Die geförderte rasche Entwicklung von Orphan-Drugs (OD) lässt Patienten mit schweren seltenen Krankheiten (SK) auf gezielte Therapien hoffen und ermöglicht den Ärzten, effektive Mittel zur Behandlung einzusetzen. Die aktuellen sehr hohen Preise gehen jedoch zulasten anderer in einem finanziell limitierten Gesundheitssystem. Expertisezentren für SK sind ohne zusätzliche Ressourcen und Regelungen überfordert. Den monopolbasierten Preisen für OD werden derzeit im deutschsprachigen Raum keine effektiven Grenzen gesetzt, was den Pharmafirmen Gewinnspannen erlaubt, deren Angemessenheit nicht nachvollziehbar ist.

Einführung zum Problem neuer Therapien bei seltenen Erkrankungen

Definition und Epidemiologie seltener Erkrankungen

Die europäische Arzneimittelagentur (EMA) definiert eine SK („orphan disease“) mit einer Prävalenz unter 5/10.000 Einwohner. Aktuell sind fast 8000 SK bekannt, und diese Zahl steigt jährlich um 100–250 [3]. Circa 80 % der SK sind genetisch bedingt, und 50 % manifestieren bereits im Kindesalter. 30 % der betroffenen Kinder haben eine Lebenserwartung unter 5 Jahren. Aufgrund der Fortschritte in der Grundlagenforschung und den wachsenden gentechnologischen Möglichkeiten steigt die Zahl genetisch diagnostizierbarer SK rasch an, sodass 2016 bereits ca. 4000 und damit ca. 50 % der derzeit vermuteten genetisch bedingten SK verifizierbar [3] waren.

Aktuell sind ca. 8000 SK bekannt; ihre Zahl steigt jährlich um mehr als 100

Weniger häufige Krankheiten werden oft durch viele unterschiedliche defekte Gene verursacht. Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung zerfällt so in über 80 SK. Seltene genetische Entitäten wie Duchenne-Muskeldystrophie und zystische Fibrose erfordern je nach Mutationstyp unterschiedliche OD. Auch bei hämatoonkologischen Erkrankungen lässt sich diese Entwicklung in Richtung auf eine individualisierte Medizin beobachten.

Attraktivität von Orphan-Drugs für die Pharma- und Biotechnologie

Orphan-Drug-Status

Nach der EU-Verordnung Nr. 141/2000 haben Patienten mit einer SK den gleichen Anspruch auf eine medizinische Versorgung wie andere Patienten. Seltenen Krankheiten wurde ein Prioritätsstatus eingeräumt [10].

Um die Entwicklung von OD für SK zu fördern und den Nachteil eines begrenzten Markts auszugleichen, wurden in Europa gesetzliche Rahmenbedingungen für den OD-Status geschaffen. Bei Anerkennung durch das Committee für Orphan Medicinal Products (COMP) genießen OD folgende Vorteile [10]:

  • mögliche Forschungsförderung durch die EU und deren Mitgliedstaaten in der Entwicklungsphase;

  • gebührenfreie Unterstützung durch die EMA für den Zulassungsprozess sowie reduzierte Antrags- und Zulassungsgebühren;

  • beschleunigte und gebündelte Zulassungsverfahren für alle EU-Länder und teils beschleunigte Zulassung mit Auflagen (Conditional Approval). Die Zeit zwischen Phase-II-Studien und Zulassung von OD ist um durchschnittlich 1,5 Jahre kürzer [24];

  • steuerliche Begünstigung während Zulassung und Marketing;

  • bei pädiatrischen OD 12 Jahre Marktexklusivität.

Weitere inhärente Vorteile des OD-Marktes für die Hersteller:

  • öffentlich finanzierte universitäre Grundlagenforschung zu Pathomechanismen und Wirkstoffzielen;

  • an die Zulassungsstudien wurden bisher oft geringere Qualitätsanforderungen gestellt und die Fallzahlen in Phase-III-Studien sind bei OD um 65 % kleiner [11];

  • hohe Motivation seitens der Zentren und Betroffenen sowie teils bereits vorhandene Patientenregister erleichtern die Zulassungsstudien, beschleunigen die Einführung und reduzieren Marketingkosten;

  • die Chance einer späteren Marktzulassung von OD in Phase I ist deutlich höher als für Medikamente gegen häufigere chronische Erkrankungen (25,3 % vs. 8,7 %, [39, S. 14]);

  • bei einer sekundären Ausweitung des Anwendungsbereiches und Absatzmarktes erhöht sich der Profit.

  • Nachteilig für die Entwicklung sind:

    • Kleine Patientenpolpulationen erfordern internationale multizentrische Studien

    • Probleme bei der Identifikation relevanter Studienendpunkte

    • Wenig erforschte Spontanverläufe

Preisgestaltung im besonderen Markt von Orphan-Drugs

Durch den OD-Status und die damit verbundene Marktexklusivität (bei Kindern 12 Jahre) haben die Firmen einen Monopolstatus. Gut informierte, besorgte und oft verzweifelte Patienten bzw. Angehörige und deren Behandler üben moralischen Druck zur Kostenübernahme auf die Leistungsträger und politisch Verantwortlichen aus. Die Aufwendungen trägt im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen die Solidargemeinschaft und nicht der „Kunde“ Patient. Die Kombination aus Monopol und geringer Preiselastizität resultiert in einem entregelten Markt. Er kann von den Produzenten, auch unter dem Druck ihrer Investoren, für eine gewinnförderliche Preisgestaltung genutzt werden.

