Anamnese

Mitte März 2020 stellte sich im Rahmen der neu eingerichteten „Coronavirusinfektionssprechstunde“ ein 35-jähriger Kroate, seit 1994 in Deutschland ansässig, vor. Er litt seit dem Vortag an typischen Erkältungssymptomen – Fieber, Halsschmerzen und Husten. Anamnestisch waren bei dem als Krankenpfleger arbeitenden Patienten im weiteren Arbeitsumfeld auf „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) positiv getestete Personen aufgetreten. Mit Ausnahme eines täglichen Nikotinkonsums (ca. 20 Zigaretten) bestanden keine Risikofaktoren, keine Vorerkrankungen und keine Dauermedikation.

Ambulanter klinischer Befund und Verlauf

Klinisch präsentierte sich zu Beginn ein kardiopulmonal stabiler und afebriler Patient. Es fiel lediglich ein geröteter Rachen auf. Ein nasopharyngealer Rachenabstrich zur SARS-CoV-2-Testung wurde genommen und die häusliche Quarantäne veranlasst. Die Therapie erfolgte symptomatisch.

Zwei Tage später konsultierte der Patient erneut die Sprechstunde wegen anamnestisch wiederkehrendem Fieber-Peak (bis 40 °C) am Vortag und beginnenden Gliederschmerzen. Atembeschwerden wurden verneint. Die Herzfrequenz betrug 60/min und die pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung (SpO2) >98 % unter Raumluft. Das Abstrichergebnis auf SARS-CoV‑2 lag noch nicht vor. Die symptomatische Therapie wurde fortgeführt und eine Rückmeldung bei Verschlechterung vereinbart.

Am 5. Tag nach dem durchgeführten Rachenabstrich lag das negative SARS-CoV-2-Abstrich-Ergebnis in der Praxis vor. Am Folgetag kam es zur 3. ambulanten klinischen Vorstellung des Patienten mit deutlich reduziertem Allgemeinzustand: Tachykardie bis 135/min und starke Gliederschmerzen. Die mögliche Sofortdiagnostik (Blutgasanalyse: Tab. 1, EKG) und weiterführende Diagnostik (Laborbestimmungen: Tab. 2, 2. SARS-CoV-2-Abstrich) wurden ambulant eingeleitet. Eine stationäre Weiterbehandlung war aufgrund nichtvorhandener Bettenkapazität im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie nicht möglich.

Tab. 1 Kapilläre Blutgasanalyse (prästationär)

Am nächsten Tag lagen die Laborwerte vor. Aufgrund des Hinweises auf ein akutes Leber- und Nierenversagen (Tab. 2) sowie des inzwischen neu aufgetretenen ikterischen Hautkolorits war eine stationäre Weiterbehandlung unumgänglich.

Diagnose im stationären Rahmen

In der durchgeführten abdominellen Sonographie ergab sich der Verdacht einer geringgradigen intrahepatischen Cholestase sowie ein ödematöses Gallenblasenbett, weshalb zum definitiven Ausschluss einer Choledocholithiasis eine Endosonographie durchgeführt wurde. Hier zeigte sich nebenbefundlich lediglich eine Antrumgastritis. Das Röntgenbild des Thorax blieb ohne wegweisenden Befund.

Laborchemisch bestand weiterhin ein akutes Nieren- und Leberversagen. Die Lebersyntheseparameter blieben jedoch bis auf eine Hypalbuminämie stabil (Tab. 2).

Sowohl die Hepatitisserologie, ein Autoantikörperscreening als auch das toxische Screening verliefen negativ. Es bestätigte sich in der laborchemischen serologischen Untersuchung eine akute Leptospirose.

Therapie und Verlauf

Neben der Flüssigkeitssubstitution erfolgte eine empirische antibiotische i.v.-Therapie mit Ceftriaxon. Es kam unter den geschilderten Maßnahmen zu regredienten Befunden der Laborparameter (Tab. 2) und deutlicher Besserung des Allgemeinzustands. Nach etwa 5 Tagen konnte der Patient wieder in die ambulante Behandlung übernommen werden. Die Nieren- und Leberwerte normalisierten sich innerhalb von ca. 5 Wochen (Tab. 2). Inzwischen ist der Patient körperlich vollständig genesen.

