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Publicly Available Published by De Gruyter September 4, 2021

Pflege-Apps: Digitale Unterstützung für Pflegebedürftige und Pflegende

Care apps: digital support für care recipients und carers
  • Eva Julia Suhren EMAIL logo
From the journal Public Health Forum

Zusammenfassung

Das Potenzial digitaler Anwendungen in der Pflege ist groß und eine breitere Nutzung kann die angespannte Personalsituation in der Pflege entschärfen und die Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit pflegebedürftiger Personen stärken. Apps können nicht nur pflegebedürftige Personen selbst, sondern auch die am Pflegeprozess beteiligten Personen unterstützen. Das neue DVPM-Gesetz bietet einen rechtlichen Rahmen, digitale Anwendungen in der Pflege erstattungsfähig zu machen und kann als Anreiz dienen, die digitalen Möglichkeiten in der Pflege weiter zu erschließen.

Abstract

Digital applications offer big potential for nursing and a wider use could ease the tense personnel situation and strengthen the independence and self-determination of people in need of care. Mobile Apps can support people in need of care as well as the persons involved in the care process. The new German DVPMG (Digital Supply and Care Modernization Act) offers a legal framework for the use and reimbursement of digital applications in care and can serve as an incentive to further exploit the digital possibilities in the context of care.

Hintergrund

Ende 2019 waren über vier Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig [1], Tendenz steigend. Zudem besteht ein Mangel an Pflegefachkräften. Diesen erheblichen Herausforderungen in der ambulanten sowie stationären und teilstationären Pflegeversorgung kann u.a. durch die vermehrte Nutzung digitaler Anwendungen begegnet werden, die nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch die am Pflegeprozess beteiligten Personen unterstützen können. Digitale Anwendungen sind vielfältig und reichen von Ambient Assistent Living-Systemen (AAL), über Smart Home-Anwendungen bis hin zu Apps. AAL- und Smart Home-Systeme sind oft komplex, während Apps Standalone-Software darstellen, die nicht bspw. als Steuerungssoftware fester Bestandteil eines anderen (Medizin-) Produktes sind.

Gesundheits-Apps wie bspw. Fitness- und Wellnessprodukte ohne medizinische Zweckbestimmung unterliegen keiner Regulierung und somit keiner unabhängigen Qualitätskontrolle bzgl. eines potenziellen Nutzens sowie datenschutzrechtlicher Aspekte. Sie stellen niedrigschwellige Angebote dar, die im Pflegekontext Unterstützung bieten können, und reichen von webbasierten Diagnosehilfen über Fitness-Tracker bis hin zu Erinnerungshilfen zur Medikamenteneinnahme.

Seit 2019 ermöglicht das Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) die Zertifizierung von Apps und digitalen Anwendungen als sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). DiGA sind CE-gekennzeichnete Medizinprodukte mit medizinischer Zweckbestimmung und definierten Eigenschaften [2]. Mit Stand Juni 2021 sind 15 DiGA im Verzeichnis gelistet wie bspw. somnio, eine App zur Anwendung bei nichtorganischer Insomnie, oder Vivira zur Behandlung von u.a. Rücken-, Knie- und Hüftschmerzen. DiGA sind durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Medizinprodukt zertifiziert und können auch im Pflegekontext nutzbringend sein. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist möglich.

Durch das Digitale-Versorgung- und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) soll der Einsatz digitaler Anwendungen in der Pflege gefördert werden: die Autonomie der Pflegebedürftigen soll gestärkt, eine stationäre Pflege vermieden sowie Einsätze von Pflegediensten modifiziert werden. Als Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) gelten „auf mobilen Endgeräten oder als browserbasierte Webanwendung verfügbare digitale Helfer, die von den Pflegebedürftigen genutzt werden können, um den eigenen Gesundheitszustand durch Übungen und Trainings zu stabilisieren oder zu verbessern oder die Kommunikation mit Angehörigen und Pflegefachkräften zu verbessern“ [3]. Die digitalen Anwendungen sollen die pflegebedürftige Person begleiten und einen Beitrag dazu leisten, dass diese ihren Pflegealltag – auch in der Interaktion mit Angehörigen und ambulanten Pflegediensten – besser organisieren und bewältigen kann. Zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen wird – wie für DiGA – ein Zertifizierungsverfahren sowie ein Verzeichnis beim BfArM geschaffen.