Kombination aus Monopol und geringer Preiselastizität resultiert in entregeltem Markt

Mit Preisen von durchschnittlich 142.000 €/Patient und Jahr in Deutschland [23] wurden trotz der Seltenheit mit OD bei 1,14-fach höherer Kapitalrendite ebenso hohe Jahresumsätze pro Medikament erwirtschaftet wie mit „non-orphan drugs“ (US$ 637 Mio. vs. UD$ 638 Mio., [11, 24]). Sieben der 10 Medikamente mit dem weltweit höchsten Umsatz haben einen OD-Status, meist wenn ein OD für mehrere Krankheitsentitäten zugelassen wird. Laut Marktprognosen werden 2022 mehr als 20 Medikamente mit OD-Status weltweit über US$ 1 Mrd./Jahr umsetzen [11] und die Entwicklungskosten unterjährig einspielen.

Zugelassene und in Entwicklung befindliche Orphan-Drugs

Die Zahl der Anträge auf OD-Status hat sich seit dem Jahr 2000 verzehnfacht [15]. Aktuell sind mehr als 1500 Medikamente mit OD-Status in Entwicklung, und 208 Medikamenten wurde 2016 in Europa der Status neu zuerkannt [12]. Der Marktanteil der OD für neu zugelassene Medikamente steigt stetig. Er betrug 2014 in den USA bereits 38 % [9]. Im Dezember 2016 waren 129 OD in Europa zugelassen und jährlich kommen ca. 14 hinzu.

Dabei erleichtern verbesserte technische Möglichkeiten, Antikörper, Enzyme und Gentherapeutika herzustellen [44]. In Europa wurden die ersten beiden Gentherapeutika von der EMA zugelassen: Alipogentiparvovec und Strimvelis. Für fast alle lysosomalen Speicherkrankheiten sind bereits gentherapeutische OD in klinischer Erprobung. Hohe Erwartungen richten sich auch an ein „genome editing“ mithilfe der CRISPRFootnote 1/Cas9-Technologie, die zumindest die Grundlagenforschung und die Erstellung von Testmodellen vereinfacht.

Da die OD-Entwicklung ökonomischen Gesetzen folgt und noch keine öffentliche Lenkung erfährt, ergab sich eine ungleiche Verteilung auf das Spektrum der SK: Onkologie (32 %), Infektiologie und „human immunodeficiency virus“ (HIV; 12 %), Hämophilie (6 %), Kleinwuchs (2 %), pulmonale Hypertonie (2 %), Transplantation (2 %) und Sonstige 44 % [32]. So gibt es für ein Drittel der mit OD behandelbaren SK mehr als eine OD und für fast 8000 keine.

Problem der „ultra-orphan drugs“

Die allermeisten SK haben eine Prävalenz <2/100.000 Einwohner und sind damit sehr selten. Für diese hat die EMA zwischen 2000 und 2015 aber nur 32 „ultra-orphan drugs“ zugelassen (UOD, [35]). Somit sind derzeit <1 % der SK mithilfe von UOD behandelbar.

Der durchschnittliche jährliche Gesamtumsatz von UOD in den USA wäre bei Behandlung aller Betroffenen weitgehend unabhängig von der Häufigkeit der Erkrankung (US$ 740 Mio. bei einer Prävalenz von 2/100.000 vs. US$ 553 Mio. bei einer Prävalenz von 0,1/100.000), weil deren Preis invers zur Prävalenz ist [11, 23]. Rechnet man dies auf den weltweiten Umsatz und die Dauer der Monopolstellung hoch, würden auch bei UOD die Einnahmen ein Vielfaches der Entwicklungs- und Zulassungskosten betragen (Abb. 2b, rote Linie).

Die sehr hohen jährlichen Aufwendungen der Enzymersatztherapien (Tab. 1) zur Behandlung lysosomaler Speicherkrankheiten haben die Kassen in vielen europäischen Ländern übernommen. Etwaige progrediente neurologische Schädigungen bleiben aufgrund der Blut-Hirn-Schranke weitgehend unbeeinflusst.

Tab. 1 Beispielhafte Preise und Kosten-Nutzen-Berechnung für Orphan-Drugs bei bestimmten lysosomalen Speicherkrankheiten

Steigende Aufwendungen für Orphan-Drugs

Bisher waren die jährlichen Gesamtkosten für OD überschaubar. Mittlerweile werden über 26 % des Umsatzes der Pharmaindustrie mit OD erzielt [11]. Im Jahr 2016 betrug der OD-Umsatz weltweit 100 Mrd. US$/Jahr, und im Jahr 2022 werden bei 11 %iger Steigerungsrate 209 Mrd. US$/Jahr erreicht [12]. Das sehr ambitionierte Ziel des International Rare Diseases Research Consortium [1], 1000 SK bis 2027 mithilfe von OD behandeln zu können, würde die Gesundheitsbudgets bei unveränderter Preisgestaltung wohl mit >400 Mrd. US$/Jahr belasten.

