Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 450.000 Menschen neu an Krebs [1]. In den letzten 20 Jahren hat sich die Überlebensrate von Krebspatienten in Deutschland durch die verbesserten Therapiemodalitäten deutlich erhöht. Infektionen stellen bei onkologischen Patienten weiterhin eine relevante Ursache für Mortalität und auch Morbidität dar, die mit längeren Krankenhausaufenthalten und steigenden Kosten einhergehen [2, 6].

Hämatologische und onkologische Besonderheiten

Im Vergleich zu anderen Patientengruppen haben Patienten mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für infektiöse Komplikationen.

Der häufigste Notfall in dieser Patientengruppe ist die febrile Neutropenie

Der häufigste Notfall in dieser Patientengruppe ist die febrile Neutropenie mit einem relevanten Sepsis- und Mortalitätsrisiko. Im vorliegenden Artikel wird auch auf weitere Infektionen eingegangen, die sich ebenfalls zum Notfall entwickeln können. Neben der chemotherapieinduzierten Neutropenie sind verschiedene Risikofaktoren für die Entwicklung von Infektionen zu nennen:

  • tumorbedingte Obstruktion des respiratorischen, gastrointestinalen oder urogenitalen Trakts [3],

  • Störung der Schleimhautbarriere,

  • Veränderungen der mikrobiologischen Flora,

  • Defekte in der humoralen und zellulären Immunität,

  • Störungen der Phagozytose,

  • Splenektomie als Teil der Therapie, tumorassoziierte Immunsuppression,

  • Steroidtherapie,

  • Einsatz von Venenverweilkathetern.

Die Dosisintensität der Chemotherapie korreliert mit der Dauer und dem Nadir der Neutropenie, welche wiederum mit der Inzidenz von Fieber und Infektionen eng verbunden ist [4].

Aufgrund der häufig dosisintensiveren Therapieprotokolle und der meist erkrankungs- oder therapiebedingten Immunsuppression besteht bei hämatologischen Patienten in der Regel eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine Neutropenie zu entwickeln, als bei Patienten mit soliden Tumoren. Daher sind infektiöse Komplikationen in dieser Patientengruppe häufiger und für mehr als die Hälfte der Todesfälle verantwortlich [3, 5].

Beispiele infektiöser Komplikationen

Fieber in Neutropenie

Fieber in Neutropenie stellt einen Notfall bei onkologischen Patienten dar. Fieber kann das einzige Symptom einer Infektion bei diesen Patienten sein. Die Beurteilung des Schweregrads der Infektion wird bei noch klinisch unauffällig erscheinenden Patienten häufig unterschätzt. Grund dafür ist die defekte Wirtsverteidigungslage, sodass typische Entzündungsreaktionen fehlen können. Eine Therapieverzögerung ist allerdings bei bestehenden Komorbiditäten mit einer Mortalität von mehr als 50 % verbunden [6], daher ist die unverzügliche Erkennung und Behandlung des Fiebers in Neutropenie sehr wichtig.

Neutropenie wird von den meisten Leitlinien als eine absolute neutrophile Zahl (stab- und segmentkernige Granulozyten) von <500/µl oder <1000/µl mit zu erwartender Abnahme bis <500/µl in den folgenden 2 Tagen definiert. Als Fieber gilt entweder eine einmalige oral gemessene Körpertemperatur von ≥38,3 °C oder eine Körpertemperatur von mindestens 38,0 °C, die mindestens 1 h dauert oder innerhalb von 12 h 2‑malig nachgewiesen wird [4, 7].

Im Allgemeinen werden febrile Neutropenien, die mehr als 8 Tage dauern, als High-Risk-Erkrankung eingestuft. Neben der Schwere der Neutropenie tragen mehrere Faktoren zu der Morbidität und Mortalität der hämatoonkologischen Patienten bei. So werden die Kriterien gemäß der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC) häufig angewendet, um eine Stratifikation der Patientenrisiken zu ermöglichen und um zu entscheiden, ob eine ambulante oder stationäre Behandlung indiziert ist (Tab. 1).

