Am 1. September 2017 ist in der Schweiz das neue revidierte Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) in Kraft getreten. Dieses Gesetz ist das Resultat einer 13-jährigen fachlichen und politischen Auseinandersetzung, die unter der nicht ganz umfassenden Bezeichnung „Präimplantationsdiagnostik“ (PID) geführt wurde und an der eine Vielzahl von Personen beteiligt war. Um die Annahme des neuen Gesetzes zu ermöglichen, wurde der Verfassungsartikel 119c der Schweizer Bundesverfassung am 14. Juni 2015 geändert. Dies wurde von 61,9 % der Stimmbevölkerung im Rahmen der Volksabstimmung befürwortet. Am 5. Juni 2016 wurde zudem eine zweite Abstimmung notwendig, um einer Initiative der politischen Gegner der assistierten Reproduktionsmedizin zu begegnen: 62,4 % der Schweizer Stimmbevölkerung befürworteten die Annahme des revidierten FMedG.

Vorgeschichte

Seit dem 1. Januar 2001 werden in der Schweiz die Aktivitäten im Bereich der assistierten Reproduktionsmedizin gesetzlich geregelt. Das sogenannte Fortpflanzungsmedizingesetz wurde gegen Ende der 1990er-Jahre als Reaktion auf eine Volksinitiative formuliert, die ein vollständiges Verbot der Fortpflanzungsmedizin in der Schweiz anstrebte. Als Folge davon entstand ein sehr restriktives Gesetz, ähnlich dem Embryonenschutzgesetz in Deutschland. So war die Kultivierung im Labor von höchstens 3 Embryonen pro Paar und pro Behandlung erlaubt und alle entstandenen Embryonen mussten noch im selben Behandlungszyklus transferiert werden. Die Kryokonservierung von Embryonen war untersagt, sodass nur Eizellen im Vorkernstadium (im Gesetz „imprägnierte Eizellen“ genannt) kryokonserviert werden konnten. Da im Gesetz die Entnahme von Zellen aus dem Embryonalverband verboten war, wurde auch die Präimplantationsdiagnostik verunmöglicht. Als Ausweg blieben nur die Testung der Polkörperchen [1] und bei X‑Chromosom-gebundenen Erbkrankheiten die gezielte Selektion von Samenzellen mit dem X‑Chromosom durch die Aussortierung von Samenzellen mit dem Y‑Chromosom [2].

Transparenter Umgang mit Behandlungsdaten trägt zur Akzeptanz der assistierten Reproduktionsmedizin bei

Viele Jahre lang wurden die restriktiven Richtlinien des FMedG sehr genau befolgt. Die Anzahl der durchgeführten Behandlungen nahm jedes Jahr zu, auch weil schweizweit immer mehr Behandlungszentren entstanden. Die gesamten Behandlungsdaten wurden unter Anonymisierung der Patientendaten auf freiwilliger Basis von FIVNAT-CH [3, 4], einer Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (SGRM), gesammelt und den jeweiligen Kantonsärzten und dem Bundesamt für Statistik (BfS) übermittelt. Diese Transparenz war für die Schweizer Öffentlichkeit sehr wichtig und trägt bis heute sehr zur Akzeptanz der assistierten Reproduktionsmedizin in der Schweizer Bevölkerung bei.

Seit dem Inkrafttreten des FMedG wurden die Abläufe und Techniken der assistierten Fortpflanzungsmedizin qualitativ weiterentwickelt. Die Kulturmedien wurden stetig verbessert, sodass Embryonen in vitro bis zum Blastozystenstadium weiterentwickelt werden konnten. Als Folge davon nahm auch die Entwicklungsfähigkeit der übertragenen Embryonen zu, sodass mehr intakte Schwangerschaften aus weniger Embryonen entstanden. Durch die Einführung der Vitrifikation wurden die Schwangerschaftsraten nach Kryokonservierung von Eizellen und Embryonen verbessert, sodass man in einigen europäischen Ländern dazu überging, nur noch einen Embryo pro Behandlungszyklus zu übertragen. Viele dieser Entwicklungen konnten in der Schweiz nicht umgesetzt werden, da aufgrund der geltenden gesetzlichen Bestimmungen weiterhin alle entstandenen Embryonen zwingend übertragen werden mussten. Obwohl die Schweizer Reproduktionsmediziner freiwillig oft nur noch 2 Eizellen im Vorkernstadium bis ins Embryonalstadium kultivierten (Abb. 1), blieb das Mehrlingsgeburtenrisiko im internationalen Vergleich zu hoch (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Anteil der Behandlungszyklen mit einem, 2 oder 3 Embryonen pro Behandlungszyklus (in %). (Die Daten wurden von FIVNAT-CH zur Verfügung gestellt)

