Adipositas, Diabetes und Frauengesundheit

Meilensteine in der Entwicklung der künstlichen Befruchtung beim Menschen waren 1961 der erfolgreiche klinische Einsatz der Gonadotropine für die Ovulationsinduktion sowie 1978 die erste erfolgreiche, zur Geburt eines gesunden Kindes führende In-vitro-Fertilisation (IVF). Die kontrollierte ovarielle Hyperstimulation mit Gonadotropinen, die Eizellentnahme und der Embryotransfer (ET) finden bei der assistierten Reproduktion („assisted reproductive technology“ [ART]) naturgemäß im Körper der Frau statt. Allgemein bekannt ist, dass sich ein ungesunder Lebensstil negativ auf die Schwangerschaftsraten auswirkt und das Risiko für Fehl- und Frühgeburten erhöht. Aus diesem Grund sollte die Frauengesundheit einschließlich des Glukosestoffwechsels zu den Vorbereitungen für eine ART-Behandlung gehören, um so die Chancen auf einen erfolgreichen Verlauf mit der Geburt eines gesunden Kindes zu erhöhen. Negative Effekte haben unter anderem Rauchen, Bewegungsmangel, der Konsum von Convenience-Lebensmitteln und Übergewicht.

Durch die ovulatorische Zyklusfunktion kommt es zu hohen Konzentrationen von Östrogenen und Progesteron in der Follikel- bzw. Lutealphase. Der Stoffwechsel reagiert auf die Schwankungen, sodass in der Lutealphase der Glukosespiegel und die Werte des thyreoideastimulierenden Hormons (TSH) ansteigen [15, 23]. Nach erfolgreicher Konzeption ist die Umschaltung des Stoffwechsels auf den Zustand der Schwangerschaft physiologisch. Liegen präkonzeptionell bereits Regulationsstörungen im Glukosestoffwechsel vor, ist eine postovulatorische Glukosetoleranzstörung vorprogrammiert.

Daten des Deutschen IVF-Registers belegen eine erhöhte Abortrate bei adipösen Frauen

Das Deutsche IVF-Register (DIR) hat frauengesundheitliche Aspekte bei der ART-Behandlung im Jahrbuch 2007 und im Rahmen einer Sonderauswertung 2009 untersucht [1, 2]. Ausgewertet wurden unter anderem der Behandlungserfolg und Schwangerschaftsausgang bei adipösen Frauen und auch bei Männern. Auch wenn die Dokumentation des Gewichts bei Frauen und noch mehr bei Männern in den Registerdaten als unsicher und lückenhaft bewertet werden muss, lässt sich doch erwartungsgemäß eine geringere klinische Schwangerschafts- und vor allem eine erhöhte Abortrate bei adipösen Frauen feststellen. Bei Frauen mit einer späten Mutterschaft scheint die präkonzeptionelle Frauengesundheit einen noch höheren Stellenwert zu haben. Denn ein steigendes Alter der Frau hat Einfluss auf die erhöhte Prävalenz von [24]

  • Präeklampsie,

  • Abruptio placentae,

  • Geburtseinleitung,

  • operativer Entbindung,

  • Mehrlingsschwangerschaft,

  • Frühgeburtlichkeit,

  • niedrigem Geburtsgewicht und

  • intrauterinen Wachstumsstörungen.

All diese Schwangerschaftskomplikationen können ursächlich auch in einen Zusammenhang mit Übergewicht bzw. Adipositas und erhöhten Werten des C‑reaktiven Proteins gebracht werden, vor allem aber mit einem nicht diagnostizierten und unbehandelten früh einsetzenden Gestationsdiabetes mellitus (FREGDM). Im Zusammenhang mit Hyperglykämien werden Vaskulogenesestörungen ab dem Zeitpunkt der Implantation und sterile inflammatorische Veränderungen in der Plazenta als Ursache einer Präeklampsie in einer fortgeschrittenen Schwangerschaft diskutiert [11, 20].