Tab. 1 Kriterien gemäß der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC)

Die klinische Beurteilung durch das behandelnde Ärzteteam spielt eine wichtige Rolle

Die aktuelle Datenlage weist daraufhin, dass der MASCC-Score allein nicht ausreichend ist, um alle Patienten mit Komplikationen zu erkennen. In einer gepoolten Analyse entwickelten sich bei ≥11 % der Patienten, die mit dem MASCC-Score als Niedrigrisikopatienten klassifiziert wurden, ernsthafte Komplikationen. Andere Faktoren wie fortgeschrittenes Stadium, febrile Neutropenie in der Vorgeschichte, fehlende antibiotische Prophylaxe oder Gabe von „granulocyte colony stimulating factor“ (G-CSF), „poor performance status“ und kardiovaskuläre Begleiterkrankungen sind daher auch zu berücksichtigen. Ein weiterer Score, der Clinical Index of Stable Febrile Neutropenia (CISNE) wird von der ASCO (American Society of Clinical Oncology) empfohlen, um eine bessere Triage der Patienten zu ermöglichen. Letztendlich spielt die klinische Beurteilung durch das behandelnde Ärzteteam eine wichtige Rolle, um das Risiko der Situation einschätzen zu können und über die stationäre Aufnahme des Patienten zu entscheiden ([8], Tab. 2).

Tab. 2 Kriterien gemäß Clinical Index of Stable Febrile Neutropenia (CISNE)

Zu der initialen Diagnostik bei Patienten mit febriler Neutropenie gehören die detaillierte Anamnese bezüglich der erhaltenen Chemotherapie und Dosierung, der vorherigen prophylaktischen antibiotischen Therapie, Steroidtherapie sowie Allergien. Ein Hauttest soll bei angegebener Allergie gegen Antibiose erfolgen, denn mit einem negativen Befund lässt sich die unnötige Gabe von Carbapenem, Aztreonam oder Vancomycin als antibiotische Erstlinientherapie vermeiden. Wichtig ist auch der Rückblick auf frühere mikrobiologische Berichte, v. a. in Bezug auf den Nachweis multiresistenter Keime oder einer Bakteriämie. Eine sorgfältige körperliche Untersuchung, inklusive kardiorespiratorischer Beurteilung und gründlicher Inspektion auf Infektfoci (Haut, Schleimhaut, i.v.-Zugang und Verweilkatheter, Zahnstatus, paranasale Nebenhöhlen, Oropharynx, Lunge, gastrointestinaler Trakt und perianale Region) sind unabdingbar. Bei Patienten in tiefer Neutropenie, unter Steroidtherapie oder mit fortgeschrittenem Alter können die Symptome sehr subtil sein. Auf veränderte Vigilanz, Unwohlsein der Patienten, Hypotonie, und subfebrile oder afebrile Temperaturen ist zu achten, da diese auf eine gramnegative Sepsis hindeuten könnten und eine sofortige Therapie benötigen.

Neben den in der klinischen Routine üblichen Laboruntersuchungen, wie Blutbild, Gerinnungswerte, Leber- und Nierenfunktion, C‑reaktives Protein, Laktatdehydrogenase (LDH) und Urinstatus, sind mindestens 2 Blutkulturen, z. B. aus beiden Armen, unerlässlich. Wurde bei dem Patienten ein zentraler Venenkatheter (ZVK) gelegt, sollen Blutkulturen, am besten aus jedem Katheterlumen, abgenommen werden. Eine Differenz von ±2 h in Umschlagzeiten zwischen den zentralen und peripheren Blutkulturen könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen katheterbedingten Infekt hinweisen. Während einer prolongierten Neutropeniephase ist die regelmäßige Durchführung der genannten routinemäßigen Blutuntersuchungen, z. B. 2‑mal in der Woche, zu empfehlen. Die Bestimmung von Laktat, Blutgasanalyse und Gerinnung kann zur Erkennung einer Sepsis dienen. Daten für die Bestimmung weiterer Entzündungsmarker wie Procalcitonin und Interleukin‑6 zur Verlaufskontrolle sind jedoch umstritten [4, 8].

