Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wie entscheidend der interdisziplinäre Austausch zwischen den medizinischen Fachdisziplinen ist, kann kaum besser dargestellt werden als am Beispiel des „metabolischen Syndroms“: Eine effektive und zielführende Diagnostik und Behandlung von Menschen mit metabolischem Syndrom ist nur dann gewährleistet, wenn alle klinischen Charakteristika des metabolischen Syndroms adressiert werden. Hierzu zählen Übergewicht/Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie, Dyslipidämie, Fettleber und Hyperurikämie, um nur die wichtigsten zu nennen.

Der Zusammenhang zwischen schwerem Übergewicht/Adipositas und der Manifestation eines metabolischen Syndroms ist gut belegt. Umso erschreckender ist es, dass die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in den vergangenen Jahren weltweit und auch in Deutschland kontinuierlich gestiegen ist. Noch nie zuvor haben auf der Erde mehr übergewichtige als untergewichtige Menschen gelebt: Seit dem Jahr 1975 ist die Weltbevölkerung zwar gesünder, aber deutlich dicker geworden. Dies zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Publikation [1], in der 1700 Bevölkerungsstudien aus 186 Ländern (Zeitraum 1975–2014) bei 19,2 Mio. Menschen ausgewertet wurden. Diese belegen, dass im Jahr 2014 weltweit 641 Mio. adipöse Menschen (Body-Mass-Index [BMI] > 30 kg/m2) gelebt haben, d. h. 6‑mal so viele wie Mitte der 1970er-Jahre.

Wenn dieser gefährlichen Entwicklung nicht Einhalt geboten werden kann, ist davon auszugehen, dass sich diese Zahl bis zum Jahr 2030 auf 3,3 Mrd. Menschen erhöhen wird. Vergleichbare Daten zeigt das Robert Koch-Institut (Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland [DEGS], Erhebung 2008–2011) mit einer Adipositasprävalenz von knapp 24 % bei Erwachsenen (25- bis 69-Jährige) und einer erschreckenden Adipositasprävalenz von 6 % bei Kindern (3–17 Jahre alt). In Deutschland sind 67 % der Männer und 53 % der Frauen übergewichtig. Besonders alarmierend ist, dass die ausgeprägteste Gewichtszunahme v. a. bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 25 und 34 Jahren festzustellen ist. Dieser Epidemie von Übergewicht und Adipositas kann nur Einhalt geboten werden, wenn konsequent effektive Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge und Ernährungspolitik umgesetzt werden. Ansonsten wird in 10 Jahren voraussichtlich jeder 5. Erdenbewohner ein krankhaftes Übergewicht entwickelt haben.

Die Adipositasprävalenz ist in den vergangenen Jahren weltweit kontinuierlich angestiegen

Die ernsten mit Übergewicht und Adipositas assoziierten Begleit- und Folgeerkrankungen – ganz im Vordergrund das metabolische Syndrom, das mit schweren Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und einem deutlich erhöhten Risiko für verschiedene Krebserkrankungen verbunden ist – stellen für uns als Ärzteschaft von der Prävention, der frühzeitigen Diagnosestellung bis hin zur lebenslangen Therapie der manifestierten Erkrankungen eine große Herausforderung dar.

In dem vorliegenden Themenheft „Das metabolische Syndrom“ wird eindrucksvoll die Interdisziplinarität des Themas abgebildet. Von der Darstellung der Pathogenese und klinischen Charakteristika des metabolischen Syndroms ausgehend werden die aktuellen Aspekte von Diagnostik und Therapie bei metabolischem Syndrom mit arterieller Hypertonie, Dyslipidämie, Insulinresistenz und Diabetes mellitus Typ 2 im Einzelnen behandelt.

Eine Modifikation der Lebensführung ist beim metabolischen Syndrom von besonderer Bedeutung

Von besonderer Bedeutung ist bei Menschen mit metabolischem Syndrom eine Modifikation der Lebensführung, möglichst präventiv bei Übergewicht und Adipositas vor Manifestation weiterer Erkrankungen, aber auch im Verlauf der weiteren Therapie. Diese kann einerseits nur mit hervorragenden ernährungsmedizinischen Konzepten und andererseits der Anleitung zu Sport und Bewegungstherapie erfolgreich sein.

Menschen mit Übergewicht/Adipositas und der Manifestation eines metabolischen Syndroms benötigen eine kontinuierliche, möglichst interdisziplinäre und auch berufsgruppenübergreifende ärztliche, ernährungs- und sportmedizinische Betreuung, um Behandlungsziele zu erreichen und v. a. dauerhaft zu erhalten.

Übergewicht, Adipositas und metabolisches Syndrom sind grundsätzlich ein verhängnisvolles Gespann. Vor allem bei genetisch prädisponierten Menschen kommt es immer häufiger schon im jüngeren Lebensalter zur Behandlungsbedürftigkeit. Wir haben es zweifellos mit einem „Dauerproblem“ zu tun, das vom Arzt und den betroffenen Patienten langfristig nur dann in den Griff zu bekommen ist, wenn eine kontinuierliche, idealerweise auch psychologisch unterstützte Betreuung der betroffenen Personen erfolgt – auch nach erfolgreicher Gewichtsreduktion und Stabilisierung von klinischen Ausprägungen des metabolischen Syndroms unter Einbeziehung der Familie und Berücksichtigung der gesamten Lebenssituation. Auch in Deutschland sollte die Adipositas als eines der wesentlichen Gesundheitsrisiken und Grundlage des gefährlichen metabolischen Syndroms mit allen Ausprägungen wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschlagen als chronische Erkrankung anerkannt werden. Darüber hinaus sollten entsprechende gesundheitspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der „Adipositasepidemie“ mit der Folge des metabolischen Syndroms effektiv umgesetzt werden. Wir hoffen, Ihnen mit dem Themenheft „Das metabolische Syndrom“ eine aktuelle und hochinteressante Fortbildung anzubieten, die Sie in Ihrer täglichen klinischen Arbeit nachhaltig unterstützen soll.

Ihre

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Professor Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger

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Professor Dr. med. J. Riemann