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Erschienen in: Schmerz Nachrichten 4/2022

Open Access 01.12.2022 | Freies Thema

Invasive Verfahren in der Therapie des Gesichts- und Kopfschmerzes, Teil II

verfasst von: Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner

Erschienen in: Schmerz Nachrichten | Ausgabe 4/2022

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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Die primäre Behandlung von Schmerzen jeglicher Art erfolgt pharmakologisch, physikalisch medizinisch oder verhaltenstherapeutisch. Versagen diese konservativen Therapiemaßnahmen, geraten Therapeut*innen und Patient*innen schnell in große Not. Der Artikel ist der zweite Teil einer Arbeit über invasive Verfahren in der Therapie von Gesichts- und Kopfschmerzen und informiert über einige zentrale neurochirurgische Behandlungsmöglichkeiten (Teil 1 erschien in der letzten Ausgabe der SCHMERZ NACHRICHTEN [1]). In dieser Ausgabe stehen atypische Gesichtsschmerzen/Trigeminusschmerzen im Mittelpunkt.

Trigeminusneuropathie

Durch eine Verletzung des N. trigeminus in seinem Hauptstamm, im Ganglion Gasseri oder in seinem Kerngebiet im Hirnstamm (Trigeminuskerne reichen bis HWK 5) durch einen Tumor, ein Trauma, eine Verletzung oder Zerstörung eines oder mehrerer seiner Äste (N. ophthalmicus, N. maxillaris, N. mandibularis) durch ein Schädel-Hirn-Trauma, durch einen Hals-Nasen-Ohren-, kieferchirurgischen oder zahnärztlichen Eingriff kann es zu einer teilweisen oder vollständigen Schädigung seiner somatosensorischen Afferenz kommen. Dies macht sich in Form einer anfänglichen Gefühlsstörung bemerkbar, welche sich nicht oder nur teilweise zurückbildet. Hinzu gesellen sich eine Berührungsempfindlichkeit und eine Brennschmerzhaftigkeit. Ein vollständiger Ausfall der trigeminalen Afferenz kann zu einer der schmerzhaftesten Schmerzformen überhaupt, der Analgesia dolorosa, führen. Dabei ist ein vollständiges sensibles Defizit mit einer schmerzhaften Anästhesie gepaart und resultiert in einer permanenten Brennschmerzhaftigkeit höchster Intensität. Nicht selten erscheint der*dem Patient*in der Suizid als einziger Ausweg aus diesem Krankheitsbild.
Diese neuropathischen Gesichtsschmerzen sprechen nicht oder kaum auf eine medikamentöse Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika an. Morphine und deren Derivate wirken erst in so hohen Dosen, dass die Patient*innen einschlafen und dadurch den Schmerz weniger wahrnehmen. Therapieversuche mit Neuroleptika und trizyklischen Antidepressiva (Neurontin, Lyrica, Saroten oder Anafranil) sollen ausreichend lange (6 bis 12 Monate) durchgeführt werden und finden nach langsamer Dosissteigerung und fehlender Wirksamkeit über ein Jahr oder durch Auftreten von Nebenwirkungen ein Ende. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf Publikationen der medikamentösen Therapie neuropathischer Schmerzen [2].
Zurück in die Geschichte der Therapie von Geschichtsschmerzen – zurück in die Zeit vor der mikrovaskulären Dekompression nach Jannetta in den 1970er Jahren [3]. Damals wurden die meisten Patient*innen mit Trigeminusneuralgien und Neuropathien in einen Topf geschmissen und trotz unterschiedlicher Pathologie einheitlich mit Rhizotomien und Traktotomien behandelt. Medulläre, pontine, mesenzephale und spinothalamische Traktotomien waren die Behandlungsmethoden in den 1930er und 1940er Jahren. Nebenwirkungsrate und Mortalität waren hoch, Rezidive häufig. Bereits 1947 wurden stereotaktische Mesenzephalotomien durchgeführt. Wesentlich weniger invasiv waren die Behandlungsformen mit perkutanen Verfahren, wie die Thermokoagulation oder die Glycerolrhizotomie des Ganglion Gasseri in der Therapie der typischen Trigeminusneuralgie, aber auch – in Ermangelung alternativer Verfahren – in der Therapie der anderen Krankheitsformen.