Tab. 2 Laborwerte im Verlauf

Rückblickend konnte kein eindeutiges Ereignis eruiert werden, das zur Ansteckung mit Leptospira geführt haben könnte. Vermutlich spielte Gartenarbeit eine Rolle.

Diskussion

In dem dargelegten Fall zeigt sich die Schwierigkeit der Diagnosefindung. Eine Vielzahl von Krankheiten kommt bei Leptospirose als Differenzialdiagnose in Betracht. In der vorherrschenden pandemischen Situation wurde zunächst von einer Infektion mit dem SARS-CoV‑2 ausgegangen, auch eine Infektion mit Influenzaviren war eine anfängliche Differenzialdiagnose. Bei Reiserückkehrern kommen bei plötzlichem Fieber zusätzlich Malaria, Typhus, Rickettsiosen oder das hämorrhagische Fieber infrage [1, 5, 6].

Aufgrund des unspezifischen Bilds ist von einer höheren Dunkelziffer der Leptospirose auszugehen

Leptospirose ist eine weltweit verbreitete Zoonose. In Deutschland tritt die Erkrankung selten auf (ca. 50–150 Fälle/Jahr; [1]), in tropischen Ländern besteht eine hohe Inzidenz. Aufgrund der unspezifischen Erscheinung muss von einer höheren Dunkelziffer ausgegangen werden. Bei den Leptospiren handelt es sich um Bakterien der Klasse der Spirochäten, die über kleine Hautläsionen oder Schleimhäute in den Körper gelangen, sich anschließend über den Blutstrom im Organismus verteilen und dort zu einer Vaskulitis führen. Die Inkubationszeit variiert zwischen 2 und 30 Tagen und beträgt durchschnittlich ca. 10 Tage [4].

Zu den Wirtsorganismen zählen vorwiegend kleine Nagetiere wie Mäuse und Ratten, jedoch sind auch in Hunden, Schweinen, Katzen und Pferden Leptospiren nachgewiesen worden. Die Tiere sind oft symptomfreie Träger mit chronischer Niereninfektion, die einen infektiösen Urin ausscheiden [5].

Kontaminierte Gewässer und feuchter Erdboden begünstigen die Übertragung der Leptospiren

Die Übertragung findet direkt (z. B. Bissverletzung), vorwiegend jedoch indirekt über infektiösen Harn der Kleintiersäuger statt. Sowohl kontaminierte Gewässer, insbesondere bei Überschwemmungen oder nach starkem Regenfall sowie feuchter Erdboden begünstigen die Übertragung. In Europa kommt es durch Auslandsreisen, aber auch durch berufliche Exposition wie bei Kanal‑/Abwasserarbeiten oder bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten [3] zur Ansteckung. Beliebter werdende Freizeitsportarten wie Kanufahren oder Triathlon [2] gewinnen in den letzten Jahren als möglicher Infektionsursprung ebenso an Bedeutung und sollten bei unklarem Fieber anamnestisch erfragt werden. Die Leptospirose ist in Deutschland als Berufskrankheit (BK-Nr. 3102) bei Berufsgruppen wie Kanal‑, Abwasser‑, Feldarbeiter und Tierärzten anerkannt [6].

Der Krankheitsverlauf wird in 2 Phasen aufgeteilt: Initial kommt es zur Bakteriämie mit plötzlich auftretendem hohem Fieber sowie grippeähnlichen Symptomen. Gliederschmerzen, insbesondere Wadenschmerzen, und retrobulbäre Kopfschmerzen. Die zweite Phase zeichnet die Organmanifestationen ab, die sehr variabel sein können. Bei Befall der Leber und der Nieren handelt es sich um die typische Erscheinungsform des M. Weil. Charakteristisch ist, dass es den Patienten mit Eintreten des Ikterus schlechter geht, im Gegensatz zu einer Virushepatitis. Die Leberfunktion bleibt meist erhalten, und der Ikterus ist ursächlich wahrscheinlich eher durch eine Sekretionsstörung des konjugierten Bilirubins bedingt als durch Leberzellzerfall [5].

Leptospiroseverläufe sind durch eine sehr große Variabilität gekennzeichnet

Weiter können sowohl neurologische Symptome im Sinne einer Meningitis/Meningoenzephalitis als auch eine pulmonale oder kardiale Beteiligung auftreten. Es besteht eine sehr große Variabilität im Verlauf – 90 % eher kurz und mild, was die vermutete höhere Dunkelziffer erklären kann. Bei schweren Verläufen beträgt die Letalität weltweit bis zu >20 % [1].

