Hintergrund

In der Vergangenheit wurden Arzneimittel (AM) aufgrund zahlreicher Hürden kaum systematisch für den Einsatz bei Kindern geprüft und zugelassen. Daher müssen AM für Kinder vielfach außerhalb der Zulassung (off-label) und somit ohne pädiatrische Fachinformationen angewendet werden. Inzwischen wurde im Gesetz die ethische und medizinische Notwendigkeit von systematisch an Kindern erhobenen Daten anerkannt [6, 9], und es wurden auch regulatorische Initiativen in den USA und der EU zur Stimulierung von AM-Entwicklungen für Kinder geschaffen [4, 7]. Diese pädiatrischen Regulationen beinhalten Systeme von Verpflichtungen und finanzielle Anreize für Pharmafirmen, AM auch an Kindern zu prüfen und zur Zulassung zu bringen, sowie Begleitmaßnahmen, wie Förderprogramme für pädiatrische Studien und pädiatrische Forschungsnetzwerke.

Die pädiatrischen Initiativen haben in den letzten 20 Jahren eine Zunahme von AM-Studien bei Kindern bewirkt und vermehrt zu pädiatrischen Zulassungen, neuen pädiatrischen Indikationen und pädiatrischen Darreichungsformen geführt [4, 24]. Dies hat also punktuell bereits Verbesserungen der AM-Versorgung von Kindern bewirkt, die weitreichenden Defizite sind aber bei Weitem noch nicht ausgeglichen [23]. Gründe sind, dass Schwerpunkte der AM-Entwicklungen primär durch den Bedarf bei Erwachsenen bestimmt sind, während manche therapeutischen Bedürfnisse von Kindern kaum adressiert werden. Des Weiteren ist die AM-Entwicklung für Kinder ein langsamer Prozess, denn pädiatrische Studien erfolgen zumeist zeitversetzt zur Entwicklung bei Erwachsenen, unterliegen vielen methodischen Herausforderungen und sind aufwendiger in der Durchführung, nicht zuletzt da multiple Altersgruppen evaluiert werden müssen [11]. Zudem besteht die große Altlast von AM außerhalb des Patentschutzes, die seit Jahrzehnten in der Pädiatrie verwendet werden, für die neue Studien und Zulassungen kaum machbar oder finanzierbar sind.

Zusammengefasst sind also trotz verbesserter gesetzlicher Rahmenbedingungen und vermehrter Aktivitäten zu AM-Entwicklungen für Kinder viele pädiatrische Therapiebereiche noch unzureichend versorgt, und es mangelt besonders an Daten zu den problematischen jüngsten Altersgruppen (Säuglinge, Neugeborene, Frühgeborene). Folglich besteht weiterhin die Notwendigkeit der Off-label-Anwendung in der Pädiatrie, die nie komplett vermeidbar sein wird.

Off-label-Anwendung

Unter off-label versteht man die Anwendung eines AM außerhalb seiner Zulassung bezüglich eines oder mehrerer der folgenden Aspekte: Patientenalter, Indikation, Dosisempfehlungen, Darreichungsform und Weg der Verabreichung. Über die letzten Jahrzehnte wurden zahlreiche Untersuchungen zum Ausmaß der Off-label-Anwendung von AM in der Pädiatrie durchgeführt und auch in Metaanalysen zusammengefasst [1, 2, 21]. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind sehr heterogen, was durch variable Definitionen von Off-label-Anwendung, durch verschiedene Methoden der Erfassung sowie unterschiedliche Gesundheitssysteme und gesetzliche Rahmenbedingungen erklärbar ist. In einem systematischen Review europäischer Studien rangierte die Häufigkeit von Off-label-Anwendungen bei hospitalisierten Kindern zwischen 13 und 69 % sowie außerhalb des Krankenhauses zwischen 2 und 100 % [28]. Generell kann gesagt werden, dass die Häufigkeit der Off-label-Anwendung mit jüngerem Alter, mit der Komplexität der Erkrankung und mit der Zahl der bei einem Patienten eingesetzten AM steigt. Die qualitativen Defizite an für Kinder zugelassenen AM werden durch das „inventory of needs for paediatric medicines“ der European Medicines Agency (EMA) unterstrichen, wonach der größte Bedarf in altersgerechten Verabreichungsformen sowie Dosis‑, Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten v. a. für die jüngsten Altersgruppen besteht [10]. Eine Reihe von Studien hat die Häufigkeit von Off-label-Anwendungen vor und nach der pädiatrischen Regulation verglichen, ergibt aber keinen klaren Hinweis, dass sich das Ausmaß der Off-label-Anwendung bei Kindern bislang wesentlich verringert hat [15, 16, 28].

