Kernempfehlungen

Tab. 1.

Tab. 1 Kernempfehlungen der DGRh für die Betreuung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen im Rahmen der SARS-CoV-2/COVID-19-Pandemie

1 Einleitung

Die COVID-19-Pandemie stellt auch nach mehr als 1 Jahr für Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (ERE) als auch für Rheumatologinnen und RheumatologenFootnote 1 eine große Herausforderung dar. Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh) vom März 2020 sollten eine erste, rasche Hilfestellung für spezielle Belange in der Betreuung von Patienten mit ERE angesichts der Bedrohung durch SARS-CoV‑2 geben. Diese beruhten v. a. auf einem Expertenkonsens [1,2,3]. Bei der ersten Aktualisierung im Juli 2020 [4, 5] konnte bereits auf wissenschaftliche Daten aus Registern, Querschnittstudien, Fallberichten und Fallserien zurückgegriffen werden [6, 7]. Inzwischen haben wir weitere Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Publikationen zu COVID-19 bei ERE, aus denen sich wesentlich genauere Aussagen zu krankheits- oder therapiebedingten Risiken ableiten lassen. Ein wichtiger Grund für eine erneute Aktualisierung der Handlungsempfehlungen ist die Tatsache, dass nun Impfungen gegen SARS-CoV‑2 verfügbar sind und somit auch zunehmend Patienten mit ERE verabreicht werden. Dies wirft vielfältige Fragen auf, auch und gerade für Patienten mit ERE, aber auch für die diese betreuende Ärzteschaft und medizinisches Fachpersonal.

2 Für wen sollen diese Handlungsempfehlungen gelten?

Die hier gemachten Aussagen und Empfehlungen beziehen sich auf Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen (ERE), v. a. unter Berücksichtigung der medikamentösen antirheumatischen Therapie. Wo dies sinnvoll oder notwendig erscheint, werden auch Vergleiche zu SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19 in der Normalbevölkerung gemacht. Die Aussagen relativieren sich – zumindest teilweise – für ERE-Patienten, welche gegen COVID-19 geimpft wurden bzw. einen Infektionsschutz nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion aufweisen. Es besteht aber noch keine Klarheit darüber, ob und wie ein Impferfolg oder ein Schutz nach durchgemachter Infektion mit ausreichender Aussagekraft untersucht werden kann und wann ggf. Auffrischimpfungen notwendig sind. Hinzuweisen ist auch darauf, dass diese Empfehlungen nicht alle Situationen abdecken können, welche im Einzelfall ein Abweichen hiervon rechtfertigen oder sogar nahelegen.

3 Wie hoch ist das Risiko für Patienten mit ERE für eine Infektion mit SARS-CoV-2 und für einen schweren Verlauf von COVID-19?

Einen Eindruck über die Bedeutung des Alters für das Risiko von COVID-19 für Hospitalisierung und Tod auch in Relation zu verschiedenen Vorerkrankungen gibt die Abb. 1 im Anhang aus einem umfangreichen sog. „Umbrella Review“ des Robert Koch-Instituts (RKI) [8].

3.1 Allgemeine Risikofaktoren für COVID-19 und einen schweren Verlauf

Risikofaktoren der Allgemeinbevölkerung für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung (Tab. 2; [9]) gelten auch für Patienten mit ERE [10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20].

Tab. 2 Allgemeine Risikofaktoren für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung

3.2 Spezifische Risikofaktoren entzündlich-rheumatischer Erkrankungen für eine SARS-CoV-2-Infektion und einen schweren Verlauf

3.2.1 Risiko für eine Infektion

Ob Patienten mit ERE im Vergleich zur Normalbevölkerung ein erhöhtes Risiko haben, an COVID-19 zu erkranken, ist nicht abschließend geklärt. Während einige Studien über ein erhöhtes Risiko für COVID-19 im Vergleich zur Normalbevölkerung bzw. im Vergleich zu einer „gematchten“ Population ohne ERE bei bestimmten Patientenpopulationen, z. B. bei Patienten mit systemischer Sklerose, berichten [20,21,22], weisen andere auf ein vergleichbares Risiko zur Normalbevölkerung hin [23,24,25].

3.2.2 Risiko für einen schweren Verlauf

Aktuelle Daten aus Registern und einer Metaanalyse [20] bestätigen mehrheitlich Ergebnisse aus frühen Fallserien [26], wonach das Risiko für einen schweren Verlauf (hier und im Folgenden definiert als stationäre Aufnahme und/oder Beatmungspflicht und/oder Tod) bei Patienten mit ERE als Gesamtkohorte im Vergleich zur Normalbevölkerung bzw. im Vergleich zu „gematchten“ Kohorten ohne ERE im Allgemeinen nicht erhöht ist bzw. sich in Analogie zur Normalbevölkerung v. a. bei Vorhandensein von Komorbiditäten erhöht [12,13,14,15, 27]. Nur wenige Kohortenstudien fanden ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf bei Patienten mit rheumatoider Arthritis [28, 29] bzw. in der Gesamtkohorte der ERE-Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung bzw. zu „gematchten“ Kohorten ohne ERE. In diesen Publikationen fällt ein hoher Anteil von Patienten mit Kollagenosen und Vaskulitiden auf (Tab. 5 im Anhang), was möglicherweise zu einem schwereren Verlauf beitragen könnte (vgl. [28]). Subgruppenanalysen aus neueren Register- und Kohortenstudien unterstützen dieses Ergebnis: Systemerkrankungen wie Vaskulitiden, Kollagenosen (insbesondere SLE, systemische Sklerose, Sjögren-Syndrom) sowie autoinflammatorische Erkrankungen bergen möglicherweise ein höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf oder Tod im Vergleich zur Normalbevölkerung bzw. im Vergleich zu einer „gematchten“ Non-ERE-Population oder zur der als Referenzdiagnose herangezogenen rheumatoiden Arthritis [12, 13, 18, 19, 28,29,30]. Bei der Interpretation dieser Daten und Schlussfolgerungen daraus ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Register- und Kohortenstudien bisher nur relativ kleine Fallzahlen dieser ERE-Subpopulationen erfasst wurden. Unklar ist auch, ob das erhöhte Risiko für einen schweren Verlauf bei den Systemerkrankungen durch die Erkrankung selbst oder durch bestimmte Organbeteiligungen (z. B. Lungen- oder Nierenbeteiligung) oder die Intensität der Immunsuppression bedingt ist.

In Analysen aus dem deutschen und dem globalen COVID-19-Register konnte eine hohe Krankheitsaktivität der jeweiligen ERE eindeutig als Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 identifiziert werden mit einer OR von 1,96 (95 % CI 1,02–3,76) bzw. 1,87 (95 % CI 1,27–2,77) im Vergleich zu Patienten mit geringer oder fehlender Krankheitsaktivität [14, 15].

