Das Heft 10 des Jahres 2009 widmet sich einem Thema, das bisher nicht in „Der Internist“ behandelt wurde: Transition in der Inneren Medizin: Patientenbetreuung beim Übergang vom Jugendalter zum Erwachsenen. In den nachfolgenden 4 Beiträgen wird versucht, das Problem des Übergangs vom Kinder- und Jugendalter zum Erwachsenenalter exemplarisch an Hand von 4 Krankheitsgruppen darzustellen. Damit wird diesem medizinischen Versorgungsproblem das erste Mal überhaupt im deutschsprachigen Schrifttum ein breites Forum eingeräumt. Als Herausgeber möchten wir Verlag und Autoren herzlich für die konstruktive Begleitung dieses Projekts bedanken. Wir halten es für an der Zeit, dass sich Fachgesellschaften und Berufsverbände mit diesem Thema intensiver als bisher beschäftigen und für die in den Beiträgen angesprochenen strukturellen, organisatorischen und ökonomischen Fragen Konzepte erarbeitet werden.

Transition als zunehmendes Versorgungsproblem

Die Lebenserwartung ist im vergangenen Jahrhundert von im Mittel 50 Jahren um das Jahr 1900 auf aktuell 77 (Männer) bzw. 82 (Frauen) Jahre angestiegen [6]. Dieser rasche Zuwachs an Lebenszeit beruht an erster Stelle auf den verbesserten sozioökonomischen und hygienischen Verhältnissen. Weitere Faktoren sind der rasche medizinische Fortschritt und die Verbesserung der medizinischen Versorgungsstrukturen. Von dieser Entwicklung profitieren insbesondere auch Kinder mit chronischen medizinischen Problemen. Wie in einem Konsensusstatement mehrerer amerikanischer Fachgesellschaften kürzlich publiziert, erreichen jedes Jahr in den USA etwa eine halbe Million Kinder mit einem chronischen Gesundheitsproblem das Erwachsenenalter [1]. In Kanada dürfte diese Zahl bei 50.000 Kindern pro Jahr liegen [2]. Für Deutschland existieren keine eigenständigen Fallschätzungen. Unter Berücksichtigung der Gesamtbevölkerung ist in Analogie zu USA und Kanada mit etwa 100.000 Kindern pro Jahr zu rechnen.

Glücklicherweise sind die zugrunde liegenden Erkrankungen bei der Mehrzahl leichterer Natur, sodass die meisten jungen Menschen durchaus in der Lage sind, sich ihren eigenen Weg im Erwachsenengesundheitssystem zu suchen. Anders sieht es für Jugendliche und junge Erwachsene mit schweren Erkrankungen oder Behinderungen aus. Noch vor einer Generation verstarben die meisten, bevor sie das Erwachsenenalter erreichten. Jetzt hat sich dieses Verhältnis insofern geändert, als mehr als 85% das Erwachsenenalter erreichen [5]. Sie können in physischer, sozialer, emotionaler oder kognitiver Weise so stark beeinträchtigt sein, dass bestehende Schwierigkeiten beim Übergang von der Pädiatrie zum Erwachsenengesundheitssystem von ihnen unter Umständen nicht kompensiert werden können. Diese Patientengruppe ist der eigentliche Fokus dieses Heftes, und für sie müssen besser als bisher Behandlungspfade und Konzepte für die Transition gefunden werden.

Bessere Behandlungspfade und Konzepte für die Transition müssen gefunden werden

Unter Transition im engeren Sinne versteht man den „absichtsvollen, geplanten Übergang von Adoleszenten oder jungen Erwachsenen mit einem chronischen medizinischen Problem von einer kindzentrierten zu einer erwachsenenzentrierten Gesundheitsbetreuung“ [7]. Dieser Transfer sollte patientenzentriert, flexibel, verantwortlich, kontinuierlich, flächendeckend und koordiniert sein [1]. Die Notwendigkeit für einen entsprechenden Transfer wird für chronische Erkrankungen wie z. B. Diabetes, Mukoviszidose, rheumatoide Arthritis, kongenitale Vitien, Stoffwechselerkrankungen, Immundefekte und viele mehr gesehen. In Deutschland wird unter normalen Umständen das Erreichen des 18. Lebensjahrs als Zeitpunkt angesehen, zu dem ein Transfer erfolgen sollte. Neben dem chronologischen Alter sind jedoch weitere Faktoren wie psychosoziale Reife, körperliche Entwicklung und Ausbildungsstand zu berücksichtigen, die im Einzelfall ein Abweichen vom 18. Lebensjahr rechtfertigen.