Arzneimittel ohne Prüfung bei Kindern zu verwenden, bedeutet Informationen zu Dosierung, Wirksamkeit und Sicherheit implizit von Erwachsenen auf Kinder zu übertragen, was aber aufgrund physiologischer, pathophysiologischer und pharmakologischer Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern sowie zwischen Kindern verschiedener Entwicklungsstufen oft nicht gerechtfertigt ist. Es bestehen altersabhängige Unterschiede in der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik sowie im Wirkungs- und Sicherheitsprofil, wobei manche unerwünschte Wirkungen nur bei Kindern auftreten, z. B. wenn sie das Wachstum oder die Entwicklung betreffen [12]. Zudem gibt es kinderspezifische Erkrankungen bzw. Krankheitsspektren, z. B. Frühgeburtlichkeit, Epilepsie, Leukämie, für die AM spezifisch geprüft werden müssen. Die Anwendung nichtgeprüfter Medikamente ist mit potenziellen Risiken verbunden, wie ineffektiver Dosierung, fehlender Wirksamkeit, Überdosierung mit toxischen Wirkungen und unbekannten unerwünschten Wirkungen, die evtl. nicht dem AM zugeschrieben werden, sondern der Erkrankung des Kindes. Die Verwendung extemporärer Darreichungsformen, z. B. pulverisierter Tabletten, bedeutet ein Risiko für Verunreinigung und ungenaue Dosierung. Epidemiologische Studien deuten darauf hin, dass unerwünschte Arzneimitteleffekte bei Off-label-Anwendung häufiger sind als bei zugelassenen Medikamenten [8].

Die Verantwortung für die Off-label-Anwendung trägt der Verschreibende

Trotz der erhöhten Risken ist die Off-label-Anwendung bei Kindern aufgrund mangelnder Alternativen eine medizinische Notwendigkeit. Off-label-Anwendung ist gesetzlich nicht verboten, sondern sogar geboten, wo keine Alternativen bestehen und die verfügbare Datenlage einen Einsatz in der gegebenen Situation ausreichend belegt [20]. Bei zugelassenen AM wurden die verfügbaren Daten vonseiten der Behörde geprüft, es liegen Dosisempfehlungen vor, und es wurde eine Bewertung der Wirksamkeit-Sicherheit-Balance vorgenommen. Bei der Off-label-Anwendung liegt hingegen die Verantwortung beim Verschreibenden, sich einen Überblick über die verfügbaren Daten zu verschaffen und diese zu bewerten. Off-label-Anwendung bedeutet nicht unbedingt „Off-evidence“-Anwendung [3, 18]. Auch bei Fehlen von Zulassungsstudien gibt es oft Daten aus akademischen Studien und/oder praktische Erfahrungen mit der Anwendung bei Kindern. Solche Daten sind aber von heterogener Qualität und zumeist für den Verschreibenden nicht unmittelbar verfügbar. Umgekehrt muss eine „On-label“-Anwendung nicht immer der bestverfügbaren Evidenz entsprechen. Manche Zulassungen können aufgrund neuerer Daten überholt sein, z. B. wenn bessere Dosierungsdaten existieren, wie für Aminoglykoside bei Neugeborenen, oder neue Daten können die Wirksamkeit oder Sicherheit infrage stellen, z. B. die Anwendung von Antihistaminika für die akute Gastroenteritis bei Kleinkindern [5].

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die European Academy of Paediatrics und die European Society for Developmental Perinatal and Pediatric Pharmacology Bedingungen definiert, die für die Off-label-Anwendung von AM bei Kindern erfüllt sein und unter Verschreibern als Checkliste für gute Praxis dienen sollen (Infobox 1; [20]). Aus diesen Bedingungen, v. a. der Verantwortung, off-label nach bestverfügbarer Evidenz zu verschreiben, leiten die Gesellschaften als wichtigste Forderung ab, dass Medizinfachpersonen, die AM bei Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen anwenden, Zugang zu verlässlichen und aktuellen Informationen für alle benötigte AM haben sollten. Als beste Quelle solcher Informationen können pädiatrische Formularien dienen, deren Inhalte auf systematischer Literaturrecherche und Bewertung der Datenqualität nach einem strukturierten und harmonisierten Prozess beruhen [20].