Mit großer Sorge wird seit den 1960er-Jahren weltweit die rasche Zunahme von Übergewicht und Diabetes mellitus (DM) Typ 2 beobachtet, zunächst bei Erwachsenen und inzwischen auch bei Kindern. Als wesentliche Mitursache werden epigenetische Faktoren wie ein Gestationsdiabetes (GDM), massive Gewichtszunahme der Mütter in der Schwangerschaft und vor allem auch das Übergewicht beider Eltern gesehen. Zumindest im Tierexperiment konnte nachgewiesen werden, dass das Erkrankungsrisiko für einen DM Typ 2 bereits präkonzeptionell epigenetisch über die Spermien und Eizellen an die Nachkommen weitergegeben wird, gewissermaßen nach dem Motto: „Du bist, was deine Eltern gegessen haben“ [16].

Immer häufiger sind Reproduktionsmediziner mit Hochrisikopatientinnen mit massivem Übergewicht und bereits diabetischer Stoffwechsellage, einer Steatosis hepatis und assoziierten Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie einem Hypertonus und vorausgegangenen Thrombosen konfrontiert. Auch wenn eine optimale präkonzeptionelle Stoffwechsel- und Blutdruckeinstellung gelingt und eine prophylaktische Heparinisierung durchgeführt wird, können mittlerweile praktische Gesichtspunkte zum Ausschluss einer ART-Behandlung führen, beispielsweise das Überschreiten der Tragfähigkeit des Operationstischs ab 135 kg Körpergewicht bei einer Follikelpunktion.

GDM-Risiko als Sterilitätsfaktor und Risikofaktor für Kindergesundheit

Bei genauer Anamnese fällt bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch auf, dass fast immer ein oder mehrere Risikofaktoren für einen GDM vorliegen (Infobox 1). Bekannte Risikofaktoren für habituelle Aborte sind Übergewicht und vor allem eine Insulinresistenz (IR). Bei Kinderwunschpatientinnen nach einer ART-Behandlung scheint eine IR sogar der wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung einer Glukosetoleranzstörung zu sein, wenn man bereits unverzüglich nach positivem Schwangerschaftstest (SST) in der fünften Schwangerschaftswoche (SSW) auf einen GDM testet [4]. Zahlreiche junge Patientinnen haben schon eine angeborene IR, da ihre Mütter übergewichtig waren, in der Schwangerschaft übermäßig an Gewicht zunahmen oder einen GDM entwickelten, oder weil die jungen Patientinnen selbst mit einem zu niedrigen oder zu hohen Gewicht geboren wurden, im Sinne von „small for gestational age“ (SGA) oder „large for gestational age“ (LGA). Im Zusammenhang mit den Risikofaktoren der ART-Mütter können auch angeborene Gefäßveränderungen diskutiert werden, die bei ART-Kindern beschrieben wurden [25]. Das mittlere Alter der Frauen, die in Deutschland eine ART-Behandlung durchführen lassen, ist auf 35 Jahre angestiegen [6]. Damit haben 50 % der Patientinnen bereits aufgrund ihres Alters ein im Vergleich zu jüngeren Frauen 2‑ bis 3‑fach erhöhtes relatives Risiko für einen DM Typ 2 oder einen GDM [24]. Als Ursachen kommen die verminderte Pankreas-B-Zell-Funktion und eine reduzierte Insulinsensitivität in Betracht. Eine Adipositas, die mit zunehmendem Alter gehäuft auftritt, trägt ebenfalls zu einer verminderten Insulinsensitivität bei.

Infobox 1 Risikofaktoren für einen Gestationsdiabetes nach der Fachkommission Diabetes in Bayern 2009. (Aus [3])

  • Body-Mass-Index ≥30 kg/m2 oder Alter ≥35 Jahre

  • Diabetes mellitus bei Eltern/Geschwistern

  • Zustand nach Gestationsdiabetes mellitus

  • Zustand nach Geburt eines Kindes ≥4500 g

  • Zustand nach Totgeburt

  • Zustand nach Geburt eines Kindes mit kongenitalen Fehlbildungen

  • Habitueller Abort

  • Polyzystisches Ovar-Syndrom (PCOS)