Abb. 2
figure 2

Anteil der Mehrlingsgeburten (Zwillinge oder Drillinge) nach assistierter Reproduktion (in %). (Die Daten wurden von FIVNAT-CH zur Verfügung gestellt)

Durch das im FMedG gesetzlich festgelegte Verbot des Abtrennens von einzelnen Blastomeren aus dem embryonalen Zellverband wurde eine wirksame PID verhindert. Damit die PID gesetzlich zugelassen würde, reichte der damalige Nationalrat Felix Gutzwiler im Nationalrat eine parlamentarische Initiative ein, die am 2. September 2004 mit 13 zu 11 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen wurde. Diese Motion bezweckte die Ausarbeitung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in der Schweiz. Es dauerte weitere 13 Jahre, bis September 2017, bis schließlich das neue, revidierte FMedG in Kraft treten konnte.

Inhalte des revidierten Fortpflanzungsmedizingesetzes

Anzahl der Embryonen

Obwohl die politische Initiative ursprünglich nur die Zulassung der PID bezweckte, mussten für eine erfolgreiche Durchführung der PID die Rahmenbedingungen der Entstehung und Aufbewahrung von Embryonen angepasst werden. So wurde beschlossen, die bisherige maximale Anzahl an Embryonen, die nach einer assistierten Fertilisation entstehen durfte, von 3 auf maximal 12 zu erhöhen. Die Zahl 12 resultierte nicht aus einer wissenschaftlich fundierten Berechnung, sondern war das Resultat eines Kompromisses im Parlament. Der Entscheid beinhaltete die Möglichkeit der Kryokonservierung von maximal 12 Embryonen pro Paar.

Dauer der Aufbewahrung von Gameten und Embryonen

Die bisherige Dauer der Aufbewahrung von Eizellen im Vorkernstadium war auf maximal 5 Jahre beschränkt. Danach mussten diese zwingend vernichtet werden. Die Beschränkung der Kryokonservierungsdauer bezog sich nicht nur auf Eizellen im Vorkernstadium, sondern auch auf unbefruchtete Eizellen und Samenzellen. Angesichts des zunehmenden Bedarfs für die Anlage einer Fertilitätsreserve bei Krebspatientinnen und -patienten wurde im neuen FMedG die Aufbewahrungsdauer auf 10 Jahre verlängert.

Präimplantationsdiagnostik

Im Rahmen der PID wurde das sogenannte „preimplantation genetic testing“ (PGT) bei monogenetisch vererbten Krankheiten zugelassen („preimplantation genetic testing for monogenic defects“ [PGT-M]). Die Zulassung ist auf vorliegende schwere Erbkrankheiten bei einem zukünftigen Kind begrenzt, die vor dem 50. Lebensjahr auftreten und für die es keine sonstige Behandlungsmöglichkeit gibt. Mit der Notwendigkeit einer Begründung der Indikationsstellung wurden schweizweit Beratungsstellen eingerichtet, im Rahmen derer der Entscheid in jedem einzelnen Fall schriftlich und nachvollziehbar begründet wird. Neben dem PGT‑M wurde auch die Bestimmung des Karyotyps zur Suche von Aneuploidien der entstandenen Embryonen im Sinne einer Screeningmethode als reproduktionsmedizinische Maßnahme gesetzlich erlaubt („preimplantation genetic testing for aneuploidy“ [PGT-A]). Im Gegensatz zum PGT‑M ist für die Anwendung des PGT‑A keine Begründung notwendig, jedoch müssen alle Entscheidungsschritte mit dem behandelten Paar transparent dargelegt werden. Zudem ist das „preimplantation genetic testing for structural rearrangements“ (PGT-SR) im Falle einer nachgewiesenen strukturellen Chromosomenanomalie bei einem der Elternteile zulässig. Die Anwendung der PID wird kantonal überwacht. Es besteht eine Meldepflicht für jeden Fall beim Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat nach eingehender Beratung detaillierte Empfehlungen für die Anwendung der PID aufgestellt (https://www.samw.ch).

Auswirkungen auf die Praxis der assistierten Reproduktionsmedizin

Das neue revidierte FMedG hatte sofort Einfluss auf die Anzahl der übertragenen Embryonen. Obwohl das neue Gesetz erst Anfang September 2017 in Kraft trat, wurde bereits 2017 eine signifikante Zunahme des Transfers von nur einem Embryo registriert (Abb. 1). Im Jahr 2018 wurden bereits zweimal so viele Embryotransfers mit nur einem Embryo gemeldet wie 2016. In der Folge sank die Mehrlingsgeburtenrate von Schwangerschaften in Folge von Therapien mittels assistierter Reproduktionsmedizin von 15,9 % 2017 auf 7,8 % 2018 (Abb. 2).

