FormalPara Beteiligte Fachgesellschaften

Deutsche Sepsis Gesellschaft e. V. (federführend)

Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI)

Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN)

Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM)

Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)

Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK)

Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM)

Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI)

Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN)

Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)

Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)

Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM)

Deutsche Sepsis Hilfe e. V. (DSH)

Nationales Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ)

Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. (PEG)

Inhalt

  • 1. Einleitung

  • 1. Einleitung

  • 2. Definition der Sepsis

  • 3 Empfehlungen

    • Prävention der Sepsis

    • Impfungen

    • A. Initiale hämodynamische Stabilisierung

    • B. Leitlinienimplementierung

    • C. Diagnose

    • D. Antimikrobielle Therapie

    • E. Fokuskontrolle

    • F. Flüssigkeitstherapie

    • G. Vasoaktive Medikation

    • H. Kortikosteroide

    • I. Blutprodukte

    • J. Immunglobuline

    • K. Blutreinigung

    • L. Antikoagulanzien

    • M. Invasive Beatmung

    • N. Sedierung und Analgesie

    • O. Blutzuckerkontrolle

    • P. Nierenersatztherapie

    • Q. Bikarbonattherapie

    • R. Prophylaxe einer venösen Thromboembolie

    • S. Stressulkusprophylaxe

    • T. Ernährung

    • U. Setzen von Behandlungszielen

    • Spätfolgen der Sepsis

  • Abkürzungen

  • Anhang

  • Literatur

1. Einleitung

Bei einer Sepsis handelt es sich um eine lebensbedrohliche Organdysfunktion ausgelöst durch eine Infektion, die mit einer Regulationsstörung beim Wirt einhergeht. Ähnlich wie bei Polytrauma, akutem Herzinfarkt oder Schlaganfall können das frühzeitige Erkennen einer Sepsis und deren Behandlung in den ersten Stunden nach ihrem Auftreten die schwerwiegenden Folgen einer Infektion verhindern oder abschwächen.

Die Leitlinie fasst angemessene, wissenschaftlich begründete und aktuelle Verfahren für Diagnostik, Therapie und Nachsorge zusammen und ergänzt diese um Maßnahmen der Sepsisprävention. Die Empfehlungen der Leitlinie sollen als unterstützende Informations- und Entscheidungsgrundlage für den Kliniker zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit Sepsis oder septischem Schock dienen. Sie ersetzen nicht die Fähigkeiten des Arztes, eine angemessene Entscheidung bei der individuellen Behandlung eines Patienten nach Maßgabe der verfügbaren klinischen Parameter zu treffen.

Die vorliegende interdisziplinäre Leitlinie der Klassifikation S3 ist ein evidenz- und konsensbasiertes Instrument zur Verbesserung und Qualitätssicherung von Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Sepsis. Sie richtet sich an alle damit betrauten Berufsgruppen sowie an Betroffene, übergeordnete Organisationen (z. B. Krankenkassen und Einrichtungen der ärztlichen Selbstverwaltung) und die interessierte Fachöffentlichkeit.

2. Definition der Sepsis

Die dieser Leitlinie zugrunde liegende Definition der Sepsis basiert auf den von der Sepsis-3-Taskforce und der Surviving Sepsis Campaign (SSC) veröffentlichten Definitionen [1, 2]. Sie wird in der vorliegenden Leitlinie nicht als Empfehlung, sondern als Statement (Stellungnahme) beschrieben. Zudem wird mithilfe eines Algorithmus (Sequential Organ Failure Assessment, SOFA-Score) die Möglichkeit der Diagnostik einer sepsisassoziierten Organdysfunktion aufgezeigt. Der Begründungstext wurde von der DSG-Leitlinienkommission neu hinzugefügt.

Studien, die als Evidenz für die SSC-Leitlinie und die vorliegende Leitlinie herangezogen wurden, beziehen sich zu einem großen Teil auf Patientenpopulationen, die anhand überholter Definitionen der Sepsis, schweren Sepsis und des septischen Schocks identifiziert wurden [3].

Definition 1 | Statement | 2018

  • Expertenkonsens

  • Eine Sepsis ist eine akut lebensbedrohliche Organdysfunktion, hervorgerufen durch eine inadäquate Wirtsantwort auf eine Infektion. Für die Diagnose einer sepsisassoziierten Organdysfunktion ist eine Veränderung des Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Score um ≥2 Punkte zu verwenden. (Abb. 1, Anhang)

  • DSG-Leitlinienstellungnahme

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die überholten Sepsisdefinitionen (Sepsis‑1 von 1992 und Sepsis‑2 von 2001) beruhten auf dem SIRS-Konzept (systemisches inflammatorisches Responsesyndrom; [1, 4, 5]). Die SIRS-Kriterien, die eine Hypo- (<36 °C) oder Hyperthermie (>38 °C), Tachykardie (>90/min), Tachypnoe (>20/min) sowie eine Leukozytose >12.000/µl oder Leukopenie <4000/µl und/oder Linksverschiebung >10 % umfassen, sind weder spezifisch noch besonders sensitiv für Infektionen. So berichteten Churpek et al., dass 50 % der Krankenhauspatienten SIRS mindestens einmal während ihres Krankenhausaufenthalts aufwiesen, auch wenn viele dieser Patienten keine Infektion hatten und keine antiinfektive Therapie benötigten [6]. Kaukonen et al. haben gezeigt, dass einer von 8 Intensivpatienten mit Infektionsverdacht und neu aufgetretenem Organversagen weniger als 2 SIRS-Kriterien erfüllt [7]. Diese Patientengruppe wurde gleichwohl als „septisch“ eingestuft und entsprechend behandelt. Epidemiologische Analysen von Krankenhausdaten, die bei der Erfüllung von nur 2 SIRS-Kriterien bereits eine Codierung als Sepsis gestatteten, haben somit zu einer „Verwässerung“ der realen Häufigkeit von und der Sterblichkeit durch Sepsis geführt. So konnten Gaieski et al. für die USA zeigen, dass die relative Krankenhaussterblichkeit in den Jahren 2004–2009 zwar zurückging, die absolute Sterblichkeit aber kontinuierlich stieg [8].

Als Reaktion auf diese Inkonsistenzen erarbeitete die Sepsis-3-Taskforce, eine internationale Arbeitsgruppe der European Society of Intensive Care Medicine (ESICM) und der Society of Critical Care Medicine (SCCM), im Februar 2016 die Neudefinition der Sepsis [1, 4, 6, 9,10,11]. Erstmals wurde die Sepsis im gesamten Krankenhaus, also auch auf Normalstationen und in Notaufnahmen, berücksichtigt. Sepsis wird demnach immer durch eine akut lebensbedrohliche weil dysregulierte Wirtsreaktion (Organdysfunktion) auf eine Infektion verursacht. Der Begriff der „schweren“ Sepsis entfällt, weil es eine „leichte“ Sepsis in dem neuen Konzept nicht gibt. Die Autoren schlugen vor, stattdessen folgerichtig von einer „Infektion“ zu sprechen. Basierend auf routinemäßig erhobenen klinischen Daten identifizierten die Autoren robuste Risikofaktoren, die über das Risiko zur Baseline hinaus den Übergang von einer lokal begrenzten Infektion mit geringem Sterberisiko zu einer Sepsis mit hohem Sterberisiko anzeigen. Hierzu waren geeignete statistische Verfahren erforderlich, da es gegenwärtig keinen Goldstandard für die Diagnose einer Sepsis gibt. Nur wenn ein Goldstandard existiert, ist die Berechnung von Sensitivität und Spezifität auf Grundlage folgender Zuordnungen möglich: richtig-positive (Fälle mit Sepsis), richtig-negative (Kontrollen ohne Sepsis) bzw. falsch-positive und falsch-negative. Stattdessen musste die Aussagekraft eines Tests unter verschiedenen Aspekten der Validität, Reliabilität und Nützlichkeit beurteilt werden. Aus den ermittelten Risikofaktoren wurde der Quick-Sequential-Organ-Failure-Assessment(qSOFA)-Score abgeleitet, dessen Stärke vor allem in der prädiktiven Validität liegt. Wichtigster Outcomeparameter ist die Krankenhaussterblichkeit, weil die Sepsis im Gegensatz zu einer lokal begrenzten Infektion ohne Organdysfunktion immer lebensbedrohlich ist. Da allerdings die Sterblichkeit nicht immer durch eine Sepsis verursacht sein muss, wurden neben der „area under the receiver operating characteristic curve“ (AUROC) auch die Änderungen innerhalb jedes Dezils, am Baselinerisiko zu versterben, erfasst.

