Skip to main content
Log in

Historische Schmerzkonzepte

Kulturelle Einflüsse auf Schmerzempfindung und -deutung

Historical pain concepts

Cultural influences on pain perception and interpretation

  • CME
  • Published:
Der Schmerz Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Im Zeitalter der Globalisierung und kulturellen Diversifizierung spielen unterschiedliche Schmerzkonzeptionen in der Patientenversorgung eine immer größere Rolle. Historische Modelle von Schmerzentstehung und -deutung, die in diesem Beitrag kursorisch und exemplarisch vorgestellt werden, können helfen, die Vielfalt moderner Konzepte außerhalb der Medizin zu verstehen. Schmerz wurde nicht nur innerhalb von Religion und Philosophie, sondern auch von vormodernen Ärzten prinzipiell als ein psychophysisches Phänomen gedeutet, das entscheidend von der Determination durch eine „Seele“ bestimmt ist. Dadurch ergaben sich auch vor der Entdeckung wirksamer Analgesie therapeutische Optionen. Darüber hinaus können historische Sinngebungen des Schmerzes innerhalb und außerhalb der Medizin auch heute noch große Bedeutung für Patienten besitzen.

Abstract

In the age of globalization and cultural diversification differing concepts of pain in patient care are of increasing importance. Historical models of the origin and interpretation of pain, which in this article are presented in a cursory and exemplary way, help to understand the panoply of modern concepts outside of medicine. Basically, pain was viewed not only in religion and philosophy but also by premodern physicians as a psychophysical phenomenon crucially depending on the determination by a “soul” therefore creating therapeutic options even before the discovery of an effective analgesia. Furthermore, the historical interpretations of pain in and outside of medicine can still be of profound importance to patients even today.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Institutional subscriptions

Abb. 1
Abb. 2

Literatur

  1. Eisenberger NI (2012) The neural bases of social pain: evidence for shared representations with physical pain. Psychosom Med 74(2):126–135

    Article  PubMed  PubMed Central  Google Scholar 

  2. Le Breton D (2003) Schmerz. Eine Kulturgeschichte. Diaphanes, Zürich

    Google Scholar 

  3. David M, Braun T, Borde T (2004) Schmerz und Ethnizität – Ergebnisse einer Befragung an drei internistisch/gynäkologischen Rettungsstellen in Berlin. Zentralbl Gynakol 126:81–86

    Article  CAS  PubMed  Google Scholar 

  4. Zborowski M (1969) People in pain. Jossey-Bass, San Francisco

    Google Scholar 

  5. Bates M, Edwards T, Anderson KO (1993) Ethnocultural influences on variation in chronic pain perception. Pain 52(1):101–112

    Article  CAS  PubMed  Google Scholar 

  6. Erim Y, Glier B (2017) Schmerz bei Migranten aus der Türkei. In: Kröner-Herwig B et al (Hrsg) Schmerzpsychotherapie. Grundlagen – Diagnostik – Krankheitsbilder – Behandlung, 8. Aufl. Springer, Berlin, S 723–739

    Google Scholar 

  7. Engel J, Hofmann SO (2003) Transkulturelle Aspekte des Schmerzerlebens. In: Egle UT, Hoffmann SO, Lehmann KA, Nix WA (Hrsg) Handbuch chronischer Schmerz. Schattauer, Stuttgart, S 17–25

    Google Scholar 

  8. Müller-Busch HC (2017) Kulturgeschichtliche Bedeutung des Schmerzes. In: Kröner-Herwig B et al (Hrsg) Schmerzpsychotherapie. Grundlagen – Diagnostik – Krankheitsbilder – Behandlung, 8. Aufl. Springer, Berlin, S 157–175

    Google Scholar 

  9. Goerig M (2010) Geschichte des Schmerzes und der Schmerztherapie. In: Standl T et al (Hrsg) Schmerztherapie. Akutschmerz, Chronischer Schmerz, Palliativmedizin, 2. Aufl. Thieme,, Stuttgart, S 3–8

    Google Scholar 

  10. Jünger E (1934) Über den Schmerz. In: Jünger E (Hrsg) Blätter und Steine. Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg, S 157–216

    Google Scholar 

  11. Morris D (1994) Geschichte des Schmerzes. Insel, Frankfurt am Main (engl.: (1991) The Culture of Pain. University of California Press, Berkeley)

    Google Scholar 

  12. Mennekes F (2007) Krankheit als Freisetzung. Leiden und Heilen als Quelle des Therapeutischen im Werk von Joseph Beuys. Schmerz 21(4):353–358

    Article  CAS  PubMed  Google Scholar 

  13. Rey R (1993) History of pain. La Decouverté, Paris

    Google Scholar 

  14. Descartes R (1969) Über den Menschen (1632) sowie Beschreibung des menschlichen Körpers (1648), übersetzt und kommentiert durch Rothschuh KE. Lambert Schneider, Heidelberg, S 68

    Google Scholar 

  15. Albrecht H (2015) Der Schmerz. Eine Befreiungsgeschichte. Pattloch, München

    Google Scholar 

  16. Schiff M (1858–1859) Lehrbuch der Physiologie des Menschen – Teil I. Muskel- und Nervenphysiologie. Lahr, Schauenburg & C.

