Die erste Herausforderung für das Team einer Notfallstation besteht darin, diejenigen PatientenFootnote 1, die eine sofortige oder zeitnahe Versorgung benötigen, schnell zu identifizieren. Triageinstrumente helfen derjenigen Person, die den ersten Patientenkontakt hat, die Dringlichkeit einzuschätzen, mit der ein Patient versorgt werden muss.

Triage ist definiert als der Prozess, Notfallpatienten schnell einzuordnen, um die Priorität für die weitere Behandlung festzulegen. Für eine Notfallstation bedeutet dies, den richtigen Patienten den richtigen Ressourcen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zuzuführen [3]. Oft sind es Pflegende, die den ersten Kontakt mit einem neu eintreffenden Patienten haben und die Dringlichkeit abschätzen, mit welcher der Patient versorgt werden muss. Triage durch Pflegende ist ein weltweit – zunehmend auch im deutschsprachigen Raum – verbreitetes Konzept [6] und ein Schlüsselkonzept bei der Versorgung von Notfallpatienten (Abb. 1).

Abb. 1
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Triageraum der Notfallstation des Universitätsspitals Basel

Triage durch Pflegende ist ein weltweit verbreitetes Konzept

Den triagierenden Pflegenden/ÄrztenFootnote 2 stehen unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Der Vorteil eines Triageinstruments besteht darin, dass die Vorgehensweise standardisiert wird und Triageentscheidungen nachvollziehbar werden. Durch die Verwendung von Triagelevels entsteht eine einheitliche Sprache, was die Kommunikation bezüglich der Dringlichkeit, mit der ein Patient behandelt werden muss, erleichtert.

Triageinstrumente, welche Patienten in fünf Dringlichkeitsstufen einteilen, gelten als „State of the Art“. Die bekanntesten fünfstufigen Triageinstrumente sind:

  • Australasian Triage Scale (ATS),

  • Canadian Triage and Acuity Scale (CTAS),

  • Manchester Triage Scale (MTS) und

  • Emergency Severity Index (ESI).

Im Folgenden wird auf die Besonderheiten des ESI eingegangen, für den jetzt erstmals eine autorisierte, wissenschaftlich akkurate deutsche Übersetzung (zum Übersetzungsprozess siehe Infobox 1) vorliegt.

Emergency Severity Index (ESI)

Der ESI ist ein von amerikanischen Notfallmedizinern und -pflegenden entwickelter fünfstufiger TriagealgorithmusFootnote 3. In Studien konnte die gute Reliabilität (Interrater-Reliabilität) und Validität des ESI gezeigt werden [1, 2, 8, 11]. In Ermangelung eines Goldstandards für die tatsächliche Akutheit eines Patienten wird bei der Validierung von Triageinstrumenten auf die prädiktive Validität (erhöhte Wahrscheinlichkeit von Hospitalisation und Mortalität bei niedrigerem Triagelevel und Zusammenhang des Triagelevels mit dem tatsächlichen Ressourcenbedarf als Ersatzgrößen für die tatsächliche Akutheit) fokussiert [9].

Aufgrund einer kontinuierlichen forschungsbasierten Evaluation wurde der ESI mehrfach überarbeitet und liegt inzwischen in seiner vierten Version vor.

Der vermutliche Ressourcenbedarf fließt in die Zuteilung eines Triagelevels ein

Der Triagealgorithmus besteht aus vier Entscheidungspunkten, die von der triagierenden Fachperson abgeschritten werden. Die herausragende Besonderheit des ESI gegenüber anderen Triageinstrumenten ist, dass bei den Patienten, die keine sofortige oder zeitnahe Behandlung benötigen, neben der Akutheit bzw. Dringlichkeit des Leitsymptoms auch der vermutliche Ressourcenbedarf in die Zuteilung eines Triagelevels einfließt (Entscheidungspunkt C). So können Patienten mit komplexen Gesundheitsproblemen von solchen mit weniger komplexen unterschieden und den entsprechenden Behandlungspfaden zugewiesen werden.

