Anfang 2015 entschied das Präsidium der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF), eine nationale Qualitätsoffensive zu starten und hierfür unter dem Dach der AWMF eine Ad-hoc-Kommission zum Thema „Gemeinsam Klug Entscheiden“ einzurichten. Ausgangspunkt dieser Qualitätsoffensive ist die 2011 in den USA gestartete Choosing-Wisely-Initiative, die eine offene Diskussion zwischen der Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zum Thema Überversorgung fördern soll. Während die Choosing-Wisely-Initiative 5 medizinische Maßnahmen aus jeder klinischen Fachdisziplin benennt, bei der gegenwärtig eine Überversorgung und deshalb ein verstärkter Bedarf an Information feststellbar sind, beschreibt die deutsche Initiative evidenzbasiert 5 Positiv- und 5 Negativempfehlungen.

Diese sehr sinnvolle AWMF-Initiative wird seitens der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) sehr begrüßt und mit je einem Beitrag in den Säulen Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie unterstützt. Für den Bereich der Anästhesie wurden, basierend auf kürzlich von der DGAI publizierten Qualitätsindikatoren für die Anästhesie [1] und aktuellen Literaturdaten, nunmehr als Erstes 5 Positiv- und 5 Negativempfehlungen, die entscheidend für das positive Outcome von kritischen Patienten sein können, veröffentlicht [2].

Die Positivempfehlungen lauten:

  • Etabliere und nutze Sicherheitsprotokolle wie z. B. die WHO Surgical Safety Checklist [3] und „Handover“-Protokolle [4].

  • Etabliere und nutze Fehlervermeidungssysteme wie z. B. Farbkodierungen für Spritzen nach europäischer Norm, interdisziplinäre M&M-Konferenzen, die Nutzung von anonymen Fehlermeldesystemen (CIRS) sowie jährliche Berichte zur perioperativen Morbidität und Sterblichkeit [5,6,7,8].

  • Etabliere und nutze Patient Blood Management (PBM) wie z. B. die Anämieerkennung und -therapie, die Gerinnungsoptimierung, die Vermeidung von iatrogenen Blutverlusten, eine restriktive richtlinienkonforme Nutzung von allogenen Blutprodukten sowie ein PBM-Benchmark [9, 10].

  • Etabliere und nutze ein aktives Temperaturmanagement [11].

  • Identifiziere Risikofaktoren und nutze Strategien zur Vermeidung der postoperativen Übelkeit und Erbrechen (PONV) mithilfe von z. B. Risikoprognosesystemen, Erfassung der PONV-Häufigkeit und Maßnahmen zur Senkung des PONV-Risikos [1, 12, 13].

Folgende Negativempfehlungen wurden gemacht:

  • Vermeide unnötige präoperative Tests und Untersuchungen [14, 15].

  • Vermeide Blutdruckabfälle auf einen mittleren arteriellen Druck <55–65 mm Hg bzw. um >40–50 % des systolischen Ausgangswertes [16,17,18,19].

  • Vermeide EK-Transfusionen bei einem Hb >7–8 g/dl, sofern keine Zeichen einer Organischämie vorliegen (z. B. neu auftretende ST-Strecken-Senkung) bzw. der Patient keine massive Blutung aufweist [20,21,22,23,24].

  • Vermeide eine Prämedikation mit Benzodiazepinen bei älteren Patienten [25, 26].

  • Vermeide eine routinemäßige Kolloidgabe bei medikamenteninduzierter Hypotonie [27].

Die DGAI geht davon aus, dass mit diesen anästhesiologischen auf wissenschaftlicher Evidenz beruhenden Positiv- und Negativempfehlungen flächendeckend die anästhesiologische Versorgung ihrer Patienten qualitativ optimieren zu können. Die ausgesprochenen Empfehlungen sind einfach und unabhängig von der Versorgungsstufe der anästhesiologischen Einrichtung überall umsetzbar. Es liegt an uns allen, die Kampagne „Gemeinsam Klug Entscheiden“ auch in der Anästhesie zu einem Erfolg werden zu lassen. Jede einzelne Anästhesistin, jeder einzelne Anästhesist ist dazu aufgerufen, die Diagnostik und Therapie unserer Patienten unter Berücksichtigung der obigen Empfehlungen sicherer und qualitätsoptimiert durchzuführen. Mit dem gleichen Ziel werden entsprechende Empfehlungen für die anderen Säulen unseres Fachgebietes folgen.

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R. Rossaint