Ungleicher Zugang zu Orphan-Drugs

Vom erklärten Ziel der EU, dass alle Patienten den gleichen Zugang zu notwendigen Behandlungen haben [10], sind wir noch weit entfernt. Fast alle 2010 in Europa zugelassenen OD waren in Frankreich, in den Niederlanden und in Dänemark verfügbar, aber nur ca. zwei Drittel in Belgien, Ungarn und Italien sowie etwa ein Drittel in Spanien und Griechenland [21]. Ärmere Länder in der EU können sich die teuren OD nicht leisten [29]. So müssten Bulgaren, bezogen auf das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP), 6‑mal so viel für eine OD aufwenden wie Deutsche oder Österreicher. Viele Betroffene bleiben so unbehandelt oder migrieren in reichere EU-Länder. Selbst in reicheren Ländern werden Betroffene oft zu spät diagnostiziert. Einzelne Krankenanstalten oder Versicherungsgesellschaften versuchen, die Kostenübernahme abzulehnen oder zu verzögern. Bei einigen SK (z. B. spinaler Muskelatrophie und Nusinersenbehandlung) könnte ein frühestmöglicher Therapiebeginn nach Neugeborenenscreening den Effekt der OD auf die Lebensqualität und die Lebensdauer der Betroffenen vermutlich deutlich erhöhen.

Optimierte Behandlung an Expertisezentren

Der Gesetzgeber fordert mit Recht eine qualitätsoptimierte interdisziplinäre Versorgung auch für SK. Der bereits 2012 [43] für Österreich kritisierte Mangel an Personal- und Zeitressourcen in spezialisierten Zentren für SK beeinträchtigt die Patientenversorgung. Zusätzlicher Aufwand für die Applikation von OD, die damit verbundenen Post-Marketing-Untersuchungen und die teils verlängerte Lebenserwartung von Patienten, die einer intensiven interdisziplinären Behandlung bedürfen, haben die Situation weiter verschärft.

Die European Commission Expert Group on Rare Diseases empfiehlt für SK „orphacodes“ [9], die künftig in die 11. Revision der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) übernommen werden sollen. Diese lösen das Kodierungsproblem für SK, erleichtern die Datensammlung und schaffen die Grundlage für eine zukünftige kostendeckende Abrechnung der hohen personellen Aufwendungen für Patientenbetreuung und Applikation von OD.

Separate Vergütung intramural applizierter OD fördert Bildung von Expertisezentren für SK

Die nationale und europäische Bündelung von Patienten mit SK in Expertisezentren wird durch European Reference Networks vorangetrieben. Es gibt bereits 24 europäische Referenznetzwerke für SK, um Ressourcen und Erfahrungen zu bündeln sowie qualitativ hochspezialisierte Therapien teils grenzüberschreitend anbieten zu können. Da 2017 von den 951 vernetzten europäischen Expertisezentren nur 2 in Österreich registriert waren, ist die europäische Förderung und Unterstützung derzeit dort gering. In gut ausgestatteten Expertisezentren könnte die Therapie mit teuren OD obligat durchgeführt bzw. koordiniert werden und so eine exakte Indikationsstellung, Aufklärung, Überwachung des Therapieverlaufs, ein Therapieabbruch bei fehlender Wirksamkeit und Dateneingabe in firmenunabhängigen internationalen Patientenregistern gesichert werden. Für manche Patienten ist eine i. v.-Heim-Therapie möglich, die Schulversäumnisse vermeidet und Kosten spart.

Die Behandlung mit teuren OD/UOD erfolgt derzeit in Österreich meist intramural und führt damit zu massiven Belastungen der Abteilungsbudgets von spezialisierten Kinderabteilungen [43], mit bis zu 7 Mio. €/Jahr/Abteilung bzw. >90 % des Medikamentenbudgets. Ein Versuch, die intramural verabreichten OD aus einem gesonderten Topf zu finanzieren, scheiterte 2017 am Widerstand einiger Krankenversicherungen. In Deutschland wurden Sonderentgelte im Rahmen der Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) beantragt. In der Schweiz erfolgt eine jährliche Vergütung über die Invalidenversicherung. Frankreich und die Niederlande verwenden einen Sondertopf. Eine separate Vergütung intramural applizierter OD würde die Bildung von Expertisezentren für SK fördern und ein ökonomisch motiviertes „Herumreichen“ von Patienten zwischen diversen Stakeholdern verhindern.

Weg zu effektiver und gerechter Ressourcenverteilung

Das Gesundheitswesen hat das Ziel, eine umfassende medizinische Versorgung der Bevölkerung mit den vorhandenen Mitteln sicherzustellen. Angesichts der steigenden Zahl von OD wird auch für diese Medikamente ein adäquater Mittelanteil erforderlich sein. Hierbei kommt der fairen Preisgestaltung eine zentrale Rolle zu [45].

