Intensivmedizin im Fokus

Die durch die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) ausgelöste Pandemie hat die Intensivmedizin in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Nachdem ab Ende Februar 2020 täglich Überlebens- und Sterbezahlen im internationalen Vergleich veröffentlicht werden, wurde auch schnell deutlich, dass die Sterblichkeit v. a. in dem Moment eskaliert, in dem die intensivmedizinischen Versorgungsmöglichkeiten enden [1]. „Flatten the curve“ wurde zum Leitsatz des Konzepts, die Fallzahlen niedrig zu halten, um die Behandlungsmöglichkeiten nicht zu überfordern, und derzeit überleben die meisten der schwer Erkrankten allein durch eine supportive und standardisierte intensivmedizinische Behandlung. Dabei darf die öffentliche Diskussion um Behelfsbetten und zusätzliche Beatmungsgeräte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wichtigste Ressource der Intensivmedizin gut ausgebildetes und geschultes Personal ist. Intensivteams lassen sich zwar in einem gewissen Umfang erweitern, aber die Personalkapazität von IntensivpflegerInnen und Intensivärzten/Intensivärztinnen ist nicht beliebig und rasch expandierbar. Hinzu kommt, dass die potenzielle Virusexposition im Intensivsetting (Intubation, Bronchoskopie, endotracheale Absaugmanöver etc.) für das gesamte Team eine reale Bedrohung darstellt und durch Personalausfälle eine regelrechte Abwärtsspirale entstehen kann.

Im Folgenden werden die Besonderheiten der COVID-19-Behandlung in der Intensivmedizin aufgezeigt, wie sie in der täglichen Praxis zu erleben sind sowie in den vergangenen Monaten erarbeitet und publiziert wurden. Der Beitrag gibt keine Einführung in die Intensivtherapie, sondern setzt Grundlagen voraus und bezieht sich auf publizierte Standards und eigene Erfahrungen. Besondere therapeutische Herausforderungen bestehen beim Lungenversagen durch COVID-19, beim Multiorganversagen und beim schweren Inflammationssyndrom; überall hier ist bisher noch wenig Evidenz darüber vorhanden, welche Interventionen am effektivsten sind. Neben der raschen Durchführung klinischer Studien stützt sich die Behandlung deshalb auch auf Analogien zu anderen Syndromen wie der Sepsis und dem Makrophagenaktivierungssyndrom.

Falldefinition – COVID-19-Verdacht und -Diagnostik?

Coronavirus disease 2019 lässt sich klinisch nicht mit Sicherheit von anderen Atemwegsinfektionen unterscheiden. Für die Intensivmedizin ist in der aktuellen Pandemiezeit wichtig, dass jeder Patient mit akuter Atemwegsinfektion, der eine stationäre Behandlung benötigt, mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) infiziert sein kann und entsprechend isoliert und getestet werden muss. Zu den Untersuchungsmaterialien gehören der Rachenabstrich bzw. beim Intubierten das Trachealsekret. Ein negatives Ergebnis des Rachenabstrichs darf insbesondere bei längerer Erkrankungsdauer und nachweislicher Pneumonie keine falsche Sicherheit erzeugen – der Rachenabstrich ist bei tiefer Atemwegsinfektion nicht selten negativ. Beim intubierten Patienten wird daher eine Materialentnahme aus den tiefen Atemwegen empfohlen, wobei Trachealsekret ausreicht und eine bronchoalveoläre Lavage (BAL) nicht erforderlich ist. Ein Versuch des Nachweises aus anderen Materialien (Urin, Blut, Stuhl) wird nicht empfohlen, obwohl SARS-CoV‑2 an anderen Stellen nachgewiesen werden konnte.

Merke

Jeder Patient mit akuter Atemwegsinfektion, der eine stationäre Behandlung benötigt, kann eine SARS-CoV-2-Infektion haben und muss entsprechend isoliert und getestet werden.

Klinischer Verlauf und Intensivpflichtigkeit

Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion präsentieren sich häufig mit allgemeinem Krankheitsgefühl, Husten, Fieber, Geruchs- und Geschmacksstörungen sowie auch Diarrhöen.

