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Erschienen in: Schmerz Nachrichten 3/2022

Open Access 06.09.2022 | Freies Thema

Invasive Verfahren in der Therapie des Gesichts- und Kopfschmerzes – Teil I

verfasst von: Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner

Erschienen in: Schmerz Nachrichten | Ausgabe 3/2022

Hinweise
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Die primäre Behandlung von Schmerzen jeglicher Art erfolgt pharmakologisch, physikalisch medizinisch oder verhaltenstherapeutisch. Versagen diese konservativen Therapiemaßnahmen, geraten Therapeut*innen und Patient*innen schnell in große Not. Der Artikel ist der erste Teil1 einer Arbeit über invasive Verfahren in der Therapie von Gesichts- und Kopfschmerzen und informiert über einige zentrale neurochirurgische Behandlungsmöglichkeiten. Die Komplexität dieser Erkrankungen benötigt die Interdisziplinarität von Neurologen, Schmerztherapeuten, Psychologen und Chirurgen.
Neurolog*innen, Schmerztherapeut*innen, Psycholog*innen und Neurochirurg*innen. Schmerzen sind integrale Bestandteile protektiver Reaktionen des Körpers auf Einwirkungen von außen oder von innen. Die Unversehrtheit des Gewebes gilt es zu erhalten und schädigende Noxen rechtzeitig zu erkennen, vor Eintritt einer permanenten Schädigung. Das Phänomen Schmerz spielt eine sehr große Rolle in der ärztlichen Praxis. Die beiden Formen
a)
Schmerz als Symptom (z. B. Appendizitis) und
 
b)
Schmerz als chronische Schmerzkrankheit
 
brauchen zum einen eine ursachenbezogene fachspezifische Identifizierung und zum anderen eine spezielle Schmerztherapie. Diese spezielle Schmerztherapie sollte, laut WHO, in der Lage sein, alle Schmerzformen wirkungsvoll und effektiv behandeln zu können. Dass dies nicht zutrifft, ist uns allen bekannt.
Invasive Verfahren gibt es seit Menschen Gedenken. Denken Sie nur an Zahnextraktionen oder Amputationen von schmerzhaften Gliedmaßen. Die Entwicklung der Neuromodulation in den letzten 50 Jahren gibt uns die Möglichkeit an die Hand, neuronale Funktionen, schmerzleitende und -verarbeitende Systeme zu beeinflussen, ohne weitere Schädigung des Organismus.
Neuropathische Schmerzen – aber auch spezielle Formen nozizeptiver Schmerzen – nach Versagen aller vorhergehender Therapiestufen des WHO-Schemas sind das Haupteinsatzgebiet der Neuromodulation. Neurochirurgische Schmerztherapie stellt wegen ihrer Invasivität die letzte Stufe jeglicher Schmerztherapie dar. Dies ist zu betonen, denn immer mehr nichtchirurgische Fächer bedienen sich invasiver Verfahren. Es gibt invasiv tätige Anästhesist*innen, Radiolog*innen, Orthopäd*innen, Urolog*innen, Gynäkolog*innen. Es sollte aber stets bedacht werden, dass bei neurochirurgischen Therapieverfahren bei Komplikationen Neurochirurg*innen hinzugezogen werden sollen, denn diese sind seitens der Facharztordnungen für Eingriffe am Nervensystem zuständig und werden letztendlich auch die Gutachterfunktion bei Gerichtsverfahren erfüllen.