4 Einfluss von immunsuppressiven/immunmodulatorischen Medikamenten auf den Verlauf von COVID-19

4.1 Glukokortikoide

Eine Dauertherapie mit Glukokortikoiden (GC) ist ein bekannter Risikofaktor für Infektionen und auch für einen schwereren Verlauf von Infektionen bei ERE [31, 32]. Dass dies auch für COVID-19 gilt, haben Kohortenuntersuchungen und Registerauswertungen ergeben: Eine Dauertherapie mit GC war bereits ab einer Dosis von 2,5 mg täglich in einer großen norditalienischen Querschnittsuntersuchung von über 2000 ERE-Patienten mit einer erhöhten COVID-19-Infektionsrate assoziiert [33]. Die Einnahme von GC führte ab einer Dosis von 10 mg (Prednisonäquivalent) täglich in einer Kohortenstudie von 694 Patienten mit ERE zu einem erhöhten Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf gegenüber einer „gematchten“ Non-ERE-Population mit einer OR von 1,97 (95 % CI 1,09–3,54) [13]. In der Untersuchung des globalen Registers mit 3729 ERE-Patienten betrug die OR für COVID-19-assoziierte Mortalität bei GC über 10 mg täglich 1,7 (95 % CI 1,18–2,41) gegenüber keiner Einnahme systemischer GC [15]. In dem deutschen Register mit 468 ERE-Patienten betrug die OR für GC > 5 mg 3,67 (95 % CI 1,49–9,05) gegenüber keiner Glukokortikoidtherapie [6].

Die Interpretation dieser Risikoerhöhung muss vorsichtig erfolgen, da eine Erhöhung der Glukokortikoiddosis in den meisten Fällen bei erhöhter Krankheitsaktivität erfolgt und somit ein „Confounding by Indication“ vorliegen kann. In einer weiteren Auswertung des globalen Registers konnte gezeigt werden, dass bei Remission oder niedriger Krankheitsaktivität selbst GC in einer Dosierung von > 10 mg täglich gegenüber keiner Glukokortikoidtherapie nicht mit einem höheren Risiko für einen schwereren Verlauf bzw. Tod assoziiert sind [34]. Die Daten deuten demnach zwar darauf hin, dass eine höhere Krankheitsaktivität der Hauptrisikofaktor gegenüber der GC-Dosis ist, da die Stärke der Assoziation mit schwerem Verlauf innerhalb der Subgruppen unterschiedlicher Krankheitsaktivität aber mit höheren Dosierungen der GC zunahm, kann nicht ausgeschlossen werden, dass GC einen zusätzlichen negativen Einfluss haben.

4.2 Konventionelle DMARDsFootnote 2, Immunsuppressiva und Immunmodulatoren

In der Auswertung des globalen ERE-Registers mit Daten bis Juli 2020 war eine laufende Therapie mit Immunsuppressiva insgesamt (Azathioprin, Cyclophosphamid, Ciclosporin, Mycophenolat, Tacrolimus) mit einer OR von 2,22 (95 % CI 1,43–3,46) signifikant mit einem letalen Ausgang von COVID-19 assoziiert ebenso wie eine Therapie mit Sulfasalazin mit einer OR von 3,6 (95 % CI 1,7–7,8) [15]. In dem französischen Register war von den Immunsuppressiva Mycophenolat mit einer OR von 6,6 (95 % CI 1,47–29,6) für einen schweren Verlauf (Beatmung oder Tod) auffällig, während sich für Methotrexat, Leflunomid und Azathioprin (bei allerdings sehr kleiner Fallzahl für Azathioprin) kein Signal zeigte [13]. In der Auswertung des globalen Registers war „keine DMARD-Therapie“ im Vergleich zu einer Methotrexat-Monotherapie ebenfalls mit einer erhöhten OR für einen letalen Verlauf von 2,11 (95 % CI 1,48–3,01) assoziiert. In der bereits erwähnten norditalienischen Kohortenstudie zeigte sich weder in der Gruppe der konventionellen synthetischen DMARDs (csDMARD) noch der biologischen oder zielgerichteten (b/tsDMARDs) ein erhöhtes Risiko für eine COVID-19-Infektion, eine Analyse nach Einzelsubstanzen wurde hier allerdings nicht vorgenommen [33].

4.3 Biologika und JAK-Inhibitoren

Es gibt zunehmende Hinweise darauf, dass eine B‑Zell-Depletion, evtl. auch nur eine deutliche Hypogammaglobulinämie, Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf darstellen. Es gab zunächst Einzelfallberichte [35,36,37,38] zu einem schwereren Verlauf von COVID-19 nach bzw. unter einer Therapie mit Rituximab. Eine Therapie mit Rituximab war in dem globalen COVID-19-Register zu ERE [15] mit einer OR von 4,04 (95 % CI 2,32–7,03) und in dem französischen [13] mit einer OR von 4,21 (95 % CI 1,61–11,0) signifikant mit einem tödlichen Verlauf von COVID-19 assoziiert. In einer weiteren Auswertung des französischen Registers [39] fanden sich bei 1090 Patienten mit ERE (mittleres Alter 55 ± 16 Jahre; 734 [67 %] weiblich) insgesamt 137 (13 %) schwere Verläufe und 89 (8 %) Todesfälle. Von 63 Patienten, die mit Rituximab behandelt wurden, verstarben 13 (21 %) im Vergleich zu 76 (7 %) der 1027 Patienten ohne Rituximab. Das um oben genannte Einflussgrößen adjustierte Sterberisiko war in der Rituximab-Gruppe zwar nicht signifikant erhöht (Effektgröße 1,32, 95 % CI 0,55–3,19, p = 0,53), schwere Verläufe waren aber unter Rituximab (n = 22) auch nach Adjustierung signifikant häufiger (Effektgröße 3,26, 95 % CI 1,66–6,40, p = 0,0006) als in der Kontrollgruppe (n = 115).