Apps für die Pflege

Einer Umfrage zufolge wünschen sich 83% der Befragten, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu wohnen und dort versorgt zu werden [4]. Pflege-Apps haben das Potenzial, Pflegebedürftige in ihrem Alltag zu unterstützen, die Koordination der Pflege für Zugehörige zu erleichtern und Pflegefachkräfte zu entlasten. Dafür müssen sich die Apps in den (Pflege-) Alltag integrieren lassen und gut auf die jeweilige Situation abgestimmt sein.

Derzeit verfügbare und speziell für die Pflege entwickelte Apps richten sich meistens an pflegende Zugehörige oder Pflegefachkräfte und wurden vor allem für die ambulante Pflege konzipiert. Sie zielen in erster Linie darauf ab, personelle Ressourcen zu fördern, also die Pflegenden zu entlasten, sowie die Prozess- und Workflow-Gestaltung zu verbessern. Hier sind bspw. Apps mit Kalender- und Chat-Funktion zur Koordination oder mit pflegespezifischen Informationen und zur Vernetzung zu verorten. Daneben existieren weitere Anwendungen, die nicht speziell für die Pflege entwickelt wurden, aber dort ebenfalls nutzbringend sein können. Diese richten sich vorrangig an die Pflegebedürftigen selbst. Genannt seien hier bspw. Sprachassistenten, kognitive Trainings, Therapieplaner sowie Apps zur Dokumentation von Wunden, Schmerzen oder zur Medikation. Wenige Apps sind auch für den Einsatz im stationären Pflegekontext konzipiert, bei anderen ist der Einsatz in stationären oder teilstationären Settings denkbar.

Mit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes (§ 14 SGB XI) wurde ein Rahmen geschaffen, um der Komplexität von Pflegebedürftigkeit gerecht zu werden und das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit unter Einbezug kognitiver und psychischer Einschränkungen umfassender abzubilden. Werden die im Rahmen der GKV-Spitzenverband-Studie zu Assistenztechnologien in der Pflege identifizierten 14 pflegespezifischen Themenfelder [5] den sechs Lebensalltags-Bereichen des Pflegebedürftigkeitsbegriffes zugordnet und die derzeit auf dem Markt erhältlichen Apps entsprechend kategorisiert, zeigt sich, dass die Anwendungen hauptsächlich den Bereich „Bewältigung und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ sowohl pflegebedürftiger als auch pflegender Personen adressieren. Deutlich begrenzter ist das Angebot an Apps, die sich den Bereichen „Gestaltung des Alltags/soziale Kontakte“ und „Mobilität“ zuordnen lassen. Im Bereich „Kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ bzw. „Verhaltensweisen und psychische Probleme“ gibt es noch weniger und im Bereich „Selbstversorgung“ keine Angebote. Digitale Anwendungen haben bei Berücksichtigung der pflegespezifischen Besonderheiten und unter Einhaltung ethischer und datenschutzrechtlicher Belange insgesamt ein hohes Potenzial, die pflegerische Versorgung sowie die Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit pflegebedürftiger Personen zu verbessern. DiPA könnten hier gezielt einzelne oder mehrere der sechs Lebensalltags-Bereiche adressieren und sowohl punktuell als auch übergreifend unterstützend wirken. Es wäre wünschenswert, dass die neuen gesetzlichen Regelungen Anreize schaffen, den bisher noch recht überschaubaren Markt an Pflege-Apps mit qualitativ hochwertigen Anwendungen weiter auszubauen.