Hochrisikopatienten sollen stationär aufgenommen werden und eine i.v.-Antibiose erhalten

In der Gruppe der Niedrigrisikopatienten könnte eine orale antibiotische Therapie möglich sein, vorausgesetzt, dass der Patient sich im hämodynamisch stabilen Zustand befindet, keine akute Leukämie oder ein Endorganversagen hat, und dass Infektionen wie Pneumonie, Verweilkatheter- und/oder schwerer Weichteilinfekt ausgeschlossen sind [7]. Hochrisikopatienten sollen dagegen stationär aufgenommen werden und eine i.v.-Antibiose erhalten. Die frühzeitige empirische Gabe einer Antibiotikatherapie, unmittelbar nach der Abnahme von Blut- und Urinkulturen, wird in den meisten Leitlinien hervorgehoben. Dabei soll die Therapie unverzüglich, innerhalb von 1 h nach der Erstvorstellung und spätestens 2 h nach Beginn des Fiebers, eingesetzt werden, ohne Abwarten des mikrobiologischen Befundes [4, 7, 8]. Die erhaltene prophylaktische Therapie mit Chinolonen soll dann abgesetzt werden. In Tab. 3 wird die empfohlene antibiotische Therapie zusammengefasst.

Tab. 3 Antibiotische Therapie für den Niedrigrisiko- und Hochrisikopatienten mit febriler Neutropenie

Die kombinierte antibiotische Therapie ist bei der aktuellen Datenlage der antibiotischen Monotherapie nicht überlegen. Auch zeigte die kombinierte antibiotische Therapie bezüglich der Resistenzentwicklung keinen Vorteil [9]. Diese könnte jedoch bei erhöhter Prävalenz multiresistenter Keime in Betracht gezogen werden. Dabei bestünde die Kombination aus β-Laktam-Antibiotika mit Antipseudomonasaktivität und z. B. mit Aminoglykosiden. In Fällen von schwerer Mukositis, Haut- oder Weichteilinfektionen, Fremdkörperinfektionen oder nachgewiesenem MRSA (methicillinresistentem Staphylococcus aureus) könnte eine Kombination mit Vancomycin, Teicoplanin oder Linezolid verwendet werden [4]. Das therapeutische Drugmonitoring mittels Medikamentenspiegel soll bei dem Einsatz von Vancomycin aufgrund des erhöhten Risikos einer Nephrotoxizität durchgeführt werden.

Bei Patienten mit nachgewiesener Besiedlung durch vancomycinresistente Enterokokken kann derzeit die Hinzunahme von Linezolid aufgrund des fehlenden Vorteils und des Thrombopenierisikos nicht empfohlen werden [4].

Febrile Neutropenie mit Lungeninfiltraten

Lungeninfiltrate können bei bis zu 25 % der Patienten mit schwerer und prolongierter Neutropenie nachgewiesen werden [10]. Zu den möglichen kausalen pathologischen Keimen gehören Aspergillus spp., Pneumocystis jirovecii, Mycoplasma pneumoniae, Chlamydia pneumoniae, Legionellen, Nocardia asteroides, multiresistente gramnegative Bakterien, Mykobakterien, respiratorische Viren sowie Fadenpilze.

Bei Patienten mit febriler Neutropenie und respiratorischen Symptomen ist die Mehrschicht- oder hochauflösende Computertomographie der Lunge das diagnostische Mittel der Wahl. Bei den meisten Patienten ist die Anwendung von Kontrastmittel nicht erforderlich. Alternativ kann die Durchführung einer Magnetresonanztomographie vorgenommen werden. Die Diagnostik soll innerhalb von 24 h nach Indikationsstellung stattfinden ([7, 10], Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Bild einer Aspergillusinfektion der Lunge bei einem Patienten mit akuter Leukämie

Die Diagnostik soll innerhalb von 24 h nach Indikationsstellung stattfinden

Beim positiven Nachweis von Infiltraten soll eine bronchoalveoläre Lavage, aus dem das auffällige Areal versorgenden Segmentbronchus, erfolgen. Auch diese soll innerhalb von 24 h nach Indikationsstellung durchgeführt werden, sofern keine kritische Hypoxämie vorliegt. Die Aufarbeitung der bronchoalveolären Lavage umfasst die Polymerasekettenreaktion (PCR) für Mycobacterium tuberculosis, PCR und direkte Immunfluoreszenz für Pneumocystis jirovecii, Aspergillusantigen (Galactomannan-ELISA, „enzyme-linked immunosorbent assay“) sowie Bakterienkulturen inklusive Legionella spp. und Mykobakterien. Außerdem werden auch PCR für Zytomegalievirus (CMV), Respiratory-Syncytial-Virus, Influenza A/B, Parainfluenza 1–3, Metapneumovirus, Adenovirus sowie Varizella-Zoster-Virus empfohlen.