  • Symptome, die an einen Diabetes mellitus denken lassen

Das polyzystische Ovar-Syndrom („polycystic ovary syndrome“ [PCOS]) ist nicht nur die häufigste Stoffwechselstörung im reproduktiven Alter der Frau, sondern eine der häufigsten Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch. Entsprechend den inzwischen weltweit gültigen Rotterdam-Kriterien müssen mindestens 2 der 3 folgenden diagnostischen Kriterien erfüllt sein [8]:

  • Anovulation oder Zyklus >35 Tage

  • Ultraschallkriterium (mindestens 12 Follikel <10 mm in mindestens einem Ovar und/oder Ovarvolumen >10ml)

  • Hyperandrogenämie bzw. Androgenisierung

Die eher niedrige Rate von „Hyperandrogenämie/PCO“ mit 4,8 % im Jahrbuch des DIR 2015 ist am ehesten auf eine unvollständige Dokumentation zurückzuführen [6]. Auch wenn man die Indikation „pathologischer Zyklus“ als das diagnostische Kriterium „Zyklus >35 Tage“ für ein PCOS mitzählt, steigt die Inzidenz in den Registerdaten nur auf 12 %. Im Nachbarland Österreich ist das PCOS dagegen mit 36,3 % als frauenbezogene Ursache die häufigste Indikation für eine IVF-Fonds-finanzierte Behandlung [17]. In unserem eigenen ART-Kollektiv war die Inzidenz eines PCOS mit 36,1 % ähnlich hoch [27].

Schwere Fehlbildungen bei geborenen Kindern nach ART-Behandlung werden häufig auf die zuvor durchgeführte In-vitro-Fertilisation und -Kultur zurückgeführt [25], ohne dass die Ursachen ausreichend geprüft werden. So ist bekannt, dass bei Patientinnen mit Diabetes die Inzidenz für Fehlbildungen bis 10 % erhöht ist [19]. Bei einem präkonzeptionell optimiert eingestellten DM ist das Risiko geringer. Teratogene Einflüsse können in der rechnerisch fünften bis sechsten SSW zu Herz- und Hirnfehlbildungen führen. Wird nach einer ART-Behandlung bei positivem SST in der fünften SSW nicht unverzüglich auf einen FREGDM getestet und gegebenenfalls keine GDM-Behandlung begonnen, muss von einem relevanten Risiko für Herz- und Hirnfehlbildungen durch einen unerkannten teratogenen Diabetes ausgegangen werden.

In der Anamnese sollte auch nach einer Diabeteserkrankung der Großeltern gefragt werden

Eltern von Kinderwunschpatientinnen sind häufig in einem Alter, in dem ein DM oft noch nicht diagnostiziert bzw. noch nicht klinisch manifest ist. Die Dunkelziffer liegt in der Altersgruppe von 55 bis 75 Jahren bei 50 % der Gesamtprävalenz [31]. Aus diesem Grund sollte in der Sterilitätsanamnese nicht nur nach einem DM der Eltern und Geschwister, sondern auch nach einer Erkrankung der Großeltern gefragt werden. Eigene Daten lassen vermuten, dass bei etwa 35 % der Patientinnen mit familiärem Diabetes ein GDM bei einer ART-Behandlung bereits zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsbeginns diagnostiziert werden kann [27]. Denn dieser GDM-Risikofaktor erwies sich nach ART-Behandlung bei Testung ab der dritten SSW als signifikanter und stärkster Prädiktor für die Entwicklung eines GDM.

Patientinnen mit einem zuvor noch nicht diagnostizierten DM sind nur ausnahmsweise in einem Kinderwunschzentrum wegen Infertilität vorstellig. Allerdings konnten wir in unserem Kinderwunschkollektiv bei fast 10 % der Patientinnen mit habitueller Abortneigung einen unbehandelten Prädiabetes im Sinne einer gestörten Nüchternglukose bzw. einer gestörten Glukosetoleranz mindestens als Mitursache für die wiederholten Schwangerschaftsverluste feststellen [13].