Infobox 1. Bedingungen für Off-label-Anwendungen von Arzneimitteln bei Neugeborenen, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen. (Nach Schrier et al. [20])a

  1. 1.

    Keine Alternative verfügbar

  2. 2.

    Verschreiber muss kompetent sein (pädiatrische Expertise)

  3. 3.

    Beste Option für die therapeutischen Bedürfnisse des Patienten

  4. 4.

    Verschreibung rational und klinisch angemessen (Dosierung und Nutzen-Risiko-Abwägung nach bestverfügbarer Evidenz)

  5. 5.

    Information von Patienten und/oder Eltern

  6. 6.

    Monitoring von Wirksamkeit und unerwünschten Effekten

  7. 7.

    Anwendung im Rahmen von klinischen Studien, soweit möglich

aGemeinsame Stellungnahme der European Academy of Paediatrics und European Society for Developmental Perinatal and Pediatric Pharmacology

Internationales Konsortium von Kinderformularien

Ausgangssituation

International existieren zahlreiche Dosishandbücher für die pädiatrische AM-Therapie, deren Empfehlungen sich teils substanziell unterscheiden. Es wurden auch diverse pädiatrische Formularien entwickelt, wie z. B. das British National Formulary for Children [14], die SwissPeddose [22] oder das WHO Model Formulary for Children [29]. Wesentliche Limitation dieser Formularien ist, dass sie die Primärliteratur, die den Informationen zugrunde liegt, nicht ausweisen oder auf andere Handbücher oder Formularien verweisen.

Niederländisches Kinderformularium als „Best-practice“-Modell

Das Best-practice-Modell ist das niederländische Kinderformularium (www.kinderformularium.nl), das seit 2005 vom Niederländischen Kompetenzzentrum für Pharmakotherapie bei Kindern entwickelt wurde und 2008 seinen öffentlichen Launch hatte [26]. Es handelt sich um eine webbasierte, frei und kostenlos zugängliche Informationsplattform für die AM-Therapie von Kindern. Informationen zu jedem AM sind in einer Monografie zusammengefasst, deren Hauptfocus auf separat nach Indikationen getrennten Dosisempfehlungen für die verschiedenen pädiatrischen Altersgruppen liegt. Darüberhinaus sind allgemeine Informationen, unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Warnhinweise und Kontraindikationen, verfügbare Darreichungsformen und Zulassungsstatus enthalten (Infobox 2). Aktuell enthält Kinderformularium.nl etwa 820 Monografien. Die Inhalte beruhen auf der bestverfügbaren Evidenz, die systematisch recherchiert und kritisch bewertet wird und einen Peer review durchläuft (Details siehe nächstes Kapitel). Alle Prozesse laufen standardisiert ab und unterliegen einer Qualitätssicherung und -kontrolle (Dokumentation von Änderungen und ihrer Rationale; Autorisierung durch zweite Person).

Die Inhalte der ca. 820 Monografien des Kinderformularium.nl beruhen auf der bestverfügbaren Evidenz

Infobox 2. Inhalte einer Arzneimittelmonografie im Kinderformularium

  • Dosisempfehlungen

    • Nach Indikationen

    • Applikationsrouten

    • Für verschiedene pädiatrische Altersgruppen

  • Dosisempfehlung bei Nierenfunktionsstörung

  • Allgemeine Informationen

    • Zulassungsstatus der Dosisempfehlung

    • Verfügbare Darreichungsformen und Stärken

    • Präparate mit für Kinder potenziell problematischen Hilfsstoffen

    • Pharmakokinetik und Pharmakodynamik bei Kindern

  • Ähnliche Wirkstoffe

  • Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (kinderspezifisch; allgemein)

  • Warnhinweise und Kontraindikationen (kinderspezifisch; allgemein)