Eine antimykotische Therapie soll beim Nachweis von Infiltraten begonnen werden, die nicht typisch für eine Pneumocystispneumonie oder eine bakterielle Lobärpneumonie sind. Therapie der Wahl ist Voriconazol oder liposomales Amphotericin B [11]. Beim bildgebenden Verdacht auf Pneumocystispneumonie und einer neu aufgetretenen LDH-Erhöhung soll eine Therapie mit hochdosiertem Trimethoprim-Sulfamethoxazol auch vor der Durchführung einer bronchoalveolären Lavage erfolgen. Nach einer erfolgreichen Therapie sollen die Patienten eine orale Sekundärprophylaxe erhalten. Bei Patienten mit Nachweis von Pseudomonas aeruginosa sollte eine Therapie mit pseudomonaswirksamen β‑Laktamen wie Piperacillin/Tazobactam, Ceftazidim, Imipenem/Cilastatin, Meropenem oder Cefepim in Kombination mit einem Aminoglykosid verwendet werden. Bei Kontraindikationen gegen Aminoglykoside könnte stattdessen Ciprofloxacin zum Einsatz kommen [7, 10].

In Fälle der auftretenden respiratorischen Insuffizienz soll eine intensivmedizinische Behandlung unter einem multidisziplinären Expertenteam zur Verfügung stehen.

Invasive Pilzinfektionen

Persistierendes Fieber ≥96 h oder Rezidiv des Fiebers bei neutropenischen Patienten unter antibiotischer Therapie könnte ein Hinweis auf Pilzinfektion darstellen. Die Möglichkeit einer invasiven Pilzinfektion erfordert hohe Aufmerksamkeit, da diese mit signifikanter Morbidität und Mortalität einhergeht [2]. Zu Beginn steht eine empirische antimykotische Therapie zur Verfügung. Bei Patienten, die schon prophylaktisch Voriconazol oder Posaconazol erhielten und keine klinischen Hinweise auf invasive Pilzinfektionen zeigen, ist eine Umstellung der antimykotischen Therapie nicht empfohlen. Bei Fieberpersistenz, klinischer Verschlechterung oder Instabilität ist eine Umstellung auf Caspofungin oder liposomales Amphotericin B indiziert [4, 12].

Eine Wiederholung der CT-Untersuchung mit Durchführung einer Aspergillus-Galaktomannan-PCR ist bei persistierendem Fieber gerechtfertigt, da bei einem positiven Befund eine spezifische antimykotische Therapie (in Einzelfällen auch inklusive chirurgischer Resektion) notwendig sein können [13].

Sepsis bei neutropenischen Patienten

Die Mortalität der neutropenischen Patienten, die sich im septischen Schock befinden, ist mit einem Wert von bis zu 50 % sehr hoch [6]. Die tägliche Untersuchung von Patienten mit Neutropenie und Infektzeichen spielt daher eine sehr wichtige Rolle für die frühzeitige Erkennung von Zeichen einer Infektionsquelle und möglichen Sepsisursache. Die Diagnose von Sepsis und septischem Schock unterscheidet nicht zwischen den neutropenischen und nichtneutropenischen Patienten. Die Definition der Sepsis umfasst den Score „quick Sepsis-related Organ Failure Assessment“ (qSOFA) und den Nachweis von Organdysfunktionen. Bei Notwendigkeit der Gabe von Vasopressoren, um einen mittleren arteriellen Druck von ≥65 mm Hg zu erreichen, trotz adäquater Flüssigkeitsgabe, und Serumlaktat von ≥2 mmol/l ist die Diagnose septischer Schock gesichert [14].

Im Allgemeinen sollen beim Nachweis von Sepsis/septischem Schock die Behandlungsziele, Prognose und der Patientenwillen geklärt werden. Neutropenische Patienten mit Indikation zur intensivmedizinischen Behandlung sollen akut – und nicht verzögert – auf die Intensivstation aufgenommen werden. Dies gilt auch für unklare klinische Situationen, deren weitere Einschätzung erst im Verlauf der intensivmedizinischen Therapie geklärt werden kann. Multidisziplinäre Konsultationen zwischen den behandelnden Onkologen und Intensivmedizinern sollen täglich erfolgen, um die Therapieplanung festzulegen und ggf. die Umsetzung des Behandlungskonzepts zu prüfen.