Als Prof. William Sweet während Thermokoagulationen eine Teststimulation des Ganglion Gasseri durchführte, um die korrekte Lage der Läsionselektrode zu überprüfen, bemerkte er bei Patient*innen mit mehr Dauerschmerzen und Gefühlsstörungen (Trigeminusneuropathie), dass sie während der Teststimulation eine Schmerzfreiheit verspürten. Hier kann man noch erkennen, dass bis in die 1970er Jahre beide Krankheitsbilder – Trigeminusneuralgie und Trigeminusneuropathie – in einen Korb geschmissen wurden wie Äpfel und Birnen. Manche Kolleg*innen tun das leider bis heute.
Beide Krankheitsbilder sind im Gesicht schmerzhaft – das ist aber auch schon ihre einzige Gemeinsamkeit. Die Trigeminusneuralgie hat einschießende lanzinierende Schmerzen, die plötzlich, aus heiterem Himmel, auftreten. In der Regel liegt kein sensibles Defizit vor. Ursächlich wird ein pathologischer Gefäß-Nerven-Kontakt in der „root entry zone“ des N. trigeminus (kurzes Stück vor dem Eintritt des N. trigeminus in den Hirnstamm) diskutiert. Hier werden die Nervenfasern nicht vom Myelin ummantelt, sondern mit einer vulnerableren, empfindlicheren Oligodendroglia. Durch die Gefäßpulsationen einer AICA(Arteria cerebelli anterior inferior)- oder PICA(Arteria cerebelli posterior inferior)-Schlinge kommt es zu einer fokalen Demyelinisierung in der „root entry zone“ mit einem Überspringen von sensiblen afferenten Impulsen (Berührung, Sprechen, Kauen, Luftzug etc.) auf nozizeptive Afferenzen. Die Therapie der typischen Trigeminusneuralgie besteht aus der medikamentösen Therapie mit Tegretol und – bei konservativem Therapieversagen – chirurgisch mit der mikrovaskulären Dekompression nach Jannetta, Thermokoagulation des Ganlion Gasseri, Glycerolrhizotomie des Ganglion Gasseri, Ballonkompression des Ganglion Gasseri, neben dem Einsatz der Radiochirurgie (einseitige, punktgenaue Bestrahlung) mittels Gamma-Knife. Die Strahlung wird aus 201 konzentrisch zulaufenden Bohrungen genau in die Mitte des N. trigeminus zwischen Hirnstamm und Felsenbeinkante gebündelt. Als Komplikation chirurgischer Therapie kann es zu einer Schädigung des N. trigeminus kommen mit einem Wechsel zu einem Dauerschmerz, d. h. es tritt ein Wechsel von Trigeminusneuralgie zu einer Trigeminusneuropathie ein. Sehr schwer zu behandeln sind Zwischenformen mit einer Rest-Attackenhaftigkeit und einer Gefühlsstörung kombiniert mit einem brennenden Dauerschmerz und Dysästhesie, Hyperpathie, Allodynie und einem Wind-up-Phänomen, einer Zunahme der Brennschmerzen durch wiederholte Berührung.
Das Auftreten eines sensiblen Defizits mit brennenden Dauerschmerzen kennzeichnet den Übergang in eine Trigeminusneuropathie, eine Schädigung des trigeminalen somatosensorischen afferenten Systems. Mein früherer Lehrer, Ulrich Steude, vom Klinikum Großhadern der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, nahm diese Beobachtung auf und entwickelte 1979 das Stimulationsverfahren des Ganglion Gasseri, durch das immerhin bei „zwei von drei Patient*innen eine ausreichende und effektive (> 60 % Schmerzbesserung) Behandlung von neuropathischen Gesichtsschmerzen erzielt wird“. Wichtiger Bestandteil und Bedingung der Neuromodulation: Sie muss zwischen geschädigter Struktur (Nerv) und verarbeitendem Organ (Gehirnrinde/Cortex cerebri) platziert und lokalisiert werden. Diese anatomische Voraussetzung unterscheidet unsere hier beschriebenen Verfahren von der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS-Therapie), bei denen die Therapie distal der Läsion erfolgt. Gleiches gilt für die subkutane elektrische Stimulation.