Für die Feststellung der sepsisassoziierten Organdysfunktion wird eine Veränderung des SOFA-Scores um ≥2 Punkte vorgeschlagen. Ein SOFA-Score von ≥2 entspricht einem Letalitätsrisiko von über 10 % bei stationären Patienten außerhalb der Intensivstation (ITS), die eine Infektion haben. Der SOFA-Score, der 6 Organsysteme nach 4 Schweregraden der Organdysfunktion einstuft und 0–24 Punkte umfasst, ist jedoch aufwändig zu ermitteln und daher in der klinischen Routine außerhalb der ITS zum bettseitigen Screening ungeeignet. Daher hat die Sepsis-3-Arbeitsgruppe den qSOFA entwickelt, um Patienten mit hohem Sepsisrisiko schneller zu identifizieren.

Definition 2 | Statement | 2018

  • Expertenkonsens

  • Ein septischer Schock ist definiert als eine trotz adäquater Volumentherapie persistierende arterielle Hypotension mit der Notwendigkeit einer Therapie mit Vasopressoren, um einen mittleren arteriellen Blutdruck von ≥65 mm Hg zu erreichen. Gleichzeitig muss der Laktatwert im Serum >2 mmol/l betragen. (Abb. 1, Anhang)

  • DSG-Leitlinienstellungnahme

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Ein systematisches Review, das die Operationalisierung von gegenwärtigen Definitionen des septischen Schocks untersuchte, zeigte eine erhebliche Heterogenität der berichteten Sterblichkeitsraten auf. Diese Heterogenität resultierte u. a. aus Unterschieden in den ausgewählten klinischen Variablen (unterschiedliche Cut-off-Werte für den systolischen oder mittleren Blutdruck, unterschiedliche Level von Hyperlaktatämie und Vasopressordosis). Unter Verwendung der o. g. Definition (mittlerer arterieller Blutdruck von ≥65 mm Hg und Laktatwert im Serum >2 mmol/l) wurden in großen klinischen Kohorten, Notaufnahmen und Normalstationen Krankenhaussterblichkeitsraten von mehr als 40 % festgestellt.

3. Empfehlungen

Prävention der Sepsis

Die Leitlinienkommission hat einvernehmlich entschieden, der Prävention nosokomialer Infektionen wegen ihrer großen Bedeutung ein eigenes Kapitel zu widmen. In den Empfehlungen der SSC werden Maßnahmen zur Prävention von nosokomialen Infektionen nicht separat aufgegriffen.

Zur Prävention von nosokomialen Infektionen, die zu einer Sepsis führen können, gibt es diverse spezifische Leitlinien und Empfehlungen. Für Deutschland sind hier insbesondere die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) zu erwähnen. Es wurde beschlossen, an dieser Stelle nur zu den wichtigsten Kernkomponenten der Infektionsprävention Stellung zu beziehen.

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) veröffentlichte 2017 Leitlinien zu den Kernkomponenten der Infektionsprävention [12]. Diese Leitlinien wurden nach den Anforderungen des WHO-Handbuchs für die Leitlinienentwicklung erarbeitet [13] und waren eine Weiterentwicklung der evidenzbasierten Leitlinien der SIGHT-Gruppe, die Fachliteratur mit Publikationsdatum von 1996–2012 berücksichtigte [14]. Durch die WHO-Arbeitsgruppe wurden entsprechende PICO-Fragen formuliert, und es wurde ein weiteres systematisches Review durchgeführt, das Studien bis 2015 hinzuzog [15]. Zur Bewertung der Studien wurden die für die Cochrane-EPOC-Reviews entwickelten Kriterien angewendet [16].

Die deutsche Sepsisleitlinienkommission bewertete die WHO-Kernkomponenten erneut in Bezug auf deren Adaptation. Dabei wurden 6 der 8 Komponenten als Expertenkonsens eingestuft. Für die übrigen 2 Empfehlungen wurde die entsprechende Literatur angeführt. Zusätzlich wurde unter Anwendung der Suchkriterien des WHO-Reviews eine Literatursuche und Bewertung für den Zeitraum 2016–2017 für diese beiden Empfehlungen durchgeführt. Danach sind unserer Kenntnis nach keine neuen Studien zu diesem Thema erschienen, die zu einer Veränderung der Formulierung der beiden WHO-Kernkomponenten führen würden. Eine weitere Empfehlung zur Implementierung eines Antibiotic-Stewardship(ABS)-Programms wurde in die Sepsisleitlinie integriert.

1. | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass ein Infektionspräventionsprogramm mit einem speziell dafür ausgebildeten Team in der Einrichtung implementiert ist.

  • WHO-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Ein Infektionspräventionsprogramm formuliert klare Präventionsziele auf der Basis der lokalen Epidemiologie, setzt Prioritäten entsprechend der lokalen Risikobeurteilung und ergreift Maßnahmen zur Prävention von nosokomialen Infektionen und zur Verhinderung der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen. In Deutschland werden die Existenz eines solchen Programms und die Beschäftigung von speziellem Fachpersonal zu dessen Umsetzung durch das Infektionsschutzgesetz und die Landeshygieneverordnungen gefordert.

Die WHO leitet die Evidenz für die Effektivität dieser Forderung, die in Deutschland ohnehin gesetzlich vorgegeben ist, von 2 Studien von Haley et al. und Mermel et al. ab [17, 18].

2. | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen die Implementierung eines Antibiotic-Stewardship(ABS)-Programms zur Sicherung rationaler Antibiotikaanwendung im Krankenhaus.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

In der aktuellen S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“ wird ein ABS-Programm gefordert [19]. Auch wird dieses in den meisten Hygieneverordnungen der Bundesländer gesetzlich vorgegeben.

3. | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, Fortbildungen auf dem Gebiet der Infektionsprävention für alle Mitarbeiter in allen Krankenhäusern zu etablieren. Diese Fortbildungen sollten ein Training am Krankenbett bzw. ein Simulationstraining einschließen.

  • WHO-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 93 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Die Ergebnisse der in den WHO-Leitlinie zitierten 15 Studien wurden für die Formulierung der Empfehlung berücksichtigt [12]. Demnach können Fortbildungen mit einem praxisorientierten „Hands-on“-Ansatz und unter Berücksichtigung der individuellen Erfahrungen zu einer Reduktion von nosokomialen Infektionen und einer verbesserten Händehygienecompliance führen.

In Deutschland wird durch die Hygieneverordnungen der Länder gefordert, dass mindestens einmal pro Jahr eine Schulung zur Infektionsprävention durchzuführen ist.

4. | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, eine stations- bzw. einrichtungsbezogene Surveillance von nosokomialen Infektionen (einschließlich multiresistenten Erregern) mit zeitnahem Feedback der Ergebnisse und im Kontext von nationalen Surveillance-Netzwerken durchzuführen.

  • WHO-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Surveillance-Systeme können dabei helfen, Schwachstellen in Hygienekonzepten zu identifizieren und entsprechend zu intervenieren. Deshalb sind sie eine essenzielle Komponente der Infektionskontrollprogramme.

Die in den WHO-Empfehlungen angeführten 13 Studien zur Infektions-Surveillance (11 nichtkontrollierte „Before-after“-Studien, eine „interrupted time series“ und eine qualitative Studie) haben gezeigt, dass ein krankenhausbasiertes Surveillance-System zu einer Reduktion der nosokomialen Infektionen beitragen kann, besonders wenn es mit einem nationalen Surveillance-Netzwerk assoziiert ist [12].

In Deutschland wird durch das Infektionsschutzgesetz die Surveillance von nosokomialen Infektionen entsprechend den Vorgaben des Robert Koch-Instituts gefordert [20].

5. | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, multimodale Strategien zur Implementierung von Infektionspräventionsmaßnahmen einzusetzen.

  • WHO-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Innerhalb von multimodalen Strategien werden verschiedene Interventionen (3 oder mehr) zu einem Gesamtkonzept verbunden, z. B. in Checklisten, die durch multidisziplinäre Teams entsprechend den lokalen Bedingungen entwickelt werden. Sie sind insbesondere bei der Verbesserung der Händehygienecompliance sowie der Reduktion von mit zentralem Venenkatheter (ZVK) assoziierten Blutstrominfektionen und beatmungsassoziierten Pneumonien relevant, aber auch bei der Senkung der Zahl von Infektionen mit methicillinresistentem Staphylococcus aureus (MRSA) und Clostridium difficile (C. difficile). Die Evidenz wurde entsprechend der in den evidenzbasierten Empfehlungen der WHO angeführten 44 Studien evaluiert [12].