  • Wechselwirkungen

  • Referenzen

Die Plattform versteht sich als AM-Formularium, das kinderspezifische Informationen für AM bereitstellt, für die sich der Verschreiber entschieden hat. Es ist kein Kompendium, das AM für bestimmte Indikationen empfiehlt oder mehrere Therapieoptionen vergleicht. Für Letzteres wird der Verschreiber auf Behandlungsleitlinien oder Konsensusempfehlungen für das jeweilige Therapiegebiet oder pädiatrische Lehrbücher verwiesen. Das Kinderformularium.nl wurde im Laufe seiner Entwicklung von den akademischen Kinderspitälern in den Niederlanden, der Niederländischen Pädiatrischen Gesellschaft, der Pharmazeutischen Gesellschaft und Gesellschaft für Krankenhauspharmazeuten als Referenzstandard anerkannt. Dies hat zu seiner weitverbreiteten Nutzung unter allen betroffenen Berufsgruppen und zur Harmonisierung der AM-Therapie von Kindern in den Niederlanden geführt. Das Kinderformularium.nl wurde für den Aufbau und die Erhaltung vom niederländischen Gesundheitsministerium sowie durch weitere Förderungen von der Vereinigung der Gesundheitsversicherungen und verschiedenen akademischen Gesellschaften und Stiftungen finanziert.

Kollaboration zwischen den Niederlanden, Deutschland, Österreich und Norwegen

Ausgehend von Kinderformularium.nl hat sich eine internationale Kollaboration mit derzeit drei weiteren europäischen Ländern entwickelt, die zum Aufbau von länderspezifischen Kinderformularien in Deutschland, Österreich und Norwegen geführt hat ([25]; Tab. 1). Die Zusammenarbeit beruht auf einem nichtprofitorientierten Lizenzmodell, bei dem die nationalen Formularien die Inhalte und die IT-Plattform von Kinderformularium.nl nützen. Die Inhalte wurden in die jeweilige Landessprache übersetzt, von den nationalen Teams geprüft und an die lokalen Gegebenheiten, wie Zulassungsstatus der Dosisempfehlungen, Verfügbarkeit von Darreichungsformen etc., angepasst, bzw. diese wurden ergänzt. Die zentralen Inhalte, vorrangig die evidenzbasierten Dosisempfehlungen, sind für alle vier Formularien konsistent und in einer gemeinsamen englischsprachigen Datenbank abgelegt, während länderspezifische Inhalte in den jeweiligen nationalen Versionen enthalten sind. Nur in Einzelfällen wurden Dosisempfehlungen an nationale Standards angepasst, wie z. B. für die Vitamin-K-Prophylaxe im jeweiligen Land. Alle Formularien nutzen die gleiche Oberfläche und Struktur der Website, mit national unterschiedlichen Farbdesigns, Namen und Logos (Abb. 1). Hosting sowie technische Betreuung der Datenbank und Websites erfolgen in den Niederlanden.

Tab. 1 Internationales Konsortium von Kinderformularien
Abb. 1
figure 1

Nutzeroberflächen der nationalen Kinderformularien

Die internationale Zusammenarbeit beruht auf einem nichtprofitorientierten Lizenzmodell

Die internationale Kollaboration beinhaltet auch die gemeinsame Arbeit an den Inhalten der Formularien, mit Inputs von den nationalen Teams und ExpertInnen der jeweiligen Länder. So wurden für einige AM, die nicht im niederländischen Kinderformularium enthalten, aber in den anderen Ländern für Kinder zugelassen sind, in Zusammenarbeit der nationalen Teams neue Monografien erstellt, z. B. für Ampicillin, Mefenaminsäure, Metamizol oder Isotretinoin. Durch die Inputs von nationalen ExpertInnen gab es auch eine Reihe von Ergänzungen zu Indikationen und Dosisempfehlungen in der internationalen Datenbank. Diese inhaltliche internationale Zusammenarbeit soll weiterausgebaut werden, mit gemeinsamer, abgestimmter Erarbeitung neuer AM-Monografien und zyklischer Aktualisierung bestehender Monografien, sowie dem Aufbau eines internationalen Editorial Board zur internationalen Harmonisierung unter Mitwirkung von ExpertInnen aus allen Mitgliedsländern.

Kinderformularium in Deutschland.

