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Einleitung und Abbruch der künstlichen Ernährung beim einwilligungsunfähigen Patienten

Die österreichische Rechtslage

Initiation and withdrawal of artificial nutrition in the incompetent patient—the Austrian law

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Ethik in der Medizin Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Eine juristische Diskussion über Einleitung und Abbruch der künstlichen Ernährung bei einwilligungsunfähigen Patienten ist in Österreich erst in Ansätzen auszumachen. Konsens zeichnet sich ab, eine Patientenvorausverfügung unter bestimmten Kriterien als verbindlich anzunehmen. Dann wäre auch eine antizipierte Verweigerung künstlicher Ernährung für die Ärzte rechtsverbindlich. Eine Übereinstimmung bezüglich der Akzeptanz einer „mutmaßlichen“ Verweigerung einer Behandlung (bzw. Ernährung) beim Nichteinwilligungsfähigen ist nicht zu erkennen. Die z. Z. herrschende Auffassung, dass die Ablehnung einer lebenserhaltenden Behandlung oder Ernährung durch einen gesetzlichen Vertreter grundsätzlich nur im Einklang mit einem wirksam erklärten (oder zumindest hinreichend dokumentierten) Patientenwillen zulässig ist und daher bei allen anderen „Mutmaßungen“ über den Willen des Patienten dem Lebensschutz Vorrang einzuräumen ist, kann sich auf die verfassungsrechtliche staatliche Schutzpflicht zugunsten des Lebens berufen.

Abstract

Definition of the problem: In Austria the legal discussion on initiating and withdrawing artificial nutrition in incompetent patients has just begun.

Arguments and conclusion: Legal regulations are lacking, but there appears to be agreement on accepting advance directives under specific criteria. This would mean that a presumed will and documented refusal of treatment and nutrition has to be respected by physicians. However, there is no consensus with regard to the “supposed will” of an incompetent patient to refuse treatment and nutrition. At present, surrogate decision making with regard to refusing life-sustaining treatment or nutrition is only accepted according to a declared and documented directive of the patient himself. When the patient’s will has to be “surmised” the protection of life has priority. In Austria this concept is based on the national constitution and its duty to protect life.

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Notes

  1. Der Abbruch (intensiv)medizinischer Interventionen wird nach dem sozialen Sinn der Maßnahme als Unterlassen gewertet (vgl. [7], Rz 26; [2], S. 59; [25], S. 376).

  2. Für eine Übersicht über den Meinungsstand und weiterführende Literaturnachweise vgl. [11].

  3. Dazu und zum Folgenden vgl. die Zusammenfassung des Meinungsstandes bei [2, 11, 15, 24].

  4. Dies ist nach anfänglicher Unsicherheit mittlerweile herrschende Auffassung ([23], S. 76; [25], S. 373).

  5. Vergleiche zusammenfassend zur österreichischen Diskussion z. B. [1], S. 59 ff; [10], S. 816–827. Die damit verbundenen Fragen können an dieser Stelle nicht neuerlich diskutiert werden, obwohl unumwunden einzuräumen ist, dass die Frage nach den Kriterien für die Zuschreibung oder „Aberkennung“ der Einwilligungsfähigkeit schon wegen ihrer weichenstellenden Funktion den eigentlichen Kern des Problems ausmacht [19].

  6. Vergleiche statt vieler § 36 Abs. 1 Unterbringungsgesetz (UbG): „Kann der Kranke den Grund und die Bedeutung einer Behandlung einsehen und seinen Willen nach dieser Einsicht bestimmen...“.

  7. Dies ist völlig herrschende Lehre (vgl. [1], S. 61; [14], S 12) und Judikatur (OGH EvBl 1988/85).

  8. Umfassende Nachweise zum Meinungsstand bei ([16], S. 1 ff).

  9. Dazu ([10] S. 848 ff), sowie OGH 16.7.1998, 6 Ob 144/98i, 147/98f = RdM 1999/21: Danach ist im Zweifelsfall zu behandeln, wenn sich die Handlungsfähigkeit (eines psychisch kranken Patienten) z. Z. der Erstellung des „Patiententestaments“ „ex post“ nicht mehr klären lässt. Die Frage nach der grundsätzlichen Verbindlichkeit von antizipierten Patientenverfügungen hat das Höchstgericht ausdrücklich offen gelassen.