Patientenbeispiel

Beschreibung der Elektrodenimplantation in das Ganglion Gasseri bei einer 18-jährigen Patientin (Zahnarzthelferin) mit neuropathischen Gesichtsschmerzen im Oberkiefer rechts nach Weisheitszahnextraktion im Oberkiefer rechts bei Pharmakoresistenz.
Das Vorgehen bei der Stimulation des Ganglion Gasseri nach Steude ist folgendermaßen: Die Patientin bekommt – wie bei einer Thermokoagulation – in intravenöser Kurznarkose eine Testelektrode durch das Foramen ovale an das Ganglion Gasseri implantiert. Dabei wird die Testelektrode etwa zeigefingerbreit neben dem Mundwinkel durch die Wange durch die Schädelbasis (Foramen ovale) in das Schädelinnere an das Ganglion Gasseri gebracht und mittels Testung im OP für den*die Patient*in passend platziert. Die Elektrode wird dann an der Wange mit Steri-Strips und einem kleinen Pflaster befestigt, so dass das Kabel eines Testgeräts mit der Elektrode aus dem Gehirn verbunden und eine Testung durchgeführt werden kann. Danach wird stationär über mehrere Tage der Effekt einer perkutanen Teststimulation erprobt. Die chronische Stimulation über mehrere Tage ist erst bei einer Schmerzreduktion von mehr als 60 % von uns als Behandlungserfolg gewertet worden und setzt voraus, dass stimulationsbedingte Kribbelparästhesien, Gefühl von Ameisenlaufen, das schmerzhafte Areal beinhalten. Nach der Teststimulation wurde die Patientin nach Entfernung der Testelektrode nach Hause entlassen. Vier Wochen später wurde das weitere Vorgehen in einer ambulanten Besprechung festgelegt. Implantiert wurde eine monopolare Elektrode mit einem Kontakt an der Elektrodenspitze, welche gegen das Gehäuse des Schrittmachers monopolar verschaltet wurde.
Es ist wichtig, einige Aspekte der Elektrodenimplantation zu berücksichtigen, da andernfalls eine Gefährdung des Behandlungserfolgs durch insuffizientes chirurgisches Vorgehen resultieren könnte. Zu Beginn der Operation geht es um eine optimale Patientenlagerung. Das Kinn sollte angehoben und in gerader Position dem Chirurgen zugewendet sein. Damit wird das Foramen ovale dem Operateur zugewendet, und sein gesamter Durchmesser oder seine gesamte Öffnung steht der Punktion zu Verfügung. Falls man den Nacken nicht mit einer Rolle anhebt und den Hinterkopf mit einem Gelring fixiert, wird die Operation ungemein schwieriger, da das Foramen ovale tangential punktiert wird und eine 18G-Nadel häufig nicht mehr hindurch passt. Dann erfolgt die Desinfektion der Wange vom Mundwinkel aus. Achten Sie darauf, dass keine alkoholischen Lösungen in die – lagerungsbedingt – tiefer liegenden Augen laufen, da diese Schmerzen und Irritation keine adäquate Zusammenarbeit mit dem*der Patienten*in ermöglicht. Ein Operationsabbruch wäre die Konsequenz. Bei der Punktion ist darauf zu achten, dass nicht unterhalb der Linie des Mundwinkels oder in der horizontalen Verlängerung der Lippen punktiert wird. So kann verhindert werden, dass durch ein Öffnen des Mundes die Elektrode des N. trigeminus weggezogen wird. Dies kann so stark sein, dass die Elektrode durch das Foramen ovale nach distal gezogen wird und sich die Stimulationsparästhesien, Kribbeln im schmerzhaften Gesichtsbereich, in nichtschmerzhafte Gesichtsbereiche verlagern können. Wir hatten eine Patientin, welche durch heftiges Kaugummikauen (großes, die Wange nach lateral dehnendes Volumen) ihr gutes Stimulationsergebnis zu ihren Ungunsten beeinflusste. Die Punktionsrichtung ist Richtung Pupille bei geradem Blick und die halbe Strecke einer imaginären Linie zwischen äußerem Gehörgang und lateralem Augenwinkel. Eine zu laterale Punktion könnte die Kanüle in das Foramen spinosum führen, was zu einem nicht unbeträchtlichen Wangenhämatom führen kann. Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht zu erwarten. Erschrecken Sie bei einer Fehlpunktion nicht zu sehr, falls Sie den Mandrin aus der Nadel herausziehen. Die Arteria meningea media hat keinen geringen Druck. Nach korrekter Punktion des Foramen ovale wird der Mandrin der Punktionsnadel entfernt und durch eine Stimulationselektrode ersetzt, welche in allen Läsionsgeneratoren Verwendung findet. Sie stellen das System auf Stromstärke null (Intensität) und nehmen einen Rechteckimpuls und 2 Hz. Langsam erhöhen Sie die Stimulationsintensität, bis Sie ein Zucken des Mundes in Form von rhythmischen Kaubewegungen erkennen können. Nicht selten zeigt sich in den stimulierten Trigeminusarealen ein Rotwerden der Haut, ein sogenannter Flush. Bei einer 50-Hz-Stimulation zeigt sich dieser regelmäßig. Bitten Sie die wiedererwachten Patient*innen, sich nicht zu bewegen und nur auf ihre Fragen zu antworten. Die Stimulation befindet sich wieder auf 0 Intensität, sehr langsam erhöhen Sie diese und fragen nach, wo Kribbelparästhesien verspürt werden: „Unterkiefer? Wange? Nasenflügel? Stirn? Auge?“ Je nach Schmerzort und Stimulationsergebnis muss die Lage der Elektrode korrigiert werden.
Nach Erreichen einer optimalen Situation im OP wird die stationäre Testphase durchgeführt. Nach ausreichender Testzeit von mehreren Tagen (3 bis 5 Tage) sollte ein klares Erkennen der Effektivität oder klares Nichtansprechen auf die Therapie vorliegen. Dann wird die Testelektrode entfernt, indem sie, nach Entfernung der Steri-Strips, einfach herausgezogen wird. Nur bei einer eindeutig positiven Teststimulation und nach einer ambulanten Besprechung mit Festlegung des weiteren Vorgehens wird eine Permanentimplantation geplant und durchgeführt.
Wir finden es nicht sinnvoll, gleich an die Testphase die Implantation des Schrittmacher-Permanentsystems anzuschließen, denn durch die perkutane Ausleitung ist eine bakterielle Kontamination des Operationsbereichs anzunehmen. Als Keimaszension bei Fremdkörpern wie Elektroden perkutan werden 0,3 mm pro Implantationstag angenommen (ein Untertunneln über mehrere Zentimeter ist im Gesicht nur zur Permanentimplantation vertretbar). Zudem werden Erwartungen gegenüber der Therapie unter möglichem Zeitdruck von den Patient*innen falsch interpretiert. Wir empfehlen eine ambulante Besprechung der Therapieeffekte und Festlegung des weiteren Vorgehens 4 bis 6 Wochen nach Teststimulation.
Die Implantation des Permanentsystems unterscheidet sich nur darin, dass im Bereich der ursprünglichen perkutanen Punktionsstelle ein kleiner Hautschnitt angelegt werden muss. Durch diesen Hautschnitt wird im Wundbereich ein dünner, nichtresorbierbarer Faden in Form einer Schlinge vorgelegt. Durch das Lumen der Schlinge wird die Punktion des Foramen ovale vorgenommen wie bei der Teststimulation. Die Elektrode wird von der Punktionsstelle zum Kieferwinkel subkutan weitergeführt und nach Verbindung mit einer Elektrodenverlängerung zur gleichseitigen Infraklavikularregion, in die der Neurostimulator eingebaut wird. Dieser kann perkutan programmiert werden. Anfänglich werden vierteljährliche Kontrolluntersuchungen durchgeführt. Später stellen sich die Patient*innen einmal im Jahr oder bei Bedarf ambulant vor.