Prüfung des Nutzwerts

Eine Kostenübernahme setzt zuvorderst einen wissenschaftlich gesicherten Wirksamkeitsnachweis voraus. Das Health Technology Assessment (HTA) dient der systematischen Bewertung medizinischer Technologien, die Kostenübernahmeentscheidungen transparent und nachvollziehbar unter Einbeziehung gesellschaftspolitischer Perspektiven vorbereiten soll. Untersucht werden Wirksamkeit, Sicherheit und Aufwendungen unter Einbeziehung sozialer, rechtlicher und ethischer Aspekte [4, Art 3[5]].

In Deutschland besteht grundsätzlich ab der Zulassung der Anspruch auf Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung; die Beweislast für eine Unwirtschaftlichkeit liegt beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA, [30]). Der medizinische Zusatznutzen von OD gilt als durch die Zulassung belegt, sofern die jährlichen Aufwendungen für die Krankenversicherung unter 50 Mio. € betragen.

Gesundheitlicher Nutzwert lässt sich unabhängig vom Krankheitsbild am Gewinn an Lebensjahren und gesundheitsbezogener Lebensqualität („health-related quality of life“, HRQoL) messen. Sie wird in fast allen europäischen Ländern mithilfe einer mehrdimensionalen Rating-Skala bestimmt. Die Einschränkung in den 5 Dimensionen wird durch betroffene Personen angegeben und die Übersetzung in die Lebensqualitätsskala durch die Allgemeinbevölkerung [37]. Das Standardmaß für den Nutzwert ist der Gewinn an qualitätsadjustierten Lebensjahren („quality-adjusted life year“, QALY). Er entspricht dem Zugewinn an Fläche unter der Lebensqualität-Lebenszeit-Kurve (Abb. 1). Einige europäische Länder beziehen auch den gesellschaftlichen Nutzen durch Entlastung der Angehörigen sowie verbesserte zukünftige Schul- und Arbeitsfähigkeit des Patienten ein.

Abb. 1
figure 1

Grafische Veranschaulichung des zusätzlichen gesundheitlichen Nutzens in „quality-adjusted life years“ (QALY). OD Orphan-Drug

Das HTA bei UOD leidet meist unter kleinen Fallzahlen und kurzen Beobachtungszeiträumen in den Zulassungsstudien [25]. Imiglucerase wurde auf der Basis einer Studie an 12 Patienten zugelassen, aber eine weit größere Studie wäre möglich gewesen, da nach 10 Jahren 3000 behandelte Patienten registriert waren.

Die übergeordneten Zielgrößen Überleben oder Lebensqualität werden selten als patientenrelevante Endpunkte direkt gemessen. Stattdessen werden intermediäre Endpunkte (Surrogatparameter) wie z. B. Laborwerte festgelegt, die bei SK oft noch nicht als prädiktiv für die übergeordneten Zielgrößen validiert wurden. Eine pharmakoökonomische Beurteilung setzt eine Abschätzung der mittel- bis langfristigen Effekte auf Lebensqualität und Lebensdauer voraus, was auf der Basis von kurzfristigen Verläufen und Surrogatparametern nur über komplizierte Modellrechnungen mit unsicheren Annahmen möglich ist [35].

Anwendungsbeobachtungen liefern ergänzende Evidenz aus dem Behandlungsalltag, die Phase-III-Studien ergänzen, mangels Kontrollgruppe aber nicht ersetzen können. Die Hälfte der Entwicklungen scheitert erst in Phase III. Deshalb ist das „Adaptive-pathways“-Verfahren der EMA kritisch zu werten, weil es Phase-III-Studien für UOD teils erlässt [13, S. 55 f.].

Ausreichende Evidenz für den Nutzwert selbst um den Preis verzögerter Verfügbarkeit ist zu fordern

Folge von Studien mit eingeschränkter Qualität sind z. T. extrem weite Konfidenzintervalle für den Nutzwert und damit auch die Kosten-Nutzwert-Relation (s. u. im Abschnitt „Gesellschaftlicher Nutzen“). Es ergeben sich ca. 8-fache Unterschiede bei OD für M. Fabry, M. Pompe und M. Gaucher [35]. Von den vom G‑BA in Deutschland zwischen 2011 und 2016 bewerteten 36 neuen OD mit 47 Anwendungsgebieten wurde der Zusatznutzen bei 58 % daher als nichtquantifizierbar gewertet [36].

Es gibt genügend Beispiele für qualitativ gute Zulassungsstudien, selbst für UOD, die Aussagen mit schmalen Konfidenzintervallen in hochwertigen HTA erlauben. Im Hinblick auf Opportunitätskosten bei Fehlentscheidungen in Milliardenhöhe auf dem Rücken anderer Patienten ist eine ausreichende Evidenz für den Nutzwert selbst um den Preis einer verzögerten Verfügbarkeit zu fordern. Eine verbesserte Übereinstimmung der geforderten Evidenz für Marktzulassung und HTA würde dies fördern und zudem zu Effizienz und Zeitersparnis beitragen [13, S. 52]. Durch systematische Vorausschau („horizon scanning“) und Kommunikation mit der Pharmaindustrie kann mit Vorbereitungen zur Zulassung und zum HTA frühzeitig begonnen werden, um Zeit zu sparen.

