In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen in Deutschland erheblich gewandelt. Infektionskrankheiten, schwere Behinderungen und angeborene Fehlbildungen, die lange Zeit den Hauptaufgabenbereich von Kinderärzten bildeten, sind aufgrund verbesserter Lebensbedingungen und einer verbesserten medizinischen Versorgung entscheidend zurückgegangen. Stattdessen hat die Bedeutung chronischer Erkrankungen und psychischer Störungen erheblich zugenommen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Neuer Morbidität und meint damit die Verschiebung des Krankheitsspektrums von den akuten zu den chronischen Krankheiten und von den somatischen zu den psychischen Störungen.

Das Spektrum hat sich von akuten zu chronischen Krankheiten verschoben

Diese Neue Morbidität spiegelt sich in den Ergebnissen des bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) wider. In dieser Studie, an der zwischen 2003 und 2006 insgesamt 17.641 Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 17 Jahren sowie deren Eltern teilnahmen, wurden umfangreiche Daten zur körperlichen und psychischen Gesundheit erhoben.

KiGGS bestätigt, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche von chronischen Erkrankungen betroffen sind. So wiesen zwischen 10 und 13% aller Kinder und Jugendlichen Bronchitis, Neurodermitis oder Heuschnupfen auf. 15% aller Kinder und Jugendlichen im Alter von 3–17 Jahren galten als übergewichtig, davon etwa 6% als adipös. Im Vergleich zu Daten aus den 1980er und 1990er Jahren hat sich damit die Anzahl übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher um 50% erhöht. Diese Befunde geben Anlass zur Beunruhigung, sind chronische Erkrankungen doch mit starken Belastungen für das betroffene Kind sowie das soziale Umfeld verbunden. Darüber hinaus haben chronisch kranke Kinder ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer psychischen Störung [2], was sich negativ auf die Krankheitsbewältigung auswirkt und weitere Beeinträchtigungen nach sich zieht.

Chronische Erkrankungen sind mit starken Belastungen für das Kind verbunden

Was die psychischen Probleme betrifft, zeigte die KiGGS-Studie, dass nach Auskunft der Eltern fast 15% aller Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren im grenzwertigen oder auffälligen Bereich lagen. Am häufigsten traten Verhaltensprobleme, Probleme mit Gleichaltrigen sowie emotionale Probleme auf [1].

Diese Neue Morbidität ist bei allen Kindern und Jugendlichen festzustellen, jedoch ist das Morbiditätsrisiko am größten bei Kindern und Jugendlichen mit einem niedrigen Sozialstatus, bei Migrationshintergrund oder psychischen Erkrankungen seitens der Eltern [3]. Beispielsweise haben diese ein erheblich höheres Risiko für Übergewicht und Adipositas sowie für psychische Probleme [1]. Diese Befunde verdeutlichen zum einen die wichtige Bedeutung von Früherkennung und frühzeitiger Prävention und zum anderen die Notwendigkeit, sozial benachteiligte Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund in besonderem Maße zu berücksichtigen.

Voraussetzung hierfür ist eine flächendeckende Versorgung durch Kinderärzte und eine höhere Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen durch unterprivilegierte Familien. Generell weisen die Befunde darauf hin, dass zukünftig bei den Früherkennungsuntersuchungen ein besonderes Augenmerk auf die Neuen Morbiditäten gelegt werden sollte.

D. Reinhardt

F. Petermann