PiD - Psychotherapie im Dialog 2006; 7(2): 117-118
DOI: 10.1055/s-2006-932633
Editorial
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Die Rede vom Körper: Habitus, Leib, prozedurales Gedächtnis und Körperpsychotherapie

Ulrich  Streeck, Arist  von Schlippe
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Publication Date:
24 May 2006 (online)

Was gemeint ist, wenn in der Psychotherapie vom Körper die Rede ist, scheint ganz und gar offenkundig und nicht erläuterungsbedürftig zu sein, ist doch das materielle Substrat, das Körper genannt wird, nicht nur für jedermann sichtbar, sondern auch der Vermessung zugänglich. Körper in der Psychotherapie - das ist weder nur der kranke Körper der psychosomatischen Medizin, noch nur der Körper als Objekt einer der vielen therapeutischen Verfahren, die unter dem eigentümlichen Zwitterbegriff „Körperpsychotherapie” subsumiert werden. Wollte man die Vielfalt der Bedeutungen, die der Körper und Körperlichkeit in der Psychotherapie haben, auch nur halbwegs umfassend darstellen, ließe sich das im Rahmen eines schmalen Heftes wie dem vorliegenden kaum realisieren, wahrscheinlich nicht einmal in einem umfangreicheren Sammelband.

Die unterschiedliche Rede vom Körper in der Psychotherapie berührt das Problem des Leib-Seele-Dualismus und damit ein Grundproblem der Philosophie seit ihren Anfängen. Versuche, diesen Dualismus zu überwinden, reichen bis in die Gegenwart hinein. In der psychosomatischen Medizin wird der Trennung von Körper und Seele, die seit Jahrtausenden Grundlage unseres Denkens und Handelns ist, ein so genanntes bio-psycho-soziales Modell gegenübergestellt. Allerdings kann dieses „Modell” kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Zusammenfügung differenter Aspekte, wie das mit der Begriffsschöpfung „bio-psycho-sozial” geschieht, beim Blick auf Körperlichkeit noch nicht die Überwindung des Dualismus von Körper und Seele bedeutet. Zudem fragt sich, warum dann nicht von einem „bio-psycho-sozio-kulturellen Modell” die Rede ist, ist doch Kultur den Körpern durch und durch eingeschrieben, der Körper immer auch ein kulturell geformter Körper.

Im Sinne des gesellschaftlich und kulturell geformten Körpers weist die Rede vom Körper in der Psychotherapie oft auch - meist unausgesprochen - Bezüge zum Begriff des Habitus von Bourdieu auf, der klassenspezifische Erfahrungen am Körper verdinglicht zum Ausdruck bringt, als „Körper gewordene Sprache”.

Wenn vom Körper in der Psychotherapie die Rede ist, wäre nicht zuletzt auch auf die vielfältigen Befunde zum körperlichen Gedächtnis hinzuweisen, vom impliziten, prozeduralen Gedächtnis, das sich nicht symbolisch artikuliert, sondern häufig im körperlichen Vollzug zur Darstellung kommt. Auch von hier aus wären wiederum Verbindungen zum Bourdieuschen Habituskonzept zu ziehen, zu Gewohnheiten und Stilen, die sich dem Körper eingraviert haben und die der Körper „weiß”, ohne davon zu wissen.

Die unterschiedliche Rede vom Körper in der Psychotherapie berührt weiter die Unterscheidung, die Helmuth Plessner aus der Sicht der philosophischen Anthropologie getroffen hat im Sinne des Körpers, den wir haben, und des Leibes, der wir sind. In der Psychotherapie wird diese Unterscheidung selten getroffen. Körper meint dort meist beides, den Körper als materielles, biologisches Substrat, und den Leib als Dimension subjektiven Fühlens und Erlebens von Körperlichkeit. In dieser subjektiven Dimension spielt der Körper in der Psychotherapie als psychischer Körper, als Erleben von Körperlichkeit, als seelisch repräsentierter Körper, als Bild vom eigenen Körper eine zentrale Rolle.