Das Vorliegen bestimmter laborchemischer Konstellationen lässt einen schweren COVID-19-Verlauf vermuten

Neben einer bilateralen Pneumonie gibt es auch laborchemische Konstellationen, die nach der Erfahrung der Autoren einen schweren Verlauf wahrscheinlicher werden lassen (Tab. 1). Für viele der Parameter ist bisher kein sinnvoller „Cut-off“-Wert zwischen unkomplizierten und komplizierten Verläufen vorhanden, z. T. zeigen sich allerdings dramatische Erhöhungen dieser Werte.

Tab. 1 Untersuchungsparameter (nichtvalidiert), die mit einer schweren COVID-19-Verlaufsform assoziiert sind

Lungenversagen

Pathophysiologie

Schwere Verlaufsformen von COVID-19 gehen nahezu immer mit einer pulmonalen Beteiligung einher, die sich etwa ab dem 7. bis 10. Tag nach Symptombeginn mit einer deutlichen Hypoxämie bemerkbar macht [2]. Bei der dann oftmals einsetzenden raschen Dynamik der weiteren respiratorischen Verschlechterung steht klinisch eine kompensatorische Steigerung der Atemfrequenz im Vordergrund, wobei erstaunlicherweise häufig keine subjektive Dyspnoe des Patienten besteht. Dieses Phänomen ist inzwischen auch als „silent hypoxia“ bekannt und hat nicht selten dazu geführt, dass Patienten in Verkennung der Schwere ihrer Erkrankung, erst in einem sehr kritischen Zustand die Klinik aufgesucht haben.

„Silent hypoxia“ beschreibt die fehlende subjektive Dyspnoe bei rascher respiratorischer Aggravation

Aus klinischer Sicht finden sich bei den schweren Verläufen 3 folgende wesentliche Phasen der Erkrankung:

In der Frühphase, die überwiegend mild mit typischen Infektionszeichen einhergeht, dominiert die unspezifische Immunantwort des Organismus auf SARS-CoV‑2, die in der Mehrzahl der Fälle in Folge ausheilt. Bei etwa 14 % aller infizierten Patienten findet sich ab der 2. Woche eine pneumonische Phase, die typischerweise mit einer lymphozytären Pneumonitis beginnt und sich dann auch CT-morphologisch in Form von Milchglastrübungen in den peripheren und basal gelegenen Lungenabschnitten darstellen lässt (Abb. 1). In etwa zur gleichen Zeit nimmt die „host inflammatory response“ des befallenen Organismus stetig zu: Es finden sich nun zunehmend konsolidierte Lungenareale, die histologisch am ehesten dem Bild eines für das „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) typischen diffusen Alveolarschadens („diffuse alveolar damage“, DAD) entsprechen. Der Übergang in die Hyperinflammationsphase ist fließend und manifestiert sich bei einem Teil der Patienten meistens ab der 3. Woche mit einem sepsisähnlichen Krankheitsbild [3].

Abb. 1
figure 1

Computertomographischer Befund des Thorax bei einem COVID-19-Patienten. Nebeneinander von Milchglastrübungen (rechts ventral), beginnenden Konsolidierungen und bilateral dorsobasalen Atelektasen mit Pleuraergüssen

Als Risikofaktoren für einen schweren Verlauf gelten derzeit höheres Patientenalter (>60 Jahre), männliches Geschlecht und das Vorliegen von Begleiterkrankungen wie Diabetes, Malignomen oder Immunsuppression. Etwa 5 % der infizierten Patienten werden beatmungspflichtig.

Erwachsene Patienten mit schwerem Verlauf sollten spätestens bei einer pulsoxymetrisch gemessenen Sauerstoffsättigung (SpO2) unter 90 % einer Sauerstofftherapie unterzogen werden, wobei ein SpO2-Zielwert um die 94 % ausreichend ist. Inwieweit eine intensivmedizinische Behandlung notwendig wird, kann gemäß der aktuellen S1-Leitlinie erwogen werden, wenn eines der nachfolgenden Kriterien erfüllt ist [4]:

  • Hypoxämie (SpO2 <94 % unter 4 l O2/min) und Dyspnoe,

  • Atemfrequenz >25–30/min,

  • Wert des systolischen Blutdrucks <100 mm Hg,

  • erhöhte Lactatwerte.

