Um mögliche präventive Massnahmen zu diskutieren, sind Kenntnisse zur Ätiologie und den Risikofaktoren wichtig. Diese werden im folgenden Abschnitt zusammengefasst.
Ätiologie und Risikofaktoren
Das Rauchen ist der mit Abstand wichtigste Risikofaktor und verfügt über ein populationsbasiertes, attributives Risiko von ca. 50 % [
6‐
8]. Für die Entstehung eines BCa sind vor allem die Intensität und Dauer des Rauchens relevant [
6]. Ein systematischer Review mit Meta-Analyse von Cumberbatch und Kollegen hat gezeigt, dass das relative Risiko der BCa-Inzidenz unter Rauchern zweieinhalbfach erhöht ist (3,5-fach bei Rauchern und 2‑fach bei Ex-Rauchern) im Vergleich zu Nicht-Rauchern [
9]. Eine frühere Studie aus Holland legt ähnliche Schlüsse nahe: Das alters- und geschlechtsadjustierte Risiko war unter Rauchern für die Erkrankung eines BCa zwischen zwei- bis dreifach erhöht [
10]. Die aromatischen Amine und die polyzyklisch-aromatischen Kohlenwasserstoffe sind die wichtigsten karzinogenen Stoffe, welche beim Rauchen freigesetzt werden. Dies gilt auch bei der Exposition mit Rauch in der Umwelt (u. a. durch „passives Rauchen“) [
7]. Für das Risiko im Zusammenhang mit elektronischen Zigaretten („Dampfen“) gibt es zurzeit noch keine verlässlichen Daten. In einer kürzlich erschienenen Arbeit konnten im Urin von Patienten nach dem Konsum von E‑Zigaretten jedoch 63 karzinogene Biomarker nachgewiesen werden, welche mit der Entwicklung eines BCa im Zusammenhang stehen [
11].
Die berufsbedingte Exposition zu aromatischen Aminen, polyzyklisch-aromatischen Kohlenwasserstoffen und auch chlorierten Kohlenwasserstoffen sind durch die Arbeit in Industriebetrieben als zweitwichtigste Risikofaktoren einzustufen und die Ursache in ca. 10–20 % aller BCa-Fälle [
7]. Vor allem die Farbherstellung, Färbungs‑, Metall‑, Gummi- und Ölindustrie bringen für die Arbeiter erhöhte Risiken mit sich [
7,
12‐
14]. In westlichen Industrienationen konnten diese Risikofaktoren, durch entsprechende Richtlinien und rigorosen Schutz der Arbeitnehmer, über die letzten Jahrzehnte sukzessive reduziert werden (siehe Abschnitt 2.3.). Industriearbeiter in den entsprechenden Branchen haben – im Vergleich zur restlichen Bevölkerung – durch solche Massnahmen zwischenzeitlich kein erhöhtes Risiko mehr im Verlaufe ihres Lebens an einem BCa zu erkranken. Für Schwellen- und Drittweltländer geht man davon aus, dass diese Berufe nach wie vor mit einem deutlich erhöhten Risiko einhergehen, an einem BCa zu erkranken.
Eine positive Familienanamnese gilt als wenig relevanter Faktor für die Entstehung eines BCa. Das Risiko für eine Erkrankung bei erstgradiger Verwandtschaft ist jedoch immerhin doppelt so hoch [
15]. Ob sich die Langzeitprognose und das Überleben bei familiärer Häufung verschlechtert, ist unklar. Eine eindeutige Genvariation oder genetische Prädisposition, welche vererbbar und gleichzeitig in der Entstehung eines BCa ursächlich ist, konnte bis dato nicht identifiziert werden [
16‐
19]. Eine teils familiäre Häufung von konkordanten (BCa) oder diskordanten Tumoren (anderer Primarius) konnte über populationsbasierte Datenbanken nachgewiesen werden, ohne dass dabei eine eindeutig genetische oder umweltbedingte Ursache identifiziert wurde [
20]. Die Ätiologie scheint in den meisten Fällen vielmehr multifaktoriell zu sein.
Mit höherem Alter steigt das Risiko für die Erkrankung an einem BCa, wobei dieses durch männliches Geschlecht sogar auf das drei- bis vierfache angehoben wird [
21,
22]. Das erhöhte Risiko des Mannes ist im Vergleich zur Frau am ehesten auf die vermehrte Exposition im Beruf und einen höheren Nikotinkonsum zurückzuführen [
23].