Insgesamt wurde die Evidenz als niedrig beurteilt, da zitierte Studien und Studiendesigns ein mittleres bis hohes Biasrisiko aufzeigten. Auf Basis dieser Evidenz sprach sich die Leitliniengruppe der WHO für eine starke Empfehlung aus, multimodale Strategien zur Infektionsprävention einzusetzen.

In Deutschland kann die Evidenz für verschiedene Einzelmaßnahmen der multimodalen Strategien den jeweiligen KRINKO-Empfehlungen entnommen werden.

6. | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, regelmäßig die Einhaltung von Standards zur Infektionsprävention zu überprüfen und Feedback an alle beobachteten Einheiten zu geben.

  • WHO-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die Evaluation der Evidenz aus 6 Studien durch die WHO zeigt, dass reguläres Monitoring inklusive Feedback effektiv ist, um die Compliance mit bestimmten Pflegemaßnahmen (z. B. Händehygiene) zu steigern und die nosokomialen Infektionsraten zu reduzieren [12].

In Deutschland gehört es zum Aufgabenspektrum der Hygienefachkräfte, solche Überprüfungen (Audits) vorzunehmen.

7. | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass die Bettenbelegung nicht die Standardkapazität der Einrichtung übersteigen sollte und die Personalausstattung adäquat entsprechend der mit den Patienten verbundenen Arbeitsbelastung festgelegt werden sollte.

  • WHO-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Es gibt hinreichend Studien, die eine Assoziation zwischen (niedrigem) Personalschlüssel und (hohen) nosokomialen Infektionsraten gezeigt haben. Für Deutschland wurde dies u. a. in der Studie von Schwab et al. [21] untersucht und dargelegt.

Es ist allerdings nicht möglich, auf Basis der Studien einen Schwellenwert für eine Mindestpersonalausstattung anzugeben. Hintergrund dafür sind die unterschiedliche Risikostruktur der Patienten in den verschiedenen Studien und die unterschiedlichen Methoden zur Bestimmung der Personalausstattung. Dadurch sind die Daten der Studien nicht im Sinne einer Metaanalyse verwendbar.

Die WHO-Leitlinie sprach anhand von 19 Studien eine starke Zustimmung bei sehr geringer Beweisqualität aus, dass eine über die Standardkapazität der Einrichtung hinausgehende Bettenbelegung sowie ein unzureichender Personalbestand im Gesundheitswesen mit dem erhöhten Risiko einer nosokomialen Infektion verbunden sind.

8. | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, die notwendigen Materialien für die Händehygiene unmittelbar am Behandlungsort zur Verfügung zu stellen.

  • WHO-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass die Händehygienecompliance signifikant gesteigert werden konnte, wenn die notwendigen Händedesinfektionsmittelspender in unmittelbarer Nähe zum Patientenbett zugänglich waren [22,23,24,25,26,27]. In Deutschland wird das auch durch die entsprechende KRINKO-Empfehlung gefordert [28].

Impfungen

In den Empfehlungen der SSC werden Impfungen nicht separat erwähnt. Da Impfungen jedoch eine wesentliche Präventionsmaßnahme zur Reduktion von Mortalität und Morbidität schwerer Infektionen und damit der Sepsis darstellen, ist aus Sicht der Leitlinienkommission ein Verweis erforderlich.

1. | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen die Umsetzung der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Insbesondere die Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken sowie die Impfungen gegen Meningokokken und Haemophilus influenzae Typ b können dazu beitragen, die Inzidenz der Sepsis zu reduzieren. Auch die jährliche Impfung von medizinischem Personal gegen Influenza trägt dazu bei, Patienten vor nosokomialer Influenza zu schützen.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 90 %

Begründung.

Die Leitlinienkommission unterstützt die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Insbesondere die Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken sowie die Impfungen gegen Meningokokken und Haemophilus influenzae Typ b können dazu beitragen, die Inzidenz der Sepsis zu reduzieren. Insbesondere wird auf die in diesen Empfehlungen genannte altersunabhängige Indikationsimpfungen bei Patienten mit erhöhter Gefährdung für die o. g. Erreger verwiesen, dies gilt insbesondere für Patienten mit funktioneller oder anatomischer Asplenie.

Um vulnerable Patienten vor nosokomialer Influenza, die mit einer relevanten Letalität assoziiert ist, zu schützen, sollte sich medizinisches Personal jährlich zu Beginn der Saison mit den jeweils empfohlenen Vakzinen impfen lassen.

Die ambulant erworbene und die nosokomial erworbene Pneumonie sind der häufigste Fokus für Sepsis und septischen Schock [29]. Der häufigste virale und der häufigste bakterielle Erreger der ambulant erworbenen Pneumonie, Influenzavirus und Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken), sind impfpräventabel. Beide Erreger können gemeinsam als Mischinfektion bzw. Pneumokokken als bakterielle Superinfektion auftreten. Bei diesen Infektionen steigt die Letalität gegenüber der Monoinfektion deutlich an [30]. Beide Erreger verursachen auch einen wesentlichen Teil der nosokomialen Pneumonie. Die zunehmende Erkenntnis, dass nosokomiale Influenza ein relevantes Problem darstellt, findet sich auch in der aktuellen Leitlinie zur nosokomialen Pneumonie [31, 683, 684]. Eine Erhebung an einem deutschen Universitätsklinikum in der Saison 2014/15 zeigte, dass 35 % aller Nachweise nosokomialen Ursprungs waren; die Letalität betrug 10 % [32]. Daher unterstützt die Leitlinienkommission nachdrücklich die Empfehlung zur jährlichen Impfung des medizinischen Personals.

A. Initiale hämodynamische StabilisierungFootnote 1

A.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Sepsis und septischer Schock sind medizinische Notfälle. Wir empfehlen, dass mit der Behandlung und der hämodynamischen Stabilisierung unverzüglich begonnen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Eine frühzeitige wirksame Flüssigkeitstherapie ist von entscheidender Bedeutung für die Stabilisierung einer sepsisinduzierten Gewebehypoperfusion oder eines septischen Schocks. Eine sepsisinduzierte Hypoperfusion kann sich durch eine akute Organdysfunktion und/oder eine Verringerung des Blutdrucks sowie eine Erhöhung des Serumlaktats manifestieren. Frühere Varianten dieser Leitlinien enthielten die Empfehlung einer protokollbasierten quantitativen Flüssigkeitstherapie, die auch unter der Bezeichnung frühzeitige zielgerichtete Therapie („early goal-directed therapy“, EGDT) bekannt ist, basierend auf dem von Rivers publizierten Protokoll [33]. Diese Empfehlung beschrieb die Nutzung einer Reihe von „Zielen“, zu denen der zentralvenöse Druck („central venous pressure“, CVP) und die zentralvenöse Sauerstoffsättigung („central venous oxygen saturation“, ScvO2) gehörten. Dieser Ansatz wurde nun hinterfragt, nachdem in 3 aufeinanderfolgenden großen multizentrischen randomisierten kontrollierten Studie („randomized controlled trials“, RCT) kein Nachweis einer Mortalitätsreduktion erfolgt ist [34,35,36]. Mit den Interventionsstrategien im Sinne einer EGDT war jedoch auch keine Schädigung verbunden. Somit kann die Nutzung der bisherigen Ziele immer noch als sicher beurteilt werden, sodass diese berücksichtigt werden können.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die aktuelleren Studien weniger schwer erkrankte Patienten einschlossen (geringere Baselinelaktatwerte, ScvO2 bei der Aufnahme entsprechend dem Zielwert oder höher als der Zielwert, geringere Mortalität in der Kontrollgruppe). Dieses Protokoll kann aufgrund der aktuellen Evidenzbasis nicht empfohlen werden. Trotzdem benötigen Krankenhausärzte eine Orientierungshilfe für den Umgang mit oben genannter Patientengruppe, bei der eine signifikante Mortalität und Morbidität besteht. Wir empfehlen daher, dass diese Patienten als medizinischer Notfall angesehen werden, der eine sofortige Beurteilung und Behandlung erforderlich macht.

A.2a | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass zur hämodynamischen Stabilisierung bei Patienten mit sepsisinduzierter Hypoperfusion eine intravenöse kristalloide Lösung innerhalb der ersten 3 h verabreicht wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: niedrig

A.2b | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, mindestens 30 ml/kg KG intravenöse kristalloide Lösung in den ersten 3 h zu verabreichen.