Im Unterschied zu anderen Triageinstrumenten existieren beim ESI nur für die beiden niedrigsten Triagelevel Zeitvorgaben, nach denen die Behandlung eines Patienten begonnen sein muss. Bei ESI-Level 1 (höchste Dringlichkeit) muss die Behandlung sofort begonnen werden, bei ESI-Level 2 muss die pflegerische Versorgung (gemäß den institutionsüblichen Protokollen) sofort beginnen und eine erste ärztliche Beurteilung nach 10 min erfolgt sein. Die Festlegung von Zeitrahmen für ESI-Level 3–5 bleibt der jeweiligen Institution überlassen.

Eine Voraussetzung für die Anwendung des ESI sind ein vertieftes medizinisches Wissen und klinische Erfahrung der triagierenden Fachperson.

Da es (im Gegensatz beispielsweise zum Manchester-Triage-System) keine symptomspezifischen Triagekriterien gibt, muss die triagierende Fachperson beispielsweise eine Hochrisikosituation aufgrund ihres Wissens erkennen und den vermutlichen Ressourcenbedarf aufgrund ihrer Erfahrung abschätzen. Im Folgenden werden die vier Entscheidungspunkte A–D des ESI vorgestellt (Auszug aus [4]).

Entscheidungspunkt A

Notwendigkeit sofortiger lebensrettender Maßnahmen

Am Entscheidungspunkt A stellt sich die triagierende Fachperson die Frage, ob es sich um einen akut in seinen Vitalfunktionen bedrohten Patienten handelt. Falls diese Frage mit ja beantwortet wird, ist der Triageprozess beendet und der Patient wird dem ESI-Level 1 zugeordnet. Das Kriterium ist erfüllt, wenn der Patient sofortige lebensrettende Maßnahmen benötigt (Atemwege, Notfallmedikamente) oder sich in einem der folgenden klinischen Zustände befindet:

  • bereits intubiert,

  • Apnoe,

  • Pulslosigkeit,

  • schwerste Atemnot,

  • Sauerstoffpartialdruck (SpO2) <90%,

  • akute Bewusstseinsveränderung sowie

  • nicht ansprechbar.

Beispiele für ESI-Level 1 sind:

  • Herzstillstand,

  • Atemstillstand,

  • Thoraxschmerz mit Kreislaufinstabilität,

  • anaphylaktische Reaktion,

  • Hypoglykämie mit Bewusstseinsveränderung und

  • komatöser (keine Reaktion) Patient mit Foetor aethylicus.

Entscheidungspunkt B

Hochrisikosituation, verwirrt/lethargisch/desorientiert oder starke Schmerzen/großes Leid

Wird die Frage am Entscheidungspunkt A mit nein beantwortet, kommt man zum Entscheidungspunkt B. Die triagierende Fachperson evaluiert, ob dies ein Patient ist, der nicht warten sollte. Drei Situationen kommen in Betracht, diese Frage mit ja zu beantworten:

  1. 1.

    Es besteht eine Hochrisikosituation. Um eine solche zu erkennen, benötigt die triagierende Fachperson medizinisches Wissen und breite klinische Erfahrung. Beispiele für Hochrisikosituationen sind:

    • Thoraxschmerzen bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom bei einem kreislaufstabilen Patienten,

    • Verdacht auf Extrauteringravidität bei hämodynamischer Stabilität,

    • Anzeichen eines Schlaganfalls bei einem Patienten, der nicht die Kriterien für ESI-Level 1 erfüllt,

    • ein suizidaler oder

    • fremdgefährdender Patient.

  2. 2.

    Der Patient zeigt eine neu aufgetretene Verwirrtheit, Lethargie oder Desorientiertheit. Hier ist die Fremdanamnese wichtig. Ist sie nicht verfügbar, muss davon ausgegangen werden, dass eine Veränderung des mentalen Status neu aufgetreten ist.