Neben den bekannten Risikofaktoren wurden auch diätetische Einflüsse im Zusammenhang mit dem BCa untersucht. Dabei wurde vor allem bei der Einnahme von Vitaminen (D, A, E), Folsäure, Selenium sowie Früchten und Gemüse ein protektiver Einfluss in systematischen Reviews mitsamt Meta-Analysen beschrieben [
24,
25]. Die Datenlage hierzu ist abschliessend aber noch zu wenig geklärt [
26,
27]. Weiter werden der mediterranen Ernährung inklusive der Einnahme von nicht-gesättigten Fettsäuren (Olivenöl) ein schützender Effekt nachgesagt [
28,
29].
Die Einnahme von Arsen (meistens über Trinkwasser) wird mit der Entstehung eines BCa in Verbindung gebracht, insbesondere bei noch weiteren vorliegenden Risikofaktoren wie dem Rauchen [
30,
31].
Wiederkehrende oder chronische Harnwegsinfektionen werden ebenfalls als Risikofaktor für ein BCa genannt: Eine kürzlich publizierte Meta-Analyse wies ein zwei- bis dreifach erhöhtes relatives Risiko nach [
32].
Unter den Medikamenten sind das alkylierende Zytostatikum Cyclophosphamid, welches bei der Leukämie oder Lymphomen eingesetzt wird, und das orale Antidiabetikum Pioglitazon mit einem erhöhten Risiko für eine BCa-Erkrankung vergesellschaftet [
7,
33]. Nach langfristiger Erkrankung an Diabetes mellitus und mehrjähriger Medikamenteneinnahme von Pioglitazon ist die Korrelation zu einer BCa-Erkrankung jedoch nur gering [
34].
Weiter werden metabolische Faktoren wie z. B. der Body-Mass-Index (BMI), Blutzuckerspiegel, Triglyceride oder Cholesterol in der Literatur teilweise als Risikofaktor für die Entstehung eines BCa diskutiert, aber die Datenlage ist hier zu schwach für eine klare Aussage [
35‐
37].
Eine lokale Bestrahlung in der Region des Beckens kann als Spätfolge ebenfalls zu einem BCa führen und wird als weiterer Risikofaktor genannt [
38].
Zu guter Letzt muss die in unseren Breitengraden kaum vorkommende Schistosomiasis, auch Bilharziosis genannt, als weitere mögliche Ursache für die Entwicklung eines BCa genannt werden [
7]. Die parasitären Trematoden (Schistosoma hematobium) induzieren durch wiederkehrende Infektionen eine chronisch-endemische Zystitis, welche im weiteren Verlauf zu einem BCa entarten kann. Die Erkrankung wird vor allem noch auf der nördlichen Hemisphäre des afrikanischen Kontinents beobachtet.
Eine Zusammenstellung sämtlicher Risikofaktoren ist in der Tab.
1 zu finden.
Tab. 1
Die wichtigsten Risikofaktoren in der Entstehung eines BCa
Rauchen (Nikotinabusus) | Lebensstil | 3,5 |
Aromatische Amine | Beruf, Industrie | 1,7–5,4 |
Polyzyklisch-aromatische Kohlenwasserstoffe | Beruf, Industrie | 1,7–5,4 |
Chlorierte Kohlenwasserstoffe | Beruf, Industrie | 1,7–5,4 |
Positive Familienanamnese | Genetische Prädisposition? | 2,0 |
Alter und männliches Geschlecht | Lebensstil und Beruf | 3,0–4,0 |
Arsen | Verschmutztes Trinkwasser, gleichzeitiges Rauchen | 1,4–8,1 |
Chronische Harnwegsinfektionen | Urogenitaltrakt, Anatomie, Immunsystem | 2,3–2,9 |
Cyclophosphamid | Alkylierendes Zytostatikum | 2,0–6,8 |
Pioglitazon | Orales Antidiabetikum | 1,4–2,2 |
Bestrahlung des Beckens | Tumortherapie | 1,7–3,3 |
Schistosomiasis (Bilharziose) | Afrika, chronisch-endemische Zystitis | 1,1–1,4 |
Rauchentwöhnung
In Umfragen unter urologischen Patienten zeigte sich, dass 98 % das Rauchen als Risikofaktor für die Entwicklung eines Lungenkarzinoms nannten, jedoch nur gerade 36 % einen Zusammenhang mit der Entstehung eines BCa kannten [
39]. Somit stellt die entsprechende Aufklärung der Patienten mit neu diagnostiziertem BCa einen durchaus relevanten Punkt in der Behandlung dar. Die Risikoreduktion für ein Tumorrezidiv bei nicht-muskelinvasivem BCa nach ≥ 15 Jahren Rauchstopp ist signifikant [
40]. Trotzdem schaffen es nur ungefähr 35 % der Raucher, nach der Diagnose eines BCa im Verlauf den Nikotinkonsum definitiv zu sistieren [
40]. Die Wichtigkeit und Effektivität der ärztlichen Beratung im Zusammenhang mit dem Nikotinabusus und die Anbindung der Patienten an ein Rauchentwöhnungsprogramm wird unterschätzt. T1-Tumore und ein Rauchstopp vor weniger als 15 Jahren gelten als unabhängige Risikofaktoren für ein Tumorrezidiv [
41]. Zudem ist das Risiko einer Krankheitsprogression unter Rauchern mit langer kumulativer Expositionsdauer und die Wahrscheinlichkeit für einen BCa-spezifischen Todesfall im Vergleich zu Nicht-Rauchern signifikant erhöht [
4,
42,
43]. Es besteht ausreichend Evidenz für einen verbesserten Verlauf der Erkrankung mit einem bis zu 60 % reduzierten Risiko für ein Rezidiv und/oder Progression der Erkrankung nach einem Rauchstopp von 10 und mehr Jahren [
42,
44]. Die Zeit bis zu einem Erkrankungsrezidiv ist unter Rauchern zudem verkürzt [
37].
