Hintergrund

Neugeborene, die auf einer neonatologischen Intensivstation (NICU) behandelt werden, sind besonders gefährdet für nosokomiale Infektionen [1,2,3]. Die Gründe hierfür sind multifaktoriell. Aufseiten der Früh- und Neugeborenen besteht eine Unreife verschiedener Komponenten der Infektionsabwehr. Die Epidermis- und Schleimhautbarriere sehr unreifer Frühgeborener (Geburtsgewicht < 1500 g, „very low birth weight“, VLBW) in den ersten Lebenswochen ist durchlässiger für Krankheitserreger. Unspezifische Barrieren (z. B. der intakten Haut oder der Atemwege) werden durch invasive Maßnahmen der Intensivtherapie (Katheter, Drainagen, Intubation) durchbrochen. Zudem wird das intensivmedizinisch behandelte Kind im Verlauf mannigfacher Kontakte (Hände!) mit Erregern aus der Umgebung der NICU besiedelt, die bei reifen, zu Hause betreuten Neugeborenen nicht vorkommen. Hinzu kommt der Selektionsdruck durch breit wirksame Antibiotika, durch den sich das Mikrobiom des Kindes verändert. Durch die nicht zu verhindernde Besiedlung des Kindes mit potentiellen Infektionserregern aus dem Krankenhausumfeld besteht gleichzeitig ein erhöhtes Risiko für eine Besiedlung mit multiresistenten Bakterien. In diesem Umfeld bildet sich das Mikrobiom nicht vorrangig aus Bakterien, die ihren Ursprung in der Besiedlung der Mutter haben, sondern es kommen häufig Bakterien aus der Krankenhausumgebung hinzu.

Leitlinien und interne SOPs

Die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO [Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention]) beim Robert-Koch-Institut [4,5,6,7] stellen einen im § 23 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) mandatierten Handlungsrahmen bereit, innerhalb dessen die Krankenhaushygiene und Infektionsprävention vor Ort organisiert werden soll. Sein übergeordnetes Vorhandensein garantiert jedoch keineswegs die nachhaltige Implementierung in der klinischen Praxis [8]. Die vor Ort vorhandenen klinikinternen SOPs („standard operating procedures“) sollen an aktuelle KRINKO-Empfehlungen angepasst werden. Zu einzelnen speziellen Themen gibt es zudem ergänzende Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI; [9, 10]).

Die aktive Beteiligung an der Erstellung interner SOPs erhöht die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung

Wenn alle Entscheidungsträger und das Hygienefachpersonal von Beginn an in die Erstellung von internen SOPs aktiv einbezogen werden, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit der späteren Umsetzung (IKEA-Effekt; [11]). Die Einführung von neuen oder überarbeiteten internen SOPs sollte von fallbezogenen und möglichst interaktiven Fortbildungsangeboten begleitet werden, an deren Planung und Durchführung sich das Hygienefachpersonal beteiligen sollte.

Einzelne evidenzbasierte (oder zumindest plausibel belegte) Maßnahmen der Infektionsprävention werden in Präventionsbündeln zusammengefasst, um die Implementierung und nachhaltige Umsetzung zu erleichtern [12,13,14,15]. Im Folgenden wird auf Besonderheiten in dieser besonders vulnerablen Patientenpopulation eingegangen.

Prävention gefäßkatheterassoziierter Infektionen (CLABSI)

Eine Auswahl von Maßnahmen, die zur Prävention von CLABSI beitragen, fasst Tab. 1 zusammen [4, 12, 13, 15].

Tab. 1 Komponenten eines CLABSI(gefäßkatheterassoziierte Infektionen)-Präventionsbündels in der Neonatologie [4]

Prävention beatmungsassoziierter Pneumonien (VAP)

Eine Auswahl von Maßnahmen zusammen, die zur Prävention von VAP bei Früh- und Neugeborenen beitragen, fasst Tab. 2 zusammen [14,15,16,17,18,19,20,21].

