Dtsch Med Wochenschr 2012; 137(51/52): 2700-2705
DOI: 10.1055/s-0032-1327347
Weihnachtsheft
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

War die Entdeckung des Blutkreislauf-Systems ausschließlich William Harveys Verdienst?

Was the discovery of the systemic circulation exclusively due to William Harvey?
U. Koehler
1   SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin, Klinik für Innere Medizin, Philipps-Universität Marburg
,
O. Hildebrandt
1   SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin, Klinik für Innere Medizin, Philipps-Universität Marburg
,
F. Redhardt
1   SP Pneumologie, Intensiv- und Schlafmedizin, Klinik für Innere Medizin, Philipps-Universität Marburg
,
E. Sibai
2   Al-Mowasat-Universitätsklinikum, Damaskus, Syrien
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Publication History

Publication Date:
11 December 2012 (online)

Widmung

Herrn Professor Peter von Wichert, Hamburg, ehemaliger Direktor der Medizinischen Poliklinik Marburg, gewidmet.

Einleitung

Bei der Frage „Wer war der Entdecker des Herz-Kreislauf-Systems?“ bekommt man in der Regel die Antwort „William Harvey“. Das ist zwar richtig, vergessen wird dabei aber, dass auch andere Ärzte und Wissenschaftler einen elementaren Beitrag zu dieser Erkenntnis geleistet haben. Sicherlich, es mag der Verdienst von Harvey gewesen sein, dass er das Puzzle zu einem Ganzen zusammengesetzt hat, aber die Historie der Blutbewegungstheorie ist doch etwas komplexer.

Einmal mehr sollte uns die Medizingeschichte zum Nachdenken veranlassen. Das, was wir heute als physiologisch selbstverständlich ansehen, die Zirkulation, hat Jahrhunderte in der Bestätigung gebraucht. Die apodiktische Lehrmeinung einer unantastbaren Autorität, wie die des Galen von Pergamon, hat über Jahrhunderte hinweg dazu beigetragen, neue Erkenntnisse zu verhindern [3] [12]. Offene Feindschaft, Vorwürfe bis hin zu Unzurechnungsfähigkeit sowie Tod waren Maßnahmen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Auch die Geschichte der Entdeckung des Herz-Kreislauf-Systems beweist, dass Neid und Missgunst auf vielfältigste Art und Weise dem innovativ forschenden Geist häufig entgegengestanden haben. So hat bereits Andreas Vesalius Galen eine Reihe von Fehlern, so auch den Aufbau des Herzens betreffend, nachweisen können [12]. Seine Infragestellung des Galenschen Dogmas führte jedoch letztlich zu einem traurigen Lebensende, Vesalius wurde gezwungen den Lehrstuhl in Padua zu verlassen.

Das Herz betreffend waren 1628, dem Jahr der Veröffentlichung von Harveys Werk zur Theorie der Blutzirkulation, bereits einige anatomisch-morphologische Beschreibungen zum Klappenapparat, dessen Funktion sowie dem Gefäßsystem bekannt. Seit Aristoteles galt das Herz als Zentralorgan und Sitz der Seele. Systematisch durchgeführte Sektionen/Vivisektionen von menschlichen Körpern gab es nur während weniger Jahrzehnte im Verlauf des 3. Jahrhunderts vor sowie im 13. und 14. Jahrhundert nach Christus. Aristoteles sowie Herophilos von Chalkedon und Erasistratos von Keos, letztere Hauptvertreter der medizinischen Schule von Alexandria, haben bereits in den vorchristlichen Jahrhunderten Erkenntnisse zur Anatomie der Blutgefäße, des Transports von Blut und Pneuma sowie zur Funktion des Herzens und der Herzklappen beigetragen [2] [5] [7] [12].

In vorliegender Abhandlung sollen neben Galen und Harvey auch die Ärzte und Gelehrten Erwähnung finden, die in der Zeit nach Galen einen gewichtigen Beitrag zum Verständnis der Blutflusslehre geleistet haben: Beispielsweise der syrische Arzt und Universalgelehrte Ibn al-Nafis (1210–1288), der Spanier Miguel Serveto (1509–1553) oder der in Brüssel geborene Andreas Vesalius (1514–1564).

 
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