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Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie 2/2022

Open Access 24.03.2022 | Journal Club

Maralixibat – eine zukünftige (generelle) Therapieoption bei cholestatischem Juckreiz?

verfasst von: Dr. med. Daniel Schweckendiek

Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie | Ausgabe 2/2022

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Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Originalpublikation
Gonzales E, Hardikar W, Stormon M et al (2021) Efficacy and safety of maralixibat treatment in patients with Alagille syndrome and cholestatic pruritus (ICONIC): a randomized phase 2 study. Lancet 398(10311):1581–1592
Hintergrund.
Juckreiz ist eine häufige extrahepatische Begleiterscheinung verschiedener Lebererkrankungen, vor allem der mit Cholestase assoziierten. Man geht davon aus, dass pruritogene Gallenbestandteile durch Erregung sensorischer, die Haut innervierender Neurone ein Signal an den Kortex zur Interpretation leiten. Eine den Juckreiz lindernde Handlung (Kratzen) ist die Folge. Für Patienten ist der Juckreiz sehr quälend. Die Behandlung bleibt oft herausfordernd. Eingesetzt werden aktuell Cholestyramin, Rifampicin, Naltrexon und Sertralin (off-label) [1].
Das Alagille-Syndrom ist eine seltene autosomal dominant vererbte Multisystemerkrankung mit schwerer Cholestase und ausgeprägtem Juckreiz als definierenden Kennzeichen. Ursache sind fehlende interlobuläre Gallengänge. Cholestase und erhöhte Gallesäurespiegel schädigen die Leber und führen auch zu Xanthomen. Betroffen ist 1 von ca. 30.000–50.000 Kindern. Aufgrund unvollständiger Penetranz und variabler Expression besteht eine hohe Dunkelziffer. Bis anhin gab es keine zugelassene Behandlung. Oft bleibt nur eine Lebertransplantation übrig [2].
Ziel der Studie.
Maralixibat blockiert die apikalen, natriumabhängigen Gallensäuretransporter in ilealen Enterozyten und hemmt damit die Wiederaufnahme der Gallensäuren (GS). Dadurch werden vermehrt GS über den Stuhl ausgeschieden. Gallensäuren und Cholesterol im Serum sinken. Die Substanz selber wird dabei nur minimal absorbiert. Die sogenannte ICONIC-Studie untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit von Maralixibat bei Kindern mit Alagille-Syndrom und ausgeprägter Cholestase und verglich sie gegen Placebo.
Methodik.
Diese doppelt verblindete, placebokontrollierte, internationale Multizenter-Phase-II-Drug-Withdrawal-Studie schloss von Oktober 2014 bis August 2015 in neun Zentren 31 Kinder (Alter: 12 Monate–18 Jahre) mit Alagille-Syndrom, erhöhten GS (> 3-fache des oberen Grenzwerts) und hartnäckigem Juckreiz („itch-reported outcome“[ItchRO] Obs[Observer]-Score > 2) ein. Fast alle Patienten waren vorbehandelt, die meisten mit Ursodeoxycholsäure und/oder Rifampicin, nur je 1 Patient auch mit Naltrexon bzw. Sertralin.