Gesellschaftlich konsentierte Begrenzung der Zahlungswilligkeit

Zur Korrektur des entregelten OD-Markts (s. Abschn. „Preisgestaltung im besonderen Markt von Orphan-Drugs“) und zum Schutz der Interessen der Solidargemeinschaft und anderer Patienten bedarf es eines neuen Ordnungsrahmens, der auf einem gesellschaftlichen Konsens zur Begrenzung der Zahlungsbereitschaft basiert und diese mithilfe der Marktmacht durchsetzt.

Internationales Preisreferenzsystem

Eine Begrenzung der Zahlungsbereitschaft für eine OD durch Orientierung am internationalen Preisniveau ist in deutschsprachigen Ländern derzeit die einzige Option. Eine Orientierung an Nationen mit Begrenzung der Zahlungswilligkeit auf den gesellschaftlichen Nutzen (s. u.) wie z. B. England wird aber durch geheime Rabatte in „managed entry agreements“ (MEA) vom Discount-Typ behindert. In den übrigen Nationen werden die Preise deshalb nivelliert anstatt gesenkt.

Marktübliche Renditen

Eine Begrenzung der Zahlungswilligkeit für OD auf die tatsächlichen Entwicklungs- und Produktionskosten plus eine risikogerechte Kapitalrendite wird im Englischen als „cost plus“ bezeichnet. Sie wird in England bei UOD bereits neben der Nutzwertanalyse praktiziert [14, 26]. Hierzu müssen die tatsächlichen Entwicklungs‑, Investitions- und Produktionskosten erfasst werden, was eine verbindliche Pflicht zur (vertraulich behandelten) detaillierten Offenlegung durch den Produzenten erfordert [13]. Anreize, Unkosten und Wirksamkeit zu optimieren, und die Möglichkeit zu einer gesellschaftlichen Lenkung der (U)OD-Entwicklung fehlen dabei.

Ein von Fellows und Hollis [14] vorgeschlagenes „Cost-based-yardstick“-System würde statt den Istkosten marktübliche Entwicklungs- und Kapitalkosten für jeden Entwicklungsschritt einsetzen und damit den Anreiz zur Kostenminimierung erhalten.

Um zur Entwicklung hochwirksamer OD zu motivieren, könnte ein nutzwertabhängiger Bonus (innerhalb des blauen Bereiches in Abb. 2a) auf den „Cost-plus“-Preis aufgeschlagen werden.

Eine Ausweitung des Indikationsbereichs einer (U)OD auf andere Krankheiten nach der Kostenübernahme ist wünschenswert, sollte aber zur Preissenkung führen.

Gesellschaftlicher Nutzen

Bisher sind wenige UOD zugelassen, und deren Budgetrelevanz ist auch in der Summe noch gering. Die Technologie entwickelt sich jedoch weiter, und Tausende Krankheiten warten auf UOD, die jeweils weltweit Fixkosten ≥ 400 Mio. € während 10 bis 12 Jahren Patentschutz amortisieren müssten. Auch „cost-plus“-begrenzt können die Aufwendungen für UOD mehrere 100.000 €/Behandlungsjahr betragen. In Zukunft wäre daher für UOD und für OD mit geringem Nutzwert zu erörtern, ob eine zusätzliche Begrenzung der Zahlungswilligkeit auf der Basis des gesellschaftlichen Nutzwerts ethisch begründbar wäre.

Die Gesundheitsausgaben sind in Deutschland und Österreich mit 11,3 % bzw. 10,4 % des BIP bereits hoch und durch demokratische Beschlüsse begrenzt. In Österreich wird die Steigerung der öffentlichen Gesundheitsausgaben (ohne Langzeitpflege) z.B. per Gesetz auf das Wirtschaftswachstum (BIP) limitiert ([4] Art. 17). Neue OD können daher theoretisch nur durch Deinvestitionen bzw. unterlassene Investitionen bei bestimmten Gesundheitsleistungen für andere Erkrankungen oder durch undifferenzierte Einschnitte beim medizinischen Personal finanziert werden. Es gilt, diese Opportunitätskosten von OD abzuwägen und zu prüfen, ob wir identifizierbare Patienten mit SK anonymen, statistischen Patienten vorziehen dürfen. Eine mögliche Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen spart zwar Mittel ein, aber auch hierfür konkurrieren (U)OD konsequenterweise mit bisher unterfinanzierten und neuen anderen Therapie- oder Präventionsoptionen [16].