Das Kinderformularium in Deutschland, www.Kinderformularium.de, wird von einem Projektteam an der Kinder- und Jugendklinik am Universitätsklinikum Erlangen entwickelt [30]. In einer ersten Projektphase wurde seit 2012 eine evidenzbasierte Datenbank für etwa 100 häufig an Kinder verschriebene AM generiert und ein Prototyp für eine webbasierte Informationsplattform entwickelt. Diese wurden in einer On-line-Nutzerumfrage unter medizinischem Personal bezüglich ihrer Inhalte, Struktur und Praktikabilität evaluiert. In der zweiten Projektphase sollte das Feedback aus der Nutzerumfrage eingearbeitet und die Datenbank auf eine größere Zahl von AM ausgeweitet werden. Für das weitere Vorgehen wurde entschieden, durch Kollaboration mit dem niederländischen Kinderformularium.nl seit 2017 aufgrund der Synergien eine höhere Effizienz im weiteren Ausbau zu erreichen. Die übersetzten Inhalte aus der internationalen Datenbank werden vom Projektteam aus Pharmazeutinnen und Pädiatern mithilfe eines ExpertInnenbeirats von unabhängigen ExpertInnen nationaler pädiatrischer Fachgesellschaften geprüft und um länderspezifische Informationen erweitert.

Der Launch des Kinderformularium.de ist im Januar 2021 erfolgt

Aktuell enthält Kinderformularium.de etwa 450 Monografien. Das Kinderformularium.de ist vom deutschen Gesundheitsministerium gefördert. Es ist auch Gegenstand des Projekts Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Arzneimitteln durch Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit (KiDSafe), das die Medikationssicherheit bei Kindern verbessern soll und vom deutschen Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert wird. Der Launch des Kinderformularium.de ist im Januar 2021 erfolgt. Initial war die Nutzung nur für einen beschränkten Anwenderkreis aus medizinischen Berufen vorgesehen, die sich registrieren mussten. Die Registrierungspflicht wurde inzwischen verlassen, um die Nutzung zu erleichtern und einen größeren Anwenderkreis zu erreichen.

Kinderformularium in Österreich.

Das Kinderformularium in Österreich, www.kindermedika.at, ist ein Projekt der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) und wird von einem Projektteam an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien und der Anstaltsapotheke, Medizinische Universität Wien, entwickelt [17].

Im Vorfeld war ein Survey zur AM-Anwendung bei Kindern und Jugendlichen in Österreich durchgeführt worden, der die Grundlage zur Priorisierung der am häufigsten angewandten AM für die Datenbank darstellte [19]. Die Aufbauphase von 2019 bis 2021 wurde durch eine Förderung vonseiten der Sozialversicherungen und der ÖGKJ ermöglicht. Das Projekt basiert von Anfang auf der Kollaboration mit Kinderformularium.nl. Kindermedika.at baut nicht nur auf den Inhalten der internationalen Datenbank auf, sondern arbeitet auch eng mit dem Team des deutschen Formulariums zusammen, was sich aufgrund der gleichen Sprache und ähnlicher AM-Verfügbarkeiten bzw. Verschreibungspraxis anbietet. Die Inhalte der Monografien werden von einem Team aus ApothekerInnen übersetzt und geprüft, um nationale Informationen ergänzt und mit einem ExpertInnengremium aus KinderärztInnen der verschiedenen Subspezialitäten (Arbeitsgruppen der ÖGKJ), KrankenhausapothekerInnen und einem Vertreter der Zulassungsbehörde abgestimmt. Der Launch des Kindermedika.at erfolgte mit April 2021, und die Website ist frei und öffentlich zugänglich. Derzeit sind etwa 250 Monografien veröffentlicht. Für die weitere Ausbau- und Erhaltungsphase erhält Kindermedika.at eine Förderung vom Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Kinderformularium in Norwegen.

