Einleitung

In Deutschland werden jährlich über 16 Mio. operative Eingriffe durchgeführt. Eine zunehmende Anzahl stellen große operative Eingriffe mit entsprechend hohem Risiko für perioperative Blutverluste mit entsprechenden Bluttransfusionen dar. Erythrozytenkonzentrate (EK) sind heute in Deutschland aufgrund eines umfassenden Blutspenderscreenings und der modernen Herstellungsmethoden so sicher wie nie zuvor. Dennoch stellt die Transfusion zellulärer Blutpräparate eine „Transplantation des flüssigen Organs Blut“ dar. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen von EK umfassen u. a. die allergische, die febrile nichthämolytische und die akute hämolytische Transfusionsreaktion und die transfusionsassoziierte Lungeninsuffizienz. Zudem können Fehltransfusionen durchgeführt und extrem selten trotz hoher Sicherheitsbemühungen Viren, Parasiten oder Prionen übertragen werden [1].

Demografische Veränderungen mit der Zunahme älterer Mitbürger führen in Zukunft zum Anstieg behandlungspflichtiger Erkrankungen und einer zunehmenden Zahl operativ zu versorgender Patienten. Damit steigt der Bedarf an Blut an, während die Bereitschaft zur Blutspende in Deutschland durchaus beworben werden muss [2]. Auch aus diesen Gründen muss mit der wertvollen Ressource Blut so verantwortungsvoll wie möglich umgegangen werden.

Die Transfusion von EK zählt weltweit zu den fünf häufigsten potenziell vermeidbaren medizinischen Maßnahmen [3]. Daher werden sich Anästhesiologe und Chirurg zukünftig den besonderen Herausforderungen der Diagnostik einer präoperativen Anämie, vermeidbaren Blutverlusten und vermeidbaren Transfusionen allogener Blutprodukte stellen müssen, um die Sicherheit der Patienten weiter zu verbessern.

Was ist Patient Blood Management?

Die WHO empfiehlt seit 2010 offiziell allen Mitgliedstaaten die Implementierung eines sogenannten Patient Blood Managements (PBM). Dieses PBM-Konzept stellt den Patienten in den Mittelpunkt der Behandlung, nicht Blutprodukte und ihre Verwendung. PBM ist ein interdisziplinärer, multimodaler Ansatz, um die Behandlung von Patienten zu optimieren ([4]; Tab. 1).

Tab. 1 Tabellarische Studienübersicht zum Patient Blood Management

Im Wesentlichen fokussiert PBM im gesamten stationären Ablauf auf

  • Prävention und Management einer Anämie,

  • Prävention und/oder Optimierung einer Koagulopathie,

  • Einsatz umfassender interdisziplinärer Maßnahmen zur Vermeidung und/oder Reduktion unnötiger Blutverluste, und

  • eine patientenzentrierte Entscheidungsfindung zum optimalen Einsatz allogener Blutprodukte.

Die drei unabhängigen Risiken

1. Risiko: Anämie

Präoperativ liegt bei etwa 30 % nicht-herzchirurgischer Patienten eine Anämie als unabhängiger Risikofaktor für EK-Transfusionen, Komplikationen und postoperative Sterblichkeit vor [5, 16]. Demzufolge sind Anämiediagnostik und (wenn medizinisch umsetzbar) Anämietherapie wesentliche Bausteine des PBM. Da bei vielen dieser Patienten der Anämie ein behandelbarer Eisenmangel zugrunde liegt, ist grundsätzlich die frühzeitige Identifizierung (2–4 Wochen präoperativ) anämischer Patienten und/oder Patienten mit Eisenmangel entscheidend. Aber auch bei einem kürzeren Zeitintervall bis zur Operation sollte eine Anämie präoperativ diagnostiziert und behandelt werden, um postoperativ, wenn notwendig, einen rascheren Hämoglobinanstieg zu ermöglichen. Die demnächst erscheinende AWMF-S3-Leitlinie „Präoperative Anämie“ geht auf weitere detaillierte Empfehlungen ein [17].

