Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(18): 513
DOI: 10.1055/s-2001-13289
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Lage der Infektiologie in Deutschland

Current state of the study of infectious diseases in Germany
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Prof. Dr. B. R. Ruf, Leipzig

Prof. Dr. H. Lode, Berlin

Wir begrüßen es außerordentlich, dass sich die Schriftleitung der Deutschen Medizinischen Wochenschrift entschlossen hat, zum 6. Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin, der vom 3. - 6. Mai 2001 in Leipzig stattfindet, ein Schwerpunktheft Infektiologie herauszugeben. Damit wird ein Fachgebiet thematisiert, das es in Deutschland unendlich schwer hat, im Konzert der medizinischen Schwerpunktfächer die Rolle einzunehmen, die es in vergleichbaren Ländern innehat. Die Gründe für die Geringschätzung der Infektiologie sind bekannt und in der lange vorherrschenden Meinung zu suchen, dass Infektionskrankheiten nach den Fortschritten in der antimikrobiellen Chemotherapie und bei den Impfungen kein relevantes medizinisches Problem mehr wäre. Die Renaissance der Infektionskrankheiten traf auf eine nach Organen aufgeteilte Innere Medizin, die die infektiologischen Problemfelder in gleicher Weise partikularisierte. Damit blieb eine Schwerpunktbildung der Infektiologie in Klinik, Lehre und Forschung aus und der deutsche Beitrag zu diesem Fachgebiet international marginal.

Die Bedeutung der Infektionskrankheiten ist geblieben, nur die Problemstellung haben sich gewandelt. Nicht mehr die klassischen Seuchen, sondern Infektionen im Gefolge des medizinischen Fortschrittes sowie die Auswirkungen von Migration und Globalisierung auf die Infektionsepidemiologie stehen auf der Tagesordnung. Die Gründe können in folgenden Punkten formuliert werden:

1. Veränderungen der Umwelt haben einen großen Einfluss auf die Ausdehnung von Brutgebieten bestimmter Überträger (Vektoren) von Infektionskrankheiten. Dies wird zu einer Zunahme der Malaria, des Dengue- und Gelbfiebers, der Bilharziose u.a. Infektionserkrankungen führen. Auch die Änderung tierischer Erregerreservoire ist relevant, wie die Ausbreitung von Hantavirus-Infektionen zeigt. Die Errungenschaften der Zivilisation tragen sogar zusätzlich zur Verbreitung von Infektionserregern bei, wie die Ausbreitung von Legionellen durch moderne Wasserversorgungssysteme sowie Klimaanlagen zeigt.

2. Veränderungen von Infektionserregern beeinflussen ebenfalls die Infektionsepidemiologie. Hierbei handelt es sich um genetische Veränderungen, die die Immunogenität, Virulenz und Toxinproduktion sowie die Resistenz gegen die antiinfektive Chemotherapie beeinflussen. Zur Resistenzentwicklung von Infektionserregern trägt der Mensch ganz wesentlich durch inadäquaten Einsatz von Antibiotika in Praxis und Klinik sowie Zumischung von Antibiotika in der Tiernahrung bei. Die Massentierhaltung erleichtert mit ihren Auswüchsen Speziessprünge von Krankheitserregern.

3. Auch der Mensch selbst verantwortet Veränderungen, die der Zunahme von Infektionskrankheiten Vorschub leisten. Die Bevölkerungsexplosion, und die mit ihr verbundene anhaltende Verelendung und Verarmung großer Populationen stellt einen idealen Nährboden für Infektionen mit Tuberkulose, Typhus, Ruhr und Cholera dar. Zudem schaffen weltweite Migration und Massentourismus die Voraussetzung für die Ausbreitung sonst lokal begrenzter Infektionen. Auch die Internationalisierung des Handels und der Landschaft tragen zur globalen Verbreitung von Infektionserregern bei.

4. Die steigende Zahl von Menschen mit immunsuppressiven Zuständen (HIV-Infizierter, Transplantempfänger, Tumor-Patienten, Hochbetagte, multimorbide Patienten) geben apathogenen bzw. fakultativ pathogenen Mikroorganismen die Chance zur Manifestation.

5. Die Konzentration von Schwerkranken in Krankenhäusern und der oft überdimensionierte Einsatz von Antibiotika schaffen ideale Voraussetzungen für nosokomiale Infektionen und die Zunahme von Problemkeimen. Früher selten sind z.B. Clostridium difficile-assoziierte Diarrhoen und pulmonale Komplikationen durch Stenotrophomonas maltophilia bei Intensivpatienten heute eine klinische Alltäglichkeit.

6. Zudem erweitert sich das Erregerspektrum ständig. Allein in den letzten 20 Jahren wurden mehr als 40 bisher unbekannte Erreger entdeckt. Beispielhaft hierfür stehen die Vielzahl der inzwischen bekannten gastrointestinalen Infektionen. Darüber hinaus ermöglicht die moderne molekulare Diagnostik die Aufdeckung früher nicht nachweisbarer Mikroorganismen und Erkrankungen mit bisher unklarer Ursache erweisen sich als Infektionserkrankungen.

Im letzten Jahrhundert spielten sich die bedeutendsten Fortschritte auf dem Gebiet der bakteriellen Mikrobiologie und Antibiotikaforschung ab. Dieses Jahrhundert wird das der Viren sein. Angestoßen durch die HIV-Forschung haben sich das molekulare Verständnis viraler Infektionen, Virusdiagnostik und antivirale Therapieoptionen enorm entwickelt. Die Fortschritte in der Therapie der HIV-Infektion, der chronischen Virushepatitiden und der Influenza stehen hierfür beispielhaft. Im Zeitalter der DRGs wird die Infektiologie ein unabdingbare klinische Disziplin sein. Durch Antibiotikamanagement und Surveillance nosokomialer Infektionen kann sie entscheidend zur Qualitätsentwicklung und Kostenkontrolle beitragen.

Will Deutschland auf dem Gebiet für Infektionskrankheiten international wieder kompetitiv sein, muss die Etablierung der Infektiologie in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung erfolgen. Auf der europäischen Ebene ist dies längst erkannt, und der europäische Facharztverband wird ein Curriculum zum Erwerb des Facharztes für Infektiologie vorschlagen. Die Einrichtung dieses Fachgebietes in den Kliniken und Hochschulen ist dann ein weiterer notwendiger Schritt in Krankenversorgung, Forschung und Lehre.

Prof. Dr. B. R Ruf
Prof. Dr. H Lode

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