Eine Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit ist in Deutschland und Österreich derzeit nur beim Vergleich zwischen Behandlungsoptionen erlaubt [17], also nicht für die Monopolsituation bei den meisten neuen OD. Dies liegt v. a. an ethischen Bedenken. Im philosophisch-ethischen Pluralismus bewegen sich die Positionen zwischen den beiden folgenden Extremen:

  • der deontologischen Auffassung, dass keinem schwer oder gar lebensbedrohlich erkrankten Patienten eine medizinisch notwendige, alternativlose, neue Therapie verweigert werden darf und

  • der konsequenzialistischen Auffassung, die die Optimierung von Lebensqualität und Lebensdauer in der gesamten Bevölkerung anstrebt und dabei das Recht des Einzelnen auf wirksame Behandlung dort aufhören lässt, wo sehr hohe Aufwendungen die Gesundheit der restlichen Bevölkerung unverhältnismäßig schmälern.

Eher zu letzterer Auffassung tendierend hat eine Reihe von Ländern wie Großbritannien, die Niederlande und Norwegen für die Zahlungsbereitschaft für neue Therapien explizit oder implizit Schwellenwerte (oder Grenzbereiche, die auch andere gesellschaftliche Werte berücksichtigen) festgelegt. Die Höhe wird u. a. von Gesundheitsausgaben, Altersstruktur, Gesundheitsverhalten und der Effizienz im Gesundheitswesen beeinflusst und wäre daher orts- und zeitvariabel [31]. Im Folgenden soll diese für Ärzte im deutschsprachigen Raum ungewohnte Denk- und Verfahrensweise dargestellt werden.

Wegen ethischer Bedenken und methodischer Limitationen ist es nicht üblich, den gesundheitlichen Nutzen monetär auszudrücken. Eine Vergleichbarkeit zwischen allen präventiven und kurativen medizinischen Leistungen gelingt daher nur mithilfe der Kosten-Nutzwert-Analyse („cost-utility analysis“ CUA). Das Verhältnis aus den zusätzlichen Aufwendungen und dem zusätzlichen Nutzwert wird „incremental cost-effectiveness ratio“ (ICER) genannt (Abb. 2a, b, gestrichelte schwarze Linien). Dieses Standardanalysewerkzeug zur Verteilung limitierter Ressourcen wird in 20 europäischen Nationen (nicht aber Deutschland und Österreich, [37]) als ein wichtiges Kriterium für die Erstattungsentscheidung verwendet. Etwaiger Aufwand für die Applikation eines Medikaments sowie Einsparungen und Kosten für das Gesundheitswesen durch die Medikamentenwirkung werden einberechnet.

Es besteht Konsens, dass neben dem medizinischen Nutzen auch der gesellschaftliche Wunsch nach Fairness zu berücksichtigen ist. Auch englische, schottische, schwedische und französische HTA berücksichtigen neben dem klinischen Nutzen den Schweregrad und den unbefriedigten medizinischen Bedarf [25]. Beides ist bei OD definitionsgemäß gegeben und erhöht deren Nutzwert.

Wenn ein Medikament eine schwere SK nahezu heilt, ist davon auszugehen, dass es nicht durch ein besseres ersetzt werden muss und nach Ablauf des Patentschutzes eine preiswerte hochwirksame Behandlung ermöglicht. Das würde höhere initiale Preise rechtfertigen.

Die Seltenheit einer Erkrankung per se sollte die Zahlungsbereitschaft nicht erhöhen, denn dies würde auf individueller Vergleichsebene zu einer Ungleichbehandlung führen [22] und wurde von der englischen [2], kanadischen [6], schwedischen [46] und norwegischen [5] Bevölkerung bei Befragungen als Begründung abgelehnt. Die Praxis der Kostenübernahmen in Europa widerspricht dem [25], und die spezialisierten englischen und schottischen HTA-Systeme für UOD suchen derzeit nach Kompromissen auch unter Einbeziehung der Patienten und Angehörigen [26].

Die Regeln und Algorithmen zur Berechnung der Zahlungsbereitschaft sollten in einem gesellschaftspolitischen Konsens, demokratisch legitimiert a priori festgelegt werden. Hierfür eignet sich die „multiple criteria decision analysis“, die Entscheidungskriterien und deren relative Gewichtung vorab bestimmt [27, 38]. Die transparenten Entscheidungen eines so operierenden Gremiums könnten nur bei Fehlern in der Bewertung der Evidenz gerichtlich angefochten werden, und die Politik könnte den moralischen Druck mit Verweis auf den rationalen Konsens beantworten. Eine solche Glaubhaftigkeit des Ordnungsrahmens für OD stärkt die Verhandlungsposition in Preisverhandlungen.

Viele Maßnahmen verbessern die Lebensdauer- und -qualität der Betroffenen. Die Schwellenwerte für die Kosten-Nutzwert-Relation sollten zwischen pharmakologischen und nichtpharmakologischen Behandlungen, zwischen Therapie und Prävention, zwischen den Fachbereichen, auch zwischen somatischer und psychosozialer Medizin, sowie mit nichtmedizinischen öffentlichen Aufgaben konsistent sein. Dies käme nicht nur Patienten, Krankheitsbildern und Behandlungsformen mit geringer Lobby, sondern auch SK-Patienten und deren Familien zugute, denn neben Elementen der Basisversorgung (s. oben) müssen u. a. die Entlastung von pflegenden Angehörigen sowie die sinnstiftende Förderung der Integration und Teilhabe im Berufsleben ausgebaut werden.

