Psychother Psychosom Med Psychol 2008; 58(9/10): 341-342
DOI: 10.1055/s-2008-1067525
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Zukunft der Psychotherapieforschung – David Orlinskys Visionen

The Future of Psychotherapy Research – David Orlinsky's VisionsBernhard  Strauß1
  • 1Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie, Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Publication Date:
17 September 2008 (online)

Vor knapp einem Jahr, Anlass war das 50-jährige Jubiläum der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum, fand in Freiburg i. Br. eine Veranstaltung statt, die maßgeblich von David Orlinsky geprägt wurde. David Orlinsky ist sicher einer der einfluss- und kenntnisreichsten Psychotherapieforscher der letzten Jahrzehnte und so war es nicht verwunderlich, dass viele Zuhörer an seinen Lippen hingen, als er darüber philosophierte, was er in den nächsten 10 Jahren im Bereich der Psychotherapieforschung denn gerne lesen würde.

Die Freiburger Veranstaltergruppe um Michael Wirsching, Almut Zeeck und Armin Hartmann hatte zu dem Ereignis im Oktober 2007 neben dem Hauptreferenten Brunna Tuschen-Caffier (Freiburg), Gerd Rudolf (Heidelberg), Horst Kächele (Ulm) und mich eingeladen, um Wissenschaftlern aus dem deutschen Sprachraum die Möglichkeit zu geben, David Orlinskys Ausführungen zu kommentieren. Schon damals entstand die Idee, diese Ausführungen – inklusive der Kommentare – in der Zeitschrift PPmP zu veröffentlichen. Nach aufwendiger Übersetzungsarbeit durch das Freiburger Team ist es nun soweit. In diesem Heft, das sich komplett dem Thema Psychotherapieforschung widmet, ist nachzulesen, wie sich David Orlinsky die nächsten 10 Jahre der Psychotherapieforschung wünscht und zumindest wie dies Gerd Rudolf und Horst Kächele kommentieren.

Brunna Tuschen-Caffier musste aus Zeitgründen leider verzichten, ihren Kommentar zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen. Dieser war in erster Linie ein Plädoyer für die Ausweitung der psychotherapeutischen Grundlagenforschung, die dabei helfen soll, sowohl psychotherapeutische Veränderungsprozesse als auch die behandelten Störungen besser zu verstehen. Die Referentin konnte dies u. a. an einer ganzen Reihe eigener Studien demonstrieren, die sich mit psychologischen Mechanismen bei Essstörungen befassen.

Meinen eigenen Kommentar, den ich sehr komprimiert in diesem Editorial verarbeite, hatte ich damals begonnen mit dem Bericht über eine nicht repräsentative Umfrage unter meinen klinisch tätigen Mitarbeiter(innen) zu der Frage, welche Themen für diese denn in den nächsten 10 Jahren besonders interessant sein könnten. Nicht ganz überraschend wurden am häufigsten kulturelle Aspekte von Psychotherapie genannt, die Veränderung von Familiendynamik im Lebenslauf und deren Auswirkung auf die Psychotherapie, die Betrachtung des Körpers in der (Trauma-)Psychotherapie sowie die Frage, was denn eigentlich die Essenz der bisher „nicht akzeptierten Psychotherapieverfahren” (im Vergleich zu den Richtlinienverfahren) sei. Mit dieser Frage kamen die Kolleg(inn)en Orlinsky schon recht nahe, der in seinen Ausführungen u. a. auch bemängelt, dass innerhalb des Feldes einzelne Forschungsparadigmen präferiert und überbewertet würden.

Orlinsky nimmt in seiner Bewertung des herrschenden Forschungsparadigmas eine sehr kritische Haltung ein, wenn er sogar bekennt, dass er nur sehr ungern die wissenschaftlichen Berichte über die Mainstreamforschung lesen würde.

Ganz so schlimm ist es um die Psychotherapieforschung der letzten Jahre allerdings sicher nicht bestellt. Nach wie vor gibt es letztlich zwei zentrale Fragen, die im Vordergrund der Forschung stehen, nämlich die Frage nach der Effektivität von psychotherapeutischen Methoden und Verfahren sowie die Frage nach den Wirkprinzipien von Psychotherapie.

Im ersten Fall hat sich die Forschung in den letzten Jahren sehr stark diversifiziert im Sinne einer fast auschließlichen Fokussierung auf störungsspezifische Behandlungskonzepte, auf die Anwendung von Psychotherapie in unterschiedlichen Settings einschließlich der Nutzung elektronischer Medien innerhalb der Psychotherapie (was neuerdings unter dem Begriff e-Mental-Health firmiert). Schließlich dominieren Studien zur Gesundheitsökonomie und Untersuchungen allgemeiner Fragen zum Versorgungssystem diesen Forschungsbereich zunehmend. Das Schlag- und Modewort „Versorgungsforschung” wird auch in der Psychotherapieforschung zunehmend bedeutsam.