Im Rahmen der Global Rheumatology Alliance (GRA) wurden von 6132 RA-Patienten des globalen COVID-19-Registers (Stand Mitte April 2021) 2869 Patienten ausgewertet, welche sich zum Zeitpunkt der Infektion unter einer Therapie mit den Biologika Abatacept (n = 237), Rituximab (n = 364), IL-6R-Inhibitoren (n = 317), TNF-Inhibitoren (n = 1388) oder JAK-Inhibitoren (n = 563) befanden. Hierbei zeigte sich bei den nicht hospitalisierten RA-Patienten eine höhere Rate an Behandlungen mit TNF- und IL-6R-Inhibitoren und bei sauerstoffpflichtigen und verstorbenen RA-Patienten eine höhere Rate an Behandlungen mit Rituximab, etwas höher war auch die Rate an Behandlungen mit JAK-Inhibitoren. In der für Alter, Geschlecht, Region, Jahreszeit, Adipositas, Rauchen, csDMARDs, GC (±/Dosis), Krankheitsaktivität und Anzahl von Komorbiditäten adjustierten multivariaten Analyse lag die OR hinsichtlich eines schweren Verlaufes von COVID-19 gegenüber einer Behandlung mit TNF-Inhibitoren für Rituximab bei 4,15 (3,16–5,44) und für die Gruppe der JAK-Inhibitoren bei 2,06 (1,60–2,65) [40]. Ob hierbei evtl. auch ein protektiver Effekt von TNF- oder auch IL-6R-Inhibitoren im Hinblick auf schwere Verläufe von COVID-19 eine Rolle spielt, kann noch nicht beantwortet werden. Patienten unter TNF-Inhibitoren wurden bei der multivariaten Analyse als Referenz gewählt, zu der Patienten unter IL-6R-Inhibitoren keinen Unterschied aufwiesen. Zu erwähnen ist jedoch, dass auch unter den bislang 571 mit TNF-Blockern behandelten Patienten im deutschen Register lediglich 2 tödliche Verläufe von COVID-19 verzeichnet wurden und die Zahl der hospitalisierten Fälle mit 52 Patienten vergleichsweise niedrig war (Stand 23.05.2021). Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass Patienten unter TNF-Inhibitoren im Median jünger waren (53 vs. 59 Jahre), seltener GC erhielten und eine geringere Krankheitsaktivität im Vergleich zu nicht mit TNF-Blockern behandelten Patienten aufwiesen.

Zusammenfassend empfehlen wir aufgrund eines erhöhten Risikos für einen schwereren Verlauf von COVID-19 unter einer Therapie mit Rituximab, diese Therapie im Hinblick auf evtl. Alternativen bzw. hinsichtlich des individuellen Nutzens und Risikos sorgfältig abzuwägen. Ansonsten wird das Risiko, welches eine erhöhte Krankheitsaktivität für einen schweren COVID-19-Verlauf mit sich bringt, höher eingeschätzt als das Risiko für einen schweren Verlauf durch die antirheumatische Therapie. Es wird deshalb nicht empfohlen, diese vorsorglich abzusetzen oder zu reduzieren. Auch eine therapeutische notwendige Glukokortikoiddosis sollte nicht aus Sorge vor einem schwereren Verlauf von COVID-19 verändert werden.

5 Prävention und Management: Vermeidung von Infektionen und Schutzmaßnahmen

Es gelten die vom Robert Koch-Institut [41] und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [42] für die Allgemeinbevölkerung und für speziell gefährdete Personen beschriebenen und regelmäßig aktualisierten grundsätzlichen Verhaltens- und Vorsichtsmaßnahmen. Besondere, darüber hinausgehende Maßnahmen werden nicht empfohlen.

Unter Abwägung von Nutzen und Risiko besteht keine Notwendigkeit, Arztbesuche unter dem Aspekt der Reduktion des Infektionsrisikos zu vermeiden. Notwendige stationäre Behandlungen sollen nicht verzögert werden.

In den Praxen und Ambulanzen müssen entsprechende Verhaltens- und Hygienemaßnahmen weiterhin gewährleistet sein. Es sollten intelligente Sprechstundenplanungen durchgeführt werden (u. a. für kurze Wartezeiten, Einhalten nötiger Abstandsregeln, Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Minimierung der Zahl von Begleitpersonen, großzügiges Lüften).

Um die Weiterverbreitung von Infektionen zu vermeiden, sollen Patienten im Vorfeld informiert werden, nicht mit Krankheitssymptomen oder nach Kontakt zu nachweislich SARS-CoV-2-Infizierten in die Einrichtung zu kommen. In solchen Fällen oder nach Aufenthalt in einem Hochrisiko- oder Virusvariantengebiet („Variants of Concern“) soll zunächst telefonisch mit der Praxis Kontakt aufgenommen werden.

Typische COVID-19-Symptome (s. Tab. 6 im Anhang) oder Kontakte zu Erkrankten können vorab erfragt werden. Im Zweifelsfall wird eine adäquate Testung empfohlen.

Zur Unterbrechung von Infektionsketten und Eindämmung neuer möglicher Infektionswellen kann Patienten der Einsatz der „Corona-Warn-App“ oder vergleichbarer digitaler Anwendungen empfohlen werden [43].

Entsprechend den STIKO-Empfehlungen sollte der Impfstatus aktualisiert werden: Neben SARS-CoV‑2 (s. Kap. 8) betrifft dies v. a. Impfungen gegen Pneumokokken und Influenza.

6 Antirheumatische Therapie im Kontext von SARS-CoV-2 oder COVID-19

Grundsätzlich sollen Rheumatologen bei der Entscheidung, die antirheumatische Therapie im Kontext von COVID-19 beizubehalten, zu reduzieren oder zu pausieren, immer einbezogen werden. Das Vorgehen hinsichtlich der antirheumatischen Therapie soll auch im Kontext der COVID-19-Pandemie in partizipativer Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient erfolgen. Zur weiteren Verbesserung der Datenlage wird empfohlen, Patienten mit ERE und COVID-19 (nachgewiesen mittels positiver PCR, Antigenschnelltest oder Antikörpertesttest auf SARS-CoV-2) in dem COVID-19-Register der DGRh (COVID19-rheuma.de) zu dokumentieren.

Es gelten weiterhin folgende spezielle Empfehlungen:

6.1 Patienten ohne Infektzeichen

6.1.1 Bestehende antirheumatische Therapie

  • Die Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Glukokortikoiden (GC), konventionell synthetischen DMARDs (csDMARDs), „targeted synthetic DMARDs“ (tsDMARD), „biologic DMARDs“ (bDMARDs) und Immunsuppressiva (s. Abschn. 4.2) sollte, sofern aufgrund der ERE indiziert, unverändert fortgesetzt werden und nicht allein aus Furcht vor einer Infektion mit SARS-CoV‑2 beendet oder in der Dosis reduziert werden. Die GC-Dosis sollte – wie bei allen Situationen in der Therapie ERE – möglichst gering gehalten werden, eine notwendige Erhöhung über 10 mg täglich sollte durch konsequente Schutzmaßnahmen begleitet werden.

