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Häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen

Implikationen der WHO-Leitlinien für Deutschland

Domestic and sexual violence against women

Implications of WHO guidelines for Germany

  • Leitthema
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Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz Aims and scope

Zusammenfassung

Häusliche und sexuelle Gewalt sind weit verbreitet und haben schwerwiegende gesundheitliche Folgen für die Betroffenen. Wird die Problematik erkannt und besteht Sicherheit im Reagieren, können Einrichtungen der Gesundheitsversorgung einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung und Intervention leisten. Die WHO formulierte 2013 evidenzbasierte Leitlinien für den Umgang mit der Problematik in Versorgung, Aus-, Fort- und Weiterbildung und Gesundheitspolitik. Grundsätzlich bestätigen die Leitlinien die in Deutschland vorliegenden Empfehlungen aus Praxisleitfäden, Leitlinien und Handbüchern. Sie regen aber auch zu einer Überprüfung und Weiterentwicklung an – zum Beispiel im Hinblick auf das Thema „sexuelle Gewalt“. Ob und in welcher Weise vorliegende Empfehlungen in der Versorgung und in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen umgesetzt werden, kann in Anbetracht mangelnder Daten für Deutschland derzeit nur exemplarisch betrachtet werden. Beispiele aus Berlin zeigen, dass eine Umsetzung durchaus möglich ist, es jedoch an einem klaren Auftrag, an Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit mangelt. Bestehende Modelle guter Praxis sind stark vom Engagement der Träger und Mitarbeiter/-innen abhängig. Aus den Leitlinien der WHO ergibt sich für Deutschland der Bedarf, bundesweite fachliche Standards für die gesundheitliche Versorgung bei häuslicher und sexueller Gewalt zu entwickeln, einen (gesetzlichen) Versorgungsauftrag für die Gesundheitsversorgung zu formulieren und eine systematische curriculare Verankerung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe voranzubringen. Ebenso sollten Maßnahmen der Qualitätssicherung und eine systematische Überprüfung der praktischen Umsetzung verankert werden.

Abstract

Domestic violence and sexual violence are widespread and have serious health effects for those affected. If the problem is identified and confidence in responding exists, healthcare providers can make a significant contribution to support and intervention. In 2013 the WHO published evidence-based guidelines for responding to the issue in healthcare, training of healthcare providers and health policy. In principle, the guidelines confirm existing recommendations, best-practice guidelines and handbooks. They also encourage a review and further development—for example, regarding the issue of sexual violence. If and how the present recommendations are put into practice in healthcare and training of healthcare staff can currently be looked at only with the use of examples, given the lack of data in Germany. Examples from Berlin show that implementation is quite possible. However, there is a lack of clear mandate, of sustainability and of obligation. Existing good practice models are highly reliant on organisations’ and employees’ commitment. For Germany, the WHO guidelines indicate the need to develop national standards for healthcare in cases of domestic and sexual violence. A (legal) obligation for the healthcare system should be drawn up. A systematic embedding in training curricula of health care professions is needed. Quality assurance and a systematic evaluation of the practical implementation are required.

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Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3

Notes

  1. Die Leitlinie wurde mit finanzieller Unterstützung des BMFSFJ und des Paritätischen Wohlfahrtverbands von S.I.G.N.A.L. e. V. in die deutsche Sprache übersetzt und gedruckt.

  2. Formen der Gewalt wurden in der Studie differenziert erfragt, Items für sexuelle, körperliche und psychische Gewalt sowie für Stalking sind in der benannten Veröffentlichung aufgeführt. Die in Abbildung 1 genannten Prozentangaben wurden zur Anpassung an die Merkmale der Stichprobe gewichtet. Details zur Gewichtung siehe im technischen Report [14].

  3. Das methodische Vorgehen wird in den Leitlinien ausführlich dargestellt.

  4. Die Frage, ob eine Empfehlung für ein generelles Screening oder für einen selektiven Befragungsansatz auf der Basis klinischer und diagnostischer Erwägungen formuliert wird, wurde kontrovers diskutiert. Pro- und Contra-Positionen werden neben dem Stand der Forschung dargestellt [30]. Zur internationalen Diskussion und zum Stand in Deutschland siehe Brzank [5]; Brzank/Blättner [6].

  5. Praxisorientierte Leitfäden wurden in den meisten Bundesländern von interdisziplinären Interventionsprojekten oder Runden Tischen gegen häusliche und sexuelle Gewalt mit Unterstützung von Ärztekammern, Krankenkassen und Landesbehörden erstellt. Informationen über Leitfäden in den Bundesländern bieten das Frauengesundheitsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [7] sowie die Koordinierungsstelle des S.I.G.N.A.L. e. V. [27].

  6. Zu nennen sind hier u. a. das MIGG-Curriculum für die niedergelassene ärztliche Versorgung [15], das S.I.G.N.A.L.-Curriculum [19], das HEVI-Curriculum für Lehrkräfte im Sozial- und Gesundheitswesen [1] und das Curriculum Taboo für Altenpflege [28].

  7. Es handelt sich um das Oberstufenzentrum für Gesundheit I, Berlin. Ein Filmbeitrag zum Unterricht wurde von zm-online erstellt [36].

  8. Siehe Homepage der Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz bei interpersoneller Gewalt“ der Hochschule Fulda: www.fh-fulda.de/index.php?id = stopp_violence.

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Danksagung

Wir danken Juliane Hoffmann für ihre Unterstützung bei der Recherche bundesweit vorhandener Leitfäden für den Umgang der Gesundheitsversorgung mit häuslicher (und sexueller) Gewalt.

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Correspondence to Karin Wieners.

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Interessenkonflikt

1 Die Autorinnen sind als Referentinnen in der Koordinierungsstelle des S.I.G.N.A.L. e. V. beschäftigt.

2 Die Leitlinien der WHO wurden u. a. von den Autorinnen in die deutsche Sprache übersetzt.

Hinweis

Die WHO-Leitlinien und das dazugehörige Handbuch können als Druckausgabe bei S.I.G.N.A.L. e. V. bestellt werden (Bestelladresse: info@signal-intervention.de).

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Wieners, K., Winterholler, M. Häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen. Bundesgesundheitsbl. 59, 73–80 (2016). https://doi.org/10.1007/s00103-015-2260-0

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