Früh einsetzender Gestationsdiabetes

Bei einer ART-Behandlung beginnt eine Schwangerschaft rechtlich bereits ab dem ET [7, 12]. Eine erstmals in einer Schwangerschaft diagnostizierte Glukosetoleranzstörung ist als GDM definiert. Diese Erkrankung kann als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden. Somit kann die Überweisung an eine diabetologische Schwerpunktpraxis (DSP) schon ab ET erfolgen. Die Embryonalperiode umfasst den Zeitraum ab der Befruchtung bis zum Abschluss der Organogenese. Diese empfindliche Entwicklungsphase des Menschen sollte ungestört verlaufen. Teratogene sollten vermieden werden, wozu auch der teratogene Diabetes zählt. Vor diesem Hintergrund sollte ein FREGDM unbedingt diagnostiziert und unverzüglich behandelt werden. Diese Sonderform eines GDM umfasst den Zeitraum der Embryogenese bis zur achten SSW post conceptionem.

Die Testung auf GDM erfolgt in einem oralen Glukosetoleranztest (oGTT) standardisiert einschließlich der vorgegebenen Labormethode nach Leitlinie [18]. Die Bewertung wird entsprechend den gültigen Grenzwerten durchgeführt (Tab. 1).

Tab. 1 Diagnostischer oraler Glukosetoleranztest in der Schwangerschaft

Somit wird nach Leitlinie ein GDM in anzunehmender Schwangerschaft ab dem Zeitpunkt eines ET diagnostiziert, wenn mindestens ein Grenzwert überschritten wird. Die HAPO-Studie hat zur evidenzbasierten Festlegung dieser international gültigen Grenzwerte für die Diagnose eines GDM geführt [18]. Sind sie überschritten, muss mit Komplikationen für Mutter und Kind gerechnet werden. Ein manifester DM in der Schwangerschaft liegt vor, wenn ein Nüchternglukosespiegel ≥126 mg/dl (7,0 mmol/l) oder im diagnostischen oGTT ein Glukosewert nach 120 min ≥200 mg/dl (11,1 mmol/l) bestätigt ist. Einstellungsziele für einen GDM nach Leitlinie sind überschritten, wenn in der Selbstmessung die Nüchternglukose >95 mg/dl (>5,3 mmol/l) beträgt und die Glukosewerte postprandial nach 1 bzw. 2 h ≥140 mg/dl (7,8 mmol/l) bzw. ≥120 mg/dl (6,7 mmol/l) liegen.

Basiswissen der klinischen Embryologie im Rahmen eines ART-Zyklus ist, dass auch nur geringste Abweichungen der Kulturbedingungen zu Störungen bei der Befruchtung, der Furchung und der Entwicklung zu einem kompetenten Embryo führen. Hierzu gehören auch Abweichungen der Glukosekonzentrationen im Kulturmedium. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass für eine erfolgreiche Implantation mit nachfolgender erfolgreicher Schwangerschaft die optimalen Kulturbedingungen bei der In-vitro-Embryokultur im ART-Labor auch nach einem ET bei der In-vivo-Embryokultur unverzichtbar sind. Hierzu zählen sicher auch die Blut- und Gewebeglukose bei der ART-Patientin. Daher erscheint ein Überschreiten der Einstellungsziele für GDM anders als in einer fortlaufenden Schwangerschaft sicher intolerabel. Häufig ist eine zusätzliche unverzügliche Insulintherapie notwendig, denn eine unbehandelte Glukosetoleranzstörung kann eine erfolgreiche Implantation behindern oder kann zu einem vermeidbaren Abortgeschehen führen. Die GDM-Leitlinie sieht eine 1‑ bis 2‑wöchige Dokumentation von Blutzuckerprofilen vor Beginn einer zusätzlichen Insulintherapie vor, was für eine fortgeschrittene Schwangerschaft auch ausreichend erscheint. Dieses Vorgehen eignet sich aber nicht für die sensible Implantationsphase.

Eine Erweiterung der derzeit in Überarbeitung befindlichen GDM-Leitlinie um den FREGDM erscheint notwendig. Denn nur bei normalem Glukosestoffwechsel scheinen die Voraussetzungen für die Einnistung eines kompetenten Embryos und für die ungestörte Plazentation von Beginn an ausreichend.