  • Bei einer Therapie mit Rituximab (RTX) in Indikationen ohne potenziell lebensbedrohliche Manifestationen, insbesondere bei unkomplizierter RA in anhaltender Remission, sollte eine Verschiebung der RTX-Gabe erwogen werden, auch um eine potenziell erfolgversprechendere Impfung des Patienten zu ermöglichen (s. Kap. 8). Dieses sollte unter Abwägung des Risikos für ein Rezidiv gegenüber dem individuellen Infektionsrisiko erfolgen. In keinem Fall sollte die Anwendung von RTX zur Remissionsinduktion bei organbedrohender Systemerkrankung, z. B. bei ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV), verzögert werden.

6.1.2 Neubeginn oder Umstellung einer antirheumatischen Therapie

  • Der Beginn einer antirheumatischen Therapie sollte nicht aufgrund der COVID-19-Pandemie unterbleiben oder verzögert werden, die Dosis sollte den üblichen Empfehlungen folgen.

  • Eine Empfehlung für oder gegen ein bestimmtes DMARD (zu RTX s. nächsten Absatz) kann bei Neueinstellung aktuell nicht gegeben werden.

  • Bei validen Alternativen (z. B. bei der RA) sollte der Einsatz von RTX wegen einer möglichen Begünstigung eines schwereren Verlaufes von COVID-19 (s. Abschn. 4.3), der langen B‑Zell-Depletion und einer eingeschränkten Impfantwort kritisch hinterfragt werden. Der Einsatz von RTX zur Remissionsinduktion bei Systemerkrankungen (z. B. bei AAV) sollte allerdings nicht aus Sorge vor COVID-19 unterbleiben.

  • Bekannte Protokolle mit reduzierter GC-Gabe, z. B. bei Riesenzellarteriitis oder AAV, sollten bevorzugt werden [44, 45].

6.2 Patienten mit Kontakt zu SARS-CoV-2-positiver Person und ohne eigene COVID-19-Infektzeichen

  • Die Therapie sollte wie unter Punkt 6.1 beschrieben fortgeführt werden. Bei Auftreten von Symptomen sollte eine Kontaktaufnahme mit einem Arzt bzw. Rheumatologen erfolgen (s. Punkt 6.3).

6.3 Patienten mit Infektzeichen nach Kontakt zu SARS-CoV-2-positiven Personen

  • Eine Therapieänderung sollte bei leichten Symptomen und fehlendem Fieber nicht erfolgen.

  • Bei deutlichen Infektzeichen und insbesondere Fieber (> 38 °C) sollte die antirheumatische Medikation pausiert werden.

  • Eine etwaige GC-Therapie ≤ 10 mg Prednisolonäquivalent täglich kann fortgesetzt werden, bei höheren Dosierungen muss über die Fortsetzung der GC-Behandlung individuell entschieden werden.

6.4 Patienten positiv auf SARS-CoV-2 getestet und ohne COVID-19-Infektzeichen

  • Ein Pausieren oder Herauszögern einer ts- oder bDMARD-Therapie für die Dauer der mittleren Inkubationszeit kann erwogen werden. Da häufig nicht bekannt ist, wann eine Infektion erfolgt ist, kann, sofern weiter Symptomfreiheit vorliegt, eine Pause für 5 bis 6 Tage nach Abstrich erwogen werden.

  • Eine etwaige GC-Therapie ≤ 10 mg Prednisolonäquivalent täglich kann fortgesetzt werden, bei höheren Dosierungen muss über die Fortsetzung der GC-Behandlung individuell entschieden werden.

  • csDMARDs sollten nicht abgesetzt werden.

6.5 Patienten positiv auf SARS-CoV-2 getestet und mit COVID-19-Infektzeichen

  • Eine etwaige GC-Therapie ≤ 10 mg Prednisolonäquivalent täglich kann fortgesetzt werden, bei höheren Dosierungen muss über die Fortsetzung der GC-Behandlung individuell entschieden werden.

  • DMARDs sollten in dieser Situation pausiert werden (Leflunomid sollte wegen der langen Halbwertszeit der Substanz ggf. ausgewaschen werden).

  • Bei Risikopatienten für schweren COVID-19-Verlauf (z. B. starke Immunsuppression bei aktiver ERE, primäre Immundefekte) sollte eine frühzeitige passive Immunisierung mit einer Kombination zweier neutralisierender monoklonaler Antikörper gemäß der Stellungnahme der COVRIIN/STAKOB/DGI erwogen werden (aktuelle Informationen inklusive Link zur Liste der Therapiezentren s. [46] bzw. Erläuterungen im Supplement).

7 Nachweis einer durchgemachten Infektion mit SARS-CoV-2

Mit zunehmender Dauer der Pandemie steigt der Anteil von Patienten, welche sich mit SARS-CoV‑2 auseinandergesetzt haben, unabhängig davon, ob COVID-19-Symptome vorgelegen haben. Zukünftig kann es wichtig werden, das individuelle Infektionsrisiko durch Kenntnis eines (möglicherweise protektiven) Immunstatus der Patienten gegen SARS-CoV‑2 abschätzen zu können. Derzeit kann aufgrund fehlender Daten zur Antikörperbildung und -persistenz sowie der Bedeutung der T‑Zell-Immunität, insbesondere unter Immunsuppression und wegen eingeschränkter bzw. unklarer Spezifität und Sensitivität der unterschiedlichen Testverfahren, noch keine Empfehlung für ein Screening von Patienten mit ERE auf Antikörper ausgesprochen werden. Ein generelles Screening vor Impfung bei fehlendem klinischem Hinweis auf eine durchgemachte Infektion wird nicht empfohlen.

Zudem kann derzeit nicht beurteilt werden, ob das Risiko für eine Re-Infektion oder die Kontagiosität bei Nachweis von IgG-Antikörpern gegen SARS-CoV‑2 reduziert ist. Somit wird auch im Falle eines positiven Antikörpertests davon abgeraten, die Maßnahmen zur Infektions- und Fremdansteckungsprophylaxe einzuschränken.

8 Impfungen gegen COVID-19

8.1 Einleitung

Trotz weltweiter Bemühungen, wirksame Medikamente für die Behandlung von COVID-19 zu entwickeln, gibt es bislang keine Therapieoption, welche mit ausreichender Sicherheit eine Heilung verspricht. Somit gilt die möglichst rasche Impfung großer Teile der Bevölkerung als der entscheidende Schritt zur Eindämmung der Pandemie [47].

Auch für die beschleunigten Bewertungs- und Zulassungsverfahren der COVID-19-Impfstoffe durch die EMA galten die für eine Zulassung geforderten Sicherheitsstandards uneingeschränkt [48]. Derzeit stehen in Deutschland 4 SARS-CoV-2-Impfstoffe zur Verfügung [49]. Hierbei handelt es sich um 2 Messenger-RNA(mRNA)-Impfstoffe und 2 Vektorimpfstoffe (Tab. 3).