  • SSC-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Als Teil dieser Notfallbehandlung empfehlen wir, bei der initialen Flüssigkeitstherapie mit 30 ml/kg KG kristalloider Lösung innerhalb der ersten 3 h zu beginnen. Dieses festgelegte Flüssigkeitsvolumen ermöglicht dem Kliniker, die Flüssigkeitstherapie zu initiieren, während er genauere Informationen über den Patienten einholt und auf präzisere Messergebnisse des hämodynamischen Status wartet. Obwohl es in der vorhandenen Literatur nur wenige kontrollierte Daten gibt, die dieses Flüssigkeitsvolumen unterstützen, haben aktuelle interventionelle Studien dies als die übliche Praxis in den frühen Stadien der Flüssigkeitstherapie beschrieben. Die Evidenz aus Beobachtungsstudien unterstützt diese Praxis [37, 38]. Das durchschnittliche Flüssigkeitsvolumen vor der Randomisierung, das in der PROCESS- und der ARISE-Studie verabreicht wurde, betrug etwa 30 ml/kg KG, und in der PROMISE-Studie etwa 2 l [34,35,36]. Viele Patienten werden mehr Flüssigkeit benötigen und für diese Gruppe befürworten wir, dass mehr Flüssigkeit unter einem Monitoring funktionaler hämodynamischer Messungen verabreicht wird.

Abweichend von der SSC-Leitlinie wird aufgrund einer aktualisierten Beurteilung expertenbeigesteuerter Literatur mit neueren Untersuchungen hochwertiger Qualität in Bezug auf die Risk-of-Bias-Bewertung nur eine schwache Empfehlung für eine schematische Mindestinfusionsmenge ausgesprochen [39,40,41,42]. In prospektiven bzw. konsekutiven Beobachtungsstudien an Kohorten mit Sepsis und septischem Schock wurde ein positiver Effekt einer zeitnahen (≤30 min vs. 31–120 min vs. >120 min) Initiierung einer kristalloiden Flüssigkeitstherapie auf die Krankenhaussterblichkeit entweder alleinig [42] oder in Zusammenhang mit einem Bündel von Maßnahmen berichtet [39]. In einer ebenfalls neueren retrospektiven Studie an 49.331 Patienten mit Sepsis und septischem Schock konnte kein Überlebensvorteil bei Komplettierung des kristalloiden Flüssigkeitsbolus von 30 ml/kg KG innerhalb der ersten 12 h nach Protokollinitiierung gezeigt werden [40]. Eine neuere prospektive Studie bei Patienten mit Sepsis und Hypotension in einem Entwicklungsland zeigte eine erhöhte Krankenhaussterblichkeit (48,1 % vs. 33,0 %) nach protokollbasierter Infusion von 3,5 l vs. 2,0 l („usual care“/Standardtherapie) kristalloider Infusionslösung innerhalb von 6 h [39]. In der Gesamtbetrachtung der vorliegenden Studien wurde dies so interpretiert, dass eine zeitnahe Initiierung der Flüssigkeitstherapie von Vorteil ist, jedoch nicht die schematische Verabreichung des vollständigen 30 ml/kg KG-Flüssigkeitsbolus innerhalb der ersten 3 h.

A.3 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass zusätzliche Flüssigkeitsgaben nach dem initialen Flüssigkeitsbolus im Rahmen der weiteren initialen Stabilisierung durch häufig wiederholte Kontrollen des hämodynamischen Status begleitet werden.

  • Wir empfehlen ferner, eine fortgesetzte Flüssigkeitstherapie nur in Erwägung zu ziehen, wenn weiterhin Zeichen einer Hypoperfusion vorliegen.

  • Bemerkungen: Eine wiederholte Kontrolle sollte eine gründliche klinische Untersuchung und Bewertung der verfügbaren physiologischen Variablen (Herzfrequenz, Blutdruck, arterielle und zentralvenöse Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz, Temperatur, Urinausscheidung und sonstige Variablen je nach Verfügbarkeit) beinhalten sowie weitere nichtinvasive und invasive Überwachungsmaßnahmen, sofern derartige Maßnahmen zur Verfügung stehen.

  • SSC-Leitlinienadaptation und SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Eines der wichtigsten Prinzipien, das in Bezug auf die komplexe Behandlungsplanung dieser Patienten berücksichtigt werden muss, ist die Notwendigkeit einer detaillierten initialen Beurteilung und von kontinuierlich zu wiederholenden Kontrollen hinsichtlich des Ansprechens auf die Behandlung. Diese Beurteilung sollte mit einer gründlichen klinischen Untersuchung und Evaluierung der verfügbaren physiologischen Variablen beginnen, die der Beschreibung des klinischen Zustands des Patienten dienen (Herzfrequenz, Blutdruck, arterielle Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz, Temperatur, Urinausscheidung u. a. je nach Verfügbarkeit).

Ergänzend zu der SSC-Leitlinie wird neben der arteriellen auch die zentralvenöse Sauerstoffsättigung als physiologische Variable aufgeführt, da ein deutlich erniedrigter Wert ein wichtiges Zeichen eines gestörten Verhältnisses zwischen O2-Angebot und O2-Verbrauch darstellt und ein solcher Befund bei der Verlaufsbeurteilung berücksichtigt werden sollte. So wiesen Patienten, bei denen nach initial erniedrigter ScvO2 (<70 %) innerhalb der ersten 6 h ein Anstieg der ScvO2 auf >70 % gemessen wurde, eine deutlich niedrigere Mortalität auf als Patienten, die initial und auch während der ersten 6 h eine erniedrigte ScvO2 aufwiesen [43].

A.4 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen eine zusätzliche hämodynamische Beurteilung (wie z. B. die echokardiographische Beurteilung der Herzfunktion) zur Ermittlung der Art des Schocks, falls die klinische Untersuchung nicht zu einer eindeutigen Diagnose führt.

  • SSC-Leitlinienadaptation und SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Ergänzend zur SSC-Leitlinie wird (in Übereinstimmung mit der S3-Leitlinie zur intravasalen Volumentherapie beim Erwachsenen [44]) die Echokardiographie als Methode zur Beurteilung der Herzfunktion explizit aufgeführt. In den letzten Jahren ist die Echokardiographie für viele Krankenhausärzte verfügbar geworden, die eine genauere Analyse der Ursachen für die hämodynamischen Probleme ermöglicht [45]. Mittels der Echokardiographie kann beim Patienten mit unklarer hämodynamischer Instabilität eine Vielzahl von relevanten Differenzialdiagnosen (Perikarderguss und -tamponade, akute Rechtsherzbelastung als Hinweis für eine Lungenarterienembolie [LAE], eingeschränkte Pumpfunktion, Klappenvitium etc.) ausgeschlossen werden. Insbesondere beim kardiogenen Schock sind transthorakale Echokardiographie (TTE) und transösophageale Echokardiographie (TEE) essenzieller Bestandteil der Diagnostik. Die American Heart Association wertet den Einsatz der transthorakalen Echokardiographie bei Patienten mit Hypotension oder hämodynamischer Instabilität mit unklarer Ursache als „appropriate“ mit höchstem Empfehlungsgrad [46].

A.5 | Empfehlung | 2018

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

  • Wir schlagen vor, dass bevorzugt dynamische gegenüber statischen Variablen verwendet werden, um das Ansprechen auf eine Flüssigkeitstherapie vorherzusagen, sofern diese zur Verfügung stehen.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 79 %

Begründung.