Abklärung von Stoffwechselstörungen vor ART

Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch haben meist ein hohes Risiko für einen GDM. Zudem kann Infertilität als Symptom eines gestörten Glukosestoffwechsels und einer IR gesehen werden. Daher erscheint neben einer sorgfältigen Sterilitätsanamnese unter Einbeziehung der GDM-Risikofaktoren die Abklärung des Glukosestoffwechsels einschließlich der Testung auf IR vor einer ART-Behandlung erforderlich.

An unserem Kinderwunschzentrum profertilita gibt es eine interdisziplinäre FREGDM-Arbeitsgruppe (AG), die sich aus dem Kompetenznetz Endokrinologie entwickelt hat. An der AG sind Schwerpunktdiabetologen, Ernährungs- und Diabetesberater, Embryologen, Reproduktionsmediziner sowie Doktoranden beteiligt. Seit 2012 diskutieren wir hier die Versorgungsoptimierung bei Kinderwunschpatientinnen mit GDM-Risiko. In unserer FREGDM-AG haben wir empirische Grenzwerte für die Glukose- und IR-Testung bei Kinderwunsch festgelegt, wobei die Durchführung entsprechend der Empfehlung des Kompetenznetzes Endokrinologie erfolgt [28]. Die Glukose- und Insulinwerte beschreiben bei unauffälligem Testergebnis eine Glockenkurve. Wir unterscheiden in der Auswertung eines Basis-oGTT eine Glukosestoffwechselstörung (GSS) und eine IR entsprechend den empirischen Definitionen unserer FREGDM-Arbeitsgruppe, zudem unterscheiden wir entsprechend den Definitionen der Fachgesellschaften einen Prädiabetes und einen DM (Tab. 2).

Tab. 2 Basisform des oralen Glukosetoleranztests (75 g) mit Insulinresistenztestung

Unter einer GSS verstehen wir entsprechend den empirischen Grenzwerten unserer FREGDM-AG, dass die diagnostischen Grenzwerte und/oder Einstellungsziele für einen GDM überschritten sind und/oder dass eine gestörte Glukosedynamik im Sinne einer präkonzeptionellen Regulationsstörung im Glukosestoffwechsel bei folgender Konstellation vorliegt: 2. Probe <100 mg/dl (5,6 mmol/l) und/oder 3. Probe > 2. Probe.

Als IR wird nicht nur ein erhöhter Homeostasis-Model-Assessment(HOMA)-Index und/oder ein verminderter modifizierter Insulinsensitivitätsindex (ISI) gewertet, sondern jeweils auch schon die Überschreitung der empirischen Grenzwerte für mindestens einen der drei untersuchen Insulinwerte.

Vor ART erscheint eine Stoffwechseloptimierung zur Verbesserung der Eizellreifung sinnvoll

In der Kinderwunschsituation sind wir überwiegend mit GSS und IR konfrontiert, seltener mit einem Prädiabetes und nur ausnahmsweise mit einem manifesten DM. Vor einer ART-Behandlung erscheint eine präkonzeptionelle Stoffwechseloptimierung zur Verbesserung der Eizellreifung im Sinne einer In-vivo-Eizellkultur vor einer geplanten IVF sinnvoll. Hier empfiehlt sich ein 3‑Säulen-Konzept aus Bewegung, ärztlich verordneter Ernährungsberatung und „off-label use“ von Metformin. Durch die Stoffwechselbehandlung mit Metformin kommt es wahrscheinlich zu einer Verbesserung der Nährstoffversorgung während der Follikulogenese sowie zu einer Verbesserung der Eizellreifung und -kompetenz. Dass die Entwicklungsfähigkeit der Furchungsstadien und Blastozysten bei der In-vitro-Kultur durch Metformin erhöht wird, haben wir beschrieben [22].