Tab. 3 In der EU zugelassene COVID-19-Impfstoffe (Stand 15.05.2021)

Patienten mit bekannten oder vermuteten Störungen des Immunsystems waren von den Phase-III-Studien der Impfstoffe zwar ausgeschlossen, da aber „gesunde Erwachsene und solche mit stabilen Vorerkrankungen“ eingeschlossen werden konnten [8], befanden sich in den Zulassungsstudien mit mehr als 43.000 [50] bzw. mehr als 30.000 [51] Probanden auch solche mit ERE [25].

Aus dieser Situation heraus hatte die DGRh erste Empfehlungen zur Impfung von Patienten mit ERE bzw. unter immunmodulierenden Therapien gegen SARS-CoV‑2 bei ERE veröffentlicht und nachfolgend (online) mehrfach aktualisiert. Diese Empfehlungen konnten sich bislang nicht auf Studien zur Sicherheit und Effektivität von SARS-CoV-2-Vakzinen bei ERE-Patienten stützen, sondern wurden anhand von Erkenntnissen mit anderen Impfungen bei ERE-Patienten unter den Experten der COVID-19-Kommission der DGRh konsentiert [52,53,54]. Neben einer kontinuierlichen Literaturrecherche wurden dabei auch nationale [8, 47, 49] und internationale Empfehlungen anderer Fachgesellschaften [55, 56] berücksichtigt.

8.2 Impfstofftypen und entzündlich-rheumatische Erkrankungen

Keiner der bislang zugelassenen Impfstoffe gegen SARS-CoV‑2 ist ein Lebendimpfstoff. Daher können alle bei Patienten mit ERE auch unter immunsuppressiver/immunmodulierender Therapie verabreicht werden. Abgesehen von extrem seltenen Allergien gegen Impfstoffkomponenten gibt es keine Kontraindikationen für die COVID-19-Impfung.

8.3 Impfung gegen COVID-19 in Schwangerschaft und Stillzeit

Aus einer laufenden Studie von über 35.000 mit mRNA-Impfstoffen gegen COVID-19 geimpften Schwangeren erfolgte eine erste Interimsauswertung von 827 abgeschlossenen Schwangerschaften, in der keine signifikanten Sicherheitssignale gesehen wurden [57]. Die STIKO spricht derzeit keine generelle Impfempfehlung für Schwangere aus. Schwangeren mit Vorerkrankungen und einem daraus resultierenden hohen Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung oder mit einem erhöhten Expositionsrisiko aufgrund ihrer Lebensumstände kann nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach ausführlicher ärztlicher Aufklärung eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ab dem 2. Trimenon angeboten werden [49]. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfiehlt (Stand 05/2021), Schwangere in informierter partizipativer Entscheidungsfindung und nach Ausschluss allgemeiner Kontraindikationen priorisiert mit mRNA-basiertem Impfstoff gegen COVID-19 zu impfen [58]. Um Schwangere auch indirekt zu schützen, wird weiterhin die priorisierte Impfung von engen Kontaktpersonen von Schwangeren, insbesondere deren Partner/-innen, sowie Hebammen und Ärzte/‑innen empfohlen. Es wird zudem empfohlen, stillenden Frauen eine mRNA-basierte Impfung gegen COVID-19 anzubieten und zu ermöglichen.

8.4 Welche Unterschiede bestehen hinsichtlich der Wirksamkeit der COVID-19-Impfstoffe?

Die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe von BioNTech/Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Janssen (Johnson & Johnson) bieten alle einen Schutz vor symptomatischen Infektionen. Die durch die klinischen Studien ermittelten Effizienzdaten in der Verhinderung aller Infektionen als Prozentangaben geben die Wirksamkeit nur eingeschränkt wieder. Alle bisher zugelassenen Impfstoffe können schwere Verläufe und Todesfälle weitestgehend verhindern [49]. Aktuelle Daten zu den Impfstoffen sind auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zu finden (https://www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoffe/covid-19/covid-19-node.html).

8.5 Wirksamkeit der Impfstoffe gegen SARS-CoV-2-Varianten

Für alle in Europa zugelassenen Impfstoffe gilt, dass diese einen sehr guten Schutz vor einer symptomatischen Erkrankung nicht nur gegenüber dem ursprünglichen „Wildtyp“ des SARS-CoV-2, sondern auch gegenüber den in Deutschland derzeit vorherrschenden Varianten Alpha (B.1.1.7) und Delta (B.1.617.2) bieten, wobei für einen Schutz gegenüber der Delta-Variante eine vollständige Impfserie von Bedeutung zu sein scheint [49].

8.6 Inwieweit ändert sich durch eine entzündlich-rheumatische Erkrankung oder eine immunsuppressive/-modulatorische Therapie der Anspruch auf eine COVID-19-Impfung?

Nach der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) des Bundesministeriums für Gesundheit hatten Patienten mit rheumatischen Erkrankungen bislang einen Anspruch darauf, mit erhöhter, bei bestimmten Organmanifestationen auch hoher Priorität geimpft zu werden [59]. Im Hinblick auf Änderungen oder Wegfall der Priorisierungen wird auf die aktuelle CoronaImpfV im Bundesanzeiger, die Empfehlungen des Robert Koch-Institutes und auf die Web-Site der DGRh verwiesen. Auch bei Wegfall der Priorisierung möchte die DGRh darauf hinweisen, dass Patienten mit ERE weiterhin bevorzugt geimpft werden sollen.

8.7 Verträglichkeit der Impfungen bei rheumatischen Erkrankungen

Zur Frage der Verträglichkeit der COVID-19-Impfungen bei Patienten mit ERE gibt es eine Online-Befragung von 325 Patienten [60] und 2 erste prospektive deutsche Studien mit 29 bzw. 84 Patienten [61, 62]. Insgesamt konnten eine gute Verträglichkeit und keine speziellen Unverträglichkeitsreaktionen beobachtet werden. Allerdings wurden in allen Studien nur mRNA-Impfstoffe verwendet. Bei inzwischen (Stand 15.05.2021) weltweit über 1,4 Mrd. verabreichten Impfungen [63] gibt es momentan keinen Anhalt dafür, dass Patienten mit ERE ein anderes Nebenwirkungsspektrum bzw. vermehrt Nebenwirkungen auf die bislang zugelassenen Impfstoffe haben als die Normalbevölkerung. Grundsätzlich gilt zwar eine Empfehlung, elektive Impfungen nicht während eines Schubes zu verabreichen, ob man eine Impfung gegen COVID-19 von der aktuellen Krankheitsaktivität abhängig machen soll, wird aber kontrovers beurteilt [55, 56].