Neuromodulation und stereotaktische Operationen

Die Neuromodulation ist eine reversible elektrische Beeinflussung neuraler Strukturen. Bereits im 1. Jahrhundert nach Christus, zur Zeit des Kaisers Claudius, verwendete der römische Arzt Scribonius Largus den Torpedofisch, Zitterrochen und Zitteraal in der Therapie arthritischer Gelenkschmerzen und von Kopfschmerzen [1]. Nach der Entwicklung und Implantation des ersten Herzschrittmachers in Stockholm im Jahr 1958 wurde an implantierbaren Neurostimulationssystemen gearbeitet. Die chronische Stimulation des Rückenmarks und des Gehirns kristallisierte sich in den letzten 60 Jahren als eine sehr effektive Therapieoption neuropathischer Schmerzen heraus. Shealy und Mortimer publizierten die erste, damals noch subdurale, chronische Rückenmarkstimulation zur Therapie neuropathischer Schmerzen in den Beinen im Jahr 1967 [2]. In den 1960er Jahren wurde bereits die tiefe Gehirnstimulation beim Menschen in Experimenten und in therapeutischen Ansätzen zur Schmerztherapie eingesetzt [315]. In Ermangelung von vollständig implantierbaren Stimulationssystemen wurden weltweit Läsionen/Verödungen in Schaltstellen des Gehirns, sog. Ausschaltungsoperationen, durchgeführt. 1974 kam die erste vollimplantierbare monopolare Stimulationselektrode auf den Markt. 1981 wurde der erste Prototyp eines vollimplantierbaren Stimulators vorgestellt. Von dieser Zeit an sind vollimplantierbare (geringeres Infektionsrisiko) Stimulationssysteme mit Batterielaufzeiten im Dauereinsatz bis zu 6 Jahren erhältlich. Die neuen seit 2009 erhältlichen wiederaufladbaren Systeme haben eine Lebensdauer von 15 und mehr Jahren oder je nach Hersteller sogar unbegrenzt. Durch die Verwendung von stereotaktischen Apparaten wurden über kleinste Schädeleröffnungen/Trepanationen (5–15 mm) punktgenaue Operationen vorgenommen, um therapieresistente Bewegungsstörungen und pharmakoresistente psychische Störungen zu behandeln.
Diese Apparate stellen die erste Hochtechnologie der modernen Medizin dar. Entwickelt wurden sie zwischen 1880 und 1960. Das Prinzip der Stereotaxie ist, dass ein Rahmen am Patientenkopf befestigt wird, dessen Isozentrum die Raumkoordinaten x = 0 y = 0 und z = 0 darstellt. An diesem Rahmen werden geometrische Lokalizerplatten angebracht, die sich in der Bildgebung (CCT, MRT) darstellen. Mit einem Computer wird der Bilddatensatz in einen dreidimensionalen stereotaktischen Raum umgewandelt, der sich auf den Rahmen am Patientenkopf bezieht. Damit können jedem Punkt im Gehirn die Raumkoordinaten x, y und z zugeordnet werden. An diesem Rahmen am Patientenkopf kann ein Zielbügel angebracht werden, auf dem die Zielpunktkoordinaten eingestellt werden können. Über eine kleine Schädeleröffnung