  10. Vergleiche mit unterschiedlichen Akzentuierungen z. B. ([2], S. 55 f; [12], S. 38 ff; [17], Rz 35; [25], S 374).

  11. Grundsätzlich bejahend ([25], S. 373; [16], S. 20 ff); ablehnend z. B. ([15], S. 682; [20], S. 105).

  12. Vergleiche zum Ganzen ([7], Rz 20 ff; [4], S. 50, 57 ff; [25] S. 374 ff; [17], Rz 31 ff).

  13. Dazu—und dort auch zum weit weniger einheitlich beurteilten Aspekt der Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes—[25], S. 374 ff] und [17] Rz 39 ff. Die zu erwartende „Lebensqualität“ ist für sich genommen kein Kriterium.

  14. Statt aller ([7], Rz 21; [17], Rz 44; [22], S. 55; [25], S. 375 f; [26], S. II/43); abweichend z. B. ([2], S. 59 f; [4], S. 57 f).

  15. Bejahend z. B. [2], S. 55 f; [5], S. 455 ff; [17], Rz 36 ff.

  16. In diesem Sinn ([4], S. 57 f); kritisch dagegen ([22], S. 55 f); zwischen Basisversorgung und künstlicher Ernährung differenzierend ([17], Rz 44); zumindest im Hinblick auf „einseitige“ ärztliche Entscheidungen ablehnend ([25], S. 376 f) (Abbruch künstlicher Ernährung beim irreversibel Bewusstlosen nur dann, wenn eine wirksame Behandlungsverweigerung eines rechtlichen Stellvertreters vorliegt, die sich auf einen dokumentierten Willen des Patienten stützt).

  17. Vergleiche [1], S. 68; LG Feldkirch RdM 1996/16; OGH RdM 1998/6 (Anm. Kopetzki).

  18. Zum—im Lichte seiner Schutzfunktionen durchaus vergleichbaren—Begriff der „besonderen Heilbehandlung“ im psychiatrischen Unterbringungsrechts (§ 36 UbG, dazu [10], S. 827 ff und S. 841) hat der OGH eine gerichtliche Genehmigungspflicht im Fall einer Sondenernährung bei Anorexia nervosa (OGH 22.6.1995, 6 Ob 546/95 = RdM 1996/2) sowie für das Setzen eines Kavakatheters (OGH 14.8.1996, 6 Ob 2117/96 h) verneint.

  19. Vergleiche statt vieler [9], S. 75 ff; [21], S. 406 f; s. auch [25], S. 374, der nur dem „dokumentierten mutmaßlichen Willen“ Relevanz beimessen will.

  20. Vergleiche vor allem [2], S. 56 ff; [4], S. 55; [5], S. 443.

  21. Einen lebensbeendenden Behandlungsabbruch (einschließlich Ernährung) bejahend [3], S. 188 f; [4], S. 55 ff; verneinend [8], S. 30 f; [9], S. 79; [18], S. 96; [21], S. 415 f; differenzierend [25], S. 374 (Verweigerung einer lebensverlängernden Behandlung nur bei hinreichend dokumentiertem mutmaßlichen Patientenwillen).

  22. EGMR 29.4.2002, Diane Pretty gegen UK, EuGRZ 2002, 234–244, insb. Z 37 ff und 68 ff.

  23. Gerade weil das Recht auf Leben besonders geeignet für eine Aufladung mit moralischen Begründungsansätzen ist, sollte man an einer klaren Unterscheidung zwischen ethischen und (verfassungs)rechtlichen Argumenten festhalten ([13], Rz 13).

  24. Vergleiche aus verfassungsrechtlicher Sicht z. B. [9], S. 79; ähnlich [17], Rz 41.

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Kopetzki, C. Einleitung und Abbruch der künstlichen Ernährung beim einwilligungsunfähigen Patienten. Ethik Med 16, 275–287 (2004). https://doi.org/10.1007/s00481-004-0319-9

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