Stereotaktische Elektrodenimplantation in die Basalganglien

Im nächsten Schritt wird die Einflussnahme neuronaler Strukturen nach weiter zentral verlagert. Alleinige Elektrodenimplantationen in Strukturen des sensiblen Thalamus wie in den Nucleus ventralis posteromedialis können neuropathische Gesichtsschmerzen lindern, sie jedoch nicht vollständig beseitigen. Eine Metaanalyse der Europäischen Gesellschaft für Funktionelle Neurochirurgie aus dem Jahr 2007 [4] zeigte eine bessere Wirksamkeit der tiefen Gehirnstimulation gegen nozizeptive Schmerzen (63 %) als gegen neuropathische Schmerzen (47 %). Dies beschreibt einen katastrophalen Zustand in der Qualität der stereotaktischen Schmerzchirurgie. Man bringt eine Elektrode in die – oder in die Nähe einer – Zielstruktur und reguliert dann mit dem Stimulator. Dies ist prinzipiell nicht falsch, die Genauigkeit in der Operationsplanung hat aber höchste Priorität, um mit wenig Strom viel zu erreichen und kaum oder nur geringe Nebenwirkungen zu verursachen. In der zitierten Metaanalyse hat die Stimulation in der größten Schmerz-Zielstruktur, dem periaquäduktalen Grau, höhere Effektivität, verglichen zu den 1–2 mm großen Strukturen im Thalamus. Für die Interpretation bleibt großer Spielraum. Tatsache ist, dass die tiefe Gehirnstimulation im Einsatz gegen therapieresistente Bewegungsstörungen weitaus effektiver ist. Es können Bewegungsstörungen vollständig beseitigt werden. Etwas Gleichwertiges für die Therapie von unerträglichen Gesichtsschmerzen gibt es nicht. Eine Überarbeitung der Zielstrukturen führte dazu, dass die Physiologie sensorischer Afferenzen vollständig überarbeitet werden muss. Die bisherigen Behandlungsergebnisse mit unter 50 % Wirksamkeit legten nahe, dass nur die Hälfte der sensorischen Afferenzen durch den Thalamus ziehen. Und wo ziehen die restlichen Bahnen zum Kortex? Denn es macht Sinn, alle Wege zum Bewusstsein (Kortex) gegen den unerträglichen Schmerz zu beeinflussen. Aus diesem Grund nahmen wir den hinteren sensiblen Schenkel der Capsula interna in unser Behandlungskonzept neuropathischer Schmerzen mit auf. Leider musste die Zielstruktur definiert werden, da Angaben aus den 1960er und 1970er Jahren nicht konklusiv waren. Die Kombination von sensorischem Thalamus und hinterem Schenkel der Capsula interna kann seit über 10 Jahren Patient*innen mit neuropathischen Schmerzen, hier neuropathischen Gesichtsschmerzen bis hin zur Analgesia dolorosa, sehr gut behandeln, manche Patient*innen wurden damit sogar schmerzfrei.
Eine Allodynie, Hyperpathie, Dysästhesie kann sehr gut behandelt werden. Ist zusätzlich eine nozizeptive Komponente vorhanden, kann das periventrikuläre Grau oder periaquäduktale Grau durch Stimulation zur Ausschüttung endogener Opioidpeptide und zur Aktivierung von deszendierenden hemmenden Bahnsystemen gebracht werden. Wir haben in einem 32-jährigen Stereotaxie-Lernprozess die neurochirurgische Schmerztherapie verbessern können, sodass seit einigen Jahren schwerst schmerzkranke Patient*innen schmerzfrei sind.

