Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2002; 7(5): 316-323
DOI: 10.1055/s-2002-35064
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Integration der Versorgung in Zeiten von DRGs - Bedeutung und Konsequenzen für die Pflege

Integration of Care in the Age of DRGs - Meaning and Consequences for NursingD.  Schaeffer1 , M.  Ewers1
  • 1Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW)
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Publication Date:
25 October 2002 (online)

Zusammenfassung

Mit der Einführung von DRGs und der Gesundheitsreform 2000 hat die Frage der „Integrierten Versorgung” in Deutschland erneut an Bedeutung gewonnen. Inzwischen wurden zahlreiche Aktivitäten angestoßen, um die seit langem bekannten Integrationsprobleme anzugehen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Diskussion durch eine Reihe von Engführungen gekennzeichnet ist, auf die in diesem Beitrag hingewiesen wird. Gezeigt wird nicht nur, dass der Frage der Versorgungskontinuität - und damit der Patientenperspektive - in den aktuellen Reformbestrebungen sowohl auf politischer wie auch auf praktischer Ebene zu wenig Beachtung geschenkt wird. Auch die Bedeutung der Pflege für die Sicherstellung einer integrierten und kontinuierlichen Versorgung, ihre Potenziale zur Übernahme zentraler Steuerungs- und Versorgungsfunktionen (z. B. Case Management) wird hierzulande noch unterbewertet. Der Erfolg der aktuellen Initiativen hängt u. a. davon ab, ob es gelingt, diese Engführungen zu überwinden.

Abstract

Due to the implementation of DRGs and „Health Care Reform 2000” in Germany the problem of „integration of care” became significant again. In the meantime many activities were started to foster integration of care. However, on closer examination, the debate is characterized by many shortcomings, which will be discussed in this article. It will be demonstrated, that not only continuity of care - the patients perspective - is not recognized in current reform activities on political and practical level. But also, the importance of nursing for integration and continuity of care, the potentials of nurses in taking charge of coordination and caring functions (i. e. case management) are still undervalued in Germany. The success of current reform initiatives inter alia depends on the abilities to overcome these shortcomings.

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1 Letztere sind beispielsweise vielfach darauf beschränkt, dass Überleitungsformulare eingeführt wurden. Damit mag der Informationsfluss zwischen den professionellen Akteuren verbessert worden sein, die Probleme, die sich für Patienten und Angehörige beim Übergang in die häusliche Versorgung stellen, sind damit keineswegs zum Angriffspunkt von Veränderungen geworden.

2 Dass die Zusammenarbeit zwischen Medizin und Pflege durchaus auch ganz anders gestaltet werden kann und welche Auswirkungen dies auf die Versorgung hat, zeigt ein Blick über die Grenzen in Länder, in denen die Pflege bereits seit geraumer Zeit professionalisiert ist [37]. Vgl. zu dieser Problematik auch [36].

3 In der Regel müssen sie oder ihre Angehörigen selbst die schwierige Aufgabe als „Broker” ihrer Versorgungsgestaltung übernehmen [26].

4 In diesem Zusammenhang kommt es zuweilen zu eigentümlichen Argumentationen, wie beispielsweise in dem folgenden Zitat aus einer aktuellen Veröffentlichung eines großen deutschen Krankenkassenverbandes über Disease-Management-Programme: „Eine zentrale Rolle in der Behandlung chronisch Kranker hat der Disease Manager. In den USA übernimmt die Aufgabe der Koordination der Behandlung häufig eine medizinische Pflegekraft. In Deutschland steigt die Zahl der Anbieter, die Disease-Management auf eine telefonische Beratung reduzieren möchten. Das Konzept von Curaplan sieht den Hausarzt in der zentralen Rolle des ‚Disease Managers’ für chronisch kranke Versicherte.” [38]. Richtig ist, dass Disease Manager in einigen Ländern bei der Versorgung ausgewählter chronisch Kranker eine zentrale Stellung einnehmen. Richtig ist auch, dass in den USA in diesem Zusammenhang der Pflege eine besondere herausgehobene Position eingeräumt wird. Erstaunlich sind allerdings die aus diesen Beobachtungen für Deutschland gezogenen Schlussfolgerungen, die - wie bereits zuvor in anderen Fällen [27] - auf eine unangemessene Verkürzung anspruchsvoller angloamerikanischer Steuerungskonzepte hinauslaufen.

5 Vgl. zu dem hier zugrunde liegenden Verständnis von „caring” bzw. Versorgung [39].

6 Dieser Hinweis bezieht sich auf einen Beitrag von B. Alles mit dem Titel „Der Hausarzt als Case-Manager - keine schöne neue Welt”, veröffentlicht am 7. März 2002 in der Ärztezeitung (Nr. 44).

7 Hierzu gehört unzweifelhaft auch eine stärkere Beteiligung der Pflege bei der Einführung von DRGs im akutstationären Bereich und der Diskussion der damit einhergehenden Folgen für die Versorgungsgestaltung - ein Thema, das von der Pflege - nach anfänglichem Zögern - inzwischen offensiv angegangen wurde [4] [40].

8 Aufgabe von Case Management ist also 1. die sich über den gesamten Krankheits- und Versorgungsverlauf hinweg erstreckende Begleitung und Steuerung eines individuellen Falls im Gesundheitswesen und ebenso 2. die dazu erforderliche Organisation, Prozessierung und Supervision/Kontrolle des Behandlungs- und Versorgungsgeschehens. Auf der Basis einer mehrdimensionalen Bedarfserhebung, werden Versorgungsmaßnahmen geplant, implementiert, koordiniert, überwacht und evaluiert, um so eine dem individuellen Bedarf eines Patienten entsprechende, lückenlose und kontinuierliche Versorgung herzustellen, Ressourcen gezielt und effizient einzusetzen und möglichst optimale Ergebnisse zu erzielen. Dass dabei Grenzen von Organisationen und Professionen überschritten werden, geschieht nicht zufällig, sondern gehört zum methodischen und konzeptionellen Kern des Konzepts [26]. Ebenso gehört zum Kern des Konzepts, auf individueller Ebene eine integrierte Leistungserbringung zu ermöglichen und die dazu notwendige Kooperation mit allen an der Versorgung des Falls beteiligten Versorgungsinstanzen sicherzustellen.

Prof. Dr. D. Schaeffer

Institut für Pflegewissenschaft, Universität Bielefeld (IPW)

Universitätsstraße 25 · 33615 Bielefeld

Phone: 0521-1063896 (Sekretariat) 0521-1064803 (Durchwahl) ·

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