Mit wechselndem Erfolg versucht man das Risiko, das sich aus dieser Unsicherheit bezüglich des längerfristigen Nutzens und des Anwendungsbereiches ergibt, durch verschiedene Typen von MEA mit dem Pharmakonzern zu teilen und zu begrenzen [18, 26, 34]. Kostenübernahme und Preis können dabei nach a priori klar definierten Kriterien auf der Basis von Post-Marketing-Studien (PMS) revidiert werden. Die Qualität von PMS-Daten ist jedoch begrenzt, und ein etwaiges Terminieren der Kostenübernahme stößt auf Widerstand [13]. Die Sammlung der Daten, vorzugsweise in internationalen, firmenunabhängigen Datenbanken, verursacht zudem erheblichen Aufwand für die Behandlungszentren, sodass deren Finanzierung mit den Herstellern geklärt werden sollte [18]. Durch internationale Kooperation werden MEA und Evidenzsammlung in PMS ökonomischer [13].

Methoden zur Begrenzung der Zahlungsbereitschaft mithilfe der CUA mit „cost plus“ kombinieren

Eine ausschließliche Begrenzung der Zahlungsbereitschaft mithilfe von CUA und Schwellenwert erlaubt den Produzenten die Optimierung der Preise auf diese Obergrenzen hin [13; S. 43], was bei häufigeren SK und bei Zulassung für mehrere Indikationen (z. B. Onkologika) zu z. T. sehr hohen Gewinnspannen führt. Die Methoden zur Begrenzung der Zahlungsbereitschaft mithilfe der CUA sollten deshalb stets mit einer „Cost-plus“-Begrenzung o. Ä. kombiniert werden. In Abb. 2 werden 3 Beispiele mit einem Nutzwert von 0,1; 0,2 und 0,5 QALY/Behandlungsjahr (gestrichelte schwarze Linien) dargestellt. Unter Annahme eines hohen Schweregrads der SK wurde der Schwellenwert für die ICER mit 150.000 €/QALY angesetzt. Für die „Cost-plus“-Modelle (lila) wird jeweils von einer Bevölkerungsbasis von 1 Mrd. und einer Inanspruchnahme bei 50 % ausgegangen. Die Amortisierung laufe über 12 Jahre bei einem Zinssatz von 8 %. In Abb. 2a im OD-Modell Fixkosten, einschließlich Kapitalkosten bis zur Vermarktung: 1 Mrd. € [13, S. 39] und die variablen Kosten: 4000 €/Jahr, Nutzwert = 0,1 QALY/Behandlungsjahr. In Abb. 2b im UOD-Modell entsprechend 500 Mio. €, 10.000 €/Jahr und 0,2 QALY/Behandlungsjahr. Preise im grünen Bereich wären bei kombinierter Begrenzung akzeptabel. Die Verluste für den Produzenten bei „cost plus“ > Nutzwert sind rot und der Gewinn für die Gesellschaft bei Nutzwert > „cost plus“ begrenztem Preis blau schattiert. Die Regressionsgeraden für die erzielten Preise pro Patient und Jahr der umsatzstärksten OD und UOD in den USA 2016 [12] sind als rote Linien eingefügt, und die bei obigen Annahmen erzielten erhöhten Gewinnmargen sind schraffiert.

Abb. 2
figure 2

Veranschaulichung der Verfahren zur Begrenzung der gesellschaftlichen Zahlungsbereitschaft bei Orphan-Drugs (OD, a) und „Ultra“-Orphan-Drugs (UOD, b). Die Annahmen sind beispielhaft und würden bei realen (U)OD abweichen

Ein lebensverlängerndes Medikament verbessert jedoch seine Wirtschaftlichkeit, indem es die Prävalenz erhöht. Wo die „Cost-plus“-Grenze dennoch oberhalb des gesellschaftlichen Nutzwerts liegt (Abb. 2a, b rot schattierte Bereiche), wären (U)OD bei kombinierter Begrenzung kommerziell unwirtschaftlich.

Eine Ergänzung des Fehlbetrags aus Spendenmitteln würde der Gesellschaft erlauben, in Härtefällen Güte zu erweisen und zugleich solidarische Mittel gerecht zu verteilen.

Öffentlich kontrollierte „Ultra-orphan-drugs“-Entwicklung und -Produktion

Europa kooperiert bereits heute in der Forschung und deren Finanzierung in European Research Area Netzwerken (ERA-NET) für seltene Erkrankungen (sogenannten E-RARE Projekten). In ministeriellem Auftrag hat eine belgisch-niederländische Arbeitsgruppe eine öffentlich kontrollierte Medikamentenentwicklung durch einen (europäischen) Interessenverband angedacht [41]. Dieser soll die Prioritäten bestimmen und Forschung beauftragen. Es werden UOD, ggf. in Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie, entwickelt und nach Ausschreibung von Pharmaunternehmen günstiger produziert. Patente würden in öffentlicher Hand verbleiben und/oder frei zugänglich [13].