von ungefähr 5–15 mm werden die Gehirnoperationen vorgenommen. Vor Verödung von Gehirnstrukturen wurden diese Strukturen elektrisch mit verschiedenen Stromstärken und Frequenzen stimuliert. Durch die Verwendung ansteigender Stromstärken konnte die Eindringtiefe der Teststimulation in das Hirngewebe verändert werden. Damit konnten benachbarte Strukturen, welche ja immer Funktionen darstellen können, erkannt und später bei der endgültigen Verödung geschont werden. Durch die Stimulation wollte man erkennen, welche Strukturen und Funktionen letztendlich durch die zugehörigen Symptome durch eine Verödung verändert oder gefährdet werden. Hierzu war es sehr wichtig, die Funktionen genau an dieser zu verödenden Stelle zu kennen.
Den Einfluss der Stromstärke haben wir schon angesprochen, ebenso wichtig ist die Frequenz der elektrischen Reizung neuronaler Strukturen. Mit der Anzahl der Stromimpulse pro Sekunde kann festgelegt werden, welchen Effekt der Strom haben wird. Niederfrequente Stimulationen mit 1–80 Hz verursachen eine Aktivierung/Reizung, hochfrequente Stimulationen mit über 100 Hz führen zu blockierenden und inhibierenden Effekten. Mit diesen hochfrequenten Stimulationen/Blockierungen können neuronale Strukturen inhibiert werden – so stark, dass letztendlich im Orchester der Basalganglien alle Mitglieder, wie früher im gesunden Zustand, ihre zugewiesene Lautstärke einhalten.
In der Behandlung von Bewegungsstörungen konnte die tiefe Gehirnstimulation in den letzten 35 Jahren ihre sehr hohe Wirksamkeit unter Beweis stellen [16].
Seit mehr als 2000 Jahren werden läsionelle Verfahren wie Neurotomien und Amputationen am Menschen zur Schmerztherapie durchgeführt. Seit knapp 60 Jahren steht der schmerzleidenden Gesellschaft die Neuromodulation zur Verfügung. Die elektrische Beeinflussung des Nervensystems wechselte das Augenmerk von der Zerstörung schmerzleitender Bahnen und Kerngebiete hin zu einer Beeinflussung schmerzmodulierender Strukturen.
Wir können diese chirurgischen Verfahren in periphere und zentrale Eingriffe unterteilen. Die periphere Nervenstimulation und die „spinal cord stimulation“ (SCS) können von verschiedenen Fachdisziplinen durchgeführt werden. Hier fallen uns Fächer wie Neurochirurgie, Anästhesie, Allgemeinmedizin, plastische Chirurgie, Gefäßchirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie ein. Eingriffe im und am Gehirn sind hingegen nur speziell dafür ausgebildeten Neurochirurg*innen vorbehalten. Sie müssen große Erfahrung in der Methode der tiefen Gehirnstimulation aufweisen. Aus diesem Grund bezeichnen wir letztgenannte Methoden als „spezielle neurochirurgische Schmerztherapie“ und erstgenannte Methoden als „allgemeine neurochirurgische Schmerztherapie“.

