Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag gibt eine Einführung in die Neuropsychologie des menschlichen Gedächtnisses. Die Begriffe Kurzzeit‑, Arbeits-, episodisches Gedächtnis sowie semantisches und prozedurales Gedächtnis werden beschrieben, die anatomischen Korrelate der verschiedenen Gedächtnissysteme werden dargestellt. Zudem wird eine kurze Einführung in die Methodik der neuropsychologischen Gedächtnisforschung gegeben, zusammen mit Hinweisen zur neuropsychologischen Diagnostik und Therapie.
Abstract
This article provides an introduction to the neuropsychology of human memory. The terms short-term memory, working memory, episodic memory, semantic and procedural memory are defined and the anatomical correlates of these various memory systems are presented. Additionally, a brief introduction to the methods for neuropsychological research on human memory is given together with advice on the neuropsychological diagnostics and therapy.
Literatur
Carlson NR (2004) Physiologische Psychologie. Pearson, München
Kopelman MD (2002) Disorders of memory. Brain 125:2152–2190
Thöne-Otto A, George S, Hildebrandt H et al (2010) Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen. Z Neuropsychol 21:271–281
Thöne-Otto AIT (2009) Gedächtnisstörungen. In: Sturm W, Herrmann M, Münte T (Hrsg) Lehrbuch der Klinischen Neuropsychologie. Spektrum, Heidelberg
Deuschl G, Maier W et al (2016) S3-Leitlinien Demenz. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 23.03.2020))
Henson R (2005) A mini-review of fMRI studies of human medial temporal lobe activity associated with recognition memory. Q J Exp Psychol B 58:340–360
Squire LR, Wixted JT (2011) The cognitive neuroscience of human memory since H.M. Annu Rev Neurosci 34:259–288
Rorden C, Karnath HO (2004) Using human brain lesions to infer function: a relic from a past era in the fMRI age? Nat Rev Neurosci 5:812
Shallice T (2019) The single case study of memory. In: MacPherson SE, Sala DS (Hrsg) Cases of amnesia. Contributions to understanding memory and the brain. Psychology Press, Hove
Baddeley AD, Hitch GJ (2019) The phonological loop as a buffer store: an update. Cortex 112:91–106
Cowan N (1999) An embedded-processes model of working memory. In: Miyake A, Shah P (Hrsg) Models of working memory. Cambridge University Press, Cambridge, S 62–101
Smith EE, Jonides J (1997) Working memory: a view from neuroimaging. Cogn Psychol 33:5–42
Leff AP, Schofield TM, Crinion JT et al (2009) The left superior temporal gyrus is a shared substrate for auditory short-term memory and speech comprehension: evidence from 210 patients with stroke. Brain 132:3401–3410
Majerus S (2009) Verbal short-term memory and temporary activation of language representations: the importance of distinguishing item and order information. In: Thorn A, Page M (Hrsg) Interactions between short-term and long-term memory in the verbal domain. Psychology Press, Hove, S 244–276
Tulving E (1972) Episodic and semantic memory. Organ Mem 1:381–403
Tulving E (1985) Memory and consciousness. Can J Psychol 26:1–12
Scoville WB, Milner B (1957) Loss of recent memory after bilateral hippocampal lesions. J Neurol Neurosurg Psychiatry 20:11–21
Markowitsch H (2012) Neuroanatomie und Störungen des Gedächtnisses. In: Karnath HO, Thier P (Hrsg) Kognitive Neurowissenschaften. Springer, Berlin, S 552–566
Henke K (2010) A model for memory systems based on processing modes rather than consciousness. Nat Rev Neurosci 11:523
Aggleton JP, Brown MW (1999) Episodic memory, amnesia, and the hippocampal–anterior thalamic axis. Behav Brain Sci 22:425–444
Harding A, Halliday G, Caine D, Kril J (2000) Degeneration of anterior thalamic nuclei differentiates alcoholics with amnesia. Brain 123:141–154
