Sehr verehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen,

das vergangene Jahr hat mit der weltweiten Coronapandemie unser gesamtes privates wie berufliches Leben vor ungeahnte, neue und teilweise noch nicht gelöste Probleme gestellt. Die Intensivmedizin ist durch die hohen Infektionszahlen an Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2 (SARS-CoV‑2) und den damit verbundenen, zunehmend wachsenden Anteil schwer erkrankter Patienten mit Corona Virus Disease 2019 (COVID-19), die intensivmedizinisch versorgt werden müssen, in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses getreten. In vielen Ländern der Welt, aber auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft reichten und reichen die knappen intensivmedizinischen Ressourcen teilweise nicht mehr aus und lösten erhebliche Engpässe in der stationären Versorgung von COVID-19-Patienten aus. Die Sterblichkeit intensivmedizinisch betreuter COVID-19-Patienten in Deutschland ist weiterhin sehr hoch und liegt in der Gruppe der beatmeten Patienten bei nahezu 53 % [1]. Dabei sind von allen an SARS-CoV‑2 gemeldeten Todesfällen in Deutschland (57.981 am 02.02.2021) insgesamt 51.520 Personen (89 %) 70 Jahre und älter, der Altersmedian lag bei 84 Jahren [2]. Gleichzeitig beträgt der Anteil der über 70-Jährigen an der Gesamtzahl der übermittelten COVID-19-Fälle nur 16 %.

Dieser Themenschwerpunkt der Zeitschrift Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin beschäftigt sich bewusst nicht fokussiert mit der Coronapandemie, dennoch berühren alle behandelten Themen wenn nicht direkt, dann doch indirekt die aktuelle Problematik. Ethische Fragestellungen und Probleme in der Intensivmedizin, aber auch außerhalb dieser Strukturen bestimmen mehr denn je im Alltag unsere Abläufe.

Angesichts beschränkter Ressourcen und unzureichender Personalausstattung vor allem beim pflegerischen Personal müssen wir uns mehr denn je die Frage stellen, wie wir damit umgehen und mögliche Lösungen bereitstellen. Dabei sind die Zusammenhänge außerordentlich komplex und müssen erst verstanden werden. Jochen Dutzmann und Sebastian Nuding [3] stellen in ihrem differenzierten Beitrag verschiedene Entscheidungsebenen dar, die unser tägliches Tun aber auch Entscheidungen direkt oder indirekt beeinflussen. Unabhängig von einer Großschadenslage in der außerklinischen Notfallmedizin oder angesichts nicht mehr verfügbarer Ressourcen in einer Pandemie müssen sich unsere Entscheidungen und die sich daraus ableitenden Handlungen stets an ethischen Grundprinzipien („Gutes tun“, „Nicht schaden“ und „Respekt vor Autonomie“) orientieren. Das ist nicht selbstverständlich, sondern muss ständig erlernt und gerade jetzt im klinischen Alltag konsequent umgesetzt werden. Christiane Hartog und Susanne Michl [5] zeigen mit dem Konzept des „Advance Care Planning“, dass nicht nur für die Intensivmedizin, sondern im stationären, aber auch im prästationären/ambulanten Bereich schon jetzt außerordentlich valide und solide Konzepte existieren, die unter Berücksichtigung der ethischen Grundprinzipien und vor allem patientenzentriert eine solide Grundlage bei schwierigen Lebensplanungen bereitstellen. Dieses Konzept grenzt sich sehr klar von den hunderten verschiedener Patientenverfügungen ab, die im Internet kursieren und nur sehr ungenau die vom Patienten präferierten Lebens- und Therapieziele abbilden und in der realen Entscheidungssituation in der Notfallmedizin und Intensivmedizin keinerlei Hilfe darstellen. Das damit verbundene sicherlich auch personell sehr aufwändige Beratungskonzept zur Erstellung aussagekräftiger Vorausverfügungen sollte nicht nur in Alten- und Pflegeheim implementiert werden.

Susanne Jöbges und Nikola Biller-Andorno [6] greifen ein außerordentlich relevantes und immer noch kontrovers diskutiertes Thema auf. Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen spielen tagtäglich in Krankenhäusern in allen Bereichen über die Notaufnahme, den Normalstationen bis hin zur Intensivmedizin eine relevante Rolle und rufen bei allen Beteiligten erhebliche Unsicherheiten hervor. Nach der Lektüre dieses Beitrags versteht man ein wenig mehr von der unglaublich komplexen Situation einer Zwangsmaßnahme bei Patienten und gewinnt eine Vorstellung davon, welche Auswirkungen, aber auch Lösungsmöglichkeiten bestehen.

Im Duden findet sich als Erläuterung für „Tagebuch“ der nüchterne Eintrag: „Buch, Heft für tägliche Eintragungen persönlicher Erlebnisse und Gedanken“. Peter Nydahl und ein ehemaliger Intensivpatient, Jannik Kuzma, stellen sehr eindrucksvoll die Bedeutung eines Intensivtagebuchs dar [6]. Der Wert eines solchen Instruments kann nicht genügend betont werden und überstrahlt in seiner Wirkung vieles von dem, was wir alltäglich in Gesprächen und auch Angehörigenbesprechungen versuchen zu transportieren. Man kann nur jede Intensivstation dazu motivieren und dringend anhalten, Intensivtagebücher in ihren Alltag zu implementieren und diese Patienten und ihren Angehörigen bei Bedarf anzubieten und sich selber dabei einzubringen. Der Bericht von Jannik Kuzma spricht für sich und bedarf keiner weiteren Kommentare.

Mit diesen 4 Beiträgen ist es sicherlich gelungen, ein hochaktuelles und spannendes Themenheft rund um ethische Fragestellungen zusammenzustellen.

Ich bedanke mich bei den Autoren für die exzellenten Arbeiten und wünschen Ihnen, den Leserinnen und Lesern, eine spannende und aufschlussreiche Lektüre.

Ihr

figure b

Uwe Janssens