Spezielle Probleme

Auch wenn im Allgemeinen ein Erfahrungsvorsprung für die entsprechenden Krankheitsbilder in der Pädiatrie vorausgesetzt werden kann, geht es bei der Transition nicht um einen einseitigen Wissenstransfer von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin. So treten im Erwachsenenalter häufig eigenständige medizinische und sozialmedizinische Probleme auf, die in der Kindheit und Jugend noch keine erkennbare Rolle gespielt haben, deren Kenntnis aber auch für die Betreuung während der pädiatrischen Phase bedeutsam ist. Als Beispiel seien hier genannt das Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft bei Patienten mit adrenogenitalem Syndrom (AGS), Mukoviszidose oder kongenitalen Herzvitien. Andere Beispiele sind die Verhinderung metabolischer Folgeerkrankungen bei Langzeitglukokortikoidtherapie bei AGS oder die Behandlung eines Diabetes mellitus bei zystischer Fibrose, der zumeist erst im Erwachsenenalter auftritt. Eine enge Abstimmung setzt auch das Thema der Vereinbarkeit der Erkrankung mit Ausbildung und Beruf voraus. In einigen Feldern ist auch ein Erfahrungsvorsprung in der Erwachsenenmedizin zu beobachten. So gibt es Erwachsenenkrankheitsbilder wie den Typ-2-Diabetes, die sich erst seit wenigen Jahren aufgrund der massiven Zunahme von Übergewicht und Adipositas in der Pädiatrie manifestieren.

Dennoch existieren unbestritten Barrieren, die den Transfer von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin erschweren. Sie lassen sich in strukturelle, emotionale und ökonomische Faktoren untergliedern.

Strukturelle Faktoren

Einer der häufigsten Gründe für Schwierigkeiten in der Transition ergeben sich aus dem weitgehenden oder kompletten Fehlen eines strukturierten Betreuungsprogramms. Dies kann den Übergang in die Erwachsenenmedizin zum Vabanquespiel machen, wie am Beispiel der Endokrinologie/Diabetologie erläutert werden soll.

Erkrankungen wie Diabetes Typ 1, adrenogenitales Syndrom und Hypophyseninsuffizienz beginnen häufig in der Kindheit und müssen im Erwachsenenalter weiter betreut werden. Dennoch überrascht es, dass bisher von den Fachgesellschaften keine Empfehlungen für strukturierte Betreuungskonzepte entwickelt wurden. Insofern hängt ein geordneter Übergang ausschließlich von entsprechend engagierten Fachvertretern vor Ort ab, wie die Beiträge von Busse-Voigt et al. zum Thema Typ-1-Diabetes sowie Dörr u. Schöfl zum Thema Endokrinologie zeigen. Als Beispiel soll die Ist-Situation für den Bereich Endokrinologie/Diabetologie dargestellt werden: In einer Erhebung 2004 wurde die regionale Verteilung und Struktur von Übergangssprechstunden an 36 deutschen Universitätskliniken untersucht [4]. Hierbei zeigte sich, dass nur an 8 Kliniken eine gemeinsame Übergangssprechstunde zwischen Pädiater und Erwachsenenmediziner stattfand, obwohl von der Mehrzahl der Klinikleiter ein Bedarf angegeben wurde. Die Zusammenarbeit zwischen Pädiatrie und Erwachsenenmedizinern wurde an den Kliniken mit Übergangssprechstunde positiver beurteilt, als an denen ohne Übergangssprechstunde. Auch die Anzahl gemeinsamer wissenschaftlicher Projekte war an diesen Zentren höher, und die ärztliche Betreuung sowie die Patientencomplience wurden durch die Einrichtung der Übergangssprechstunde deutlich verbessert. Es ist eher unwahrscheinlich, dass sich eine bessere Betreuungssituation an nicht-universitären Krankenhäusern findet, da hier nur sehr selten Spezialabteilungen für Endokrinologie zu finden sind.

In der selben Erhebung wurde auch eine Patientenbefragung über Selbsthilfegruppen durchgeführt. Hierbei zeigte sich, dass die Betreuung durch den Pädiater im Mittel bis zum 20. Lebensjahr erfolgte und erhebliche Schwierigkeiten für die betroffenen Patienten bestanden, einen weiterbehandelnden, endokrinologisch versierten Erwachsenenmediziner zu finden. Während die Patienten mit der Betreuung in der Pädiatrie sehr zufrieden waren (Schulnote 1,6) erhielten die Erwachsenenmediziner eine deutlich schlechtere Note (2,4).

Psychosoziale Faktoren

Häufig gibt es eine lange und emotional enge Beziehung zwischen dem Patienten bzw. seinen Angehörigen und dem betreuenden Kinderarzt. Deshalb bestehen bei den Adoleszenten und deren Eltern häufig Ängste vor einem Transfer, wenn er nicht langfristig vorbereitet wurde. Die enge Bindung an den Pädiater beruht nicht selten darauf, dass es sich um lebensbedrohliche Erkrankungen handelt und Krisensituation gemeinsam erfolgreich gemeistert wurden. Charakteristisch ist auch für manche der Erkrankungen, dass die psychosoziale Entwicklung durch die chronische Erkrankung beeinträchtigt wird und das Erwachsenwerden, insbesondere auch im Sinne der Übernahme der Verantwortung für die eigene Erkrankung, verzögert verläuft. Ein Problem für einen Transfer kann auf Elternseite ein übermäßig protektives Verhalten sein, welches in einer pädiatrischen Umgebung eher toleriert wird als in der Erwachsenenmedizin.

