Zusammenfassung
Beheizte Autositze werden mit steigender Popularität in Anspruch genommen. Wir stellen den klinischen Fall einer schweren zweit- und drittgradigen Verbrennung der Sakroglutealregion eines 42-jährigen posttraumatisch Querschnittsgelähmten vor. Der Patient wurde in unserer Verbrennungsklinik aufgenommen und zahlreiche Operationen wurden notwendig. Querschnittsgelähmte Patienten sind durch ihre Sensibilitäts- und Schmerzempfindungsstörung einem erhöhten Verbrennungsrisiko durch Autositzheizungen ausgesetzt. Wir empfehlen eine frühzeitige adäquate Aufklärung der Patienten, Hersteller und aller Bezugspersonen zur Vermeidung derartig schwerwiegender Verbrennungsereignisse.
Summary
The comfort of heated car seats has gained popularity worldwide. We present a rare case of severe second- and third-degree burn in the lower back and sacral region of a 42-year-old post-traumatic paraplegic patient while using a heated car seat. The patient was admitted to our burn unit and required several reconstructive surgery procedures. Inadvertent thermal injury is a constant potential hazard for individuals with impaired sensibility such as paraplegics and other neurologically impaired patients. Early education of patients, manufacturers, and health care personnel is of eminent importance to prevent severe burn injuries in this risk population.
Anamnese
Ein 42-jähriger Patient wurde mit schweren Verbrennungen in der Gesäß-, Sitzbein- und proximalen Oberschenkelregion in unsere Verbrennungsklinik eingeliefert. Er hatte sich diese Verletzung durch den Gebrauch einer Autositzheizung über einen Zeitraum von ca. 4 h zugezogen. Der Patient litt seit 12 Jahren an einer traumatisch bedingten kompletten sensomotorischen Querschnittslähmung in Höhe des Zervikalmarks C7 (ASIA Grad A, American Spinal Injury Association [ASIA] Impairment Scale, modifiziert nach Frankel). Es bestanden Anästhesie und Analgesie unterhalb von C7 mit spastischer Parese der Rumpf- und Beinmuskulatur und einer Blasenreflexinkontinenz. An den Armen fanden sich segmentale Muskelatrophien und Paresen ab C7, mit Atrophie und Reflexausfall des M. trizeps brachii.
Klinischer Befund und Diagnose
Der Patient wurde wach, ansprechbar in kardiopulmonal stabilem Zustand eingeliefert. Die Wundbeurteilung ergab zweit- und drittgradige Verbrennungen am Sakrum, den Gluteal- und Skrotalregionen sowie dorsalseitig an beiden proximalen Oberschenkeln. Eine Gesamtkörperoberfläche von 6% war betroffen mit einem Anteil von 2% drittgradiger Verbrennungen (Abb. 1).
Therapie und Verlauf
Nach sofortiger stationärer Aufnahme erfolgten eine Brandblasenabtragung an den verbrannten Zonen und eine anschließende topische Wundbehandlung mit Silber-Sulfadiazine-Creme. Eine Volumenersatztherapie und eine intensivmedizinische Überwachung wurden eingeleitet.
Am zweiten posttraumatischen Tag wurden operativ nekrotische Hautareale scharf tangential abgetragen und temporär mit allogenen Hauttransplantaten gedeckt. Aufgrund der Zunahme der Verbrennungstiefe durch lokale Mikrozirkulationsstörungen vergrößerte sich der Bereich drittgradiger Verbrennungen am Gesäß und der Sitzbeinregion (Abb. 2). In einer zweiten Operation konnten diese Regionen nach Nekrektomie autolog, mit Eigenhauttransplantaten von beiden Oberschenkeln, gedeckt werden. Zur definitiven Wiederherstellung eines adäquaten Weichteilmantels im Bereich des durch Druckulkus gefährdeten linken Sitzbeinhöckers erfolgte in einer dritten Operation eine gestielte Grazilismuskellappenplastik. Der weitere stationäre Aufenthalt war unauffällig mit reizloser Einheilung der Eigenhauttransplantate und der Lappenplastik.
Der Patient konnte nach 53 Tagen in der Verbrennungseinheit auf die Normalstation übernommen und nach insgesamt 93 Tagen Klinikaufenthalt beschwerdefrei mit belastungsstabil verschlossenen Weichteilverhältnissen in der Gluteal- und Sitzbeinregion in eine Rehabilitationseinrichtung entlassen werden. Nach der Rehabilitation wurde aufgrund der Ausbildung einer Steißbeinfistel eine abschließende Sanierungsoperation der Steißregion komplikationslos durchgeführt.