Tab. 2 Komponenten eines VAP(beatmungsassoziierte Pneumonie)-Präventionsbündels in der Neonatologie

Kolonisationsscreening

Das von der KRINKO empfohlene wöchentliche Kolonisationsscreening [1, 5, 6, 22] wird nach den Ergebnissen eines aktuellen Surveys [8] von den meisten NICUs konsequent umgesetzt. Die hieraus gewonnen Befunde zur Besiedlung mit MRE (multiresistente Erreger) werden bei der Auswahl der empirisch eingesetzten Antibiotikatherapie der Late-onset-Sepsis genutzt [23], was keinesfalls zwingend zu einem häufigeren Einsatz von Reserveantibiotika führt [24]. Dieses Instrument dient auch zur frühzeitigen Erkennung von nosokomialen Übertragungen. Die Besiedlung mehrerer Patienten mit dem gleichen Erreger darf jedoch nicht mit einem Ausbruch verwechselt werden, für den mindestens 2 Infektionen in einem epidemiologischen Zusammenhang Voraussetzung sind [25].

Probleme bestehen nach wie vor durch Personalmangel und/oder baulich-funktionelle Limitationen

Erhebliche Probleme ergeben sich in vielen NICUs weiterhin aufgrund von Personalmangel und/oder baulich-funktionellen Limitationen. Mitunter kann daher keine angemessene Isolierung oder Kohortierung der Patienten erfolgen, die mit bestimmten MRE besiedelt oder infiziert sind [8, 26]. Zurzeit wird eine prospektive, Cluster-randomisierte, multizentrische Studie zur Klärung der Frage durchgeführt, ob bei der Kontaktisolierung von Neugeborenen, die mit 2MRGN NeoPäd (multiresistente gramnegative Erreger, die eine Betalaktamase mit erweitertem Wirkspektrum bilden) besiedelt sind, Standardhygienemaßnahmen zur Vermeidung nosokomialer Übertragungen ausreichen (Studienleiter Prof. Dr. Christoph Härtel, Würzburg).

Gegenstand intensiver Diskussionen (auch zwischen Geburtshelfern und Neonatologen) ist die Empfehlung der KRINKO zur mikrobiologischen Untersuchung von Schwangeren mit drohender Frühgeburt [5]. Entsprechende Besiedlungsdaten der Mutter können sich – beispielsweise bei einer Besiedlung mit MRGN – auf die empirische Therapie des Neugeborenen bei Verdacht auf eine Early-onset-Sepsis auswirken [27, 28]. Ist die Schwangere MRSA(Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus)-besiedeltFootnote 1, stellt sich zum einen die Frage nach der bestmöglichen perioperativen Antibiotikaprophylaxe bei Sectio. Des Weiteren kann sich – bei fehlender Kenntnis – nicht nur eine MRSA-Übertragung auf das Neugeborene, sondern auch eine nosokomiale Ausbreitung innerhalb der NICU ereignen [29].

Muttermilch und Formulanahrung

Muttermilch kann bakterielle und virale Erreger enthalten, die auf das Neugeborene und (bei ungeschütztem Kontakt) auch auf das Personal übertragen werden können. Das gilt auch für die Verabreichung von Muttermilch (oder Formulanahrung) über eine Magensonde mit Hilfe von Einmalspritzen, weshalb hier zusätzlich zur hygienischen Händedesinfektion das Tragen von sauberen Einmalhandschuhen empfohlen wird [30]. Insofern benötigen Kinderkliniken nicht nur für Formulanahrung und Sondenkost, sondern auch für den Umgang mit abgepumpter Muttermilch einen Hygienestandard.

Wasserbäder („Flaschenwärmer“) zum Aufwärmen der Nahrung sind obsolet. In Pulverform vom Hersteller gelieferte Formulanahrung für Neugeborene ist nicht steril, sondern kann bei Einhaltung der Richt- und Warnwerte mit Bakterien kontaminiert sein. Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang die Kontamination von Formulanahrung mit dem Erreger Cronobacter (vormals Enterobacter) sakazakii, der durch seine Temperaturtoleranz den Herstellungsprozess überlebt und bei Neugeborenen eine Sepsis mit Meningitis auslösen kann. Daher wird für VLBW-Frühgeborene die Verwendung steriler Formulanahrung empfohlen.