8.8 Kann die COVID-19-Impfung einen Schub der rheumatischen Erkrankung auslösen?

Theoretisch könnten Impfungen, ähnlich wie Infektionen, Schübe von bekannten oder auch Erstmanifestationen von ERE auslösen. Für die aktuell zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 ist dies noch nicht bekannt. Der Nutzen der Impfung überwiegt nach aktueller Kenntnis eindeutig das theoretische Risiko einer in der Regel auch nur geringen bzw. vorübergehenden Aktivierung der Grunderkrankung. Studien zu anderen Impfstoffen zeigten keine Evidenz dafür, dass diese Schübe einer ERE auslösen [64, 65]. In der oben erwähnten ersten deutschen Studie konnte im Zusammenhang mit der mRNA-Impfung gegen SARS-CoV‑2 kein Effekt auf die Aktivität der Grunderkrankung festgestellt werden [61]. Auch wenn es in einzelnen Fällen im Rahmen der (erwünschten) Impfantwort zu „Schüben“ kommen kann, die i. A. unter symptomatischer Therapie zu beherrschen sind, finden sich keine Hinweise für eine dauerhafte Aktivierung einer ERE durch Impfung gegen SARS-CoV‑2. Die Sorge vor einer Verschlechterung einer ERE ist somit kein Grund, von einer Impfung abzusehen.

8.9 Gibt es einen Impfstoff, der bei rheumatischen Erkrankungen oder immunmodulierender Medikation zu bevorzugen ist?

Die STIKO leitet aus den bisher vorhandenen Daten zur Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe in Bezug auf die bisher bekannten Virusvarianten keine Präferenz für einen bestimmten Impfstoff für die deutsche Bevölkerung ab, sondern geht davon aus, dass alle bisher verfügbaren Impfstoffe gleich gut geeignet in der Pandemiebekämpfung sind [49].

Aus den kontrollierten Studien lassen sich bedeutsame Unterschiede bezüglich der Sicherheit dieser Impfstoffe nicht entnehmen. Die Post-Marketing-Überwachung ergab für den Impfstoff von AstraZeneca Hinweise auf sehr seltene immunologisch vermittelte Ereignisse, überwiegend bei jüngeren weiblichen Patienten mit Thrombopenie, Gerinnungsstörungen und ungewöhnlichen Thrombosen, u. a. Sinusvenenthrombosen [66,67,68]. Die EMA sieht einen wahrscheinlichen Zusammenhang mit dem Impfstoff, geht aber wegen der Seltenheit der Ereignisse weiterhin von einem deutlich positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis aus und hat daher keine Einschränkungen der Nutzung des AstraZeneca-Impfstoffes beschlossen [69]. Für Deutschland kamen PEI bzw. die STIKO zu einer anderen Bewertung und empfehlen dessen Einsatz wie auch den des Vektorimpfstoffes von Johnson & Johnson wegen ähnlicher Komplikationen für unter 60-Jährige nur nach ausführlicher ärztlicher Aufklärung [49].

Vergleichende Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der derzeit in Deutschland eingesetzten Impfstoffe bei Patienten mit ERE liegen nicht vor. Daraus ergibt sich, dass über die dargestellten allgemeinen Unterschiede und die durch das PEI bzw. die STIKO vorgegebenen Einsatzbeschränkungen hinaus, für Patienten mit ERE keine Präferenz zugunsten eines bestimmten Impfstoffes besteht.

Für 2 Patientengruppen mit ERE, nämlich Patienten, bei denen eine schnelle vollständige Immunisierung wegen einer dringenden Therapie mit RTX angezeigt ist, und Patienten über 60 Jahre mit gesichertem APS oder einer Immunthrombopenie, wird aus Sicht der DGRh vorsorglich eher die Gabe eines mRNA-Impfstoffes empfohlen.

Der Mechanismus der sehr seltenen Gerinnungsstörungen, Thrombopenien und Sinusvenenthrombosen beruht sehr wahrscheinlich auf der Bildung von Autoantikörpern (VIPI: Vakzine-induzierte prothrombotische Immunthrombopenie) [66]. Die Post-Marketing-Surveillance-Daten aus Großbritannien weisen, bei geringen diesbezüglichen Fallzahlen statistisch nicht sicher analysierbar, vergleichsweise mehr berichtete Fälle von APS und ITP unter einer Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine [70] als unter der Pfizer/BioNTech-Vakzine [71] auf. Details zu den bisher aufgetretenen Fällen von VIPI sind aber kaum verfügbar. Unter 9 publizierten Fällen waren 2 Patienten mit vorbestehender Autoimmunerkrankung, darunter einer mit positiven Antiphospholipidantikörpern [66]. In einer norwegischen Studie unter Beschäftigten in Gesundheitsberufen ließen sich nach Impfung mit der AstraZeneca-Vakzine in 6/492 Fällen Antikörper gegen Plättchenfaktor 4 (PF4) nachweisen. In keinem dieser Fälle kam es zu einer Thrombopenie oder Thrombose [72].

Wenn die Impfung dadurch nicht verzögert wird, könnte für Patienten mit gesichertem APS oder Immunthrombopenie die Anwendung eines mRNA-Impfstoffes eine Risikoreduktion darstellen. Dies gilt nicht für Fälle, bei denen lediglich niedrigtitrige oder nur einzelne Antiphospholipidantikörper nachzuweisen sind oder bei denen keine chronische Immunthrombopenie vorliegt.

Mit den mRNA-Impfstoffen lässt sich eine Immunisierung innerhalb von etwa 4 bis 7 Wochen erreichen: Zurzeit wird, basierend auf einer Modellierung des RKI und der verfügbaren Datenlage, für die mRNA-Impfstoffe ein Impfabstand von 6 Wochen, für den AstraZeneca-Impfstoff von 12 Wochen empfohlen [49]. Eine Immunität besteht entsprechend den jeweiligen Fachinformationen 2 Wochen nach der zweiten Impfung (BioNTech, Moderna, AstraZeneca) bzw. nach der einmaligen Impfung (Johnson & Johnson). Patienten, bei denen eine Therapie mit RTX dringlich ist, würden von einer schnellen Immunisierung profitieren, da nach einer solchen Anti-B-Zell-Therapie über einen längeren Zeitraum von einer deutlich verminderten Impfantwort auszugehen ist. Unter einer laufenden Therapie mit RTX, z. B. zum Remissionserhalt bei AAV, ergeben sich u. U. nur kurze Zeitfenster, in denen eine Impfung – zumindest hinsichtlich Antikörperbildung – aussichtsreich erscheint. Auch in diesen Fällen würden Patienten von der Anwendung eines mRNA-Impfstoffes profitieren. Auch zu diesem Vorgehen liegen konkrete Daten bei ERE nicht vor. Es besteht lediglich eine plausible Analogie zu anderen Impfungen.