Van der Werf YD, Jolles J, Witter MP, Uylings HBM (2003) Contributions of thalamic nuclei to declarative memory functions. Cortex 39:1047–1062
Ward J (2010) The student’s guide to cognitive neuroscience. Psychology Press, Hove
McDaniel MA, Einstein GO (2011) The neuropsychology of prospective memory in normal aging: a componential approach. Neuropsychologia 49:2147–2155
Warrington EK (1975) The selective impairment of semantic memory. Q J Exp Psychol 27:635–657
Lambon Ralph MA (2014) Neurocognitive insights on conceptual knowledge and its breakdown. Philos Trans R Soc B, Biol Sci 369(1634):20120392
Capitani E, Laiacona M, Mahon B, Caramazza A (2003) What are the facts of semantic category-specific deficits? A critical review of the clinical evidence. Cogn Neuropsychol 20:213–261
Thöne-Otto A et al (2020) Diagnostik und Therapie von Gedächtnisstörungen bei neurologischen Erkrankungen, S2e-Leitlinie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 27.04.2020))
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
Gemäß den Richtlinien des Springer Medizin Verlags werden Autoren und Wissenschaftliche Leitung im Rahmen der Manuskripterstellung und Manuskriptfreigabe aufgefordert, eine vollständige Erklärung zu ihren finanziellen und nichtfinanziellen Interessen abzugeben.
Autoren
T. Bormann: A. Finanzielle Interessen: Einmaliges Honorar für Referententätigkeit: DGN, Facharztrepetitorium. – Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger o. ä.: DGN, Facharztrepetitorium. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Angestellter Psychologe, Universitätsklinik Freiburg. C. Weiller: A. Finanzielle Interessen: C. Weiller gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Direktor der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie, Freiburg i. Br. | Mitgliedschaft: DGKN (Präsident 2019).
Wissenschaftliche Leitung
Die vollständige Erklärung zum Interessenkonflikt der Wissenschaftlichen Leitung finden Sie am Kurs der zertifizierten Fortbildung auf www.springermedizin.de/cme.
Der Verlag
erklärt, dass für die Publikation dieser CME-Fortbildung keine Sponsorengelder an den Verlag fließen.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
CME-Fragebogen
CME-Fragebogen
Woraus ergibt sich die funktionelle Unabhängigkeit von Lang- und Kurzzeitgedächtnis?
Aus einer doppelten Dissoziation von Patienten mit eingeschränkter Merkspanne und erhaltenem längerfristigem Lernen und vice versa
Aus der Untersuchung von Patienten mit Alzheimer- und semantischer Demenz
Aus Defiziten bei Patienten mit M. Parkinson und Patienten mit Enzephalitis
Aus Untersuchungen an Patienten mit anterograder Amnesie, die auch Defizite im Kurzzeitgedächtnis haben
Aus Untersuchungen die zeigen, dass unterschiedliche Thalamuskerne mit dem Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis assoziiert sind
Welche Bedeutung haben Hippokampus und Strukturen des sog. Papez-Kreises für das Gedächtnis?
Sie sind wichtig für das prozedurale Gedächtnis.
Sie sind relevant beim Enkodieren und Konsolidieren beim episodischen Gedächtnis.
Sie sind relevant für das Kurzzeitgedächtnis.
Sie sind wichtig für das semantische Gedächtnis.
Sie sind wichtig für das Arbeitsgedächtnis.
Welches Gedächtnissystem repräsentiert die Erinnerung an das letzte Weihnachtsfest mit Ihrer Familie?
Das semantische Gedächtnis
Das Kurzzeitgedächtnis
Das Arbeitsgedächtnis
Das episodische Gedächtnis
Das prospektive Gedächtnis
Welches Gedächtnissystem repräsentiert Kenntnisse über die übliche Bedeutung des Weihnachtsfestes in unserem Kulturkreis?
Das Arbeitsgedächtnis
Das episodische Gedächtnis
Das prozedurale Gedächtnis
Das anoetische Gedächtnis
Das semantische Gedächtnis
Wo liegt das neuronale Korrelat des phonologischen Speichers üblicherweise bei Rechtshändern?