Eine antibiotische Therapie mit pseudomonaswirksamen Antibiotika ist bei Sepsis sofort einzuleiten

Eine empirische antibiotische Therapie mit pseudomonaswirksamen Antibiotika ist bei Sepsis sofort einzuleiten. Mittel der Wahl sind Piperacillin/Tazobactam, Meropenem oder Imipenem/Cilastatin [15]. Bei septischem Schock kann eine Kombination mit einem Aminoglykosid erwogen werden. Die Therapie mit Aminoglykosid kann im Verlauf bei Stabilisierung des Patienten oder Nachweis von β‑Laktam-sensitiven Keimen abgesetzt werden. Bei persistierender kardiorespiratorischer Instabilität ist die Erweiterung mit einer antimykotischen Therapie zu erwägen [16]. Die Therapie mit Kortikosteroiden ist von unklarer Bedeutung und ist individuell je nach Schwere der Sepsis sowie der hämatoonkologischen Grunderkrankung zu entscheiden.

Die Suche nach einer möglicher Infektquelle soll nicht verzögert werden, auch wenn dafür ein chirurgischer Eingriff oder eine CT-gesteuerte Punktion benötigt wird. Bezüglich der Flüssigkeitssubstitution, Verwendung von Katecholaminen, Transfusion von Blutprodukten, Reanimationsmaßnahmen, Sedierung und Analgesie, mechanischer Beatmung, Physiotherapie, Blutzuckerkontrolle, Nierenersatztherapie, Bikarbonatgabe und Stressulkusprophylaxe gibt es keinen Unterschied zu den nichtneutropenischen Patienten [16]. Zur Thromboseprophylaxe wird derzeit die Anwendung von unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin empfohlen, solange keine Kontraindikation vorliegt. Weder Granulozytensubstitution noch G‑CSF als ergänzende Therapie bei Sepsis und septischem Schock werden empfohlen, zumal das Risiko einer respiratorischen Verschlechterung mit Entwicklung eines ARDS („adult respiratory distress syndrome“) bei G‑CSF-induzierter Erholung der Granulozyten nach einer Neutropeniephase besteht.

ZNS-Infektionen

Infekte des zentralen Nervensystems (ZNS) stellen bei allen Patienten einen Notfall da. Für Patienten mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen, v. a. Patienten mit Zustand nach allogener Transplantation, besteht mit bis zu 15 % eine signifikante Inzidenz von ZNS-Infektionen [17]. Auslösende Erreger sind in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 2
figure 2

Bild einer Herpesenzephalitis links temporomesial bei einem immunsupprimierten Patienten

Die Diagnosestellung einer ZNS-Infektion kann eine große Herausforderung darstellen, da klinische und neurologische Symptome unspezifisch sind oder durch Nebenwirkungen von Chemotherapie oder Immunsuppressiva hervorgerufen werden können. Ferner ist die Differenzierung zwischen ZNS-Infektion, Grunderkrankung (z. B. ZNS-Metastasen) und Begleiterkrankungen (wie progressive multifokale Leukoenzephalopathie bei Patienten mit HIV, Humanimmundefizienzvirus) nicht einfach. Zur Diagnosestellung werden mindestens eine neuroradiologische Bildgebung (bevorzugt MRT), eine Liquordiagnostik und eine eventuelle Biopsie verdächtiger Herde benötigt. Zu berücksichtigen sind typische Infektionen bei spezifischen Patientengruppen (z. B. Kryptokokkenmeningitis oder zerebrale Toxoplasmose bei vorhandenem Defekt der T‑Zell-Immunität oder verminderter Makrophagenfunktion) sowie lokale endemische pathologische Erreger, wie Histoplasma capsulatum, Mycobacterium tuberculosis und Toxoplasma spp. (Tab. 4).

Tab. 4 Auslösende Erregern der ZNS-Infektionen bei hämatoonkologischen Patienten

Gastrointestinale Komplikationen

Die Inzidenz gastrointestinaler Komplikation ist bei onkologischen Patienten deutlich erhöht und involviert je nach Therapie unterschiedlich stark verschiedene Bereiche des Gastrointestinaltrakts (von Mundhöhle bis Analregion). Im oberen Gastrointestinaltrakt treten insbesondere nach kombinierter Radiochemotherapie oder modernen zielgerichteten Therapien wie z. B. Tyrosinkinaseinhibitoren, mTOR-Inhibitoren („mammalian target of rapamycin“) oder Antikörper Fälle von Mukositis, Candida- und/oder Herpesinfektionen auf [7, 18]. Bei schwerer Mukositis ist häufig eine parenterale Ernährung erforderlich, die jedoch das Risiko sekundärer Katheterinfektionen birgt [18, 19].