Die ausschließliche Nutzung des zentralvenösen Drucks allein zur Steuerung der Flüssigkeitstherapie kann nicht länger empfohlen werden [45], weil die Fähigkeit zur Prognose der Volumenreagibilität limitiert ist, wenn der zentrale Venendruck (ZVD) innerhalb eines relativ normalen Wertebereichs (8–12 mm Hg) liegt [47]. Das Gleiche gilt für andere statische Messungen des rechten oder linken Vorhofdrucks oder -volumens. Dynamische Messungen zur Beurteilung, ob ein Patient zusätzliche Flüssigkeit benötigt, wurden mit dem Ziel vorgeschlagen, das Flüssigkeitsmanagement zu verbessern. Diese haben eine bessere diagnostische Genauigkeit bei der Prädiktion von Patienten gezeigt, die wahrscheinlich auf eine Flüssigkeitsbolusgabe mit einem erhöhten Schlagvolumen ansprechen werden. Diese Techniken umfassen die passive Beinhochlagerung, die probatorische Zufuhr definierter Flüssigkeitsboli unter gleichzeitigen Schlagvolumenmessungen oder Variationen des systolischen Drucks, des Pulsdrucks oder des Schlagvolumens auf Änderungen des intrathorakalen Drucks unter invasiver Beatmung [48]. Ein Review von 5 Studien zur Nutzung einer Pulsdruckvariation (PPV) zur Prognose des Ansprechens auf eine Flüssigkeitstherapie bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock ergab eine Sensitivität von 0,72 (95 %-KI 0,61–0,81) und eine Spezifität von 0,91 (95 %-KI 0,83–0,95); die Evidenzqualität war niedrig, was auf Ungenauigkeiten und einen potenziellen Bias zurückzuführen ist [48]. Eine aktuelle multizentrische Studie demonstrierte einen begrenzten Nutzung eines hämodynamischen Monitorings während der Flüssigkeitsverabreichung auf der ITS. Obwohl es an Daten bezüglich der Nutzung dieser Monitore auf Notfallstationen mangelt, könnte die Verfügbarkeit dieser Geräte und eine universelle Anwendbarkeit der Parameter die routinemäßige Nutzung von dynamischen Indizes beeinflussen [45, 49].

Ergänzend zur SSC-Leitlinie schlagen wir mit Bezug auf die S3-Leitlinie Intravasale Volumentherapie [50] dynamische Variablen vor. Diese umfasst z. B. die „pulse pressure variation“ (PPV), die Schlagvolumenvariation, die systolische Druckvariation, die Vena-cava-inferior-Variabilität, die passive Beinhochlagerung oder die probatorische Zufuhr definierter Flüssigkeitsboli unter gleichzeitigen Schlagvolumenmessungen. Voraussetzungen für die valide Anwendung der PPV zur Prädiktion der Volumenreagibilität:

  • maschinelle Beatmung,

  • keine Spontanatmungsanteile,

  • keine Arrhythmie,

  • Tidalvolumen ≥8 ml/kg KG Idealgewicht,

  • Herzfrequenz/Atemfrequenz >3,6,

  • totale respiratorische Compliance >30 ml/cm H2O,

  • ausreichende Rechtsherzfunktion (gemäß Echokardiographie).

A.6 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, eine fortgesetzte Flüssigkeitstherapie nur in Erwägung zu ziehen, wenn Zeichen einer Hypoperfusion vorliegen.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Ergänzend wird ferner darauf hingewiesen, dass eine positive Vorhersage der Volumenreagibilität ohne weitere Zeichen der Hypoperfusion allein keine Indikation zur Flüssigkeitstherapie begründet. In einer retrospektiven Kohortenstudie an 405 Patienten mit Sepsis und septischem Schock war eine Flüssigkeitsüberladung in den ersten Tagen mit einer erhöhten Krankenhaussterblichkeit assoziiert [51]. In einem retrospektiven Review des VASST-Trials korrelierte eine positive Flüssigkeitsbilanz bei Patienten mit septischem Schock nach 12 h bzw. 4 Tagen mit einer erhöhten 28-Tage-Sterblichkeit [52]. In einer prospektiven Studie an 173 konsekutiven Patienten mit Sepsis in den ersten 7 Tagen konnte eine positive Flüssigkeitsbilanz als unabhängiger prognostischer Faktor für eine erhöhte Krankenhaussterblichkeit ermittelt werden [53]. Eine flüssigkeitsrestriktive Therapie nach dem initialen Flüssigkeitsbolus hatte in einer prospektiven Studie [54] und nachfolgender Post-hoc-Analyse [55] von 151 Patienten keine negativen Auswirkungen auf den Laktatverlauf, den Noradrenalinbedarf, die Urinausscheidung in den ersten 24 h bzw. die Verschlechterung einer akuten Nierenschädigung. Allerdings gab es keinen signifikanten Effekt auf die 90-Tage-Sterblichkeit oder auf ischämische Ereignisse während der Intensivtherapie.

A.7 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen bei Patienten mit septischem Schock, die Vasopressoren benötigen, für den mittleren arteriellen Druck (MAP) einen anfänglichen Zielwert in Höhe von 65 mm Hg vor.

  • SSC-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Mittlerer arterieller Druck („mean arterial pressure“, MAP) ist der Druck, der die Gewebeperfusion steuert. Obwohl die Perfusion der wichtigsten Organe wie des Gehirns oder der Niere vor einer systemischen Hypotonie durch eine Autoregulation der regionalen Perfusion aufrechterhalten werden kann, wird die Gewebeperfusion unterhalb eines MAP-Schwellenwerts linear von dem arteriellen Druck abhängig. In einer monozentrischen Studie [56] erhöhte die Norepinephrindosistitration von einem MAP von 65 mm Hg auf 75 und 85 mm Hg den Herzindex (von 4,7 ± 0,5 auf 5,5 ± 0,6 l/min/m2), sie führte aber nicht zu einer Änderung des Harnflusses, der arteriellen Laktatwerte, der Sauerstoffversorgung und des Sauerstoffverbrauchs, des PCO2 der Magenschleimhaut, der RBC-Geschwindigkeit oder der Kapillarströmung der Haut. Eine weitere monozentrische Studie [57] verglich eine Dosistitration beim mit Norepinephrin behandelten septischen Schock zur Aufrechterhaltung eines MAP von 65 mm Hg gegenüber dem Erreichen von 85 mm Hg. In dieser Studie erhöhte ein höherer MAP den Herzindex von 4,8 (3,8–6,0) auf 5,8 (4,3–6,9) l/min und m2, führte jedoch zu keiner Änderung der Nierenfunktion, der arteriellen Laktatwerte oder des Sauerstoffverbrauchs. Eine dritte monozentrische Studie [58] wies eine Verbesserung der Mikrozirkulation nach, entsprechend der Beurteilung anhand der sublingualen Gefäßdichte und der Steigung der Sauerstoffsättigungskurve am Daumenballen nach einem Okklusionstest, indem eine Titration von Norepinephrin auf einen MAP von 85 mm Hg im Vergleich zu 65 mm Hg erfolgte. Nur eine multizentrische Studie, bei der die Norepinephrindosistitration zum Erreichen eines MAP von 65 mm Hg vs. 85 mm Hg verglichen wurde, führte die Mortalität als primäres Ergebnis auf [59]. Es lag kein signifikanter Unterschied bezüglich der Mortalität nach Ablauf von 28 Tagen (36,6 % in der Gruppe mit hohem Zielwert und 34,0 % in der Gruppe mit niedrigem Zielwert) oder 90 Tagen (43,8 % in der Gruppe mit hohem Zielwert und 42,3 % in der Gruppe mit niedrigem Zielwert) vor. Die Anvisierung eines MAP von 85 mm Hg führte zu einem signifikant erhöhten Risiko für Arrhythmien, wobei in einer Untergruppe von Patienten mit vorbestehender arterieller Hypertonie ein reduzierter Bedarf für eine Nierenersatztherapie („renal replacement therapy“, RRT) bei diesem höheren MAP bestand. Eine aktuelle Pilotstudie an 118 Patienten mit septischem Schock [60] wies darauf hin, dass bei der Untergruppe der Patienten, die älter als 75 Jahre waren, die Mortalität reduziert war, wenn ein MAP von 60–65 mm Hg im Vergleich zu 75–80 mm Hg anvisiert wurde. Die Evidenzqualität war moderat, was auf potenziellen Bias zurückzuführen ist (große Konfidenzintervalle). Daraus resultierte, dass die positiven Effekte eines Ziel-MAP von 65 mm Hg (geringeres Risiko für Vorhofflimmern, geringere Vasopressordosis und ähnliche Mortalität) zu einer starken Empfehlung führten, sodass ein initialer MAP-Zielwert von 65 mm Hg gegenüber höheren MAP-Zielwerten favorisiert wurde. Sobald mehr Erkenntnisse zum Zustand des jeweiligen Patienten gewonnen werden können, sollte dieser Zielwert an die betreffenden Umstände angepasst werden.