Die intensivmedizinische Betreuung von COVID-19-Patienten stellt für das gesamte Behandlungsteam eine große Herausforderung dar. Gerade in der Frühphase ist das Abwägen einer nichtinvasiven vs. einer invasiven Beatmung von mehreren Faktoren abhängig: Neben dem üblichen Nutzen/Risiko für den Patienten und dem Vorhandensein von Ressourcen sollte auch das Expositionsrisiko für Pflegekräfte und Ärzte berücksichtigt werden. Nicht wenige Patienten, die zwar hypoxämisch, aber spontan atmend auf eine Intensivstation verlegt werden, sind aufgrund deliranter Zustände und der damit fehlenden Compliance nicht suffizient mithilfe nichtinvasiver Maßnahmen zu stabilisieren.

Bauchlagerung

Neben der klassischen Sauerstoffinsufflation werden inzwischen immer mehr Fallserien publiziert, die sich mit der Bauchlagerung bei wachen und spontan atmenden Patienten befassen. Wenngleich es auch weiterhin unklar bleibt, ob diese Maßnahme dauerhaft die Oxygenierung verbessert und eine ansonsten anstehende Intubation verhindern kann, kann im Einzelfall bei kooperativen und klinisch stabilen Patienten eine Bauchlagerung mit nasalem „high flow“ („high flow nasal cannulae“, HFNC) oder einfacher Sauerstoffapplikation versucht werden.

Nasale High-flow-Sauerstofftherapie und nichtinvasive Beatmung

Gerade zu Beginn der Pandemie führte die Angst vor einer Virusübertragung durch Aerosolbildung dazu, dass viele Patienten eher frühzeitig intubiert wurden und auf den Einsatz der HFNC oder einer nichtinvasiven Beatmung (NIV) verzichtet wurde. Es gibt inzwischen einige Untersuchungen, die sich mit der Reichweite von Leckageflüssen bei Maskenbeatmung und Ausatemdistanzen bei HFNC befasst haben. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass gerade bei Hustenstößen die Reichweite des Aerosols mehrere Meter beträgt und deshalb patientenseitig immer ein Mund-Nase-Schutz getragen werden sollte (auch unter HFNC). Bei Verwendung sog. leckagefreier Masken und von Doppelschlauchsystemen mit virendichten Filtern scheint die Exposition unter NIV-Therapie kein größeres Risiko darzustellen [4].

Obwohl die Evidenz für den Nutzen des HFNC- und NIV-Einsatzes bezüglich der Intubationsvermeidung und der Prognose beim ARDS nicht gut ist, kann nach Erachten der Autoren bei ausreichendem Expositionsschutz des Personals (PPE) und kooperativem Patienten ein Versuch mit HFNC erfolgen. Gleiches gilt für den Einsatz der NIV. Nicht nur, dass gerade die HFNC von den meisten Patienten als wesentlich komfortabler wahrgenommen wird, auch unter dem Aspekt eines ressourcenschonenden Einsatzes von Beatmungsgeräten kommt dieser Methode eine große Bedeutung zu. Unabhängig davon muss allerdings zu jeder Zeit eine Überwachung dieser Patienten gewährleistet sein, um eine klinische Verschlechterung frühzeitig zu erkennen und eine Notfallintubation (Notfall-ITN, mit einem höheren Risiko sowohl für die Prognose wie auch einer Virusexposition) zu vermeiden.

Merke

Bei fortbestehender Hypoxämie, erkennbarer Erschöpfung des Patienten und problematischer Therapieadhärenz des Patienten sollte frühzeitig eine ITN eingeleitet werden.

In den aktuellen S1-Leitlinien wird empfohlen, dass ein erfahrener Arzt diese Intervention möglichst mithilfe eines Videolaryngoskops und unter ausreichendem Abstand zum Patienten durchführt. Idealerweise wird nach kurzer Präoxygenierung die Narkose mithilfe einer „rapid sequence induction“ eingeleitet [4].

Invasive Beatmung

Schon frühzeitig nach Beginn der Pandemie berichteten Intensivmediziner von auffälligen Unterschieden zum klassischen ARDS. Eine italienische Arbeitsgruppe hat hierzu ein pathophysiologisches Konzept entwickelt. Dieses unterscheidet in der Frühphase der Erkrankung einen „L-Typ“, der sich durch eine noch normale Lungen-Compliance mit reduzierter Rekrutierbarkeit sowie eine hohe Shunt-Fraktion auszeichnet, von einem später auftretenden „H-Typ“, der nun die klassischen Merkmale des ARDS beinhaltet [5]. Möglicherweise führt ein Verlust der pulmonalen Autoregulation der Durchblutung in Kombination mit einer gestörten Mikrozirkulation bereits frühzeitig bei dem L‑Typ zur signifikanten Verschlechterung der Oxygenierung.