Das Studiendesign sah eine dreiteilige Kernstudie (48 Wochen) mit offener Verlängerung vor (Gesamtstudiendauer: vier Jahre). Die Kernstudie begann mit einer Open-label-Eindosierungsphase über 18 Wochen mit einer Tagesdosis von maximal 380 µg/kg Körpergewicht. Anschliessend wurden die Teilnehmer für vier Wochen zufällig im Verhältnis 1:1 entweder auf Placebo oder weiter auf die Prüfsubstanz randomisiert. Nachfolgend erhielten Patienten unter Placebo wieder die Prüfsubstanz (Woche 23–48). Die jeweiligen Substanzen wurden gewichtsadaptiert 30 min vor dem Frühstück in einer nach Traubensaft schmeckenden Lösung verabreicht.
Nach Woche 100 durfte die Dosis bei Patienten, die weiterhin erhöhte GS und Juckreiz aufwiesen, gesteigert werden. Zusätzliche juckreizlindernde Medikation war in der Kernstudie bis inklusive Woche 22 nicht erlaubt.
Primärer Endpunkt war die durchschnittliche Veränderung der GS im Serum bei Patienten unter Placebo gegenüber denen, die auf Maralixibat blieben. Gemäss Protokoll wurden für den primären Endpunkt jedoch nur Patienten analysiert, die eine mindestens 50 %ige Reduktion der GS vor Beginn der Phase mit Placebointervention erreicht hatten (n = 15/29).
Die Berechnung des Endpunkts Änderung des Juckreizschweregrads basierte auf dem ItchRo(Obs). Der ItchRO-Score ist validiert für die Beurteilung des Schweregrads des Juckreizes bei Kindern mit cholestatischen Lebererkrankungen (Grad 0 = kein Juckreiz, 4 = sehr starker Juckreiz). Eine Veränderung von mindestens einem Punkt gilt dabei als klinisch relevant. Ausgefüllt wurde der ItchRO in der Studie durch die Eltern (Obs) und den Patienten (Pt). Der Arzt füllte die Clinician Scratch Scale (CSS) aus.
Sekundäre Endpunkte waren neben der Änderung im ItchRO(Pt) und CSS, Cholesterin- und 7a-C4-Spiegel (Vorläuferprodukt in der Gallensäuresynthese aus Cholesterin), die Leberenzyme, Bilirubin und die Verträglichkeit. Zudem analysierte man weitere, beim Alagille-Syndrom relevante Parameter wie Grösse, Gewicht und Auftreten von Xanthomen.
Ergebnisse.
Von 31 eingeschlossenen Patienten (Durchschnittsalter: 5,4 Jahre, zwei Drittel männlich) schieden zwei aufgrund einer Nebenwirkung vorzeitig aus (eine davon, eine kutane Staphylokokkeninfektion, möglicherweise mit dem Medikament assoziiert). Für den primären Endpunkt wurde nur das definierte Responderkollektiv (n = 15) der ersten 18 Wochen analysiert. Nach der vierwöchigen „withdrawal phase“ zeigten die Patienten unter Placebo (n = 10) einen signifikanten Wiederanstieg von GS und ein Wiederaufflammen von Juckreiz gegenüber Patienten, welche auf der Prüfsubstanz (n = 5) blieben. Diese behielten ihr Ansprechen bei. Der primäre Endpunkt wurde dabei erreicht.
Der Effekt blieb auch über Woche 48 hinaus erhalten. Erst in der offenen Verlängerung zeigte sich auch ein Rückgang des durchschnittlichen Bilirubins (total und direkt), der gGT und anderer Parameter der Leberfunktion.
Maralixibat war sicher und wurde im Allgemeinen gut toleriert. Häufigste Nebenwirkungen waren gastrointestinal (Diarrhö, Erbrechen, Bauchweh), meistens aber selbstlimitierend und mild-moderat ausgeprägt.