Ausbruchserkennung und -management

Infektionsausbrüche in der NICU unterscheiden sich mitunter ganz wesentlich von entsprechenden Ereignissen in der Erwachsenenmedizin [29, 31,32,33]. Darauf muss das lokale Ausbruchsmanagementteam vorbereitet sein.

Clostridioides difficile

Die pädiatriespezifischen Besonderheiten der C.-difficile-assoziierten Infektionen im Kindesalter [34] wurden in der entsprechenden KRINKO-Empfehlung berücksichtigt [35].

Aus krankenhaushygienischer Sicht ist es wichtig zu beachten, dass ein hoher Anteil von intensivmedizinisch behandelten Früh- und Neugeborenen toxinbildende C. difficile ausscheidet, ohne dass es (bis etwa zum Alter von 13 Monaten) zu einer hiermit assoziierten Erkrankung kommt [36]. Obwohl eine Übertragung auf ältere Patienten der NICU bzw. gemischten pädiatrischen Intensivstation prinzipiell möglich ist, wurde bisher nicht über entsprechende Ausbrüche berichtet [37].

SARS-CoV-2

Im Register für stationär behandelte Kinder und Jugendliche mit SARS-CoV-2(„severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“)-Infektion der DGPI (koordiniert von Dr. Jakob Armann und Prof. Dr. Reinhard Berner, Dresden) sind bis zum 24. Januar 2021 von insgesamt 902 vollständig dokumentierten Verläufen bei Kindern 9 % Neugeborene (n = 82; entspricht 23 % der unter 1 Jahr alten Kinder). Zehn (13 %) sind Frühgeborene, das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen. Lediglich 17 (20 %) der Neugeborenen waren während des gesamten stationären Aufenthaltes asymptomatisch, während die übrigen vor allem Fieber und/oder obere Atemwegssymptome zeigten. Allerdings konnte auch bei immerhin 8 Kindern zusätzlich eine bakterielle Infektion (Blutstrominfektion/Pyelonephritis) nachgewiesen werden. Die große Mehrheit (83 %) konnte bereits ohne Folgeschäden wieder entlassen werden. Zu diesem Thema sind interdisziplinäre Konsensusempfehlungen der Fachgesellschaften erarbeitet worden [38, 39]. Intrauterin/intrapartal exponierte Neugeborene auf der NICU sollten mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen versorgt werden, um eine Transmission innerhalb der NICU zu vermeiden. Neugeborene SARS-CoV-2-positiver Mütter werden nur dann von ihrer Mutter getrennt, wenn der Gesundheitszustand der Mutter oder des Kindes so kritisch ist, dass ein Rooming-in mit zusätzlichen Schutzmaßnahmen nicht realisiert werden kann [38, 39].

Die NICU gehört zu den klinischen Abteilungen, deren Patienten und Mitarbeiter besonders konsequent vor einem vermeidbaren Eintrag von SARS-CoV‑2 geschützt werden müssen (hoch vulnerable Bereiche). Das Patientenaufkommen von Level-1-NICUs ist zum größten Teil nicht elektiv steuerbar, und die Kontinuität der intensivmedizinischen Behandlung Früh- und Neugeborener muss auch während der Pandemie gewährleistet bleiben. SARS-CoV-2-Infektionen beim Behandlungsteam könnten diese kritische Infrastruktur [40, 41] sehr rasch in Bedrängnis bringen. Dies gilt auch für SARS-CoV-2-Nachweise bei Patienten oder Eltern, weil diese ein komplexes Kontakt-Tracing und ggf. Quarantäneverordnungen nach sich ziehen [42].