  3. 3.

    Der Patient hat starke Schmerzen oder erfährt großes Leid. Die Beurteilung von starken Schmerzen basiert auf einer Kombination aus Selbsteinschätzung des Patienten (Schmerzscore ≥7 auf einer Schmerzskala von 0–10) und der klinischen Beobachtung der Fachperson sowie der Möglichkeit, bereits bei der Triage schmerzlindernde Interventionen durchzuführen (Schmerzmittel per os, Eisauflage, Ruhigstellung). Großes Leid kann physisch oder psychisch sein. Beispiele für physisches Leid sind: Harnverhalt oder Priapismus. Psychisches Leid erfahren zum Beispiel Opfer von (häuslicher) Gewalt oder eines sexuellen Übergriffs. Auch Patienten mit Wahnideen oder manische Patienten fallen in diese Kategorie. Sie können nicht in der Wartezone bleiben und benötigen sofortige Betreuung und Interventionen.

Entscheidungspunkt C

Benötigte Ressourcen

Am Entscheidungspunkt C schätzt die triagierende Fachperson ab, wie viele Ressourcen der Patient voraussichtlich benötigt, bis eine Entscheidung über stationäre Aufnahme, Verlegung oder Entlassung gefällt werden kann. Dabei zählen – mit wenigen Ausnahmen – diagnostische und therapeutische Maßnahmen, die über eine körperliche Untersuchung hinausgehen (z. B. Labor, Elektrokardiographie, Bildgebung, Wundversorgung, Tab. 1) als Ressourcen.

Tab. 1 Benötigte Ressourcen

Patienten, die keine Ressourcen benötigen, erhalten ESI-Level 5 und diejenigen, die eine Ressource benötigen, ESI-Level 4. Benötigt der Patient zwei oder mehr Ressourcen, gelangt die triagierende Fachperson zum Entscheidungspunkt D.

Entscheidungspunkt D

Vitalzeichen

An dieser Stelle werden die Vitalzeichen des Patienten beurteilt. Liegen sie außerhalb bestimmter Grenzwerte, muss die triagierende Fachperson erwägen, den Patienten dem ESI-Level 2 zuzuteilen. Sie muss sich fragen, ob die Vitalzeichen in Zusammenhang mit dem klinischen Bild eine Zuteilung zum ESI-Level 2 nötig machen. Ansonsten erhält der Patient ESI-Level 3.

Fazit für die Praxis

Auf der Notfallstation des Universitätsspitals Basel wurden im Jahr 2006 etwa 38.000 Patienten betreut (71% davon ambulant). Im April 2008 wurde in einem multidisziplinären Praxisentwicklungsprojekt der ESI als Triageinstrument eingeführt. Die triagierenden Fachpersonen sind Pflegende mit einer Fachausbildung in Notfallpflege und/oder mit langjähriger Erfahrung in der Pflege von Notfallpatienten. Erste Erfahrungen zeigen eine gute Anwendbarkeit in der Praxis. Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Überprüfung der Validität und Reliabilität für die deutsche Version.

Durch die Anwendung eines strukturieren und wissenschaftlich akkuraten Übersetzungsprozesses des ESI liegt erstmals eine sprachlich adaptierte und autorisierte Version dieses Instruments in deutscher Sprache vor. Pflegende/Ärzte, die Erfahrung in Notfallpflege/-medizin haben und mit dem ESI geschult wurden, sind in der Lage, Patienten bei ihrem Eintreffen auf der Notfallstation schnell, zuverlässig und sicher ihrer Dringlichkeit entsprechend zu erfassen und den nötigen Ressourcen zuzuführen. Das Instrument macht die Entscheidungen transparent und dadurch für das gesamte interdisziplinäre Team nachvollziehbar.