Das Kinderformularium in Norwegen, www.koble.info, wird von der Redaktion des norwegischen Arzneimittelhandbuchs für medizinisches Fachpersonal verantwortet und in Zusammenarbeit mit dem nationalen Kompetenznetz für Kinderarzneimittel, der Norwegischen Pädiatrischen Gesellschaft und der Norwegischen Arzneimittelbehörde entwickelt [13]. Das Kernteam besteht aus KrankenhausapothekerInnen mit Arbeitserfahrung an Kinderabteilungen. Die Kooperation mit dem Kinderformularium.nl begann 2018, und die Aufbauphase von KOBLE fand zwischen 2019 und 2021 statt. Nach einer Probezeit mit einer vorläufigen Version und ausgewählten Nutzern ab Januar 2021 erfolgte der öffentliche Launch im November 2021. Aktuell sind etwa 660 AM-Monografien veröffentlicht. Während der Aufbauphase wurde ein Großteil der AM-Monografien aus der internationalen Datenbank primär übersetzt, der Ergänzungsprozess auf norwegische Bedingungen, wie Produktverfügbarkeiten, ist aber noch im Gange. Die Monografien wurden auch mit den jeweiligen norwegischen Produkt- und Patienteninformationen verlinkt. Das KOBLE-Team arbeitet eng mit Vertretern der Norwegischen Pädiatrischen Assoziation und deren Subspezialitäten zusammen, um die Indikationen und Dosisempfehlungen der internationalen Datenbank mit der norwegischen Praxis und nationalen Empfehlungen zu vergleichen. KOBLE wird vollständig vom Ministerium für Gesundheits- und Pflegedienste finanziert.

Die Zusammenarbeit im Konsortium fördert die internationale Harmonisierung pädiatrischer AM-Therapie

Durch die Schaffung der gemeinsamen internationalen AM-Informationsplattform konnten viele Synergien beim Aufbau der einzelnen nationalen Formularien genutzt werden, womit Ressourcen gespart und der Aufbau in jedem Land beschleunigt werden konnten. Darüber hinaus ermöglicht die Zusammenarbeit im Konsortium, die AM-Therapie von Kindern in den beteiligten Ländern zu harmonisieren und auf höchstmöglichem Niveau zu halten. Es besteht das Ziel, das Konsortium in der Zukunft weiterauszubauen und die Kollaboration auf weitere Länder oder bereits existierende Kinderformularien auszudehnen.

Evaluation der bestverfügbaren Evidenz

Grundprinzip für die Inhalte der Monografien der Kinderformularien ist, dass sie auf der bestverfügbaren Evidenz beruhen. Das bedeutet nicht unbedingt Evidenz von höchster Qualität, weil für viele AM systematische Studien mit Kindern fehlen. Das Ziel ist, auf Basis einer unabhängigen und systematischen Recherche und Evaluation aller verfügbaren Daten und Konsensus unter multidisziplinären ExpertInnen zu den bestmöglichen Empfehlungen zu gelangen. Dies beinhaltet auch die transparente Referenzierung der zugrunde liegenden Daten und ihrer Qualität [26].

Für AM mit pädiatrischen Zulassungen bzw. für zugelassene Indikationen oder Altersgruppen beruhen Monografien auf Informationen aus der Produktinformation. Für manche AM mit älteren Zulassungen, die nicht unbedingt den aktuellen Standards der Zulassung entsprechen oder hinsichtlich jüngerer Daten noch nicht aktualisiert wurden, werden zusätzliche Informationen oder Warnhinweise, basierend auf neuerer Evidenz, ergänzt. In solchen Fällen können Dosisempfehlungen in den Monografien von der Zulassung abweichen. Über die Produktinformation hinausgehende Ergänzungen für zugelassene AM durchlaufen den Review durch das Editorial Board. Für nichtzugelassene AM bzw. Indikationen oder Altersgruppen basieren Monografien auf einer systematischen Literaturrecherche nach sämtlichen verfügbaren Daten aus der Fachinformation, akademischen Studien zu Pharmakokinetik und -dynamik, Dosisfindung, klinischer Wirksamkeit und Sicherheit, systematischen Reviews, Metaanalysen, Dosishandbüchern, nationalen und internationalen Fachempfehlungen, klinischen Erfahrungsberichten und Konsensusempfehlungen. Dieser Prozess erfolgt standardisiert in einer „Risiko-Benefit-Analyse (RBA)“, die eine kritische Bewertung der Daten vornimmt sowie Vorschläge zu Indikationen und Dosisempfehlungen entwickelt. Die Evidenz und Empfehlungen werden von einem multidisziplinären Editorial Board geprüft (AllgemeinpädiaterInnen, Vertreter der akademischen Kinderkrankenhäuser, ExpertInnen verschiedener pädiatrischer Spezialbereiche, PharmakologInnen, klinische PharmazeutInnen), ergänzt und freigegeben. Für AM, für die keine relevanten Daten in der Literatur gefunden werden, basieren Dosisempfehlungen auf einem Konsensus des Editorial Board. Der gesamte Prozess der Datenrecherche, -bewertung und Entscheidungsfindung erfolgt nach Standardprozessen und wird dokumentiert. Im Zuge der systematischen Literatursuche werden auch die jeweiligen Suchstrategien in den Suchmaschinen hinterlegt, um in Zukunft Benachrichtigungen über neu erschienene Studien zu erhalten. Daraus ergeben sich in manchen Fällen Ad-hoc-Ergänzungen von Monografien. In jedem Fall werden die Monografien in regelmäßigen Zyklen nach demselben Muster aktualisiert.