Bei vesikulären labialen oder enoralen Läsionen sollte vor Beginn der empirischen Therapie mit Aciclovir eine Probe entnommen werden. Die Therapie mit Ganciclovir (oder Foscarnet) ist nur bei hochgradigem Verdacht auf eine Infektion mit CMV indiziert [7].

Bei schwerer Mukositis ist häufig eine parenterale Ernährung erforderlich

Im unteren Gastrointestinaltrakt stellen bei Symptomen wie Diarrhö und Kolitis – neben der Therapie derselben – v. a. die Diagnostik und deren Abgrenzung zu Nebenwirkungen antineoplastischer Therapien und moderner zielgerichteter Therapien (z. B. Tyrosinkinaseinhibitoren und Immuncheckpointinhibitoren) die führenden Probleme dar [20,21,22]. Bei Diarrhöen (≥3 weiche Stühle/24 h) sollte initial die Stuhlbeurteilung hinsichtlich Farbe, Konsistenz und Beimengungen von Blut oder putriden Materials erfolgen. Anamnestisch gilt der vorherigen Einnahme von Antibiotika und weiterer Medikationen (Protonenpumpeninhibitoren) besonderes Augenmerk [21, 22].

Als supportive Maßnahme muss eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Elektrolyten erfolgen. Die Entscheidung zur parenteralen Ernährung erfolgt abhängig von weiteren Risikofaktoren (Komorbiditäten, Mangelernährungsrisiko) [21, 22].

Die initiale diagnostische Aufarbeitung sollte infektiöse von nichtinfektösen Ursachen bei Durchfällen trennen. Bei neutropener Enterokolitis kann jedoch empirisch frühzeitig eine Therapie mit einem Breitspektrumantibiotikum eingeleitet werden (Piperacillin/Tazobactam, Imipenem/Cilastin oder Meropenem) [22]. Bei Clostridium-difficile-assoziierter Diarrhö steht zur Behandlung Vancomycin und Fidaxomicin an erster Stelle. Der Toxin B bindende Antikörper Bezlotoxuzumab kann in Einzelfällen zur Sekundärprophylaxe genutzt werden. Metronidazol ist in der Behandlung nur von geringem Stellenwert und sollte nicht mehr routinemäßig verabreicht werden [22].

Die Therapie der Diarrhöen durch andere bakterielle Ursachen (nichttyphöse Salmonella spp., Shigella spp., Campylobacter spp., Yersinia spp.) umfassen Ciprofloxacin und Ceftriaxon. Carbapenem oder Azithromycin kann bei Diarrhöen durch Shigatoxin produzierende E. coli erwogen werden. Virale Ursachen einer Gastroenteritis werden primär supportiv behandelt, jedoch kann bei schwerer Adenovirusenteritis Cidofovir erwogen werden. Nach Nachweis einer CMV-Enteritis sollte die Behandlung mit Ganciclovir eingeleitet werden [21, 22].

Hepatitis (fulminante Verlaufsform)

Eine Hepatitis-B-Infektion verläuft meist schwerer als eine Hepatitis-C-Infektion [26]. Ein Risiko zur Reaktivierung einer Hepatitis B besteht prinzipiell bei jeder Art von Immunsuppression. Ein besonders Risiko konnte für verschiedene Zytostatika nachgewiesen werden: 5‑Fluorouracil (5-FU), Cisplatin, Anthrazykline, Vincaalkaloide, Methotrexat, Cyclophosphamid, Etoposid und Everolimus nachgewiesen werden [24]. Grundsätzlich wird die Reaktivierungsrate bei soliden Erkrankungen unterschätzt. Klinisch kann sich das Bild eines fulminanten Leberversagens mit Ikterus, Koagulopathie, Fieber und Enzephalopathie entwickeln.