Den hieraus gezogenen Rückschluss, solche Patienten (L-Typ) mit eher niedrigem „positive end-expiratory pressure“ (PEEP) und höheren Tidalvolumina zu beatmen, erscheint aus Sicht der Autoren des vorliegenden Beitrags allerdings nicht sinnvoll [6]. Obwohl auch bei einem Teil der Patienten eine zum Gasaustausch verhältnismäßige gute Compliance beobachtet werden konnte, wurde sich weiterhin an den geltenden ARDS-Empfehlungen orientiert:

Atemzugvolumen ≤6 ml/kg ideales Körpergewicht, Plateaudruck <30 cm H2O, angepasster PEEP nach ARDS-Network-Tabelle und ein „driving pressure“ unter 15 cm H2O [7].

Möglicherweise bietet die Bauchlagerung die Chance auf verhältnismäßig „PEEP-schonende“ Ventilation

Wenngleich die Empfehlungen zur Bauchlage laut der PROSEVA(„Proning in severe ARDS“)-Studie nur für Patienten mit schwer- bis mittelgradigem ARDS (arterieller Sauerstoffpartialdruck [paO2]/inspiratorische Sauerstofffraktion [FIO2] <150 mm Hg) gilt, wurden alle beatmeten Patienten an unserer Klinik frühzeitig für bis zu 48 h in die Bauchlage überführt [8]. Möglicherweise hat die dadurch bedingte Redistribution der pulmonalen Durchblutung dazu beigetragen, dass sich die Oxygenierung bei den meisten Patienten deutlich verbessert hat und verhältnismäßig „PEEP-schonend“ ventiliert werden konnte.

Sollte in Einzelfällen eine refraktäre Hypoxämie persistieren, kann über den Einsatz von inhalativem Stickstoffmonoxid (NO) oder in geeigneten Zentren über die Implantation einer venovenösen extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) nachgedacht werden.

Da es zum aktuellen Zeitpunkt keine größeren randomisierten Studien zur speziellen Atemtherapie bei COVID-19 gibt, leiten sich alle Empfehlungen von den Leitlinien zur invasiven Beatmung bei akuter respiratorischer Insuffizienz ab [6].

COVID-19 als Systemerkrankung

In der klinischen Beobachtung fällt schnell auf, dass einige COVID-19-Patienten mit schwerem Verlauf neben dem Lungenversagen auch eine Beteiligung diverser Organsysteme im Sinne einer Systemerkrankung aufweisen. Die Pathophysiologie dahinter ist im Detail nicht verstanden, doch verdichten sich Hinweise, dass es durch eine fehlerhafte Immunantwort auf das Virus [9] zu einer Art Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) und einem konsekutiven Zytokinsturm kommen kann (bei Kindern auch als Kawasaki-ähnliches Syndrom beschrieben). Dieses Krankheitsbild wird auch häufig als sekundäre hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH) bezeichnet und bedarf vermutlich einer spezifischen immunsuppressiven Therapie. Zusätzlich erhärten sich Hinweise auf eine systemische Endothelschädigung, deren Ätiologie sowohl immunologisch, parakrin über die Zytokinausschüttung als auch direkt infektiologisch über eine Infektion des Endothels, das den Angiotensinkonversionsenzym-2(ACE2)-Rezeptor organspezifisch exprimiert, durch SARS-CoV‑2 vermittelt wird [10].