Laborchemisch zeigt die Leptospirose ebenso ein unspezifisches Bild: Häufig kommt es zu einer Leukozytose mit Linksverschiebung und Thrombozytopenie. Die Transaminasen und auch die Kreatinkinase weisen einen eher milden Konzentrationsanstieg auf. Bei vorliegendem M. Weil kommt es zusätzlich zu Konzentrationsanstiegen des Kreatinins und des Bilirubins. Sowohl die Urin- als auch Liquoruntersuchung ergeben ggf. uncharakteristische Veränderungen.

In Deutschland ist der laborchemische Nachweis der Leptospireninfektion namentlich meldepflichtig

Den Goldstandard zum serologischen Nachweis der Erkrankung stellt nach wie vor der Agglutinationstest („microscopic agglutination test“, MAT) dar – Voraussetzung ist ein Sicherheitslabor der Stufe 2. Empfohlen werden 2 Tests im Abstand von ca. 2 Wochen. Ein mindestens 4‑facher Titeranstieg gilt als Nachweis einer frischen Infektion. Häufig eingesetzt werden Screeningtests in Form eines „enzyme-linked immunosorbent assay“ (ELISA), die bereits ab dem 5. Erkrankungstag das Vorliegen von IgM-Antikörpern als Hinweis auf eine frische Infektion nachweisen können. Alternativ können die Leptospiren direkt durch Anzüchtung oder durch Nachweis der leptospiralen DNA in der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) identifiziert werden. In der ersten Krankheitswoche sind die Bakterien im Blut oder im Liquor, ab der 2. Woche auch im Urin zu finden. Insgesamt ist die Anzucht des Erregers jedoch kompliziert [4, 6]. In Deutschland ist der laborchemische Nachweis der Infektion namentlich meldepflichtig [1].

Wassersportler sollten über das erhöhte Expositionsrisiko und mögliche Symptome aufgeklärt werden

Mangels vorliegender Evidenz gibt es in Deutschland keine einheitliche Leitlinie zur Behandlung der Leptospirose. Weit verbreitet ist jedoch die Ansicht, dass eine frühzeitige Antibiotikagabe indiziert ist. Empfohlen werden Doxycyclin (2-mal 100 mg/Tag für 7 Tage) bei leichten Verläufen und Penicillin G (1,5 Mio. E/6 h für 7 Tage) i.v. hochdosiert oder Ceftriaxon (1 g/Tag für 7 Tage) i.v. bei schweren Verläufen [6].

Die Prävention besteht in der Expositionsprophylaxe. Hierfür eignen sich wasserdichte Schutzanzüge und Handschuhe sowie auch das wasserdichte Abdecken von Wunden im beruflichen Kontext. Die Aufklärung über ein erhöhtes Expositionsrisiko und mögliche Symptome der Erkrankung ist bei Wassersportlern zu empfehlen.

Ein Impfstoff ist in Deutschland bisher nur in der Veterinärmedizin zugelassen. Hundebesitzer sollten auf eine aktualisierten Impfschutz ihrer Tiere achten [6].

Resümee

Der geschilderte Fall soll dazu beitragen, die in Deutschland weiterhin selten auftretende Erkrankung in Erinnerung zu rufen, um sie in differenzialdiagnostische Überlegungen einbeziehen zu können – insbesondere bei Beschwerdepersistenz mit Fieber und Gliederschmerzen. Gerade in der aktuellen Situation, in der ein anderes Virus das alltägliche Handeln des Internisten mehr denn je beeinflusst, geraten weitere Krankheiten in den Hintergrund, die doch präsent bleiben müssten. Das Zebra unter den Pferden schnellstmöglich zu erkennen, bleibt eine alltägliche Herausforderung ärztlichen Handelns.

Fazit für die Praxis

  • Trotz Ausnahmesituation im Rahmen der durch das „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) ausgelösten Pandemie muss differenzialdiagnostisch gedacht werden.

  • Seltene Erkrankungen bei Beschwerdepersistenz sind in die differenzialdiagnostische Abklärung einzubeziehen.

  • Die Leptospirose ist auch in Deutschland heimisch und bei Nachweis namentlich meldepflichtig.

  • Die Leptospirose hat vielfältige Erscheinungsformen.