In einer Nachuntersuchung nach 24 Monaten präsentierte sich der Patient weiterhin mit einer vollständigen Weichteildeckung und berichtete über völlige Beschwerdefreiheit (Abb. 3).
Diskussion
Querschnittsgelähmte Patienten gehören zur Risikopopulation für Verbrennungen [1, 2, 8, 9]. Aufgrund der reduzierten oder aufgehobenen Sensibilität, Schmerzempfindung und der krankheitsbedingt eingeschränkten Mobilität besteht ein grundsätzlich erhöhtes Risiko, thermal bedingte Verletzungen mit schweren Krankheitsverläufen zu erleiden [3–5]. Der Wunsch nach warm klimatisierten Sitz- und Rückenzonen beim Autofahren führte in den letzten Jahren zu einer verstärkten Inanspruchnahme beheizbarer Autositze. Diese zunehmende Popularität von Sitzheizungen in Fahrzeugen der neueren Generation bedingt eine neue thermische Verletzungsquelle für Querschnittsgelähmte. Diese ist zum einen rein technisch bedingt, aufgrund von möglichen Fehlfunktionen der Regulationselektronik besteht das Risiko einer Überhitzung mit Kurzschlussreaktion und Brandgefahr [6]. Zum anderen kann der lange konstante Betrieb einer defekten Sitzheizung, bei vorhandener Anästhesie und Analgesie, beim Anwender eine unbemerkte lokale Überhitzung mit schweren Verbrennungen verursachen. Drittgradige Verbrennungen können bei 49°C warmen Autositzen bereits nach 10 min eintreten.
In letzter Zeit häufen sich medienwirksame Rückrufaktionen namhafter Autohersteller in den USA und kürzlich in Deutschland bei fraglich defekten Sitzheizungssystemen aufgrund einer potenziellen Verbrennungsgefahr durch Temperaturfehlregulationen [6]. Abhilfe schaffen schutztechnische Verbesserungen an Autositzen mit Temperaturkontrollen, Beschränkung der maximalen Temperatur weit unter 49°C und eine sensorgesteuerte Sicherungsautomatik bei lokaler Überhitzung [7]. Der gänzliche Verzicht auf Autositzheizungen bei Querschnittsgelähmten und anderen betroffenen Personengruppen wie Diabetikern, Patienten mit Gefäßkrankheiten und Schlaganfallpatienten wäre die sicherste Maßnahme.
Fazit für die Praxis
Beheizbare Autositze bergen ein erhöhtes Verbrennungsrisiko für neurologisch beeinträchtigte Patienten mit reduzierten oder aufgehobenen Schmerz- und Temperaturempfindungen. Eine umfassende Aufklärung der Patienten und Angehörigen bereits während der Rehabilitationsphase sowie aller mittelbar betroffenen Personengruppen (Autohersteller und Vertrieb) muss erfolgen, um schwere Verbrennungen mit langen Krankenhausaufenthalten und zahlreichen Operationen vermeiden zu können.
Literatur
Backstein R, Peters W, Neligan P (1993) Burns in the disabled. Burns 19:192–197
Brezel BS, Kassenbrock JM, Stein JM (1988) Burns in substance abusers and in neurologically and mentally impaired patients. J Burn Care Rehabil 17:95–107
Chung BS, El-Toraei I, Furnas DW (1978) Thermal injury on the foot and ankle of a paraplegic: report of a case from exposure to sunshine. J Dermatol Surg Oncol 4:468–469
Guneren E, Akbas H, Eroglu L et al. (2003) Contact radiator burn in a paraplegic patient. Plast Reconstr Surg 111:2116–2117
Hwang JC, Himel HN, Edlich RF (1995) Bilateral amputations following hydrotherapy tank burns in a paraplegic patient. Burns 21:70–71
Maguina P, Palmieri TL, Greenhalgh DG (2003) Car seat heaters: a potential hazard for burns. J Burn Care Rehabil 24:315–316
Moritz AR, Henriquez FC (1947) Studies of thermal injury: the relative importance of time and surface temperature in the causation of cutaneous burns. Am J Pathol 23:695–719
Pruitt BA Jr, Goodwin CW, Mason AD Jr (2002) Epidemiological, demographic, and outcome characteristics of burn injury. In: Herndon DN (ed) Total burn care, 2nd edn. Saunders, London, pp 16–30
Unglaub F, Prueter C, Block F et al. (2005) Severe burn as a consequence of seizure while showering. Nervenarzt 76:209–211
Interessenkonflikt
Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Demir, E., O’Dey, D.m., Fuchs, P.C. et al. Die Autositzheizung — eine potenzielle Verbrennungsgefahr für den Querschnittsgelähmten. Nervenarzt 77, 201–203 (2006). https://doi.org/10.1007/s00115-005-1960-3
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-005-1960-3