegenüber Chicago 3.0 nicht verändert, müssen nun aber in Abhängigkeit von der ursächlichen Grunderkrankung (bei DES mögliche Achalasievariante, GERD, EoE, Sklerodermie, Opioidkonsum, systemische Sklerose) von Symptomen einer Ösophagusdysfunktion begleitet sein. Das Expertenkomitee definierte DES bei Vorliegen von mindestens 20 % verfrühten Kontraktionen, d. h. einer DL von <4,5 s bei effektiven Schlucken, mit einem DCI von mindestens 450 mm Hg · s · cm.
Wichtig für die Diagnosestellung ist, dass ein hyperkontraktiler Ösophagus von einer mechanischen Obstruktion, wie z. B. einem Magenband, einer Hiatushernie oder einer engen Fundoplikatio abgegrenzt wird. Symptome, die als assoziiert gelten, sind Dysphagie und nichtkardiale Thoraxschmerzen [30], obwohl eine neuere Studie zeigen konnte, dass Regurgitationen in diesem Zusammenhang ebenso häufig vorkommen wie thorakale Schmerzen [31]. Bemerkenswert ist, dass Patienten mit hyperkontraktilem Ösophagus zum Teil eine Symptomremission ohne medizinische Interventionen haben können.
Provokative Tests können bei der Diagnose eines hyperkontraktilen Ösophagus helfen, wobei die RDC möglicherweise eine ösophageale Druckentwicklung und die MRS zusätzlich Merkmale einer abnormalen deglutitiven Hemmung zeigt. Merkmale einer Achalasie oder eines distalen Ösophagusspasmus dominieren gegenüber dem hyperkontraktilen Ösophagus, was diese Diagnose nach unten verschiebt. Bei ≥20 % der Schlucke mit einem DCI >8000 mm Hg · s · cm und Vorliegen der assoziierten Symptome wird die Diagnose eines hyperkontraktilen Ösophagus gestellt. Dabei kann die LES-Nachkontraktion miteinbezogen werden, falls diese notwendig ist, um den Schwellenwert von 20 % der Einzelschlucke zu erreichen.
Die Diagnose der fehlenden Kontraktilität (Aperistaltik) wird durch die gleichen Referenzwerte wie bei Chicago 3.0 gestellt, mit 100 % fehlgeschlagener Peristaltik (DCI pro Schluck von <100 mm Hg · s · cm) in Anwesenheit eines normalen medianen IRP in aufrechter oder liegender Position. Für die Diagnose einer ineffektiven Ösophagusmotilität wurden die Kriterien restriktiver gestaltet und müssen nun ≥70 % ineffektive Schlucke oder ≥50 % fehlgeschlagene Schlucke erreichen. Ineffektiv per se ist nun definiert als eine peristaltische Pause >5 cm in einem Schluck, bei welchem der DCI >450 mm Hg · s · cm bleibt, oder eine allgemein schwache Kontraktion mit einem DCI zwischen 100 und 450 mm Hg · s · cm. Eine häufige Ursache von IEM ist die GERD. Je ausgeprägter die Schleimhautalteration (Barrett als maximaler Phänotyp), desto schwerer können die negativen Auswirkungen auf die Motilität sein [14, 33]. Mit einer Reihe von Provokationstests kann die peristaltische Reserve getestet werden, sei es MRS, RDC, feste Schlucke oder idealerweise eine Testmahlzeit, wodurch die Diagnose von IEM bei symptomatischen Patienten von 41 % auf 18 % gesenkt werden kann. Dadurch wird die normale Schwankungsbreite beachtet und eine Überdiagnostik vermieden. Erfasst werden so nur Fälle mit tatsächlich bestehender IEM [13].
Im Allgemeinen sind die bisher als leichte Motilitätsstörungen klassifizierten Entitäten meist gutartig, mit spontaner Heilung der Symptome nach 5 Jahren in 70 % der Fälle und Normalisierung des Motilitätsmusters in 63 % der Fälle [32].

Take-Home-Message

Falls der Verdacht auf eine Ösophagusdysfunktion bei Vorliegen oberer gastrointestinaler, vor allem dysphagischer Symptome besteht, bietet die moderne Ösophagusdiagnostik aufschlussreiche Untersuchungen an. Die hochauflösende Ösophagusmanometrie gilt als Goldstandard, mit der anhand CCv4.0 Störungen des EGJ-Abflusses von tubulären Peristaltikstörungen unterschieden werden können. Das standardisierte Protokoll kann bei nicht eindeutigen Befunden um Provokationsmanöver ergänzt werden. Zur erweiterten Diagnostik können der Bariumbreischluck sowie die endoskopische Impedanzplanimetrie mittels FLIP-Technik (EndoFLIP) eingesetzt werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

D. Pohl ist Consultant bei der Firma Medtronic; bezogen auf die Publikation besteht kein Interessenkonflikt. J. Levenfus gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
14.
Zurück zum Zitat Sweis R, Anggiansah A, Wong T, Brady G, Fox M (2014) Assessment of esophageal dysfunction and symptoms during and after a standardized test meal: development and clinical validation of a new methodology utilizing high-resolution manometry. Neurogastroenterol Motil. https://doi.org/10.1111/nmo.12252CrossRefPubMed Sweis R, Anggiansah A, Wong T, Brady G, Fox M (2014) Assessment of esophageal dysfunction and symptoms during and after a standardized test meal: development and clinical validation of a new methodology utilizing high-resolution manometry. Neurogastroenterol Motil. https://​doi.​org/​10.​1111/​nmo.​12252CrossRefPubMed
19.
Zurück zum Zitat Misselwitz B, Hollenstein M, Bütikofer S, Ang D, Heinrich H, Fox M (2020) Prospective serial diagnostic study: the effects of position and provocative tests on the diagnosis of oesophageal motility disorders by high-resolution manometry. Aliment Pharmacol Ther. https://doi.org/10.1111/apt.15658CrossRefPubMed Misselwitz B, Hollenstein M, Bütikofer S, Ang D, Heinrich H, Fox M (2020) Prospective serial diagnostic study: the effects of position and provocative tests on the diagnosis of oesophageal motility disorders by high-resolution manometry. Aliment Pharmacol Ther. https://​doi.​org/​10.​1111/​apt.​15658CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Moderne Diagnostik bei ösophagealen Motilitätsstörungen
verfasst von
Jan Levenfus
PD Dr. med. Daniel Pohl
Publikationsdatum
31.08.2021
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schweizer Gastroenterologie / Ausgabe 3/2021
Print ISSN: 2662-7140
Elektronische ISSN: 2662-7159
DOI
https://doi.org/10.1007/s43472-021-00047-x

Weitere Artikel der Ausgabe 3/2021

Schweizer Gastroenterologie 3/2021 Zur Ausgabe

Editorial

Editorial

Editorial

Éditorial