Epidurale Motorkortexstimulation

Die Methode der epiduralen Motorkortexstimulation [58] wurde in den 1990er Jahren eingeführt und als ein im Vergleich zur tiefen Gehirnstimulation weniger invasives Verfahren bewertet. Stimulationselektroden wurden zwischen dem Schädelknochen und der Dura mater im Bereich des Gyrus praecentralis implantiert. Die Methode wurde von mir 2002 in Österreich eingeführt. Sie wurde von uns nach 5 Jahren der Anwendung wieder verlassen, da nach einer Behandlungszeit von mehr als 2 Jahren bei unseren Patient*innen der Behandlungseffekt nachgelassen hatte oder gar verschwunden war. Keiner unserer Patient*innen erreichte eine weitgehende und gleichbleibend gute Schmerzfreiheit. Eine Schmerzreduktion von 30–80 % kann gut erreicht werden, wobei die Patient*innen den Restschmerz doch als sehr störend empfinden. Im Laufe der Zeit kommt es zu einer stetigen Wirkungsreduktion der Stimulation. Eine zu Beginn der Therapie kurzzeitig zu Testzwecken höhere Stimulationsintensität führte zu einer Tonuserhöhung in den zugehörigen Körperanschnitten, was als Bestätigung einer korrekten Lage der Elektrode über dem Motorkortex gewertet werden kann. Nach wenigen Jahren guter Schmerzreduktion trat ein Schwinden der Schmerzreduktion auf. Nach längerer Stimulation (> 2 Jahre) konnten wir bei Intaktheit des Stimulationssystems (unauffällige Widerstände im Stimulationssystem) diese positiven Effekte nicht mehr reproduzieren. In Revisionsoperationen fanden wir bei zwei Patientinnen eine Verdickung der Dura. Bei einer Patientin sogar eine Verkalkung in Form einer Platte zwischen Dura und Stimulationselektrode. Ursächlich sind unseres Erachtens pH-Veränderungen durch hohe Stromstärken mit einer Präzipitation von Kalzium im stimulierten Areal verantwortlich.
Wir erlauben uns, eine unserer Hypothesen über die Reaktion des menschlichen Körpers auf zugeführte elektrische Felder außerhalb des Gehirns zur Interpretation der gerade beschriebenen Befunde vorzustellen (wird zur Zeit untersucht): Eine immer beobachtete Reaktion des Körpers auf elektrische Felder außerhalb des Gehirns (Elektroden zur tiefen Gehirnstimulation) und des Herzens (Herzschrittmacherelektroden) ist die Ausbildung einer dicken, derben, fibrotischen Ummantelung der elektrischen Quelle, welche zu einer „Isolierung der störenden oder gar lebensgefährlichen elektrischen Quelle“ durch Ausbildung von elektrisch isolierendem fibrotischem oder gar kalzifiziertem Gewebe (epidurale Plattenelektroden zerebral und spinal sowie fibrotische Ummauerung von Impulsgeneratoren zur tiefen Gehirnstimulation und von Herzschrittmachern) führt. Diese Beobachtungen führten dazu, dass wir von der epiduralen Motorkortexstimulation wieder zur tiefen Gehirnstimulation in der neurochirurgischen Schmerztherapie wechselten.

N.-occipitalis-Stimulation

Die Okzipitalis-Nervenstimulation (ONS) kann einseitig oder beidseitig am Hinterkopf durchgeführt werden. Zielstruktur ist der N. occipitalis major. Bei der Elektrodenimplantation werden von der Mittellinie aus unterhalb der Protuberantia occipitalis externa (Inion) am Hinterkopf nach links oder rechts in Richtung Ohr eine Elektrode epifaszial geschoben und mit einer Naht fixiert. Eine Teststimulation ist durch eine perkutane Verlängerungsausleitung möglich. Die Lage der Elektrode und die hohe Bewegungsbelastung kann eine Hautarosion durch die Elektrode oder eine Elektrodendislokation verursachen. Es gibt spezielle Elektroden, die bürstenähnliche Anker in den Bereichen zwischen den Elektrodenkontakten haben, was ein Verrutschen der Elektrode verhindern soll. Auch hier gilt eine Schmerzreduktion > 60 % als positive Teststimulation, und die Behandlung kann mit der Implantation eines permanenten Systems fortgesetzt werden.
Indikationen für ONS sind therapieresistente Migräne, inklusive Migräne vom Basilaristyp, und Cluster-Kopfschmerzen. Der Einsatz der ONS beim therapieresistenten Spannungskopfschmerz ist noch experimentell.

Interessenkonflikt

W. Eisner bekam Honoraria als internationaler Ausbilder/Trainer für Neurochirurgen für Stereotaktische Gehirnoperationen/Tiefe Gehirnstimulation von Medtronic und Abbott.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
1.
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Metadaten
Titel
Invasive Verfahren in der Therapie des Gesichts- und Kopfschmerzes, Teil II
verfasst von
Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner
Publikationsdatum
01.12.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schmerz Nachrichten / Ausgabe 4/2022
Print ISSN: 2076-7625
Elektronische ISSN: 2731-3999
DOI
https://doi.org/10.1007/s44180-022-00073-4

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