Das EU Expert Panel on Effective Ways of Investing in Health (EXPH) hat weitere innovative Optionen zur Preiskontrolle für OD diskutiert [13].

Marktmacht durch europäische Gemeinschaft

Ohne Marktmacht ist eine Begrenzung der Zahlungswilligkeit zum Scheitern in Form von Nichtversorgung oder Einlenken verurteilt. Im Widerspruch dazu werden die Preise für intramurale OD in Österreich derzeit von jedem Krankenanstaltenträger individuell verhandelt [43] und getragen.

Anfang 2012 waren 51 OD in Österreich erhältlich. Der Erstattungskodex (EKO) enthielt aber 2012 nur 14 OD (13 in der Yellow Box und eines in der Red Box [28]). Pharmazeutische Unternehmen verzichten auf eine Aufnahme in den EKO, wenn der Verwaltungsaufwand zu groß ist oder Einzelfallentscheidungen höhere Gewinne versprechen [43]. Neben fehlender Marktmacht führt dies zu sinnlosem Verwaltungsaufwand sowie Verzögerungen und Inkonsistenzen in der Entscheidung.

Die Lösung besteht in der „Entwicklung und Umsetzung eines gemeinsamen sektoren- und bundesländer- und EU-mitgliedstaatenübergreifenden Einkaufs und einer Bewirtschaftung von Medikamenten einschließlich von Finanzierungslösungen“ gemäß Vereinbarung zwischen dem österreichischen Bund und den Bundesländern [4] unter Art. 14(3):

Für definierte hochpreisige und spezialisierte Medikamente sind auf Bundes- und/oder Landesebene gemeinsame Versorgungsmodelle sowie sektorenübergreifende Finanzierungskonzepte mit gemeinsamer Finanzverantwortung zu entwickeln und in der Folge umzusetzen.

Ein visionäres Ziel, das es umzusetzen gilt.

Einzelfallentscheidungen für (U)OD sollten schließlich gesetzlich ausgeschlossen werden, um die Pharmafirmen zur Preisverhandlung zu zwingen.

Die Kostenübernahmeentscheidung fällt in die Kompetenz der europäischen Mitgliedstaaten. Daher ist die europäische Kooperation bei dem HTA (European Network für Health Technology Assessment, EUnetHTA) für OD freiwillig. In der European Collaboration on Relative Effectiveness Assessment ist auch Österreich Mitglied [20]. Ein zukünftiges gemeinsames HTA für OD wäre effizienter, qualitativ besser, transparenter, würde zu einer innereuropäischen Harmonisierung führen sowie für die pharmazeutische Industrie reduzierte Marketing-Kosten und höhere Planungssicherheit bedingen. Das EUnetHTA wäre auch für die Organisation von MEA prädestiniert.

Die Preisgestaltung für Medikamente fällt ebenfalls nicht in die Kompetenz der EU [30]. Es gibt jedoch bereits eine Reihe von freiwilligen europäischen Kooperationen [8] wie z. B. die BeNeLuxA – „collaboration on procurement of pharmaceuticals for rare diseases“, in der Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Österreich bei der Preisverhandlung für OD zusammenarbeiten. Dieser offene Prozess könnte letztlich zu zentraler Vertragsgestaltung und zentralem Einkauf führen, die eine Steigerung von Marktmacht, Transparenz, Entscheidungsqualität und Transaktionseffizienz bewirken könnten [15].

Eine anschließende Verteilung der OD auf die europäischen Mitgliedstaaten zu solidarischen Preisen (z. B. entsprechend dem Pro-Kopf-BIP) würde den Zugang auch auf ärmere Mitgliedstaaten erweitern und harmonisieren. Der alle belastende Medizintourismus entfiele. Zugleich ergibt sich dank höherem Gesamtvolumen eine größere Marktmacht und ein größerer Divisor für die Fixkosten der Pharmafirmen bei der Entwicklung. Bei „Cost-plus“-Begrenzung könnte so der Preis auch für reichere Mitgliedstaaten gesenkt werden. Ein Problem besteht in der Verhinderung von Parallelimporten aus Ländern mit geringeren Preisen.

Fazit für die Praxis

  • Die Behandlung von SK sollte an personell gut ausgestatteten, vernetzten Expertisezentren erfolgen. Dies bedarf politischer und finanzieller Unterstützung und einer Vergütung stationärer OD-Aufwendungen (z. B. als medizinische Einzelleistung).

  • Um eine nachhaltige Entwicklung der Behandlung von SK auch mithilfe von OD bei gerechter Verteilung begrenzter Mittel sicherzustellen, sind Ordnungsrahmen und Lenkung durch Expertengremien und die Öffentlichkeit erforderlich. Eine sinnvolle Begrenzung der Zahlungsbereitschaft sollte politisch und gesellschaftlich akkordiert werden.

  • Eine europäische Kooperation bei HTA, Kostenverhandlung und solidarischem Einkauf von OD sowie der gemeinsamen Entwicklung von UOD emanzipiert die Gesellschaft und gewährt einheitlichen Zugang in Europa für eine größere Zahl von Patienten mit SK.