In der Untersuchung von Patientinnen mit habitueller Abortneigung kann unter Anwendung unserer empirischen Definitionen bei 98 % aller Patientinnen eine GSS einschließlich eines Prädiabetes (65 %) und/oder eine IR (88 %) diagnostiziert werden ([13]; Abb. 1). Können präkonzeptionell mit dem 3‑Säulen-Konzept die Einstellungsziele für einen GDM nicht erreicht werden, wie sie bei Patientinnen mit Diabetes und Kinderwunsch nach Leitlinie schon bei der Planung einer Schwangerschaft mindestens 3 Monate präkonzeptionell gefordert werden [19], so ist bei der Kinderwunschpatientin zusätzlich auch eine Off-label-Insulintherapie indiziert. Kinderwunschpatientinnen sollten medizinisch nicht schlechter versorgt werden als eine Patientin mit DM, die eine Schwangerschaft plant.

Abb. 1
figure 1

Ergebnisse des oralen Glukosetoleranztests (75g oGTT) mit Abnahmezeiten 0, 60 und 120 min zur Untersuchung auf Glukosestoffwechselstörung (GSS) und Insulinresistenz (IR) bei habitueller Abortneigung. Hohe Prävalenz von GSS und IR (rote Linien). (Adaptiert nach [13])

Voraussetzung für die Umsetzung eines perikonzeptionellen Stoffwechselregimes bei Infertilität ist eine enge Kooperation mit Diabetologen, die sich auf das Thema Kinderwunsch spezialisiert haben. Bei konsequenter Umsetzung dieses Regimes erreichen auch die meisten Patientinnen mit einer habituellen Abortneigung eine erfolgreiche Schwangerschaft mit Geburt [13].

Stoffwechselkontrolle im ART-Zyklus

Weltweit wird Metformin als Begleitmedikament bei der ART-Behandlung erfolgreich eingesetzt, um die Schwangerschaftsraten zu steigern, das Risiko für Aborte zu senken und somit die Lebendgeburtenrate zu erhöhen [9, 30]; Verwendung findet der Wirkstoff vor allem bei PCOS, habituellen Aborten, schlechter Eizellqualität und Hyperinsulinämie. Dosierung und Anwendungsdauer sind sehr unterschiedlich mit einer Dosis meist zwischen 1.500 und 2.000 mg/Tag, einem Behandlungsbeginn schon 3 Monate vor einem ART-Zyklus und einem Behandlungsende in der zwölften SSW. Ein diagnostischer oGTT mit IR-Testung wird vor einer ART-Behandlung meist nicht durchgeführt. Unter Anwendung des 3‑Säulen-Konzepts mit Ernährungsberatung, Bewegung und Metformin beobachteten wir in der Vorbereitungsphase vor der geplanten ART-Behandlung sogar eine spontane Schwangerschaftsrate von etwa 25 %. Vor allem Patientinnen mit PCOS profitierten von diesem Konzept [10], das zu einer Optimierung des Glukosestoffwechsels und einem Abbau der IR führt.

Ein unauffälliges Ergebnis im Basis-oGTT macht keinesfalls eine GDM-Testung überflüssig

Ein unauffälliges Ergebnis im Basis-oGTT mit IR-Testung macht keinesfalls eine Testung auf GDM im Rahmen einer ART-Behandlung überflüssig. Bereits 2011 haben wir erstmals über den FREGDM bei positivem SST nach einer ART-Behandlung berichtet; trotz präkonzeptioneller Metformintherapie betrug die Inzidenz 54 % [4]. Da unklar war, ab welchem Zeitpunkt im ART-Zyklus sich die Glukosetoleranzstörung entwickelt, führten wir später die GDM-Testung bei ART schon in der rechnerisch dritten SSW zum Zeitpunkt des ET bzw. im Implantationsfenster 2–5 Tage postovulatorisch durch. Erstaunlicherweise lag die Inzidenz eines GDM unabhängig von der ART-Behandlung mit Punktionszyklus, nach Auftaubehandlung oder Insemination sogar noch um etwa 15 % höher als bei der Testung erst nach positivem SST [26]. Von den drei Glukosewerten im Basis-oGTT war die Nüchternglukose am ehesten prädiktiv für die Entwicklung eines GDM [27].

profertilita-Stoffwechselkonzept vor, während und nach erfolgreicher ART-Behandlung