Die Hinweise auf eine systemische Endothelschädigung erhärten sich

Tatsächlich scheint das Virus auch noch Wochen nach der Primärinfektion im Endothel verschiedener nichtrespiratorischer Organe nachweisbar zu sein (eigene Daten). Die Folgen einer schwer gestörten Endothelbarriere, wie das „Capillary-leakage“-Syndrom und die generelle Aktivierung des Gerinnungssystems – analog einer disseminierten intravasalen Koagulopathie der mikrovaskulären Strombahn (DIC) – sind dem Intensivmediziner gut bekannt und tragen aktiv zur Entwicklung des Multiorganversagens bei COVID-19 bei. Eine Vielzahl theoretischer Überlegungen und Überlappungen mit anderen Syndromen hat dazu geführt, zunächst im Rahmen individueller Heilversuche unterschiedliche Therapiestrategien anzuwenden (z. B. Kortikosteroide, Interleukin-6[IL-6]-Blockade, Zytokinelimination, IL-1-Blockade, Komplementinhibition). Belastbare Evidenzen zu diesen Behandlungsstrategien gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keine.

Wie geht man praktisch mit diesen Erkenntnissen um?

Hyperinflammation.

Da sich ein solches systemisches Inflammationsreaktionssyndrom (SIRS) erst im Verlauf und nicht bei allen Patienten entwickelt [11] ist ein standardisiertes Monitoring empfehlenswert. Es empfiehlt sich hierzu, bei schweren Verläufen von COVID-19 neben den üblichen Parametern mindestens 3‑malwöchentlich die Konzentrationen von IL‑6 und Ferritin zu messen. Der Einsatz von Kortikosteroiden wurde lange kontrovers diskutiert. Ergebnisse einer aktuellen PrePrint-MC-RCT-Studie aus dem Vereinigten Königreich (www.recoverytrial.net) deuten nun daraufhin, dass v. a. die beatmeten Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion von einer Dexamethasonbehandlung (einmal 6mg/Tag) profitieren. Dexamethasonbehandelte Patienten hatten eine 35 % niedrigere Mortalität. Ob sich dies langfristig bestätigen wird, bleibt abzuwarten. Etwa 25% der von den Autoren des vorliegenden Beitrags behandelten Patienten hatten zudem bei Aufnahme einen schweren Mangel an IgG, sodass empfohlen wird, einmal wöchentlich die Immunglobuline zu kontrollieren.

Bei einem Konzentrationsanstieg des IL‑6 >1000 ng/l und dem klinischen Bild eines SIRS wird im Einzelfall sowohl eine pharmakologische Therapie mit IL-6-Blockade als auch eine extrakorporale Zytokinelimination erwogen. Zur IL-6-Blockade und auch zu anderen immunmodulatorischen Interventionen werden weltweit mehrere große randomisierte Studien durchgeführt. Nur durch konsequenten Einschluss entsprechender Patienten kann Evidenz für oder wider eine solche neue Strategie geschaffen werden. Besteht eine gesicherte sekundäre HLH (mindestens 5 von 8 HLH-Kriterien positiv, [12]) muss eine noch aggressivere immunsuppressive Therapie erwogen werden. Hierzu wird bei intensivpflichtigen Patienten üblicherweise einem modifizierten Regime aus Dexamethason und IL-1-Blockade (auf das üblicherweise angewandte Etoposid verzichten die Autoren) nach einem Wiener Modell [13] gefolgt. Je nach klinischer Ausprägung des SIRS erfolgt eine Kombination mit extrakorporaler Zytokinelimination (Adsorption oder Plasmaaustausch).

Endothelschädigung.

Obwohl es sich hier wahrscheinlich um die pathophysiologisch interessanteste Zielstruktur handelt, gibt es weder eine Routinemethodik zum Monitoring noch zur Therapie. Bisher ist die Endothelialitis ausschließlich in Biopsiematerial, Resektaten und Autopsien gesichert worden [10, 14]. Im Kontext wissenschaftlicher Untersuchungen gelang es jedoch auch, zirkulierende Schädigungsmarker wie Von-Willebrand-Faktor (vWF), sTie2 (löslicher Tie2-Rezeptor), und Glykokalyxspaltprodukte im Blut nachzuweisen. Wahrscheinlich ist die mikrovaskuläre Koagulopathie (angezeigt durch die hohen D‑Dimere) ein indirekter Indikator für eine prävalente Endothelschädigung. Die häufig schweren Verläufe bei Patienten mit vorbekannter kardiovaskulärer Begleitmorbidität könnten durch eine besondere Anfälligkeit dieses vorgeschädigten Endothels gut erklärbar sein. Spezifische Therapien lassen sich hierbei allerdings (noch) nicht ableiten.