Besonderheiten der tiefen Gehirnstimulation

Seit Anfang der 1990er Jahre werden von uns neuromodulatorische Eingriffe und Eingriffe zur tiefen Gehirnstimulation in Innsbruck und München durchgeführt. Kein/keine Patient*in hat bisher eine behindernde, bedrohliche oder gar lebensbedrohliche Schädigung durch diese Eingriffe erlitten. Über 1000 Patient*innen wurden von uns behandelt (weltweit sind es insgesamt über 100.000). Die Methode ist in unserem Verfahren (Abb. 1) sicher und weit von experimentellen Therapieformen entfernt. Die Komplexität der Therapie spiegelt sich in der Anzahl der neurochirurgischen Therapeut*innen im Land und international wider.
Ein Augenmerk sollte auf banale Infektionen wie Harnwegsinfektionen oder kompliziertere Infektionen wie Pneumonien gerichtet werden, da unter solchen Umständen Keime im Bereich der Implantate eine Infektion verursachen können. Eine rechtzeitige und ausreichend lange antibiotische Therapie kann einen Systemausbau verhindern und den Patient*innen neuerliche Schmerzen ersparen.

Dekompressive Verfahren/Neurolyse

Hydrozephalus.
Diese Kopfschmerzform wird gerne in der Schmerzmedizin übersehen oder vernachlässigt, ist aber nicht so selten anzutreffen. Alle beteiligten Ärzt*innen müssen eng und gut zusammenarbeiten, andernfalls könnte die Situation für die Patient*innen schnell fatal und tödlich enden.
Wir finden Liquorzirkulationsstörungen oder einen erhöhten Hirndruck posttraumatisch oder nach Hirnblutungen, Subarachnoidalblutungen oder Stammganglienblutungen mit Ventrikeleinbruch. In einer akuten Situation wird eine externe Ventrikeldrainage angelegt und dadurch eine Entlastung geschaffen. Im chronischen Zustand wird ein ventrikuloperitonealer oder ventrikuloatrialer Shunt angelegt. Wie der Name schon sagt, wird vom Vorderhorn des Seitenventrikels ein Katheter nach intraperitoneal oder in den rechten Vorhof des Herzens verlegt. Dies erfolgt unter der Haut mit Untertunnellungsinstrumenten, sodass letztendlich nur drei bis vier kleine Hautschnitte notwendig sind, um das gesamte System von Kopf bis zum Bauch zu verlegen. Wichtig ist eine Ventilkammer, die seitlich im Kopfbereich im Shunt integriert wird, um genau zu steuern, wann und bei welchem Druck das Ventil sich öffnet und dem Liquorfluss freien Lauf gibt. Ist die Ursache für einen Hydrozephalus eine Abflussbehinderung durch eine Aquäduktstenose im Übergang des 3. Ventrikels zum 4. Ventrikel, so kann über eine Ventrikulozisternostomie durch das Ventrikelsystem eine Öffnung im Boden des 3. Ventrikels erzeugt werden, welcher eine Umgehungsstraße für das Nervenwasser darstellt. Es ist nicht notwendig, einen Fremdkörper wie einen Katheter zu implantieren.
Es gibt auch Hydrozephalusformen, die langsam zu Beschwerden führen, wie der Normaldruckhydrozephalus. Hier kommt es zu einem kleinschrittigen Gangbild, Inkontinenz und kognitiven Defiziten. Durch eine Besserung der Symptomatik nach einer Lumbalpunktion mit ungefähr 30–40 ml Liquordrainage wird die Indikation zur Shuntanlage gestellt.
Occipitalisneuralgie.
Occipitalisneuralgie ist eine Form von Kopfschmerzen im oberen Nacken und im Hinterkopfbereich, dem Verteilungsgebiet des N. occipitalis major, minor, tertius entsprechend. Der Schmerz kann sich dumpf, pochend, brennend aber auch sich scharf und stechend anfühlen. Auch elektrisierende Missempfindungen können sich entlang des Nervenverlaufs ausbreiten. Der Schmerz kann einseitig oder auch beidseitig am Hinterkopf sein. Eine Schmerzausbreitung seitlich über den Kopf bis zur Schläfe aber auch manchmal bis zur Stirn ist möglich. Die Schmerzen können sich bei Bewegungen des Kopfes in den Kopfgelenken (C0 bis C3) verstärken. Eine Verwechslung mit einer Migräne oder Trigeminusneuralgie ist möglich, aber die körperliche Untersuchung und die Schmerzanamnese werden Unterschiede aufdecken und die Diagnose erbringen.