Im Universitätsklinikum des Saarlandes wird der Zugang zur NICU nur noch einem definierten Kreis von absolut notwendigen Mitarbeitern erlaubt. Das Personal wird mit einem PCR(Polymerasekettenreaktion)-basierten Pooling-Verfahren wöchentlich auf SARS-CoV‑2 getestet [43]. Organisatorisch schwieriger zu realisieren ist die SARS-CoV-2-Testung bei den Eltern der Kinder, die nicht als Besucher gelten, sondern deren Anwesenheit auf der NICU zu definierten Zeiten erforderlich ist. Auch diese werden mindestens einmal pro Woche gescreent. Selbstverständlich dürfen symptomatische Eltern die NICU nicht betreten und alle tragen zusätzlich zur hygienischen Händedesinfektion einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz. Interessanterweise wirkt sich die strikte Beachtung der „Corona-Regeln“ im Krankenhaus (und der AHA + L[Abstand, Hygiene, Alltagsmaske + Lüften]-Regeln außerhalb des Krankenhauses!) günstig auf die Inzidenz anderer (nosokomialer) viraler Atemwegsinfektionen bei Frühgeborenen aus. Dies gilt insbesondere für Atemwegsinfektionen durch RS(„respiratory syncytial“)- und Influenzaviren [44].

Antibiotic Stewardship (ABS) in der Neonatologie

Die Zunahme multiresistenter Infektionserreger und die unerwünschten Effekte einer breit wirksamen, prolongierten Antibiotikatherapie bei Neugeborenen haben dazu geführt, dass die Indikationsstellung zur Behandlung mit Antibiotika zunehmend kritisch analysiert und ggf. einer infektiologisch fundierten Neubewertung unterzogen wird. Infektionsprävention und ABS sollten sich gegenseitig ergänzen.

Infektionsprävention und ABS sollten sich gegenseitig ergänzen

Der zu breite und unangemessen lange Einsatz von Antibiotika kann negative Konsequenzen für den Patienten selbst [45,46,47,48,49] und für das Erreger- und Resistenzprofil der NICU haben [50,51,52]. Mikrobiomstudien zeigen, dass der Einsatz von Antibiotika im frühen Kindesalter mit langfristigen unerwünschten Effekten assoziiert ist [53,54,55]. Selbstverständlich gibt es Neonatologen, die Antibiotika im stationären Setting restriktiv, gezielt und leitlinienkonform einsetzen [56,57,58]. Insgesamt kann jedoch davon ausgegangen werden, dass mindestens 30 % der Antibiotikaanwendungen in diesem klinischen Setting nicht indiziert sind oder nicht adäquat erfolgen [59,60,61,62]. Im klinischen Alltag ist die Verordnung von Antibiotika „Tagesgeschäft“. Oft kommen dabei Regime zur Anwendung, die lange tradiert sind („Haben wir schon immer so gemacht“) oder für die keine klare Evidenz, sondern lediglich eine abteilungsinterne „Verschreibungsetikette“ besteht („Der Oberarzt will das so“; [63]). Eine nachhaltige Verbesserung der bisherigen Praxis erfordert eine grundlegende Verhaltensänderung der verantwortlichen Ärzte [64, 65]. Strukturell-organisatorische Voraussetzungen und konkrete Abläufe des Antibiotikaeinsatzes im Krankenhaus geraten zunehmend in den Fokus einer kritischen Analyse. Hierzu wird auf aktuelle AWMF(Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften)-Leitlinien verwiesen [66, 67].

Fazit für die Praxis

  • Krankenhaushygiene und Infektionsprävention in der neonatologischen Intensivmedizin sind ein komplexes Unterfangen mit vielen Besonderheiten im Vergleich zu anderen Patientenpopulationen.

  • Die entsprechenden Aufgaben können nur durch ein gut kooperierendes, interdisziplinär aufgestelltes Team erfolgreich bewältigt werden.

  • Das gilt in gleicher Weise für die ABS (Antibiotic Stewardship) in der NICU (neonatologische Intensivstation).