Aufgrund einer abweichenden Beurteilung der vorliegenden Literatur wird nur eine schwache Empfehlung für den MAP-Zielwert von 65 mm Hg ausgesprochen. Die multizentrische Studie von Asfar et al. [59] zielte darauf ab, Zielblutdruckwerte von 65–70 mm Hg bzw. 80–85 mm Hg zu vergleichen. Tatsächlich verglich die Studie Zielblutdruckwerte von 75 mm Hg bzw. 85 mm Hg. Die aktuelle Pilotstudie von Lamontagne et al. [60] verfehlte bei Einhaltung des oberen Zielbereichs von 75–80 mm Hg den unteren Zielbereich von 60–65 mm Hg und verglich 70 mm Hg mit 79 mm Hg. Somit liegen aktuell keine ausreichenden klinischen Daten vor, die den Zielwert von 65 mm Hg für den MAP im Vergleich zu anderen Zielwerten vergleicht, sodass nur eine schwache Empfehlung ausgesprochen werden kann.

A.8 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, bei Patienten, bei denen erhöhte Laktatwerte infolge einer Gewebehypoperfusion vorliegen, die hämodynamische Stabilisierung mit dem Ziel einer Normalisierung der Laktatwerte zu steuern.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Das Serumlaktat ist kein direkter Maßstab für die Gewebeperfusion [61]. Erhöhungen der Serumlaktatwerte können durch eine Gewebehypoxie, eine beschleunigte aerobe Glykolyse durch übermäßige β‑adrenerge Stimulation oder andere Ursachen bedingt sein (z. B. Leberversagen). Unabhängig von der Ursache sind jedoch erhöhte Laktatwerte mit einem schlechteren Outcome verbunden [62]. Da es sich bei Laktat um einen Standardlabortest handelt, kann es als objektiveres Surrogat für die Gewebeperfusion im Vergleich zur körperlichen Untersuchung oder der Urinausscheidung dienen. Fünf RCT (647 Patienten) haben die laktatgesteuerte Flüssigkeitstherapie bei Patienten mit septischem Schock evaluiert [63,64,65,66,67]. Eine signifikante Reduzierung der Mortalität wurde bei der laktatgesteuerten Flüssigkeitstherapie im Vergleich zur Flüssigkeitstherapie ohne Laktatüberwachung beobachtet (RR 0,67; 95 %-KI 0,53–0,84; niedrige Evidenz). Es wurden keine Nachweise in Bezug auf einen Unterschied bei der Aufenthaltsdauer auf der ITS (LOS) erbracht (Mittelwertdifferenz −1,51 Tage; 95 %-KI −3,65 bis 0,62; niedrige Evidenz). Zwei andere Metaanalysen mit 647 Patienten, die in diese Studien einbezogen wurden, demonstrierten eine mittlere Evidenzqualität im Hinblick auf eine Reduzierung der Mortalität, wenn eine frühzeitige Laktatclearancestrategie genutzt wurde, verglichen mit einer Standardtherapie (nicht spezifiziert) oder mit einer ScvO2-Normalisierungsstrategie [68, 69].

B. Leitlinienimplementierung

B.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen Krankenhäusern, Programme zur Implementierung der Leitlinie zu initiieren und umzusetzen, einschließlich eines Screenings für Risikopatienten.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Strategien zur Qualitätssicherung können dabei helfen, das Outcome von Sepsispatienten günstig zu beeinflussen [70]. Sie fußen im Idealfall auf einer interdisziplinären Kooperation zwischen allen Fachgebieten. Erfolgreiche Programme zur Qualitätssicherung setzen eine sorgfältige Protokollentwicklung und -umsetzung voraus, einschließlich der zu evaluierenden Messwerte, der Datenerhebung und der Maßnahmen zur Gewährleistung kontinuierlicher Rückmeldung an die Teilnehmer [71, 72].

Strategien zur Qualitätssicherung können auf eine frühzeitige Erkennung einer Sepsis ausgerichtet sein. Dazu können geeignete Screeningmaßnahmen beitragen oder eine Optimierung des Patientenmanagements. Die frühzeitige Identifizierung von Patienten mit Sepsis ist von hoher Bedeutung, da eine unverzügliche Therapie die Überlebenschancen wesentlich verbessern und Folgeschäden reduzieren kann [37, 73,74,75].

Eine Metaanalyse von 50 Observationsstudien hat gezeigt, dass Programme zur Qualitätssicherung in der Versorgung von Sepsispatienten mit einer signifikant verbesserten Compliance mit den Leitlinienempfehlungen der SSC und einer geringeren Krankenhausmortalität verbunden waren (OR 0,66; 95 %-KI 0,61–0,72; [76]). Die bisher größte Studie, die die Beziehung zwischen der Compliance mit den SSC-Leitlinien (basierend auf den SSC-Leitlinien aus dem Jahr 2004) und der Krankenhausmortalität untersuchte, beinhaltete 29.470 Patienten in 218 Krankenhäusern in den USA, Europa und Südamerika über einen Zeitraum von 7,5 Jahren [38]. Die Krankenhausmortalität verringerte sich um 0,7 % für alle 3 Monate, in denen ein Krankenhaus die SSC-Leitlinien umsetzte, was mit einem Rückgang der Aufenthaltsdauer auf der ITS um 4 % für jede 10 %ige Verbesserung der Compliance in Bezug auf die Empfehlungen verbunden war. Dieser Nutzen wurde zudem in einem breiten geographischen Spektrum nachgewiesen. Eine Studie an 1794 Patienten aus 62 Ländern mit schwerer Sepsis (die nunmehr als „Sepsis“ gemäß der Sepsis-3-Definition bezeichnet wird [1]) bzw. septischem Schock zeigte eine Reduzierung der Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus zu versterben, in Höhe von 36–40 % im Fall einer Compliance mit den SSC-Leitlinien auf [77]. Die spezifischen einzelnen Maßnahmen, die zu dieser Verbesserung beitrugen, variierten allerdings signifikant zwischen den verschiedenen Studien; somit kann keine einzelne Maßnahme explizit empfohlen werden.

B.2 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, bei Patienten außerhalb von ITS, bei denen der Verdacht auf eine Infektion besteht, den „quick Sequential Organ Failure Assessment“ (qSOFA) Score regelmäßig zu bestimmen, um Risikopatienten mit vitaler Bedrohung frühzeitig zu erkennen. (Abb. 1, Anhang)

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die frühzeitige Identifizierung von Patienten mit Sepsis ist von hoher Bedeutung, da eine frühzeitige Therapie das Überleben wesentlich verbessern kann. Im Gegensatz zu anderen akut lebensbedrohlichen Erkrankungen (wie z. B. dem Herzinfarkt), stehen jedoch derzeit keine diagnostischen bettseitigen Kriterien zur Verfügung, um Patienten mit Sepsis bzw. solche mit hohem Risiko für die Entwicklung einer Sepsis zuverlässig zu identifizieren. Daher hat die Sepsis-3-Arbeitsgruppe einer einfachen diagnostischen Score (qSOFA, siehe auch Kapitel „Definitionen“) entwickelt, um Patienten mit hohem Risiko für eine Sepsis zu identifizieren. Dazu analysierte die Sepsis-3-Arbeitsgruppe mehrere, sehr große Krankenhausdatenbanken von insgesamt 850.000 Patienten unter Infektionsverdacht (definiert durch eine Kombination von Antibiotikagabe und mikrobiologischer Diagnostik innerhalb eines bestimmten Zeitfensters). Eine derartig große Kohorte wurde bei den bisher verwendeten Sepsisdefinitionen nie untersucht. Ein weiterer großer Unterschied: Lediglich 10 % der Patienten befanden sich zum Zeitpunkt des Einschlusses auf einer ITS.

Der „quick Sequential Organ Failure Assessment“ (qSOFA) Score nutzt zur Risikoabschätzung die Variablen veränderter mentaler Status, systolischer Blutdruck <100 mm Hg oder eine Atemfrequenz ≥22/min. Verglichen mit einem qSOFA-Score von 0 oder 1 Punkt haben Patienten mit einem qSOFA-Score von 2 bzw. 3 Punkten ein 3‑fach bzw. 14-fach erhöhtes Risiko zu versterben. Die Sepsis-3-Taskforce hat empfohlen, die Behandlung nicht zu verzögern, bis die Patienten 2 oder mehr qSOFA-Kriterien erfüllen.

Die Mehrzahl der seit Februar 2016 publizierten Validierungsstudien bestätigen die Ergebnisse der Sepsis-3-Taskforce und belegen, dass der qSOFA-Score ein geeigneter Parameter ist, um Patienten mit Infektionsverdacht außerhalb von ITS auf das Vorliegen einer Sepsis zu screenen. Weitere prospektive Studien müssen zeigen, ob eine längsschnittliche und wiederholte Anwendung des qSOFA im intraindividuellen Verlauf sinnvoll ist. Darüber hinaus wäre eine prospektive kontrollierte Studie, die den klinischen Nutzen des qSOFA im Vergleich zu einer Standardbehandlung hinsichtlich harter Outcomeparameter untersucht, von Bedeutung [1].