Bei der Vorbereitung und Durchführung einer ART-Behandlung arbeiten wir nach einem Zeitstrahl ([5]; Abb. 2) mit einer Abfolge von fünf bis sechs Schritten:

  • Überprüfung der GDM-Risikofaktoren

  • Basis-oGTT

  • Beginn der Therapie mit Metformin bei Risikofaktoren, GSS oder IR in einer Standarddosis von 3‑mal 500 mg

  • Nach Aufdosierung Beginn des ART-Behandlungszyklus

  • Schwangerschafts-oGTT in dritter SSW (2–5 Tage postovulatorisch bzw. nach Follikelpunktion)

  • Falls unauffällig, erneuter Schwangerschafts-oGTT nach positivem SST in fünfter SSW

Abb. 2
figure 2

Zeitstrahl bei profertilita. Basis-oGTT mit Testung auf Insulinresistenz vor Schwangerschafts-oGTT, während und – wenn zuvor oGTT unauffällig – erneut bei pos. SST nach einer Behandlung mit Techniken der assistierten Reproduktion. ART „Assisted reproductive technology“; oGTT oraler Glukosetoleranztest. (Adaptiert nach [5]; Bild Eizelle: © ktsdesign/Fotolia)

Bei der Auswertung des Basis-oGTT wird nicht nur berücksichtigt, ob ein Prädiabetes oder ausnahmsweise ein DM diagnostiziert werden kann, sondern vielmehr ein Augenmerk auf Regulationsstörungen im Sinne von GSS gelegt. Hierzu zählen Abweichungen des Glukose- und Insulinverlaufs von der typischen Glockenkurve oder auch überschießend ansteigende Glukosewerte oberhalb der Einstellungsziele bei GDM (Tab. 2; Abb. 1). Überweisungen an eine DSP erfolgen immer bei pathologischem oGTT (Prädiabetes oder DM). Bei allen anamnestischen Risikofaktoren für einen GDM, einer GSS oder IR wird eine Verordnung für eine Ernährungsberatung im Sinne der Gesundheitsförderung und Prävention ausgestellt und Bewegung empfohlen, zudem wird Metformin in der Standarddosis von 3‑mal 500 mg rezeptiert – im „off-label use“ nach Aufklärung und Einverständnis und nach Prüfung von Kontraindikationen. Dieses Medikament unterstützt übergewichtige Patientinnen auch bei der präkonzeptionellen Gewichtsreduktion [29].

Ab der dritten SSW überweisen wir bei auffälliger GDM-Testung im Sinne eines GDM oder eines manifesten DM in der Schwangerschaft entsprechend Leitlinie tagesgleich oder am folgenden Werktag an eine DSP zu einem Notfalltermin. Zuvor schulen wir die Patientin in der strukturierten Blutzuckerselbstmessung (BZSM) und erhöhen Metformin auf die maximal wirksame Dosis von 2.500 mg/Tag. Sind die Grenzwerte für GDM nicht überschritten, aber besteht anamnestisch oder aufgrund des Verlaufs der Glukosewerte ein Risiko für die zeitnahe Entwicklung eines GDM als mögliche Ursache für eine ausbleibende oder erfolglose Schwangerschaft nach ART, werden die BZSM und diabetologische Mitbehandlung – bei gesetzlich Krankenversicherten als Selbstzahlerleistung – empfohlen. Als Risiko für eine sich entwickelnde, noch nicht diagnostizierbare Glukosetoleranzstörung bewerten wir insbesondere Auffälligkeiten im Glukoseverlauf wie ein Überschreiten der Einstellungsziele für GDM (Probe 2 >140 mg/dl bzw. 8,7 mmol/l, Probe 3 >120 mg/dl bzw. 6,7 mmol/l), aber auch eine gestörte Glukosedynamik (Probe 2 <100 mg/dl bzw. 5,6 mmol/l oder Probe 3 > Probe 2) und/oder grenzwertig hohe Glukosewerte in den Proben 1–3.