Im Kontext der Ebola-Virus-Erkrankung – die ebenfalls durch eine schwere Endotheldysfunktion charakterisiert ist – wurden über die Jahre immer wieder pleiotrope Effekte der Statine postuliert. Theoretisch könnten diese Substanzen auch bei COVID-19 protektive Effekte vermitteln. Hierzu finden aktuell bereits In-vitro-Untersuchungen statt.

(Hyper‑)Koagulopathie.

Bereits relativ früh im Verlauf der Pandemie haben sich Berichte vermehrter Thrombosen mit teilweise fatalen Lungenarterienembolien (LAE) gehäuft [15]. Hinzu kommt die klinische Beobachtung von reduzierten Filterlaufzeiten bei kontinuierlichen Dialyseverfahren und bei ECMO-Oxygenatoren. Eine Konzentrationserhöhung der Dimere ist wahrscheinlich Ausdruck einer kontinuierlichen Aktivierung des Gerinnungssystems mit entsprechender Fibrinolyse im Rahmen der Endothelschädigung.

Patienten ohne absolute KI sollten eine Antikoagulation über das prophylaktische Maß hinaus erhalten

Zudem wird eine Überwachung der Thrombozyten, International Normalized Ratio [INR], des Fibrinogens und des Antithrombin III (ATIII) empfohlen. Die Autoren behandeln alle Patienten (ohne absolute Kontraindikation [KI]) mit einer Antikoagulationsstrategie über das prophylaktische Maß hinaus. Empfohlen wird von der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung eine halbtherapeutische Dosis (z. B. mit niedermolekularem Heparin [NMH] in 2‑mal prophylaktischer Dosis). Dies erfolgt auch über den Intensivaufenthalt hinaus. Bei akuter respiratorischer und/oder hämodynamischer Verschlechterung sollte differenzialdiagnostisch immer an eine akute LAE gedacht werden und entsprechend rasch eine Echokardiographie erfolgen.

Extrapulmonale Organbeteiligungen

Nieren

Geht man davon aus, dass primär im Lungenepithel replizierendes SARS-CoV‑2 durch direkte Gewebsschädigung intermittierend ins Blut gelangen kann, und dass das Nierenendothel sehr viele ACE2-Rezeptoren exprimiert (www.proteinatlas.org), ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass es zum direkten Nierenbefall kommen kann. Bisher konnte SARS-CoV‑2 sowohl im Endothel, im Tubulusepithel als auch in den Podozyten nachgewiesen werden [16]. Die Pathogenese der akuten Nierenschädigung („acute kidney injury“, AKI) ist multifaktoriell, reicht von einer unspezifischen Nierenstauung über die sekundäre Rechtsherzbelastung bei ARDS bis hin zu direkt schädigenden Effekten des Virus auf Zellfunktionen wie beispielsweise eine mitochondriale Dysfunktion.

Merke

Klinisch weisen laut Literatur bis zu 50 % der Patienten eine Nierenfunktionsverschlechterung im Sinne einer AKI auf, und die renale Beteiligung bei COVID-19 erhöht die Mortalität um den Faktor 10 [17].

Als Ausdruck der Endothelläsion findet sich bei den meisten Patienten interessanterweise bereits früh eine Mikroalbuminurie, deren prädiktive Bedeutung als Biomarker für den klinischen Verlauf und das Outcome gerade multizentrisch federführend von der Universitätsklinik Göttingen untersucht wird. Therapeutische Optionen beschränken sich idealerwiese bis dato auf supportive Maßnahmen in einem interdisziplinären Team [18]. Studien zu Initiierung, Intensität und Dauer einer Nierenersatztherapie sind in Planung.