Ursächlich wird eine bindegewebige oder muskuläre Einengung des N. occipitalis an seinem Fasziendurchtritt zwischen dem ersten und dem zweiten Halswirbelbogen diskutiert. Weiters können Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus zu Nervenschmerzen führen. Bei konservativer Therapieresistenz können lokale Infiltrationstherapien, Thermodenervierungen mit Hitze oder Kälte oder Dekompressionsoperationen auf Höhe HWK 1/HWK 2 (Nervenwurzel C2) Abhilfe von den Schmerzen schaffen. Stimulationsverfahren mit subkutanen Elektroden finden ebenfalls Anwendung.
Trigeminusneuralgie.
Die Trigeminusneuralgie hat einschießende, blitzartige, lanzinierende Schmerzen, die plötzlich die Betroffenen „aus heiterem Himmel“ treffen. In der Regel liegt kein sensibles Defizit vor. Ursächlich wird ein pathologischer Gefäß-Nerven-Kontakt in der „root entry zone“ (kurzes Stück vor dem Eintritt des N. trigeminus in den Hirnstamm) des N. trigeminus diskutiert. Hier werden die Nervenfasern nicht vom Myelin ummantelt, sondern mit einer vulnerableren, empfindlicheren Oligodendroglia. Durch die Gefäßpulsationen einer AICA(Arteria cerebelli anterior inferior)- oder PICA(Arteria cerebelli posterior inferior)-Schlinge kommt es zu einer fokalen Demyelinisierung in der „root entry zone“ mit einem Überspringen von sensiblen Afferenzen (Berührung, Sprechen, Kauen, Luftzug etc.) auf nozizeptive Afferenzen.
Die Therapie der typischen Trigeminusneuralgie besteht aus der medikamentösen Therapie mit Tegretol und bei konservativem Therapieversagen chirurgisch mit der mikrovaskulären Dekompression nach Jannetta, Thermokoagulation, Glycerolrhizotomie, Ballonkompression des Ganglion Gasseri, neben der Gamma-Knife-Therapie des N. trigeminus zwischen Hirnstamm und Felsenbeinkante. Die Topographie am Nerv im Kleinhirnbrückenwinkel ist invers zu der Verteilung im Gesicht, das heißt: Die Kompression für eine Trigeminusneuralgie im 3. Ast findet von oben am Nerv und die Kompression für der 1. Ast ist in der Regel von unten aus der Sicht der Chirurg*innen auf den Nerv statt.
Weiters will ich mit dem Märchen aufräumen, dass Tumoren oder Raumforderungen am Trigeminus eine typische Trigeminusneuralgie auslösen könnten. Ein Tumor verursacht eine Hypästhesie im Gesicht, je nach Lokalisation der Raumforderung zum Nerv. Kommt es dennoch zu einschießenden lanzinierenden Schmerzen, dann kommt es durch den Tumor zu einem pathologischen Gefäß-Nerven-Kontakt in der „root entry zone“, was die typische Trigeminusneuralgie unterhält. Der Tumor verlagert also eine Gefäßschlinge an die „root entry zone“ des N. trigeminus. Der Tumor an sich macht primär eine Gefühlsstörung im Gesicht oder falls doch Schmerzen auftreten, würde die Neuropathie mit brennenden Dauerschmerzen sehr viel wahrscheinlicher sein als eine Neuralgie mit einschießenden, lanzinierenden Schmerzen ohne sensorisches Defizit. Natürlich kann man Läuse und Flöhe haben und beide Krankheitsbilder in einer Person vorfinden, aber es ist nicht korrekt, eine Laus als Floh zu bezeichnen.
Als Komplikation einer chirurgischen Therapie kann es zu einer Schädigung des N. trigeminus kommen, mit einem Wechsel zu einer Gefühlsstörung und einem brennenden Dauerschmerz im Gesicht. Das Auftreten eines sensiblen Defizits mit brennenden Dauerschmerzen kennzeichnet den Übergang in eine Trigeminusneuropathie, durch eine Schädigung des trigeminalen somatosensorischen Systems, deren schlimmste Form die Analgesia dolorosa ist.
Die mikrovaskuläre Dekompression nach Jannetta gilt als Goldstandard der invasiven Therapie der typischen Trigeminusneuralgie, gefolgt von läsionellen Verfahren wie der Thermokoagulation des Ganglion Gasseri, der Ballonkompression oder Glycerolrhizotomie des Ganglion Gasseri.
Entgegen Aussagen, wonach eine Thermokoagulation zu einer Gefühlsstörung im Gesicht, der Wange, im Mund und am seitlichen Zungenrand führen kann, ist anzuführen, dass die Gefühlsstörung bei einer Thermokoagulation des Ganglion Gasseri aus physiologischer Sicht obligat ist, denn es fallen zuerst die dicken myelinisierten Nervenfasern aus und zuletzt die dünnen Nervenfasern. Die sensorischen Fasern für Berührung sind die dicksten Fasern im N. trigeminus, gefolgt von den dünneren schmerzleitenden Fasern und zu guter Letzt den dünnen motorischen Fasern. Das heißt, um die nicht so dicken, schmerzleitenden Fasern erreichen zu können, müssen vorher schon die sensorischen Fasern verödet werden, um die schmerzleitenden Fasern ausschalten zu können.