  17. Sabatowski R, Schäfer D, Kasper SM, Brunsch H, Radbruch L (2004) Pain treatment: a historical overview. Curr Pharm Des 10:701–716

    Article  CAS  PubMed  Google Scholar 

  18. Melzack R, Wall P (1965) Pain mechanisms: a new theory. Science 150:971–979

  19. Handwerker HO (2007) Von Descartes bis zur fMRI. Schmerztheorien und Schmerzkonzepte. Schmerz 21(4):307–317

    Article  CAS  PubMed  Google Scholar 

  20. Wild M (2004) Die anthropologische Differenz. Der Geist der Tiere in der frühen Neuzeit bei Montaigne, Descartes und Hume [Diss. phil. Basel. http://www.academia.edu/1538779/Die_anthropologische_Differenz._Montaigne_Descartes_Hume_2006. Zugegriffen: 22.12.2016

    Google Scholar 

  21. Montaigne M (2004) Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

    Google Scholar 

  22. Kross M (1992) Schmerz II. Neuzeit. In: Gründer K (Hrsg) Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, S 1315–1323

    Google Scholar 

  23. Unschuld PU (1996) Schmerz als Faktum und Gefühl. Reaktionen und Interpretationen in historisch-kulturellem Kontext. Perinatal Med 8:100–106

    Article  Google Scholar 

  24. Illich I (1977) Die Nemesis der Medizin. Von den Grenzen des Gesundheitswesens. Rowohlt, Reinbeck

    Google Scholar 

  25. Brodniewicz J (1994) Über das Schmerzphänomen in der Sicht der Philosophie und der ausgewählten Humanwissenschaften: Psychologie und Kulturlehre. Peter Lang, Frankfurt am Main

    Google Scholar 

  26. Müller-Kessler C (2002) Jüdische und gnostische Beschwörungen medizinischen Inhalts aus der Spätantike des Ostens. In: Karenberg A, Leitz C (Hrsg) Heilkunde und Hochkultur II: „Magie und Medizin“ und „Der alte Mensch“ in den antiken Zivilisationen des Mittelmeerraums. LIT, Münster, S 183–208

    Google Scholar 

  27. Moerman DE (2013) Against „Placebo“. The case for changing our language, and for the meaning response. In: Colloca L, Flaten MA, Meissner K (Hrsg) Placebo and pain. From bench to bedside. Elsevier, Amsterdam, S 183–188

    Google Scholar 

  28. Bourgery JM (1840) Traité complet de l’anatomie de l’homme, p. 2, t. 7. Delaunay, Paris (pl. 27)

    Google Scholar 

  29. Burney F (1975) The Journals and Letters of Fanny Burney (Madame d’Arblay). Vol. VI France 1803–1812. Clarendon, Oxford

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to D. Schäfer.

Ethics declarations

Interessenkonflikt

D. Schäfer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.

CME-Fragebogen

CME-Fragebogen

Neben differenzialdiagnostisch wichtigen Schmerzarten unterscheidet die interdisziplinäre Fachliteratur entsprechend dem biopsychosozialen Schmerzkonzept verschiedene Faktoren des Schmerzerlebens. Zu diesen Faktoren gehört u. a. …

zentraler Schmerz.

spiritueller Schmerz.

peripherer Schmerz.

lokaler Schmerz.

neuropathischer Schmerz.

Welcher Autor trug zu einem medizinischen Verständnis von Schmerz in der griechisch-römischen Antike besonders bei?

Paracelsus

Philoktet

Galenos von Pergamon

René Descartes

Platon

Welche Aussage zu medizinischen Schmerzkonzepten in der griechisch-römischen Antike ist richtig?

Schmerz entsteht durch eine Verbindung von Nichtzusammengehörigem.

Schmerz entsteht durch eine Mischung von Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle.

Schmerz ist unabhängig von der Berührungsempfindung.

Schmerz hat pathologischen Eigenwert im Sinne einer Krankheit.

Schmerz entsteht durch ein lokales oder systemisches Übermaß einer Qualität (warm, kalt, trocken, feucht).

Welche Aussage zum Schmerzverständnis bei René Descartes ist richtig?

Peripherer Schmerz wird über elektrische Impulse auf Leitungsbahnen in das Gehirn übertragen.

Peripherer Schmerz kann (unabhängig von einer seelischen Empfindung) durch eine Reaktion auf der Ebene des Rückenmarks zu einer peripheren Muskelreaktion führen (sog. Reflexbogen).

Phantomschmerz lässt sich durch seelische Projektionen erklären.

Die Übertragung peripherer Schmerzimpulse an das Zentrum erfolgt hydraulisch über die Weiterleitung von Nervengeist.

Tiere können Schmerzen empfinden, weil sie über eine anima sensitiva verfügen.