Ärztliche Faktoren

Auch für den Pädiater kann es schwierig sein, den langjährigen Patienten Erwachsenenmedizinern zu überlassen. Das „Nichtloslassenkönnen“ hat vielfältige Gründe. Wesentlich kann hier der vermeintliche oder tatsächliche Kompetenzunterschied zwischen pädiatrischer und internistischer Betreuung sein. Dies kann um so mehr ein Problem sein, je weniger Commitment für das jeweilige medizinische Problem auf der internistischen Seite vorhanden ist. Fehlende Personalkonstanz und eine geringe Flexibilität gegenüber den Erwartungen des Patienten und seiner Familie sind weitere Faktoren, die einen Transfer erschweren. Voraussetzungen für einen erfolgreichen Transferprozess sind insofern eine enge Kooperation zwischen Pädiater und Erwachsenenmediziner, was einen intensiven Informationsaustausch, regelmäßige Besprechungen sowie die Bereitschaft zum gegenseitigen Verständnis impliziert. Dies schafft ein Klima, in dem es gelingt, von einander zu lernen, vertrauensvoll zusammen zu arbeiten und anfallende Transitionsprobleme gemeinsam zu lösen.

Modelle des Transfers

Es existieren unterschiedliche Modelle dafür, in welcher Weise der Transfer von der Pädiatrie zur Erwachsenenmedizin vollzogen werden kann. Die häufigste Situation dürfte der Back-to-Back-Transfer sein, bei dem der Patient mit oder ohne strukturierte Überleitung vom pädiatrischen Zentrum zum Erwachsenenzentrum überwechselt (Abb. 1 a). Hierbei kann eine gemeinsame Übergangssprechstunde zwischengeschaltet sein, die von beiden Ärzteteams gestaltet wird. Die Übersichtsarbeiten zum Typ-1-Diabetes von Busse-Voigt et al. und zum AGS/Wachstumshormonmangel von Kollegen Dörr u. Schöfl favorisieren dieses Modell.

Die Alternative besteht entweder in der Integration der Erwachsenenmedizin in das pädiatrische Betreuungskonzept im Sinne eines altersunabhängigen Zentrums unter dem Dach der Pädiatrie (Abb. 1 b) oder umgekehrt in der Integration der Pädiatrie unter dem Dach des Erwachsenenzentrums (Abb. 1 c). Hierfür ist es erforderlich, dass die jeweilige Disziplin auf Facharztniveau im Zentrum vertreten ist. In den Übersichtsarbeiten von Fischer et al. zur Mukoviszidose und Kaemmerer u. Hess zu den konnatalen Vitien werden diese Modelle favorisiert.

Eine letzte Möglichkeit besteht in der Schaffung eines interdisziplinären Transitionszentrums, welches gemeinsam von Pädiatrie und Erwachsenenmedizin verantwortlich geleitet wird (Abb. 1 d). Diese Variante verbindet zumindest theoretisch ein strukturiertes Konzept mit einer kollegialen institutionellen Lösung, welches auch bei allen beteiligten Partnern auf Interesse stoßen müsste. Es ist aber unseres Wissens bisher nirgendwo in Deutschland umgesetzt worden.

Das optimale Modell der Transition muss für jedes Krankheitsbild individuell gefunden werden.

Je stärker die Morbidität eines Krankheitsbildes ist, desto vordringlicher wird dies sein. Es bleibt zu wünschen, dass die in Deutschland schon existierenden Transferkonzepte sorgfältig einer Qualitätsanalyse unterzogen werden.

Abb. 1
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Modelle für den Transfer von der Pädiatrie zur Erwachsenenmedizin

Ausblick

Zusammengefasst halten wir es für an der Zeit, dass die beteiligten Fachgesellschaften unter Einbeziehung der Selbsthilfegruppen und der Kostenträger sich des Themas der Transition mit neuem Schwung annehmen. Für den Bereich der konnatalen Vitien wurde dies, wie von Kaemmerer u. Hess gezeigt, vorbildlich durchgeführt. Eine interdisziplinäre Task Force aus Vertretern der Deutschen Gesellschaften für Kardiologie, Pädiatrische Kardiologie, Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, der Arbeitsgemeinschaft Leitender Kardiologischer Krankenhausärzte, den Berufsverbänden der Niedergelassenen Kardiologen und Kinderkardiologen sowie Patientenvereinigungen hat Empfehlungen für die integrierte interdisziplinäre Versorgung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern, Empfehlungen zum Erwerb der Zusatz-Qualifikation „Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern“ und Leitlinien zur Betreuung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern erarbeitet [3]. Hiermit wurde die Grundlage für eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung entsprechender Patienten gelegt. Dies ist den anderen Transitionsfelder auch zu wünschen.

M. Reincke

H. Lehnert