Zusammenfassend zeigt uns die Literatur, dass ein Rauchstopp auch noch nach Diagnose eines BCa nützlich ist und trotzdem zu wenig oft erfolgreich umgesetzt wird. Auch der Urologe sollte nach einer ersten Karzinomdiagnose in der Beratung der Patienten zum Rauchstopp eine begleitende Rolle einnehmen. Interessant ist, dass nur gerade 4 % der Patienten mit einem BCa nach Erstdiagnose zu einem Rauchentwöhnungsprogramm angemeldet werden und weiterhin ein grosser Anteil der Patienten (42 %) nach Diagnose eines BCa und erfolgter „urologischer Rauchberatung“ weiter Nikotin konsumierten [
45]. Diese Daten zeigen, dass weitere Bemühungen notwendig sind, um die Patienten zu einem Nikotinstopp bewegen zu können. Obwohl das Risiko nach Sistieren des Rauchens gemäss Literatur in der Summe zu sinken scheint, bleibt dieses für die Erkrankung an einem Blasenkrebs jedoch zeitlebens erhöht [
46].
Arbeitsmedizin
In der Schweiz liegt der Blasenkrebs bei den beruflich bedingten Krebserkrankungen, nach den Asbest-assoziierten Tumoren, an zweiter Stelle [
47]. Jährlich werden von der SUVA im Durchschnitt drei Fälle als Berufskrankheiten anerkannt. Problematisch ist dabei oft die lange Latenzzeit zwischen Exposition und Diagnose, welche Jahrzehnte dauern kann. Bei den von der SUVA anerkannten Fällen betrug die Latenzzeit im Schnitt 20 Jahre. Vor allem Beschäftigte aus den Branchen der Farb- und Gummiindustrie, Maler, Lackierer, Coiffeure (wegen früheren Haarfärbemitteln, welche Azofarbstoffe enthielten) sowie Arbeitnehmer aus der Leder- und Textilfärbung oder Angestellte der Teer‑, Pech- und Bitumenproduktion werden als besonders exponiert erachtet [
48]. Bei Malern oder Coiffeuren wurde das erhöhte Risiko mittels Studien nach der Jahrtausendwende erneut untersucht: Es beläuft sich auf ein relatives Erkrankungsrisiko zwischen 1,1 bis 1,8-fach im Vergleich zur Normalbevölkerung [
49‐
52]. Seit den 1960er-Jahren wurde in der Schweiz aufgrund der wachsenden Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Blasenkrebs und der Exposition zu aromatischen Aminen begonnen, bei den betroffenen Arbeitnehmenden ein Screening im Rahmen von regelmässigen arbeitsmedizinischen Untersuchungen durchzuführen. Bis 1981 wurden deswegen halbjährlich Zystoskopien durchgeführt, seither jedoch vollständig auf jährliche Urinzytologien umgestellt. Auch nach Austritt aus einem jeweiligen Betrieb sollten diese Massnahmen ein Leben lang fortgeführt werden. Nach wie vor führt die SUVA jährlich zwischen 1500–2000 solcher Untersuchungen durch, wobei die Tendenz abnehmend ist. Dank des Früherkennungsprogramms können die meisten Erkrankungen mittlerweile zeitgerecht diagnostiziert und behandelt werden [
48]. Die Bestrebungen für präventive Massnahmen im Zusammenhang mit der Entstehung von arbeitsassoziiertem BCa sollten gemäss internationalen Experten jedoch fortgeführt werden [
53].