Eine Weiterentwicklung der strukturieren Evaluation der verfügbaren Evidenz stellt das Rahmenwerk Benefit and Risk Assessment for Off-label Use (BRAvO) dar, für das ein von der Zulassungsbehörde verwendetes Entscheidungsfindungsinstrument (Problem, Objectives, Alternatives, Consequences, Trade-offs, Uncertainty, Risk attitudes, and Linked decisions, PrOACT-URL) speziell zur Evaluation von AM für die Off-label-Anwendung bei Kindern adaptiert wurde [27]. Das Rahmenwerk BRAvO sieht die kritische Evaluation folgender Aspekte vor:

  • medizinische Notwendigkeit des Einsatzes bei Kindern, Alternativen,

  • Ziele: Daten zu Wirksamkeit, Sicherheit, adäquaten altersentsprechenden Dosierungen als Grundlage für informierte Entscheidungen,

  • Konsequenzen: Recherche und Bewertung der Daten,

  • Abschätzen der Nutzen-Risiko-Balance,

  • Unsicherheiten,

  • Risikotoleranz,

  • weitere mit den Ergebnissen verbundene Entscheidungen.

Das erst kürzlich vorgestellte BRAvO-Rahmenwerk wurde anhand einzelner Beispiele von pädiatrischen Indikationen pilotgetestet. Plan ist, die Praktikabilität von BRAvO an weiteren AM zu testen und in Zukunft in die Arbeitsprozesse der Kinderformularien zu integrieren.

Monografien nichtzugelassener AM, Indikationen oder Altersgruppen basieren auf standardisierten RBA

Zusammenfassend sollen also auch für AM, die nicht mithilfe prospektiver Zulassungsstudien entwickelt wurden, altersentsprechende Dosisempfehlungen und Nutzen-Risiko-Abwägungen als Grundlage der Off-label-Anwendung geschaffen werden. Dies soll durch systematische Evaluation der bestverfügbaren Evidenz mithilfe von Methoden und Kriterien, die der AM-Zulassung vergleichbar sind, erfolgen.

Fazit für die Praxis

  • Verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen haben zwar eine Zunahme der Arzneimittel(AM)-Entwicklungen und -Zulassungen für Kinder und Jugendliche bewirkt, dies hat aber nicht zur ausreichenden Versorgung in allen pädiatrischen Therapiebereichen und Altersgruppen geführt.

  • Folglich wird die Off-label-Anwendung von AM bei Kindern und Jugendlichen auch weiterhin in vielen Bereichen notwendig sein.

  • Eine Off-label-Anwendung bedeutet eine erhöhte Verantwortung für Verschreibende, auf die aktuell bestverfügbare Evidenz zurückzugreifen.

  • Das internationale Konsortium von Kinderformularien stellt Informationen zu AM für Kinder und Jugendliche auf Basis bestverfügbarer Evidenz bereit; diese basieren auf systematischen Recherchen, kritischen Evaluationen, ExpertInnenreviews, regelmäßigen Aktualisierungen und internationalen Harmonisierungen.

  • Die Informationsplattform bietet die Grundlage der Off-label-Anwendung von AM bei Kindern und Jugendlichen, um nach bestverfügbarer Evidenz altersentsprechende Dosierungen anzuwenden sowie Nutzen und Risiko abzuwägen.