Herz

Kardial vorerkrankte Patienten haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf und eine erhöhte Mortalität [19]. Eine myokardiale Schädigung, definiert als ein Wert des kardialen Troponins oberhalb der 99. Perzentile, ist bei intensivpflichtigen COVID-19-Patienten häufig, und die Höhe des Troponinwerts korreliert mit der Sterblichkeit [20]. Intensivmedizinisch relevante kardiovaskuläre Krankheiten und Symptome, die während einer Infektion mit SARS-CoV‑2 beschrieben wurden, sind: Myokarditis, akutes Koronarsyndrom, Arrhythmien und Herzinsuffizienz bis hin zum kardiogenen Schock [21]. Zusätzlich kann ein Rechtsherzversagen sekundär als Folge eines erhöhten pulmonalarteriellen Drucks im Rahmen des ARDS auftreten. Ein akutes Koronarsyndrom wurde im Zusammenhang mit SARS-CoV‑2 sowohl im Rahmen eines ST-Strecken-Hebungsinfarkts (STEMI) als auch bei Tako-Tsubo-Kardiomyopathie beschrieben [22]. Die Myokardischämie kann hier entweder durch eine Plaqueruptur oder durch eine Thrombose infolge der Hyperkoagulabilität bedingt sein. In einer Serie von COVID-19-Patienten mit Herzinfarkt aus New York fand sich immerhin bei einem Drittel der koronarangiographierten Patienten keine obstruktive Koronarsklerose [23]. Kardiale Arrhythmien wurden bei 16 % der hospitalisierten COVID-19-Patienten beobachtet, jedoch bislang nicht weiter charakterisiert [24].

Merke

Neu auftretende ventrikuläre Tachykardien (VT) sollten bei erhöhten Konzentrationen der kardialen Biomarker an eine Myokarditis denken lassen.

Es ist hier auch wichtig, auf die Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie von COVID-19 zu achten, da sowohl Hydroxychloroquin als auch Azithromycin und Lopinavir/Ritonavir, die alle zu Beginn der Pandemie häufig eingesetzt wurden, eine QT-Zeit-Verlängerung hervorrufen können.

Nervensystem

Bislang gibt es nur wenige systematische Berichte über eine neurologische Beteiligung und Symptome während einer Infektion mit SARS-CoV‑2. Eine Studie aus Wuhan dokumentierte neurologische Auffälligkeiten bei 78 von 214 Patienten (36,4 %), die wegen COVID-19 hospitalisiert waren [25]. Am häufigsten waren Kopfschmerzen sowie Geruchs- und Geschmacksstörungen. Eine französische Studie fand bei Aufnahme auf die Intensivstation neurologische Symptome bei 8 von 58 Patienten (14 %) und bei 39 (67 %), nachdem die Sedation beendet wurde [26]. Die Ursachen sind hier vermutlich ebenso multifaktoriell wie bei den kardialen Manifestationen, und in der Literatur werden v. a. der Zytokinsturm bei der schweren SARS-CoV-2-Infektion, eine toxisch-metabolische und eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie diskutiert. Ob SARS-CoV‑2 wie andere Coronaviren neurotrop ist und direkt das Zentralnervensystem (ZNS) infizieren kann, ist bislang unbekannt. Intensivmedizinisch sind v. a. Bewusstseinsstörungen, Delir, Krampfanfälle und Schlaganfälle relevant. Momentan häufen sich auch Berichte über ein COVID-19-assoziiertes Guillain-Barré-Syndrom.

Auch Bewusstseinsstörungen und Delir sind bei Patienten mit COVID-19 häufig [25]. Hierfür sind mutmaßlich nicht nur die oben geschilderten inflammatorischen, metabolischen und ischämischen Faktoren verantwortlich, sondern zumindest bei beatmeten Patienten auch die Tatsache, dass sie häufig sehr tief sediert werden.

Von verschiedenen Autoren wurden Auffälligkeiten im Elektroenzephalogramm (EEG) bei COVID-19-Patienten berichtet. In einer Gruppe von 22 COVID-19-Patienten, von denen 14 zum Zeitpunkt der Durchführung beatmet waren, wurden sporadische epileptiforme Entladungen bei 40,9 % der Patienten (9 von 22) gefunden [27]. In einer Untersuchung im eigenen Haus fanden sich bei 10 von 15 (66,7 %) tief sedierten Patienten im 2‑Kanal-EEG epilepsietypische Potenziale, während dies bei einer Vergleichsgruppe nur in 16,1 % der Fall war.

Merke

Der Einsatz eines 2‑Kanal-EEG kann sowohl zum Monitoring der Sedierungstiefe als auch zur Detektion von Krampfaktivität empfohlen werden.

