In der Septemberausgabe von Arthritis and Rheumatism sind neue Kriterien zur Klassifikation der rheumatoiden Arthritis (RA) veröffentlicht worden [1], die die bisherigen Kriterien von 1987 ablösen [2]. Die neuen Kriterien sind nicht nur bemerkenswert, weil sie im Gegensatz zu den alten amerikanischen nun in der Zusammenarbeit von amerikanischer (ACR) und europäischer Rheumagesellschaft (EULAR) erarbeitet wurden, sondern auch, weil der Ansatz ganz neu ist. Die bisherigen Kriterien versuchten, die Erkrankung möglichst genau zu beschreiben und mittels hoher Sensitivität und Spezifität die nosologische Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern zu erreichen. Dabei ging man davon aus, dass die Aufzählung klinischer Merkmale die fehlende ätiopathogenetische Beschreibung ersetzen könne und so auch der einzelne Patient eine klare Diagnose erhalten könne.

Das klassische Vollbild der RA mit der irrtumsfreien Abgrenzung von anderen Erkrankungen ist begleitet von typischen radiologischen Veränderungen wie Erosionen und periartikulärer Osteopenie – späten Veränderungen, die schon den bleibenden Schaden anzeigen. Dies führte dazu, dass die Diagnose einer RA erst sehr spät gestellt werden konnte. Studien mit den neuen Biologicals zeigten aber, dass man früher behandeln sollte, um Schäden gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Kriterien einer RA waren oft noch nicht erfüllt, sodass das Auftreten von Schäden zur Bestätigung der Diagnose abgewartet werden musste, bevor ein Patient in die entsprechende Zulassungsstudie aufgenommen werden konnte. Zudem haben diese Studien gezeigt, dass auch Remission möglich ist, und zu der Spekulation geführt, dass bei frühzeitiger Behandlung und Vermeidung des Vollbildes der RA eine Remission ohne fortgesetzte pharmakologische Therapie möglich werden könnte [3].

Die rheumatoide Arthritis muss früh behandelt werden, damit Schäden gar nicht erst entstehen können

Die neuen Kriterien versuchen daher nicht mehr, die Erkrankung genau und zweifelsfrei zu beschreiben, sondern machen die Klassifikation einer Erkrankung als RA an der Indikation zur Gabe eines langsam wirkenden Medikaments (DMARD) wie Methotrexat fest [1]. Die Kriterien sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Neue Klassifikationskriterien 2010 für die rheumatoide Arthritis der amerikanischen (American College of Rheumatology) und der europäischen Rheumagesellschaft (European League Against Rheumatism; adaptiert nach [1])

Der Ansatz führt dazu, dass charakteristische Merkmale wie die Morgensteifigkeit und die Symmetrie der Arthritis fehlen, v. a. aber keine Röntgenveränderungen notwendig sind, obwohl Letztere weiterhin als hoch charakteristisch angesehen werden.

Welche Bedeutung könnte dieser neue Ansatz für die Kinder- und Jugendrheumatologie haben? Es war besonders bei Kindern mit Oligoarthritis schon lange bekannt, dass eine Remission ohne Medikation möglich ist [4]. Zudem stehen die aktuellen Kriterien für die Diagnose einer juvenilen idiopathischen Arthritis einer frühen Diagnosestellung nicht entgegen, da die Arthritis in mindestens einem Gelenk vor dem 17. Lebensjahr beginnen muss, 6 Wochen ununterbrochen bestanden haben soll und andere Ursachen ausgeschlossen sein müssen [5]. Wenn deshalb die Arthritis erkannt wurde, kann die Behandlung bei Kindern auch sehr früh begonnen werden. Das Problem eines späten Therapiebeginns liegt bei Kindern und Jugendlichen also nicht in den Klassifikationskriterien. Trotzdem kommt es häufig zur verzögerten Diagnosestellung und zu verspätetem Therapiebeginn. Dies hat seine Ursache in der späten Zuweisung zum Kinderrheumatologen, was z. B. zur verzögerten Gabe von intraartikulären Steroiden bei der Oligoarthritis und von Methotrexat bei der Polyarthritis führt [6]. Ursachen dafür können sein:

  • Unkenntnis des Vorkommens von „Rheuma“ bei Kindern,

  • langfristige Suche nach Verletzungen oder Schäden nach einem inadäquaten Trauma,

  • unerklärliche Verneinung der Diagnose, z. B. „unauffälliges MRT“ in Gegenwart eines sog. Reizergusses,

  • Nichtwahrhabenwollen der als bedrohlich empfundenen Diagnose „Rheuma“ bei Eltern und Therapeuten.

Dem kann nur abgeholfen werden durch verstärkte Aufklärung der Eltern und Fortbildung aller Ärzte, die sich auch mit dem Bewegungsapparat von Kindern und Jugendlichen beschäftigen.