Ausblick

Herausforderungen ergeben sich einerseits im Hinblick auf die oftmals weniger ausgeprägte digitale Kompetenz älterer Personen. Andererseits spielt die Einstellung und die Bereitschaft älterer Menschen, digitalen Technologien mit Offenheit und Lernbereitschaft zu begegnen, eine bedeutsame Rolle [6]. Daher müssen die zielgruppengerechte Gestaltung der Anwendung ebenso wie die jeweiligen Rahmenbedingungen der Pflegesituation besonders berücksichtigt werden. Die Sachverständigenkommission des Achten Altersbericht hebt in ihren zwölf Empfehlungen wesentliche Aspekte zur Verbesserung der digitalen Möglichkeiten für ältere Menschen hervor. Diese beinhalten u.a. den Einbezug der Kompetenzen, Bedarfe und Bedürfnisse älterer Menschen in die Digitalisierungsstrategien sowie in die Erforschung und Entwicklung digitaler Technologien ebenso wie die Stärkung der digitalen Souveränität und Kompetenz und die Förderung eines generationsübergreifenden Austauschs. Darüber hinaus sollte der Zugang zu digitalen Technologien für alle und damit die Minimierung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit ermöglicht sowie die Nutzung digitaler Technologien als Chance für ältere Personen mit pflegerelevanten Bedarfen einschließlich begleitender Pflegepersonen begriffen werden [7].

Neben den Potenzialen digitaler Anwendungen sollten immer auch unerwünschte Wirkungen und Risiken, welche nicht nur auf individueller, sondern auch auf Beziehungs- und Versorgungsebene auftreten können, im Fokus von begleitenden und weiterführenden Untersuchungen sein [8], um so langfristig eine sichere und nutzbringende Unterstützung älterer und pflegebedürftiger sowie pflegender Personen durch digitale Technologien gewährleisten zu können.


*Korrespondenz: Dr. Eva Julia Suhren, VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Steinplatz 1, 10623 Berlin, Germany

  1. Autorenerklärung

  2. Autorenbeteiligung: Die Autorin trägt Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und hat der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. Finanzierung: Die Autorin erklärt, dass sie keine finanzielle Förderung erhalten hat. Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass kein wirtschaftlicher oder persönlicher Interessenkonflikt vorliegt. Ethisches Statement: Für die Forschungsarbeit wurden weder von Menschen noch von Tieren Primärdaten erhoben.

  3. Author Declaration

  4. Author contributions: The author has accepted responsibility for the entire content of this submitted manuscript and approved submission. Funding: Author state no funding involved. Conflict of interest: Author state no conflict of interest. Ethical statement: Primary data for human nor for animals were not collected for this research work.

Literatur

1. Statistisches Bundesamt. Pressemitteilung Nr. 507 vom 15. Dezember 2020 (Zitierdatum 08.05.2021). https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_507_224.html.Search in Google Scholar

2. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) (Zitierdatum 06.06.2021). https://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/DVG/_node.html.Search in Google Scholar

3. Bundesministerium für Gesundheit. Digitale–Versorgung–und–Pflege–Modernisierungs–Gesetz (DVPMG) 2021 (Zitierdatum 08.05.2021). https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/guv-19-lp/dvpmg.html.Search in Google Scholar

4. Techniker Krankenkasse. TK-Meinungspuls Pflege – So steht Deutschland zur Pflege 2018 (Zitierdatum 08.05.2021). https://www.tk.de/resource/blob/2042934/1a33145a8bb25620103fcddd64316f75/studienband-meinungspuls-pflege-2018-data.pdf.Search in Google Scholar

5. GKV-Spitzenverband. Digitalisierung und Pflegebedürftigkeit – Nutzen und Potenziale von Assistenztechnologien 2019 (Zitierdatum 28.07.2021) https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/service_1/publikationen/schriftenreihe/GKV-Schriftenreihe_Pflege_Band_15.pdf.Search in Google Scholar

6. Stubbe J, Schaat S, Ehrenberg-Silies S. Digital souverän? Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter 2019 (Zitierdatum 08.05.2021). https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Smart_Country/Digitale_Souveraenitaet_2019_final.pdf.Search in Google Scholar

7. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Achter Altersbericht - Ältere Menschen und Digitalisierung 2020 (Zitierdatum 08.05.2021). https://www.bmfsfj.de/resource/blob/159916/9f488c2a406ccc42cb1a694944230c96/achter-altersbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf.Search in Google Scholar

8. Schütz B, Urban M. Unerwünschte Effekte digitaler Gesundheitstechnologien: Eine Public-Health-Perspektive. Bundesgesundheitsblatt 2020;63:192–8.10.1007/s00103-019-03088-5Search in Google Scholar PubMed

Online erschienen: 2021-09-04
Erschienen im Druck: 2021-09-27

©2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 29.3.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/pubhef-2021-0074/html
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