Mao et al. aus Wuhan verzeichneten in ihrer Studie bei 5 % der hospitalisierten COVID-19-Patienten Schlaganfälle; viele dieser Patienten gehörten jedoch zur Gruppe der über 70-Jährigen und wiesen mehrere kardiovaskuläre Risikofaktoren auf, aber auch wieder erhöhte Konzentrationen der D‑Dimere als Hinweis auf eine Hyperkoagulabilität. Eine neuere Studie aus New York dokumentierte allerdings auch bei jüngeren Patienten (<50 Jahre) Schlaganfälle, sodass wohl alle Altersgruppen vulnerabel zu sein scheinen [28].

Darm

Nicht selten präsentieren sich COVID-19-Patienten ohne typische Atemwegssymptomatik, berichten aber stattdessen von Diarrhö als Initialsymptom. Dazu passend häufen sich mittlerweile auch Berichte einer Beteiligung des Gastrointestinaltrakts [29], die sich nach aktuellem Erkenntnisstand pathophysiologisch wahrscheinlich durch die Endothelschädigung und mikrovaskuläre Gerinnungsaktivierung erklären lässt.

Merke

Das lebensbedrohliche Krankheitsbild der nichtokklusiven mesenterialen Ischämie (NOMI) scheint bei COVID-19 vermehrt aufzutreten.

Tatsächlich wiesen 10 % der von den Autoren behandelten Patienten einen NOMI-ähnlichen Zustand auf; in einem Kolonresektat ließ sich elektronenmikroskopisch auch noch Wochen nach der Initialerkrankung SARS-CoV‑2 im Endothel des Darms nachweisen (unveröffentlichte eigene Daten).

Antivirale und immunmodulatorische Therapie

Zusammenfassend gibt es bisher wenig Evidenz für den Einsatz spezifischer oder adjuvanter Therapien. Eine Reihe von Strategien wurde im Rahmen individueller Heilversuche und kleinen Fallserien angewandt. Prinzipiell gilt jedoch bei aller therapeutischer Not auch während einer Pandemie der Leitsatz „first do no harm“. In Tab. 2 sind einige Therapieoptionen mit aktueller Bewertung, Empfehlung und einem kurzen Kommentar der Autoren aufgelistet.

Prinzipiell gilt trotz aller therapeutischer Not der Leitsatz „primum non nocere“

Besonders erwähnenswert sind die oben bereits angesprochene Therapie mit Dexamethason bei der s(schweren)COVID-19-Erkrankung und die virostatische Therapie mit Remdesivir, für deren Einsatz die Evidenz derzeit am besten ist. Remdesivir, das ursprünglich zur Behandlung der Ebola-Virus-Infektion entwickelt wurde, hat in einer großen randomisierten Studie zwar kein verbessertes Überleben, aber eine Verkürzung der Beatmungsdauer von 15 auf 11 Tage zeigen können.

Tab. 2 Optionen zur medikamentösen Therapie von COVID-19

Fazit für die Praxis

  • Die Konstellation aus bilateralen Infiltraten im konventionellen Thoraxröntgen, mit erhöhten Konzentrationen von D‑Dimeren, Laktatdehydrogenase (LDH), Ferritin, kardialen Biomarkern und Interleukin‑6 (IL-6) sowie einer schweren Lymphopenie scheint einen schweren Verlauf anzuzeigen.

  • Möglicherweise aufgrund einer direkten Neurotropie von SARS-CoV‑2 sind möglicherweise selbst Patienten mit schwerer Gasaustauschstörung häufig oligosymptomatisch und subjektiv kaum dyspnoeisch (Stichwort Hypoxietoleranz).

  • Eine invasive Beatmung ist bei schwerer Hypoxämie wahrscheinlich den alternativen Verfahren nasale High-flow-Sauerstofftherapie (HFNC) und nichtinvasive Beatmung (NIV) überlegen.

  • Pathophysiologisch scheinen bei schweren Verläufen neben der systemischen Inflammation auch eine Endothelschädigung sowie eine intravasale Gerinnungsaktivierung in allen mikrovaskulären Gefäßbetten eine fundamentale Rolle zu spielen.

  • Dementsprechend kann die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) als Multisystemerkrankung verlaufen.

  • Die Evidenz für spezifische Therapiestrategien ist nur wenig belastbar. Multizentrisch randomisierte Daten deuten darauf hin, dass sauerstoffpflichtige Patienten sowohl von einer virostatischen Therapie mit Remdesivir als auch von einer antiinflammatorischen mit Dexamethason profitieren.