Trotzdem hat der Ansatz von ACR und EULAR, das Pferd sozusagen von hinten aufzuzäumen und die Diagnose einer Erkrankung unbekannter Ursache an der Therapienotwendigkeit festzumachen, auch für die Kinder- und Jugendrheumatologie Bedeutung. Das aktuelle Klassifikationssystem der Internationalen Liga gegen Rheumatismus (ILAR) für die juvenile idiopathische Arthritis ist kompliziert und unterscheidet 8 verschiedene Subgruppen [5]. Es konnte gezeigt werden, dass die Klassifikationskriterien im klinischen Alltag oft missachtet werden [7]. Diese diagnostische Vielfalt entspricht nicht den vorhandenen Therapieempfehlungen, die im Wesentlichen nur Oligoarthritis, Polyarthritis und systemischen Beginn unterscheiden. Aus therapeutischer Sicht erscheint es zudem sinnlos, eine Subgruppe zu haben, die aus den anderen 7 Subgruppen nicht zuzuordnenden Fällen besteht, denn auch diese Patienten müssen behandelt werden. Wendet man die für die RA benutzte Methode auf die juvenile idiopathische Arthritis an, könnte man zu folgendem Ergebnis kommen:

  • Oligoarthritis: Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika und intraartikulären Steroiden. Bei unzureichender Wirkung Methotrexat;

  • HLA-B27-positive Spondylarthropathie: wie Oligoarthritis, aber Sulfasalazin statt Methotrexat bei peripherer Arthritis und TNF-Antagonisten bei Befall des Achsenskeletts;

  • Polyarthritis: nichtsteroidale Antirheumatika, Methotrexat, orale Steroide, Steroidpulstherapie, bei unzureichender Wirkung TNF-Antagonisten;

  • systemischer Beginn: nichtsteroidale Antirheumatika, Steroide oral und als Steroidpuls, Anakinra oder Tocilizumab.

Diese Betrachtung führt dazu, dass für gleichartig behandelte Erkrankungen nicht getrennte Wirksamkeitsstudien für neue Medikamente durchgeführt werden müssen, was die verzögerte Zulassung dieser Medikamente zur Folge hatte. So werden unter der klinischen Diagnose „Polyarthritis“ folgende Diagnosen nach ILAR-Lesart zusammengefasst:

  • RF-positive Polyarthritis,

  • RF-negative Polyarthritis,

  • „extended“ Oligoarthritis,

  • polyartikulärer Verlauf einer Psoriasisarthritis,

  • polyartikulärer Verlauf eines Morbus Still.

Diese Erkrankungen sind sicher unterschiedlich, aber die aktuelle therapeutische Differenzierung hat mit der Entwicklung der diagnostischen Untergliederung nicht Schritt halten können, sodass die Therapie trotz unterschiedlicher Pathogenese und Prognose den gleichen Empfehlungen folgt.

Gesondert zu betrachten ist der initiale Verlauf der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis, bei dem die Arthritis eine späte Manifestation sein kann, während sich die Erkrankung zunächst als Fieber ungeklärter Ursache mit oft typischem Ausschlag und Organbeteiligung zeigt [8]. Zwar wird im Allgemeinen frühzeitig mit Steroiden behandelt, die Gabe steroidsparender Medikamente wie Methotrexat oder Anakinra kann bei Fehlen der Arthritis jedoch verzögert sein. In dieser Situation sind neue Ansätze der frühen Diagnosestellung notwendig.

Weiter erscheint es aus dem Blickwinkel der einzuschlagenden Therapie wenig sinnvoll, die HLA-B27-negative juvenile Psoriasisarthritis als selbständige Diagnose zu führen, da die Therapie abhängig von der Manifestation als Oligo- oder Polyarthritis unterschiedlich ist. Verläuft die Psoriasisarthritis in Gegenwart von HLA B27 mit Beteiligung des Achsenskeletts, ist eine Therapie wie bei der juvenilen Spondylarthropathie zu beginnen. Hier zeigt der Ansatz, nur nach der Behandlung zu klassifizieren, seine Grenzen, da das Management der juvenilen Psoriasisarthritis natürlich unabhängig vom Verlauf der Gelenkerkrankung auch die Hautbeteiligung berücksichtigen muss.

Aus dem Blickwinkel der Therapie bleiben also statt der aktuellen 8 Subgruppen der juvenilen idiopathischen Arthritis nur noch 4.

Dies ist eine Erörterung aus dem Liegestuhl und nicht der Vorschlag einer neuen Klassifikation der juvenilen idiopathischen Arthritis. ACR und EULAR haben die neuen Kriterien der RA in einem 2-jährigen Prozess mit 3 Phasen entwickelt [9]:

  • Betrachtung von Patientenkohorten mit früher Arthritis und Ableitung von Kriterien für den Beginn einer Therapie mit DMARD;

  • Modifikation dieser Kriterien unter entscheidungswissenschaftlichen Kriterien und Konsensusbildung an Hand von Papierpatienten;

  • weitere Modifikation der Kriterien nach Validierung mittels weiterer Patientenkohorten und Abschätzung der Praktikabilität durch Experten.

Diese Prozessqualität setzt Maßstäbe auch für eventuelle neue Ansätze zur Klassifikation der juvenilen idiopathischen Arthritis.

Jede Diskussion über die Klassifikation chronischer Arthritiden bei Kindern und Jugendlichen hat zu beachten, dass alle vorgelegten Schemata nur vorläufigen Charakter haben, solange die Ursachen der Erkrankung unbekannt sind. Akzeptiert man die notwendige Unvollkommenheit und Vorläufigkeit der Klassifikation, erscheint die neue Herangehensweise von ACR und EULAR für die Klassifikation der RA auch für die Klassifikation der juvenilen idiopathischen Arthritis von Bedeutung und wird helfen, die Behandlung der Erkrankung weiter zu verbessern.