Die Anwendung der PID erfolgte weniger rasch. Die Polkörperchenbiopsie wurde 2017 und 2018 weiterhin angewendet, jedoch nahm parallel dazu besonders die Anzahl des PGT‑A rasant zu. PGT‑M und PGT-SR werden jeweils nur selten angewendet (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Anzahl des PGT-M, PGT‑A, PGT-SR und PGT‑T kombiniert mit PGT‑A sowie der durchgeführten Polkörperchenbiopsien (logarithmisch). In den Jahren 2017 und 2018 wurde kein PGT-SR durchgeführt. PGT‑A „preimplantation genetic testing for aneuploidy“, PGT‑M „preimplantation genetic testing for monogenic defects“, PGT-SR „preimplantation genetic testing for structural rearrangements“. (Die Daten wurden vom Bundesamt für Gesundheit [BAG] zur Verfügung gestellt)

Ausblick

Frage der Kostenrückerstattung

In der Schweiz gilt eine generelle und gesetzlich festgelegte Krankenversicherungspflicht. Im Gegensatz zu Inseminationsbehandlungen, deren Kosten nach schriftlichem Antrag von den Krankenkassen getragen werden, werden in der Schweiz die Behandlungskosten für die assistierte Reproduktion nicht erstattet, auch nicht von einer etwaigen privaten oder halbprivaten Krankenversicherung. Auch für die Anlage einer Fertilitätsreserve bei Krebspatientinnen und -patienten wurden bis vor Kurzem die Kosten von den Betroffenen selbst getragen. Die Krebsliga Schweiz hat Ende 2018 zusammen mit den Fachgesellschaften beim BAG einen Antrag auf Rückerstattung der Kosten für die Anlage einer Fertilitätsreserve gestellt. Diesem Antrag wurde stattgegeben. Seit dem 1. Juli 2019 werden die Kosten für Gewinnung und Kryokonservierung von Ovarialgewebe, Eizellen und Samenzellen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen.

Es ist sehr zu hoffen, dass dieser Entscheid irgendwann auch zur Übernahme der Behandlungskosten für die assistierte Reproduktion bei Paaren mit ungewollter Kinderlosigkeit führen wird. Seitdem es möglich ist, nur noch einen Embryo pro Behandlungsversuch zu übertragen und so Mehrlingsschwangerschaften effektiv zu vermeiden, ist neben der Wirksamkeit auch die Wirtschaftlichkeit der assistierten Reproduktion gewährleistet [5, 6].

Eizellenspende

Die Abläufe bei der Samenspende wurden bereits in der ursprünglichen Fassung des FMedG geregelt. Die Samenspende darf ausschließlich bei verheirateten Paaren eingesetzt werden und ab dem Erreichen der Volljährigkeit ist die Identität des Samenspenders für den durch Samenspende entstandenen Nachwuchs rückverfolgbar.

Einer Legalisierung der Eizellenspende steht das bestehende Familienrecht entgegen

Im Gegensatz zur Samenspende ist die Spende von Eizellen gesetzlich verboten. Einer Änderung steht derzeit das bestehende Familienrecht entgegen. Der Bundesrat (die Schweizer Regierung) hat am 29. Januar 2020 proklamiert, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen sollen, und dieser Entscheid wurde von einer Mehrheit im Nationalrat und kürzlich auch im Ständerat gutgeheißen. Falls diese Tendenz in der Politik zu einer Anpassung des Familienrechts führt, ist eine Erweiterung der Samenspende auf gleichgeschlechtliche Paare die logische Folge wie gegebenenfalls auch die Zulassung der Eizellenspende in der Schweiz.

Fazit für die Praxis

  • Das revidierte Fortpflanzungsmedizingesetz in der Schweiz ermöglicht die Kultivierung von bis zu 12 Embryonen, die Kryokonservierung von Embryonen und die Aufbewahrung über einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren.

  • Die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz haben gezeigt, dass immer häufiger nur ein Embryo übertragen wird. In der Folge gibt es weniger Mehrlingsgeburten nach assistierter Reproduktion.

  • Das neue Gesetz erlaubt ein „preimplantation genetic testing“ auf monogenetische Defekte (PGT-M), strukturelle Chromosomenanomalien (PGT-SR) und Aneuploidien (PGT-A).

  • Die Samenspende ist nur bei verheirateten Paaren erlaubt.

  • Die Eizellenspende bleibt verboten.