2. Risiko: Blutverlust

Die Prävention und Minimierung von unnötigen Blutverlusten ist essenziell, um der im Krankenhaus erworbenen Anämie entgegenzuwirken.

Hierzu sollten folgende Ziele verfolgt werden:

  • Reduktion der Anzahl der Blutentnahmen auf das notwendige Minimum,

  • Verwendung von Blutentnahmeröhrchen mit dem kleinsten für die Analyse ausreichenden Volumen (z. B. Nutzung kleinerer Monovettengrößen bzw. geringere Füllung der Monovetten),

  • Vermeiden des „Verwerfens“ verdünnter Blutreste in Entnahmespritzen durch geschlossene Blutentnahme-Systeme.

Weitere wichtige Einzelmaßnahmen des PBM zur Reduktion von unnötigen Blutverlusten sind:

  • standardisierte präoperative Prozeduren, die potenzielle Gerinnungsstörungen definieren (z. B. Fragebögen zur Gerinnungsanamnese, Standard Operating Procedures für das periinterventionelle Vorgehen bei Einnahme von Antikoagulanzien und/oder Thrombozytenaggregationshemmern),

  • Einhalten bzw. konsequente Korrektur physiologischer Rahmenbedingungen der Hämostase (z. B. Körpertemperatur, ionisiertes Kalzium, pH-Wert),

  • Antagonisierung antikoagulatorischer Medikamentenwirkungen,

  • Einsatz bettseitig verfügbarer Gerinnungsdiagnostik (inkl. Hämotherapiealgorithmen),

  • zielgerichtetes Gerinnungsmanagement (mit Verwendung von Gerinnungsfaktorkonzentraten),

  • die kalkulierte Verwendung von Antifibrinolytika oder Desmopressin unter Berücksichtigung der medizinischen Möglichkeiten.

Die umsichtige Verwendung von den Blutverlust minimierenden chirurgischen Techniken, der Einsatz maschineller Autotransfusion sowie die Tolerierung einer kontrollierten Hypotension bei Patienten mit akuter Blutung sind weitere wichtige Maßnahmen, um das Ausmaß des intraoperativen Blutverlusts zu verringern.

3. Risiko: Transfusion

Ziele einer EK-Transfusion sind die Sicherstellung eines suffizienten globalen Sauerstoffangebots und die Vermeidung potenzieller Komplikationen, welche mit einer akuten Anämie einhergehen könnten. Die Transfusion stellt aber die „ultima ratio“ der Anämiebehandlung dar, wenn zuvor eine kausale Anämiebehandlung nicht möglich oder nicht ausreichend war. Die Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer geben Kriterien für die Indikationsstellung zur EK-Transfusion vor und müssen umgesetzt werden [18]. Wenn die EK-Transfusion bei nicht aktiv/akut blutenden Patienten indiziert ist, sollte in der Regel nur ein einzelnes EK verordnet werden. Zusätzlich muss die Indikation zur Transfusion aber auch patientenspezifische Faktoren (z. B. Alter, Diagnose, Komorbidität), Laborwerte (z. B. Hämoglobinkonzentration, Thrombozytenzahl, Gerinnungstests), das Vorhandensein einer Koagulopathie und definierte physiologische Faktoren (Sauerstoffversorgung und hämodynamischer Status) berücksichtigen. Unklar bleibt zum jetzigen Zeitpunkt, ob kardiovaskuläre Risikopatienten, geriatrische oder onkologische Patienten von einem höheren Transfusionstrigger als dem derzeit empfohlenen Trigger profitieren. Hier bedarf es noch eines klinischen Korridors für eine ärztliche Ermessensentscheidung.

Um die Verwendung von Blutprodukten im Alltag zu optimieren und den anfordernden Arzt zu Zwecken der Qualitätskontrolle zu unterstützen, ist ein EDV-gestütztes Anforderungssystem mit integriertem Behandlungs- und Entscheidungsalgorithmus (z. B. Anzeigen von Laborergebnissen, Warnhinweisen) von Vorteil [19].