Im Hinblick auf die zweite Frage nach den Wirkprinzipien tut sich die Forschung nach wie vor schwer. In Zeiten der Metaanalysen überraschen uns in letzter Zeit immer wieder zusammenfassende Befunde zu der Frage, welche Einflussfaktoren die Ergebnisvarianz von Psychotherapie denn letztlich erklären.

In einer der jüngsten Zusammenstellungen hierzu haben beispeilsweise Lambert u. Barley [1] beschrieben, dass nach ihrer Einschätzung etwa 40 % der Outcomevarianz von Psychotherapie durch extratherapeutische Faktoren erklärt werden, also Einflüsse, die nicht unmittelbar etwas mit der Behandlung zu tun haben ([Abb. 1]). Den zweitgrößten Anteil an Varianz erklären sogenannte allgemeine Faktoren, wie beispielsweise die Qualität der therapeutischen Beziehung, Empathie, die Übereinstimmung im Hinblick auf die Zielsetzungen der Behandlungen etc. In jüngster Zeit haben sich glücklicherweise Studien zur Bedeutung der Person des Psychotherapeuten etwas vermehrt, sodass wir heute von der Schätzung ausgehen können, dass auch der Einfluss von Therapeutenvariablen nicht ganz unbedeutend ist (in den Übersicht wird dieser Einfluss mit etwa 20 % beziffert, vgl. [1] [2] [3]). Das eigentlich überraschende, jüngst aber immer wieder erhärtete Ergebnis der Psychotherapieprozessforschung ist, dass nur etwa 10 % der Ergebnisvarianz durch die Interventionen im engeren Sinne erklärt werden können, also durch die therapeutischen Realisierungen, die sich aus einer formalen psychotherapeutischen Veränderungstheorie ableiten. In manchen Übersichten wird der Anteil etwas höher beziffert, aber immer noch niedriger als der Einfluss von Erwartung oder der Placeboeffekt (vgl. [1] [2] [3]).

Abb. 1 Prozentualer Anteil der Ergebnisvarianz in der Psychotherapie als Funktion unterschiedlicher Wirkfaktoren (nach [1] [2] [3]).

Für die Zukunft (nicht nur der nächsten 10 Jahre) dürfte es durchaus lohnend sein, an der Frage weiter zu forschen, was nun wirklich die Quellen der Ergebnisvarianz in der Psychotherapie sind und dabei beispielsweise eine Strategie weiterzuverfolgen, die der Vision Klaus Grawes entsprach, nämlich allgemeine (psychologische) Prinzipien von Psychotherapie zu isolieren, nachzuweisen und lehrbar zu machen.

Dass dies nicht losgelöst geschehen kann von den gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Realitäten, welche die Psychotherapie umgeben, versteht sich von selbst: Darin stimmen wahrscheinlich fast alle Psychotherapeut(inn)en mit David Orlinsky überein. Unter den Forschern wird Übereinstimmung aber auch darin bestehen, dass diese Faktoren in der Psychotherapieforschung insgesamt zu wenig berücksichtigt werden, dass dies (siehe die Abbildungen in Orlinskys Aufsatz) allerdings auch der Komplexität geschuldet ist, welche die unterschiedlichen Kontexte psychotherapeutischen Handelns kennzeichnet.

Unabhängig von dem Fokus sollte sich die Psychotherapieforschung noch viel mehr darum bemühen, dass die Ergebnisse und die aktuellen Diskurse in die Praxis vordringen. Wenn schon die Psychotherapieforscher selbst eine Abneigung gegen die Lektüre ihrer eigenen Ergebnisse haben, wie sollen dann Kliniker darauf Appetit bekommen.

Literatur

  • 1 Lambert M J, Barley D E. Research summary on the therapeutic relationship and psychotherapy outcome. In: Norcross JC, ed Psychotherapy Relationships that work. Oxford; Oxford University Press 2002
  • 2 Wampold B. The great psychotherapy debate. Models, methods and findings. Mahwah, NJ; 2001
  • 3 Lambert M J, Ogles B M. The efficacy and effectiveness of psychotherapy. In: Lambert MJ, ed Bergin and Garfield's handbook of psychotherapy and behavior change. 5th ed. New York; Wiley 2004

Prof. Dr. Bernhard Strauß

Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie, Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität

Stoystraße 3

07740 Jena

Email: Bernhard.Strauss@med.uni-jena.de

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