Welche Aussage zu medizinischen Schmerzkonzepten vor Descartes ist richtig?

In der Regel wird das Gehirn als Zentrum der Schmerzempfindung angenommen.

Die „Seele“ ist unsterblich und deshalb körperlos.

Die „Seele“ ist aus Sicht der gelehrten Medizin am somatischen Schmerzempfinden nicht beteiligt.

Schmerzempfindung ist nur dem Menschen als Träger des res cogitans möglich.

Philosophische Konzepte haben keinen Einfluss auf das medizinische Schmerzkonzept.

Welche Aussage zu medizinischen Schmerzkonzepten des 19. und 20. Jahrhunderts ist korrekt?

Die Gate-control-Theorie vertrat die Annahme, dass hemmende Einflüsse auf die Schmerzmodulation im Rückenmark eine Rolle spielen.

Die Gate-control-Theorie führte zu einer strikten Unterscheidung zwischen seelischem und somatischem Schmerz („Mythos der Zwei Schmerzen“ nach Morris).

Opioidrezeptoren wurden kurz nach der erstmaligen Isolierung des Morphins aus Opium (F. Sertürner, um 1804) entdeckt.

Die Entdeckung und Anwendung wirksamer Analgetika war erst nach dem Nachweis spezifischer Schmerzrezeptoren und -bahnen möglich.

Die Entdeckung und Anwendung wirksamer Analgetika hatte keinen Einfluss auf den kulturellen Umgang mit Schmerz.

Welche Aussage zur Deutung und Sinngebung von Schmerz ist richtig?

Moderne medizinische Schmerzkonzepte bieten den Patienten keine Sinngebung an.

Immanuel Kant schätzte besonders die Bedeutung des Schmerzes als „Wachhund der Gesundheit“.

Eine religiöse Sinngebung des Schmerzes als Strafe Gottes spielt in der heutigen schmerztherapeutischen Praxis keine Rolle mehr.

Der hochmittelalterliche Kirchenlehrer Thomas von Aquin lehnte aus pädagogischen Gründen (Schmerz als von Gott geschenkte Belehrung) eine Schmerztherapie ab.

Magische Schmerzkonzepte deuten häufig den Schmerz als unheilvolle Einwirkung von außen.

Welche Aussage zu den Grenzen der Sinngebung von Schmerz ist richtig?

Schmerz kann kein „Wachhund der Gesundheit“ sein, weil unbehandelter Schmerz sich häufig chronifiziert und dann keinen adäquaten Hinweis auf eine Bedrohung des Körpers gibt.

Normative Konzepte fordern die Bewältigung des Schmerzes als Kulturleistung ein, statt die individuellen Möglichkeiten der Leidenden zu berücksichtigen.

Magische Schmerzkonzepte verstärken häufig die Angst vor offensichtlichen Noxen.

Religiöse Konzepte, die den Schmerz als Strafe deuten, unterstützen die medizinische Schmerztherapie.

Die Deutung von Schmerzen als göttliche Strafe schließt die Möglichkeit aus, sie als persönliche Wiedergutmachung konstruktiv einzuordnen.

Welche Aussage zu der historischen Bedingtheit von Schmerzkonzepten ist richtig?

Jede Zeit hat angesichts der unterschiedlichen medizinischen Möglichkeiten ihr eigenes Schmerzkonzept, weshalb Vergleiche zwischen Geschichte und Gegenwart sinnlos sind.

Heroische Konzepte, dem Schmerz durch Willenskraft Widerstand zu leisten, sind typisch für Gesellschaften mit fortgeschrittenen Möglichkeiten der Analgesie.

Konzepte, die dem Schmerz eine medizinisch-therapeutische Wirkung zusprechen, sind für die naturwissenschaftlich orientierte Medizin des späten 19. Jahrhunderts charakteristisch.

Das vormoderne Konzept der „Leidenschaftslosigkeit“ (apatheia) zur Bewältigung körperlicher Schmerzen wurde vermutlich durch die therapeutische Ohnmacht der damaligen Medizin gefördert.

Das Gate-control-Konzept lässt sich in den Kontext eines im 20. Jahrhundert fortgeschrittenen medizinischen Paternalismus (Gate-keeper-Modell) einordnen.

Die Schriftstellerin Fanny Burney …

empfand ihren Schmerz als Strafe von Gott.

deutete ihren Schmerz als Warnsignal und Aufforderung, sich operieren zu lassen.

empfand trotz perioperativer Analgesie extreme Schmerzen, weil sie aufgrund des zeitgenössischen Sensualismus dafür sensibilisiert war.

lehnte eine Analgesie ab, weil sie die Schmerzen therapeutisch nutzen wollte.

wollte sich operieren lassen, um den Schmerz im Sinne des Sensualismus für sich erfahrbar zu machen.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this article

Schäfer, D. Historische Schmerzkonzepte. Schmerz 31, 75–85 (2017). https://doi.org/10.1007/s00482-016-0185-7

Download citation

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/s00482-016-0185-7

Schlüsselwörter

Keywords

Navigation