Für beide Fallkonstellationen kommt die DGRh zu der Einschätzung, dass eine Impfung auch mit Vektorimpfstoffen erfolgen sollte, wenn, z. B. aus Gründen der Verfügbarkeit ein mRNA-Impfstoff nicht zeitnah eingesetzt werden kann, da das Risiko einer schweren SARS-CoV-2-Infektion die möglichen Impfrisiken überwiegt.

8.10 Impfungen nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion

Aufgrund der Immunität nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion und in Anbetracht des weiterhin bestehenden Impfstoffmangels sollten immungesunde Personen, die eine durch direkten Erregernachweis (PCR) gesicherte SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, nach Ansicht der STIKO 6 Monate nach Genesung bzw. Diagnosestellung eine COVID-19-Impfung unter Berücksichtigung der Priorisierung erhalten. Hierfür reicht zunächst eine Impfstoffdosis aus, da sich dadurch bereits hohe Antikörperkonzentrationen erzielen lassen, die durch eine 2. Impfstoffdosis nicht weiter gesteigert werden können. Hingegen muss bei Personen mit „eingeschränkter Immunfunktion“ im Einzelfall entschieden werden, ob eine einmalige Impfung ausreicht oder eine vollständige Impfserie verabreicht werden sollte [49].

8.11 Wird die Wirkung der Corona-Impfung durch antirheumatische Therapie/Immunsuppressiva/‑modulanzien abgeschwächt?

Immunmodulierende und -supprimierende Therapien können das Ansprechen auf Impfungen beeinflussen. Bisherige Studien hierzu untersuchten die Antikörperantwort nach Vakzinierungen gegen Tetanus, Influenza, Pneumokokken bzw. Varizellen bei eher kleinen Kohorten und fokussierten sich auf die humorale Immunantwort. Die Datenlage zum Ansprechen auf bisher untersuchte Impfungen (keine COVID-19-Impfungen) unter verschiedenen DMARDs ist in Tab. 7 (Anhang) aufgeführt.

Ungeprüft ist, ob die Ergebnisse dieser Untersuchungen auf die SARS-COV-2-Impfungen extrapoliert werden können und ob ein Unterschied zwischen den mRNA- und den Vektorimpfstoffen besteht. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beurteilung allein der humoralen Immunantwort ausreicht, um die Wirksamkeit der SARS-CoV-2-Impfung zu beurteilen.

Inzwischen konnten auch einige Arbeiten für die Impfung gegen SARS-CoV‑2 zeigen, dass die Antikörperbildung von der bestehenden Immunsuppression abhängt. In der weltweit ersten Untersuchung anhand einer kleinen Kohorte von ERE-Patienten, hauptsächlich unter Biologikatherapie, fand die Kieler Arbeitsgruppe um B. Hoyer bei allen nach mRNA-Impfung eine Immunantwort bei allerdings gegenüber gesunden Kontrollen (leicht) reduzierten Antikörpertitern gegen SARS-CoV‑2 [61]. Kollegen aus Erlangen konnten dann zeigen, dass insbesondere unter Methotrexat und auch unter JAK-Inhibitoren eine gewisse Reduktion der humoralen Impfantwort festzustellen ist [62]. Komplette Non-Responder wurden lediglich in der Erlangener Kohorte beobachtet, die Erklärung hierfür steht noch aus. Sowohl in der Studie aus Kiel als auch der aus Erlangen ist zu beachten, dass die Patientenkohorte deutlich älter war als die gesunden Kontrollen und dass in der Kieler Kohorte ein großer Teil der Unterschiede in einer altersgematchten Analyse nicht mehr signifikant war. Dies könnte auch für die Erlangener Daten der Fall sein. Hierfür spräche, dass sich in dieser Studie eine Reduktion der humoralen Impfantwort auch bei Patienten ohne Immunsuppression fand, was ein Hinweis auf eine Immunseneszenz als Erklärung wäre. Die Reduktion der Antikörpertiter in der Kieler Kohorte war unabhängig davon, ob die Basistherapie rund um die Impfungen pausiert wurde oder nicht – allerdings waren in dieser Kohorte weder Patienten unter JAK-Inhibitoren noch unter Methotrexat.

Für RTX konnte in einer Untersuchung mit 5 Patienten [73] und in einer weiteren mit 30 Patienten [74] gezeigt werden, dass die Antikörperbildung nach COVID-19-Impfung in Abhängigkeit vom Abstand zur letzten Gabe von RTX deutlich unterdrückt wird. Dabei blieb eine antigenspezifische T‑Zell-Antwort aber meist vorhanden. In der zweiten Studie war der Nachweis von Impfantikörpern auch abhängig vom Vorhandensein peripherer B‑Zellen im Blut. In einer weiteren Untersuchung waren bei insgesamt 94 % von 404 mit mRNA-Impfstoffen geimpften Patienten mit ERE positive SARS-CoV-2-Antikörpertiter nachzuweisen. Während 100 % der Patienten unter TNF-Inhibitoren eine humorale Impfantwort aufwiesen, war dies bei Patienten unter Rituximab, mit allerdings unklarem Zeitabstand zwischen letzter Gabe und Impfung, nur in 26 % und unter Mycophenolat in 73 % der Fall [75].

Ende Mai 2021 ist eine retrospektive Untersuchung aus 2 in New York und Erlangen angesiedelten Kohorten erschienen, bei der eine reduzierte humorale und zelluläre Antwort nach Impfung mit dem Pfizer/BioNTech-Impfstoff unter Methotrexat bei einem Teil der geimpften Patienten berichtet wurde [76]. Ob isolierte Subgruppenanalysen nach Alter (Vergleich der unter 55-Jährigen, da Methotrexat-Patienten im Ø 10 Jahre älter waren) und nach bereits durchgemachter COVID-19 (8 % in der Methotrexat-Gruppe gegenüber 15 % bei den Kontrollen und 19 % bei den Patienten unter anderen Therapien) noch statistisch adäquat waren, bleibt fraglich. Außerdem erfolgten die Untersuchungen zur Impfantwort recht kurz nach der zweiten Impfung (8 bis 14 Tage, wenn man von einem Impfabstand von 21 Tagen ausgeht), sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich nur um eine verzögerte Impfantwort handelte. Die Autoren weisen auch selbst darauf hin, dass noch nicht klar ist, welcher Grad an Immunantwort für die Wirksamkeit eines Impfstoffes ausreicht. Die arbiträr festgelegten Cut-offs lassen keinen Rückschluss darauf zu, ob mit dem Nichterreichen der gewünschten humoralen Immunantwort auch ein höheres Infektionsrisiko verbunden ist. Die Frage, ob eine laufende Methotrexat-Therapie tatsächlich die Immunantwort nach SARS-CoV-2-Impfung in relevanter Form abschwächt, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht sicher beantworten, und erst recht ist nicht klar, ob dadurch der Impfschutz verringert wird.