Die Forderung an eine suffiziente Behandlung ist Attackenfreiheit. Das gelingt nur mit einer Gefühlsstörung im Gesicht je nach Verteilung im 2. und/oder 3. Ast. Eine Thermokoagulation im 1. Ast des N. trigeminus (im N. ophthalmicus) sollte nicht durchgeführt werden, denn das würde zu einer sensorischen Störung der Kornea im Auge führen. Die Patient*innen würden es dann nicht spüren, wenn ein Fremdkörper wie ein Staubkorn die Hornhaut des Auges verletzen würde, was zur Hornhautrübung und weiter zur funktionellen Erblindung des betroffenen Auges führen kann.
Für die Ausschaltung des ersten Trigeminusastes verwendet man am besten die Ballonkompression des Ganglion Gasseri mit einem 4‑French-Fogerty-Katheter und 0,75–1,0 ml Kontrastmittel, welches für 1–2 min zur Kompression des Ganglion Gasseri eingesetzt wird. Unter dem Bildwandler wird eine korrekte Lage des Katheters dokumentiert.
Wie kommen wir zum Ganglion Gasseri? Eine Punktion der Wange lateral des Mundwinkels in Richtung Pupille des ipsilateralen Auges unter Röntgenkontrolle führt die Punktionskanüle in das Foramen ovale auf deren Oberseite, auf der Schädelbasisunterseite, das Ganglion Gasseri als Aufteilungsort in die drei Trigeminusäste N. ophthalmicus, N. maxillaris und N. mandibularis.
Es können auch lokale Thermokoagulationen, wie zum Beispiel des N. supraorbitalis, durchgeführt werden. Exhairesen werden nicht mehr durchgeführt und gelten inzwischen als Kunstfehler, denn nach einer kurzen Phase von Schmerzfreiheit mit Gefühlsstörung im Bereich des zugehörigen Nervenastes kommt es zu einem Deafferentierungsschmerz mit einem kaum oder nicht mehr behandelbaren Dauerbrennschmerz im Areal der Gefühlsstörung, Analgesia dolorosa genannt.
Abschließend noch eine kurze Bemerkung zu der Behandlungsmethode Glycerolrhizotomie des Ganglion Gasseri: Der toxische Alkohol Glycerol wird ebenfalls über eine Punktion des Ganglion Gasseri durch das Foramen ovale über eine Wangenpunktion ausgeführt. Neben der Tatsache, dass die Schmerzen der Trigeminusneuralgie zurückgehen und gar verschwinden können, kommt es zu einem toxischen Schaden am N. trigeminus, der dadurch auf ein Drittel seines ursprünglichen Durchmessers schrumpft.
Hypoglossusneuralgie.
Die Betroffenen haben attackenartige, einschießende Schmerzen im Bereich der Ohrregion, der Zunge, des Rachens und der Tonsillen. Eine Reizung des N. glossopharyngeus durch Kauen, Schlucken, Sprechen, Husten, Trinken, Gähnen führt zu einer Reizung des Zungen-Rachen-Nervs mit Schmerzen in den vorbeschriebenen Bereichen im Mund und am Kopf. Pathophysiologisch wird der gleiche Mechanismus wie bei der Trigeminusneuralgie mit pathologischen Cross-Talk zwischen den afferenten somatosensorischen Fasern und den Schmerzfasern in Folge eines neurovaskulären Konfliktes zu Grunde gelegt. Bei Versagen der medikamentösen Therapie mit Tegretol wird ebenfalls eine mikrovaskuläre Dekompression des N. glossopharyngeus durchgeführt.

Interessenkonflikt

W. Eisner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Fußnoten
1
Teil 2 der Miniserie zur Therapie atypischer Gesichtsschmerzen wird in der nächsten Ausgabe der SCHMERZ NACHRICHTEN vorgestellt.
 
Literatur
1.
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Metadaten
Titel
Invasive Verfahren in der Therapie des Gesichts- und Kopfschmerzes – Teil I
verfasst von
Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner
Publikationsdatum
06.09.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schmerz Nachrichten / Ausgabe 3/2022
Print ISSN: 2076-7625
Elektronische ISSN: 2731-3999
DOI
https://doi.org/10.1007/s44180-022-00061-8

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