Im rechten inferior-frontalen Gyrus und medialen Thalamus
Im linken inferior-parietalen und hinteren superior-temporalen Lappen
Im Hippokampus und dem Gyrus fusiformis links
In den Basalganglien und im linken vorderen Thalamus
Im Zerebellum und dem okzipitalen Kortex
Welche Gedächtnisstörungen treten bei einer Herpes-Enzephalitis auf?
Ausgeprägte anterograde Störungen des episodischen Gedächtnisses
Selektive Störungen des Wissens über Musikinstrumente und Edelsteine
Selektive Störungen des Wissens über Fahrzeuge und Tiere
Erhebliche Störungen des visuellen Kurzzeitgedächtnisses
Geringfügige Störungen des biographischen Altgedächtnisses
Welche Aussage zum Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley und Hitch ist richtig?
Das Modell postuliert eine zentrale Rolle parahippokampaler Strukturen beim semantischen Gedächtnis.
Das Modell nimmt eine zentrale Exekutive sowie drei Sklavensysteme an.
Das Modell geht davon aus, dass es keine strikte Trennung zwischen Langzeit- und Arbeitsgedächtnis gibt.
Das Modell postuliert eine wesentliche Rolle der Assoziationskortizes und der vorderen Temporallappen.
Das Modell lokalisiert Arbeitsgedächtnisfunktionen überwiegend im inferior-frontalen Kortex.
Was ist ursächlich für das Gedächtnisdefizit beim Korsakoff-Syndrom?
Eine Schädigung einer direkten Verbindung von Hippokampus und orbitofrontalem Kortex
Die Unterbrechung der Verbindung zwischen parahippokampalem und entorhinalem Kortex
Eine strategische Läsion im Fornix und der Adhaesio interthalamica
Eine Degeneration des Kleinhirns und der Olive
Eine Degeneration der vorderen Thalamuskerne und der Mamillarkörper
Eine Ende 60-jährige Patientin stellt sich in Begleitung ihres Sohnes in der Klinik vor. Beide berichten übereinstimmend von langsam progredienten „Gedächtnisstörungen“, vor allem aber, weil die Namen von Bekannten, aber auch Alltagsobjekten, Gemüsesorten und Tierrassen nicht mehr verfügbar seien. Die Patientin habe zudem zunehmend Probleme, an sie gerichtete Fragen oder Anweisungen zu verstehen. Beim Objektbenennen traten Wortfindungsstörungen und bedeutungsbezogene Fehler auf, so benannte sie das Bild einer Eidechse mit „Schlange“, das Bild eines Tigers als „Löwe“. Befragt, wie das Tier mit den beiden Höckern heiße, gab sie an, nicht zu wissen, was „Höcker“ seien. Von den jüngst berichteten Ergebnissen der Kommunalwahl konnte die Probandin jedoch trotz ihrer ausgeprägten Wortfindungsstörungen sehr umfassend berichten. Welche Verdachtsdiagnose stellen Sie?
Eine typisch verlaufende Alzheimer-Erkrankung
Eine semantische Variante der primär-progredienten Aphasien
Eine Herpes-Enzephalitis
Eine Schädigung des linken inferior-frontalen Gyrus
Gedächtnisstörungen im Rahmen eines Korsakoff-Syndroms
Eine 55-jährige Patientin erleidet eine Thalamusischämie links mit umschriebenen Diffusionsstörungen in ventralen und vorderen Thalamusgebieten. Betroffen ist außerdem der mamillothalamische Trakt. Welche Gedächtnisstörung erwarten Sie?
Eine Störung des episodischen Gedächtnisses
Eine Störung des semantischen Gedächtnisses
Keine Gedächtnisstörung
Eine Störung des perzeptuellen nichtdeklarativen Langzeitgedächtnisses
Eine Störung des verbalen Arbeitsgedächtnisses
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Bormann, T., Weiller, C. Neuropsychologische Störungen des Gedächtnisses. Nervenarzt 91, 543–552 (2020). https://doi.org/10.1007/s00115-020-00934-9
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-020-00934-9