8.12 Soll eine immunsuppressive/immunmodulatorische Therapie wegen der Impfung reduziert oder pausiert werden?

Die Datenlage zur vorübergehenden Therapiepause der DMARDs zum Zeitpunkt der SARS-CoV-2-Impfung ist begrenzt und bezieht sich überwiegend auf Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen. Kontrovers werden die Studiendaten zu Methotrexat diskutiert, die bei einer zweiwöchigen Therapiepause nach der Influenzaimpfung eine verbesserte humorale Immunantwort zeigten. Andere Daten weisen eine vermehrte Rate an Rezidiven der ERE bei einer Therapiepause von > 2 Wochen auf, ohne dass es zu einer weiteren Verbesserung der Immunantwort kam. Für Tofacitinib konnte gezeigt werden, dass eine einwöchige Therapiepause vor und nach einer Pneumokokkenvakzinierung keine bessere Immunantwort bewirkte. Vergleichbare Daten zu anderen DMARDs liegen nicht vor.

Aus grundsätzlichen Überlegungen zur Effektivität einer Impfung sollte die Immunsuppression zum Zeitpunkt der Impfung zwar so gering wie möglich sein, nicht nur im Hinblick auf Impfungen gegen SARS-CoV‑2 wird aber das Risiko einer Reaktivierung der ERE nach längerem Pausieren oder Absetzen einer immunmodulierenden/immunsuppressiven Therapie höher eingeschätzt als der Nutzen einer auch nur potenziellen Verbesserung der Impfantwort. Deshalb empfehlen wir nicht, eine bestehende immunmodulierende/immunsuppressive Therapie grundsätzlich wegen einer Impfung zu verändern. Als Ausnahme gilt die Gabe von lang wirksamen B‑Zell-depletierenden Substanzen (RTX). Hier sollte unter Abwägung der Gefahr einer Reaktivierung der Grunderkrankung einerseits und der Verbesserung einer potenziellen Impfantwort andererseits eine Verschiebung oder die Umstellung auf alternative Therapien erwogen werden (s. Tab. 4).

Tab. 4 Expertenkonsens zur eventuellen Anpassung antirheumatischer Therapien im Rahmen der Impfungen gegen COVID-19

Eine gute Krankheitskontrolle ist auch im Kontext der Impfung gegen COVID-19 vorrangig. Patienten sollten bei einer auch nur vorübergehenden Änderung der Therapie aufgeklärt und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Zur Optimierung der Impfantwort und in Absprache mit dem behandelnden Rheumatologen kann bei gut kontrollierter ERE ein Pausieren von Methotrexat, Mycophenolat, JAK-Inhibitoren und Abatacept im Rahmen der COVID-19-Impfung erwogen werden, wie in Tab. 4 aufgeführt.

8.13 Impfabfolge

Es werden keine rheumaspezifischen Einschränkungen oder Änderungen gegenüber den von der STIKO gegebenen zeitlichen Abfolgen der Impfungen gesehen. In Abhängigkeit von der Dringlichkeit einer immunsuppressiven Therapie, welche die Impfantwort beeinträchtigt (d. h. vor allem bei geplanter Gabe von RTX) sollten möglichst kurze Abstände zwischen Erst- und Zweitimpfung, soweit es die Zulassung erlaubt, bzw. eine einmalige Impfung mit einem Vektorimpfstoff (Johnson & Johnson) angestrebt werden (s. Punkt 8.9). Bei Gabe von RTX sollte ein Zeitfenster von 4 (in dringenden Fällen mindestens 2) Wochen nach Komplettierung der COVID-19-Impfung eingehalten werden.

8.14 Kann der Erfolg einer Impfung gegen COVID-19 durch Titerbestimmungen kontrolliert werden?

Unter jeder Immunsuppression kann die Impfantwort reduziert sein (s. Abschn. 8.11). Die Antikörperantwort nach einer Impfung gegen COVID-19 kann mit einer Titerbestimmung kontrolliert werden. Eine routinemäßige Bestimmung von Antikörpern gegen SARS-CoV‑2 wird aber nicht empfohlen [77], da noch nicht beurteilt werden kann, ob diese als Surrogatmarker für eine bestehende Immunität geeignet sind, auch wenn sich Hinweise dafür verdichten, dass neutralisierende Antikörper prädiktiv für den Schutz vor einer symptomatischen Infektion sind [78]. Mit den momentan verfügbaren Tests ist eine genaue Aussage, bei welchem Antikörperlevel ein tatsächlicher Schutz gegen die Erkrankung besteht, noch nicht möglich. Selbst bei einem komplett fehlenden Nachweis von Antikörpern könnte grundsätzlich eine zelluläre Immunantwort gegen das Spikeprotein bestehen und damit ein Impfschutz vorliegen. Dies wird mit Antikörpertests naturgemäß nicht erfasst. Im Falle niedriger oder negativer Antikörper ist deshalb nicht zu folgern, dass die Impfantwort gegen COVID-19 komplett ausgeblieben ist und Patienten nicht vor einer Infektion geschützt sind.

Auch bei einer durchgemachten Infektion wird vor einer Impfung eine routinemäßige Titerkontrolle nicht empfohlen, da die Impfung unabhängig vom Antikörperbefund empfohlen wird.

Allerdings ist anzumerken, dass die Interpretation der humoralen und zellulären Immunität ein dynamischer Prozess ist und eine neue Einschätzung der Wertigkeit dieser Tests insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der Notwendigkeit einer „Boosterung“/Auffrischimpfung bei Immunsupprimierten mit unzureichender Impfantwort kurzfristig erfolgen kann. Im Hinblick auf eine Booster-Impfung wird eine genaue Einschätzung erst möglich sein, wenn Kriterien für eine effektive Schutzwirkung definiert und kontrollierte Studien über eine Boosterung (u. a. zu Zeitpunkt, Menge, Wirkstoff) verfügbar sind.

8.15 Sonstige Impfungen

Unabhängig von den Überlegungen zu SARS-CoV‑2 sollten andere Impfungen gemäß den Empfehlungen der STIKO erfolgen. Daten zu Wechselwirkungen zwischen diesen und anderen bekannten Impfstoffen einerseits und den SARS-CoV-2-Impfstoffen auf der anderen Seite liegen nicht vor. Ein Mindestabstand von 14 Tagen vor Beginn und nach Ende der Impfserie gegen SARS-CoV‑2 sollte bei anderen Impfungen (mit Ausnahme von Notimpfungen) eingehalten werden.