Kommentar

Maralixibat ist eine vielversprechende neue Substanz zur medikamentösen Therapie des cholestasebedingten Juckreizes, wie in dieser im Oktober 2021 im Lancet publizierten Studie demonstriert. Dies ist die erste Studie, in welcher ein Hemmer des apikalen GS-Aufnahmetransporters in einer cholestatischen Erkrankung den Endpunkt erreichte.
In dieser kleinen Population mit dem Alagille-Syndrom wurden signifikante Verbesserungen auch beim Juckreiz erzielt. Dies ist umso bemerkenswerter, als Studien, die als Endpunkt den Parameter Juckreiz beinhalten, für den Initiator risikobehaftet sind. Der Placeboeffekt ist schwer zu kontrollieren, Juckreiz trotz Skalen schwer zu objektivieren. Zuverlässige Surrogatparameter (Biomarker) fehlen.
Der Behandlungsnutzen zeigte sich aber auch über alle anderen analysierten Parameter hinweg. Erwähnenswert ist vor allem die Verlängerung des transplantatfreien Überlebens.
Limitation der Studie ist die kleine Endpunktpopulation. Auch die Randomisierung 1:2 der Responder wirft trotz Protokolltreue Fragen auf. Dass man ein Studiendesign (primäre Endpunktanalyse nur mit Respondern und Vergleich mit Placebo) mit nahezu eingebauter Erfolgsgarantie gewählt hat, ist legitim. Für den Sponsor geht es hier auch um wirtschaftliche Erwägungen. Das Erreichen des primären Endpunkts ist häufig Grundvoraussetzung für eine Marktzulassung. Vermutlich aus diesem Grund gibt es nur einen objektiv klar messbaren Endpunkt (Änderung GS Placebo vs. Verum) und keinen Co-primären Endpunkt (Änderung Juckreiz Placebo vs. Verum). Dies ist vielleicht aber auch dem verwendeten Messinstrument ItchRO bei sehr jungen Patienten geschuldet. Der Score wurde unter Mithilfe der Eltern ermittelt. Die Autoren betonen jedoch, dass es grösstenteils eine Übereinstimmung zwischen CSS (Arzt) und ItchRO(Obs) gab.
Die Relevanz erhöhter Dosierung von Maralixibat (ab Woche 100 in der Studie möglich) und erst dann sichtbarem Rückgang von Bilirubin und gGT bleibt abzuwarten.
Maralixibat ist in den USA mittlerweile unter dem Markennamen LIVMARLITM basierend auf dieser Studie als Flüssigarznei erhältlich. Aktuell laufen Studien mit einem weiteren Vertreter dieser Substanzklasse (Volixibat) bei Schwangerschaftscholestase mit erhöhten GS, primär biliärer Cholangitis und primär sklerosierender Cholangitis [3]. Seit letztem Jahr ist auch Odevixibat (BylvayTM) für die Behandlung der progressiven intrahepatischen familiären Cholestase in der EU und den USA zugelassen [4]. In der Schweiz ist keines der Präparate bisher erhältlich. Das Prinzip der Hemmung der GS-Wiederaufnahme lässt jedoch hoffen, möglicherweise auch andere cholestatische Erkrankungen zukünftig besser behandeln zu können.

Interessenkonflikt

D. Schweckendiek gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
1.
Zurück zum Zitat Sanjel B, Shim W‑S (2021) Recent advances in understanding the molecular mechanisms of cholestatic pruritus. A review. Biochim Biophys Acta Mol Basis Dis 1866(12):165958CrossRef Sanjel B, Shim W‑S (2021) Recent advances in understanding the molecular mechanisms of cholestatic pruritus. A review. Biochim Biophys Acta Mol Basis Dis 1866(12):165958CrossRef
2.
Zurück zum Zitat Gonzales E, Hardikar W, Stormon M et al (2021) Efficacy and Safety of maralixibat treatment in patients with Alagille Syndrom and cholestatic pruritus (ICONIC): a randomized phase 2 Study. Lancet 398(10311):1581–1592CrossRef Gonzales E, Hardikar W, Stormon M et al (2021) Efficacy and Safety of maralixibat treatment in patients with Alagille Syndrom and cholestatic pruritus (ICONIC): a randomized phase 2 Study. Lancet 398(10311):1581–1592CrossRef
4.
Zurück zum Zitat Deeks ED (2021) Odevixibat: First Approval. Drugs. 81(15):1781–1786CrossRef Deeks ED (2021) Odevixibat: First Approval. Drugs. 81(15):1781–1786CrossRef
Metadaten
Titel
Maralixibat – eine zukünftige (generelle) Therapieoption bei cholestatischem Juckreiz?
verfasst von
Dr. med. Daniel Schweckendiek
Publikationsdatum
24.03.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schweizer Gastroenterologie / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 2662-7140
Elektronische ISSN: 2662-7159
DOI
https://doi.org/10.1007/s43472-022-00065-3

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