Im Vergleich wurde in Studien gezeigt, dass eine prophylaktische einer therapeutischen antiviralen Behandlung überlegen ist, um Leberversagen zu verhindern. Mit einer prophylaktischen antiviralen Strategie kann auch die Intensität der antitumoralen Therapie ohne relevante Unterbrechung verhindert werden [23, 25, 26]. Für hämatologische Patienten unter R‑CHOP-Therapie (Rituximab, Cyclophosphamid, Hydroxydaunorubicin, Vincristin, z. B. Oncovin®, Prednison) mit positivem Nachweis des HBs-Antigens wurde die Überlegenheit einer Prophylaxe mit Entecavir im Vergleich zu Lamivudin nachgewiesen [27]. Es wurden mit Entecavir weniger HBV-Infektions-Reaktivierungen beobachtet. Das gesamte Therapiespektrum reicht von der beschriebenen konservativ-medikamentösen Behandlung bis zur Option der Lebertransplantation.

Myokarditis

Die Myokarditis ist eine heterogene Krankheitsentität mit variablem Krankheitsbild von asymptomatisch bis fulminant. Bei onkologischen Patienten ist neben einer infektiösen Genese auch eine therapieassoziierte Genese durch 5‑FU, Rituximab und auch Immuntherapeutika möglich [28]. Für Immuntherapeutika wird sie als seltene Nebenwirkung bei Ipilimumab, Nivolumab, Pembrolizumab, Atezolizumab, Avelumab und Durvalumab beschrieben [29]. Als infektiöse Ursache sind v. a. Viren der Gruppe Enteroviren, Adenoviren, Influenzaviren, humanes Herpesvirus 6 (HHV-6), Epstein-Barr-Virus, CMV, Hepatitis-C-Virus und Parvovirus B 19 in Betracht zu ziehen. Aber auch Bakterien, Protozoen und Pilze können Auslöser sein. Zur Diagnosestellung sind Echokardiographie, Kardio-MRT und serologische Untersuchung hilfreich. Für die Sicherung der Diagnose wird eine endomyokardiale Biopsie empfohlen [30]. Die Therapie variiert je nach Pathogen und Symptomen.

Katheterinfektionen

In vielen Situationen ist bei onkologischen Patienten die Anlage eines zentralvenösen Zugangs (nichtgetunnelt/getunnelt, PICC/„peripherally inserted central venous catheter“, Port) indiziert oder hilfreich [19, 31].

Um die Diagnose Katheterinfektion festzustellen, müssen folgende Kriterien erfüllt sein: positiver Blutkulturbefund aus dem ZVK mit einer Umschlagszeit ≥2 h vor Umschlagszeit des peripheren Kulturbefundes, DTTP („differential time to positivity“), oder eine 3‑fache Menge an Kolonien in ZVK-Kulturen [32].

Die Entfernung des Katheters sollte zwingend bei klinischer Instabilität oder einem Nachweis von Staphylococcus aureus oder Candida spp. erfolgen [19, 32].

Bei klinischer Stabilität besteht die Möglichkeit, den Katheter zu erhalten

Bei klinischer Stabilität besteht die Möglichkeit, den Katheter zu erhalten. Hierfür wird via „antibiotic lock“ (ALT) der Katheter entsprechend dem Kulturbefund mit einem Antibiotikum geblockt. Bei grampositiven Befunden kommt häufig Vancomycin, bei gramnegativen Gentamycin und bei Pilzen Amphotericin B zum Einsatz [19, 32].

Die initiale systemische antibiotische Therapie mit Vancomycin oder Teicoplanin verbessert das Outcome nicht und sollte nach kulturellem Befund resistenzgerecht eingesetzt werden [32].

Fazit für die Praxis

  • Die Erkennung eines Infekts bei onkologischen Patienten und die Abgrenzung von anderen therapieassoziierten Nebenwirkungen ist eine Herausforderung.

  • Die frühzeitige Einleitung der Therapie mit einem empirischen Breitbandantibiotikum ist entscheidend für das Überleben der Patienten, die sich in der Notfallsituation der febrilen Neutropenie befinden.

  • Persistierendes Fieber erfordert eine Reevaluation der Ursache und Behandlung.

  • Sepsis bei Neutropenie weist eine hohe Mortalität auf.

  • Das diagnostische und therapeutische Vorgehen, inklusive intensivmedizinischer Maßnahmen, sind deshalb weitgehend identisch wie bei nichtneutropenischen Patienten.

  • Frühzeitige bildgebende Untersuchungen sind beim Verdacht auf eine Infektion wichtig, um die weitere Abklärung und Therapie einzuleiten.