C. Diagnose

C.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass regelhaft geeignete Materialien für die mikrobiologische Diagnostik (einschließlich Blutkulturen) entnommen werden, bevor die antimikrobielle Therapie bei Patienten mit Verdacht auf Sepsis oder septischen Schock begonnen wird. Dies darf zu keiner wesentlichen Verzögerung in Bezug auf den Beginn der antimikrobiellen Therapie führen.

  • Bemerkungen: Geeignete Materialien für die routinemäßige mikrobiologische Kulturendiagnostik umfassen immer mindestens 2 (sowohl aerobe als auch anaerobe) Blutkultursets (bestehend aus mindestens aerober und anaerober Flasche).

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Eine Inaktivierung von Mikroorganismen kann innerhalb von Minuten bis zu mehreren Stunden nach der ersten Dosis eines geeigneten antimikrobiellen Wirkstoffs erfolgen, sodass sie möglicherweise nicht mehr mittels mikrobiologischer Kulturverfahren nachweisbar sind [78, 79]. Die Abnahme geeigneter Probenmaterialien vor der Verabreichung von antimikrobiellen Substanzen führt zu einer Steigerung der Nachweisrate, sodass die Wahrscheinlichkeit der Identifizierung eines Pathogens höher ist. Die Isolierung eines oder mehrerer infizierender Mikroorganismen ermöglicht die Deeskalation der antimikrobiellen Therapie zunächst zum Zeitpunkt der Identifizierung. Eine weitere Anpassung der Therapie ist bei Vorliegen der Ergebnisse der Empfindlichkeitsprüfung möglich. Die Deeskalation der antimikrobiellen Therapie ist ein Kernbereich von ABS-Programmen und mit weniger Resistenzselektionsdruck, weniger Nebenwirkungen und geringeren Kosten verbunden [80]. Verschiedene retrospektive Studien deuten darauf hin, dass eine Abnahme der Probenmaterialien vor der antimikrobiellen Therapie mit einem verbesserten Outcome verbunden ist [81, 82]. Auch die Deeskalation war in mehreren Beobachtungsstudien mit einer Verbesserung der Überlebensrate assoziiert [83, 84]. Das Bestreben, die Materialien für die mikrobiologische Diagnostik vor Beginn der antimikrobiellen Therapie zu entnehmen, muss gegen das Letalitätsrisiko bei einer Verzögerung des Beginns der kalkulierten antimikrobiellen Initialtherapie als wichtiger Therapiebaustein bei kritisch kranken Patienten mit dem Verdacht auf Sepsis oder septischen Schock abgewogen werden, bei denen ein signifikantes Sterberisiko besteht [85, 86].

Wir empfehlen, dass die Blutkulturen vor Beginn der antimikrobiellen Therapie abgenommen werden, sofern dies ohne wesentliche Zeitverzögerung möglich ist. Das Risiko-Nutzen-Verhältnis spricht jedoch für eine schnelle Verabreichung der antimikrobiellen Medikamente, falls es logistisch nicht möglich ist, die Probenmaterialien schnell abzunehmen. Daher sollten bei Patienten mit einem Verdacht auf Sepsis oder septischen Schock vor Beginn der antimikrobiellen Therapie geeignete Materialien für die mikrobiologische Diagnostik aus allen Lokalisationen abgenommen werden, die als potenzieller Fokus infrage kommen, soweit dadurch keine wesentliche Verzögerung in Bezug auf den Beginn der antimikrobiellen Therapie resultiert. In diesem Sinne geeignete Probenmaterialien sind z. B. Blutkulturen, Liquor, Urin, Wund- und Atemwegsekrete und andere Körperflüssigkeiten. Probenmaterialien, deren Entnahme einen invasiven Eingriff erfordert wie z. B. eine Bronchoskopie oder einen offenen chirurgischen Eingriff, sind initial in der Regel wegen der damit verbundenen Zeitverzögerung bis zum Beginn der initialen antimikrobiellen Therapie nicht indiziert. Die Entscheidung, von welchen Lokalisationen Material abgenommen werden sollte, erfordert sorgfältige Überlegungen auf Seiten des Behandlungsteams. Von einer „Pan-Kultur“ aller möglichen Lokalisationen, von denen potenziell Proben entnommen werden können, wird abgeraten (es sei denn, der Sepsisherd ist klinisch nicht erkennbar), weil diese Praxis zu einem unangemessenen Einsatz von antimikrobiellen Substanzen führen kann [87]. Falls die Anamnese oder klinische Untersuchung eindeutig auf eine spezifische anatomische Lokalisation des Infektionsherds hindeutet, sind Materialien von anderen Lokalisationen (mit Ausnahme der Blutkulturen) im Allgemeinen nicht sinnvoll und nicht notwendig. Wir schlagen einen Zeitraum von 45 min für die Entnahme mikrobiologisch-diagnostischer Proben vor, der als keine wesentliche Verzögerung in Bezug auf den Beginn der antimikrobiellen Therapie betrachtet werden kann.

Zwei oder mehr Blutkultursets (bestehend aus mindestens aerober und anaerober Flasche) werden vor Beginn jeder neuen antimikrobiellen Therapie bei allen Patienten mit Verdacht auf Sepsis empfohlen [88]. Alle erforderlichen Blutkulturen können zum gleichen Zeitpunkt entnommen werden. Es gibt keinen Nachweis dafür, dass die Nachweisrate von Blutkulturen bei sequenziellen Entnahmen oder bei Abnahme im Temperaturanstieg höher ist [89, 90]. Detaillierte Angaben zu geeigneten Entnahme- und Transportmethoden für Blutkulturproben sind in anderen Leitlinien enthalten [90, 91].

Bei potenziell septischen Patienten mit einem intravaskulären Katheter (der mehr als 48 h in situ ist), bei denen die Infektionslokalisation nicht klinisch erkennbar ist oder bei denen ein Verdacht auf eine intravaskuläre, katheterassoziierte Infektion besteht, sollte mindestens ein Blutkulturset aus dem Katheter entnommen werden (neben den gleichzeitig entnommenen peripheren Blutkulturen). Diese kann die Diagnose einer potenziell katheterassoziierten Blutstrominfektion stützen. Die Daten bezüglich des Nutzens der als Differential Time to Positivity (DTP) bekannten Untersuchungsmethode sind inkonsistent, was die Wahrscheinlichkeit betrifft, dass der vaskuläre Zugang den Infektionsherd darstellt [92,93,94]. Die Entnahme von Blutkulturen aus einem intravaskulären Katheter zur Diagnose einer katheterassoziierten Infektion soll nicht verhindern oder verzögern, dass der Katheter als potenzielle Infektionsquelle sofort nach der Probenahme entfernt wird (insbesondere bei nichtgetunnelten Kathetern).

Besteht beim Patienten kein Verdacht auf eine katheterassoziierte Infektion, wird jedoch ein anderer klinischer Infektionsherd vermutet, sollte mindestens eine Blutkultur (der 2 oder mehr Blutkulturen, die benötigt werden) peripher entnommen werden. Für die Entnahme der weiteren Blutkulturen kann keine Empfehlung gegeben werden, wo diese zu entnehmen sind. Die folgenden Optionen stehen zur Verfügung: a) Alle Blutkulturen werden peripher über eine Venenpunktion entnommen; b) die Kulturen werden über jeden einzelnen intravaskulären Zugang, aber nicht über mehrere Lumina ein und desselben intravaskulären Katheters entnommen oder c) die Kulturen werden über mehrere Lumina eines intravaskulären Zugangs entnommen [95,96,97,98,99].

In der nahen Zukunft könnten molekulardiagnostische Methoden die Möglichkeit bieten, Infektionen schneller und präziser zu diagnostizieren, als es mit den derzeit verfügbaren Methoden möglich ist. Obwohl unterschiedliche Technologien beschrieben worden sind, ist die klinische Erfahrung diesbezüglich bisher begrenzt und es werden zusätzliche Validierungen benötigt, bevor diese Methoden als Ergänzung oder Ersatz im Hinblick auf die Standardblutkulturtechniken empfohlen werden können [100,101,102]. Außerdem werden die Empfindlichkeitsprüfungen der Mikroorganismen gegenüber den Antiinfektiva zumindest in der näheren Zukunft weiterhin erfordern, dass der Erreger angezüchtet und mittels phänotypischer Methoden direkt getestet wird.