Mit unserem Regime konnten wir die Schwangerschaftsraten pro Punktion kumulativ auf 88,1 % steigern, obwohl wir überwiegend nur noch einen Embryo transferieren [21]. Kommt es zu einer fortlaufenden Schwangerschaft, entscheiden sich unsere Patientinnen inzwischen sehr häufig für das Fortführen der Off-label-Behandlung mit Metformin bis zur Geburt. Risiken sind weder für die Mütter noch für die ungeborenen Kinder bekannt. Zahlreiche Länder weltweit setzen bereits Metformin anstelle von Insulin zur medikamentösen Therapie des GDM ein [14].

Resümee

Die Einbeziehung der Stoffwechseldiagnostik in die Sterilitätsdiagnostik, die präkonzeptionelle Stoffwechseloptimierung und auch die Stoffwechselkontrolle im ART-Zyklus verbessern nicht nur die Erfolgsrate einer ART-Behandlung, sondern erhöhen die Wahrscheinlichkeit der natürlichen Geburt eines gesunden Kindes. Ein Kinderwunschzentrum sollte die Basis-oGTT-Testung einschließlich IR im Rahmen der Vorbereitung einer ART-Behandlung selbst anbieten, da diese Diagnostik in der hausärztlichen Versorgung keine Routine ist und die Durchführung in einer DSP wegen Wartezeiten meist nicht zeitnah möglich ist. Gleiches gilt für die GDM-Testung während eines ART-Zyklus ab der rechnerisch dritten SSW. Ein auffälliges Ergebnis zieht hier eine diabetologische „Notfallbehandlung“ nach sich. Denn eine diabetische Stoffwechsellage steht einer erfolgreichen Implantation und fortlaufenden Schwangerschaft entgegen, außerdem bedeutet sie ein teratogenes Risiko. In der Kinderwunschsituation bedeutet ein negativer SST bzw. ein Abortgeschehen nicht nur eine große Enttäuschung, sondern bei den enormen ART-Kosten auch eine wirtschaftliche Belastung der Paare.

Auf Basis der aktuellen Datenlage sollten in der aktuellen Überarbeitung der GDM-Leitlinie die GSS, die IR und der FREGDM sowohl als häufige Mitursache für eine Sterilität und Abortneigung als auch als teratogener Risikofaktor berücksichtigt werden. Denn die Therapie eines FREGDM erfordert ein neues diabetologisches Behandlungsmanagement insbesondere bei ART-Patientinnen als die des GDM ab der 25. SSW. Dabei spielt auch aus frauengesundheitlicher Sicht Metformin eine wichtige Rolle, das weltweit in ART-Behandlungen bereits häufig präkonzeptionell eingesetzt wird und auch zunehmend in der medikamentösen Therapie des GDM an Bedeutung gewinnt.

Fazit für die Praxis

  • Bei Kinderwunschpatientinnen sollten im Rahmen einer Sterilitätsanamnese auch GDM-Risikofaktoren überprüft werden.

  • Die Sterilitätsdiagnostik sollte um einen Basis-oGTT einschließlich einer Testung auf Insulinresistenz erweitert werden.

  • Bei Prädiabetes bzw. Diabetes mellitus sollte die Patientin in einer DSP mitbehandelt werden.

  • Bei positiven Risikofaktoren für einen GDM, einer Glukosestoffwechselstörung oder Insulinresistenz empfiehlt sich eine präkonzeptionelle Stoffwechseloptimierung nach einem 3‑Säulen-Konzept mit Ernährungsumstellung, Bewegung und Off-label-Gabe von Metformin.

  • Der ART-Zyklus sollte dann begonnen werden, wenn der Glukosestoffwechsel für eine Schwangerschaft ausreichend gut eingestellt ist.

  • Eine Testung auf GDM sollte im ART-Zyklus ab der dritten SSW bzw. ab Nachweis einer Schwangerschaft erfolgen. Bei positivem Testergebnis ist ein Notfalltermin in der DSP wünschenswert.

  • Die Metforminbehandlung kann in der fortlaufenden Schwangerschaft in Absprache mit der Patientin individuell weitergeführt werden.

  • Reproduktionsmediziner können die Frauengesundheit stärken und so die Gesundheitsrisiken der Kinder senken.