Der Körper setzt sich in der Psychotherapie in narrativen Darstellungen, in Erinnerungen, Erfahrungen und Träumen in Szene, auch in Mitteilungen, die sich auf das aktuelle therapeutische Geschehen beziehen, in Übertragungen, die nicht nur sprachlich-symbolisches Handeln sind, sondern die zur Erfüllung drängen und sich in „Benehmen”, in körperlichem Verhalten artikulieren. In der klassischen Psychoanalyse ist körperliches Verhalten im interaktiven Austausch zwischen Patient und Analytiker auf ein Minimum eingeschränkt - aus guten Gründen: Damit sich die Aufmerksamkeit des Patienten in körperliches Erleben und in Fantasien vertiefen kann, die sich an den Körper - auch den anrüchigen Körper - heften, kann der Körper nicht ohne weiteres zugleich als Instrument der Beziehungsgestaltung im kommunikativen Austausch verwendet werden, der er im therapeutischen Setting im Gegenübersitzen immer auch und unvermeidlich ist.

Einer der Gründe, warum Freud seinen Patienten empfahl, auf der Couch zu liegen, hatte mit der Erfahrung zu tun, dass sie sich so besser auf sich selbst konzentrieren könnten, was wiederum damit zu tun hat, dass im Gegenübersitzen die Aufmerksamkeit immer auch dem Gegenüber zugewandt sein muss, damit das interaktive Geschehen reibungslos abgewickelt werden kann. Hier, in Behandlungen die von Angesicht zu Angesicht stattfinden, setzt sich der Körper unvermittelter in Szene, direkt, nicht in symbolischen Darstellungen. Dabei kommen den Körpern der Beteiligten vielfältige Funktionen zu: Sie können expressives Medium sein, Mittel der Darstellung dessen, was mit Worten nicht gesagt wird oder nicht ausgedrückt werden kann, körperliches Verhalten kann hier im Dienst der Selbstregulierung stehen, vor allem aber im Dienst der Regulierung der therapeutischen Interaktion, und manchmal werden mit körperlichen Mitteln komplexe Handlungen abgewickelt, die dazu dienen, im motorischen Verhalten zu erledigen, was der bewussten Erinnerung entzogen bleibt.

Angesichts des begrenzten, für dieses höchst komplexe Thema zur Verfügung stehenden Platzes haben wir uns entschlossen, uns auf praktische und klinische Aspekte zu beschränken. Dabei beschäftigen sich mehrere Beiträge mit der Frage, ob und wie körperlich vermitteltes Verhalten in bewährte psychotherapeutische Behandlungsmethoden einbezogen werden und diese eventuell ergänzen kann. Bemühungen, die sich diesem Anliegen widmen, sind weit weg von blindem Agieren oder Grenzüberschreitungen. Im Gegenteil zeigen die Beiträge, dass es hier um sorgsam reflektierte Schritte kommunikativen Handelns in therapeutischen Beziehungen geht, die allerdings über nur sprachlich vermitteltes Handeln hinausgehen und sich auch auf behutsam eingesetzte Mittel körperlich vermittelter Interaktion stützen.

Bei der Darstellung therapeutischer Verfahren, die sich unmittelbar auf körperliches Erleben und Körperlichkeit richten, die Körperpsychotherapien im engeren Sinn, mussten wir noch einmal Abstriche machen. So konnten wir nur einige Verfahren aus dem bunten und manchmal knallbunten Strauß all dessen, was auf dem Markt unter dem Etikett „Körperpsychotherapie” angeboten wird, in das Heft aufnehmen. Bei der Auswahl haben wir uns daran orientiert, inwieweit die Verfahren in der klinischen Patientenversorgung, insbesondere im stationären Bereich, erprobt sind. Hier, in der Behandlung von Patienten mit teilweise schweren seelischen Störungen, ist die Einbeziehung körpertherapeutischer Verfahren seit jeher ein wichtiger Teil der Gestaltung der Behandlungsorganisation. Dass körpertherapeutische Verfahren im ambulanten Bereich trotz dieser Erfahrungen bislang nur eine marginale Rolle spielen, ist auch eine Folge des Umstandes, dass deren Wirksamkeit gelegentlich nur behauptet wird; jeder, der mit einem der vielen Verfahren arbeitet, weiß von beeindruckenden therapeutischen Erfolgen zu berichten. Die Forschungslage ist bei den körpertherapeutischen Verfahren bislang noch desolat. Um sich als Behandlungsverfahren zu etablieren, sind empirische Nachweise heute unverzichtbar. Hier besteht erheblicher Nachholbedarf.

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