C.2 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Hyper- oder Hypothermie gehören zu den Kardinalsymptomen für das Vorliegen einer Infektion. Wir empfehlen für den Nachweis einer Hyper- oder Hypothermie die Verwendung von kalibrierten Methoden entweder über zentrale Messungen der Körperkerntemperatur (rektal, zentralvenös, Harnblase, Ösophagus) oder, falls nicht verfügbar, mittels Infrarotthermometer in Ohr oder Mund.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Kalibrierte Trommelfellthermometer oder orale Thermometer, die auf Infrarotmethoden beruhen, sind hinreichend genau. Periphere Thermometer haben allerdings keine klinisch akzeptable Genauigkeit zur Messung der Kerntemperatur im Vergleich zu zentralen Thermometern. In einer jüngsten Metaanalyse erfüllten nur kalibrierte Trommelfellthermometer oder Mundthermometer die Limits of Agreement (LOA), aber alle anderen Arten von peripheren Thermometern übertrafen die LOA im Vergleich zu zentralen Thermometern. Zum Nachweis von Fieber bei Erwachsenen und Kindern mit peripheren Thermometern betrug die gepoolte Sensitivität 64 % (95 %-KI 55–72, I2 = 96 %), Spezifität 96 % (KI 93–97, I2 = 96 %). Die Likelihood-Ratio (LR) für einen positiven Test betrug 14,5 (I2 = 94 %) und das Wahrscheinlichkeitsverhältnis für einen negativen Test betrug 0,38 (I2 = 97 %) [103].

D. Antimikrobielle Therapie

D.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass die Verabreichung von intravenösen Antiinfektiva so schnell wie möglich, idealerweise innerhalb einer Stunde, nach der Diagnose einer Sepsis oder eines septischen Schocks erfolgt.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Bei Vorliegen einer Sepsis oder eines septischen Schocks ist jede Stunde Verzögerung in Bezug auf die Verabreichung geeigneter antimikrobieller Mittel mit einer messbaren Steigerung der Mortalität verbunden [86, 104]. Außerdem haben diverse Studien die negativen Auswirkungen von zunehmenden Verzögerungen auf die sekundären Endpunkte nachgewiesen (z. B. auf die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus bzw. auf ITS [105], akute Nierenschädigungen [106], akute Lungenschädigungen [107] und Organschädigungen entsprechend der Beurteilung gemäß dem Sequential Organ Failure Assessment Score [108]). Trotz einer Metaanalyse von Studien meist niedriger Qualität, die keinen Nutzen einer schnellen antimikrobiellen Therapie nachgewiesen haben, unterstützen die größten Studien und die Studien mit der höchsten Qualität die möglichst schnelle Verabreichung von geeigneten antimikrobiellen Mitteln bei Patienten mit Sepsis mit oder ohne septischem Schock [86, 104, 109,110,111]. Die Mehrheit der Studien im Rahmen der Metaanalyse waren von niedriger Qualität, was auf eine Reihe von Mängeln zurückzuführen ist, einschließlich der geringen Fallzahlen, der Verwendung einer initialen Indexzeit mit einem willkürlichen Zeitpunkt wie der Ankunft in der Notaufnahme und der Indizierung des Ergebnisses in Bezug auf die zeitliche Verzögerung bis zum Ansetzen des ersten antimikrobiellen Mittels (ungeachtet der Wirksamkeit gegen das mutmaßliche Pathogen; [112, 113]). Andere negative Studien, die nicht in diese Metaanalyse einbezogen wurden, sind durch das Gleichsetzen einer Bakteriämie mit einer Sepsis (die laut der aktuellen Definition ein Organversagen beinhalten muss) und einem septischen Schock von eingeschränkter Aussagekraft [114,115,116,117]. Viele dieser Studien werden auch durch die Indizierung der Verzögerung in Bezug auf leicht verfügbare, aber nichtphysiologische Variablen kompromittiert wie z. B. dem Zeitpunkt der initialen Probenahme von Blutkulturen (ein Ereignis, das wahrscheinlich eine hohe Variabilität aufweist, was den zeitlichen Faktor betrifft).

Während die verfügbaren Daten nahelegen, dass die frühestmögliche intravenöse Verabreichung geeigneter antimikrobieller Mittel nach der Identifizierung einer Sepsis oder eines septischen Schocks zu optimalen Ergebnissen führt, wird eine Stunde als angemessenes Mindestziel empfohlen. Die Umsetzbarkeit bezüglich des konsistenten Erreichens dieses Ziels ist jedoch noch nicht ausreichend analysiert worden. Praktische Betrachtungen, wie z. B. die Herausforderungen in Bezug auf die frühzeitige Identifizierung der Patienten durch die Kliniker oder operative Probleme in der Verfügbarkeit von Antiinfektiva, stellen wenig untersuchte Variablen dar, die das Erreichen dieses Ziels beeinträchtigen könnten. Eine Reihe von patienten- und organisationsbezogenen Faktoren scheinen die Verzögerungen der Verabreichung von geeigneten antimikrobiellen Mitteln zu beeinflussen [118].

Eine Optimierung der Compliance mit dieser Empfehlung setzt eine Analyse der Ursachen von Verzögerungen auf institutioneller Seite voraus [119]. Eine inakzeptabel hohe Häufigkeit des Nichterkennens des potenziellen Vorliegens einer Sepsis oder eines septischen Schocks oder das Ansetzen einer nichtgeeigneten empirischen antimikrobiellen Therapie (z. B. infolge einer Nichtbeachtung des Potenzials einer mikrobiellen Resistenz oder der kürzlichen Verwendung eines Antiinfektivums) können als Hinweise auf Defizite gewertet werden.

Die Einrichtung eines vaskulären Zugangs und das Ansetzen einer aggressiven Flüssigkeitstherapie sind von hoher Bedeutung bei der Behandlung von Patienten mit Sepsis oder septischem Schock. Eine unverzügliche intravenöse Infusion mit antimikrobiellen Mitteln hat ebenfalls höchste Priorität. Dazu könnten zusätzliche vaskuläre Zugänge erforderlich sein. Ein intraossärer Zugang, der schnell und verlässlich eingerichtet werden kann (auch bei Erwachsenen), kann verwendet werden, um die Initialdosen jedweder antimikrobieller Mittel zu verabreichen [120, 121]. Außerdem sind einige intramuskuläre Präparate zugelassen und verfügbar, was diverse β‑Laktame zur Erstlinientherapie betrifft, zu denen Imipenem/Cilastatin, Cefepim, Ceftriaxon und Ertapenem gehören. Einige weitere β‑Laktame zur Erstlinientherapie können in Notfallsituationen ebenfalls wirksam intramuskulär verabreicht werden, falls kein vaskulärer oder intraossärer Zugang zur Verfügung steht, obwohl eine regulatorische Zulassung der intramuskulären Verabreichung dieser Medikamente nicht vorliegt [122,123,124]. Die intramuskuläre Absorption und Verteilung einiger dieser Wirkstoffe bei schweren Erkrankungen ist noch nicht erforscht, daher sollte die intramuskuläre Verabreichung nur in Betracht gezogen werden, wenn eine zeitgerechte Einrichtung eines vaskulären Zugangs nicht möglich ist.

D.2 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen eine empirische Breitspektrumtherapie mit einem Antibiotikum oder mehreren Antibiotika bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock, um alle wesentlichen Bakterien zu erfassen.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

D.3 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, die Indikation einer zusätzlichen kalkulierten antimykotischen oder antiviralen Therapie bei Risikopatienten entsprechend der fokusbezogenen Leitlinie zu überprüfen.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

D.4 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass die kalkulierte antiinfektive Initialtherapie angepasst wird, sobald ein plausibler Erregernachweis geführt werden konnte und die Antiinfektivaempfindlichkeit bekannt ist. Wir empfehlen, dass bei klinischer Verbesserung des Patienten innerhalb der ersten 72 h auch ohne Erregernachweis eine initiale Kombinationstherapie auf eine Monotherapie deeskaliert wird.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die Initiierung einer geeigneten antimikrobiellen Therapie (d. h. einer wirksamen Therapie gegen das bzw. die verursachende[n] Pathogen[e]) ist einer der wichtigsten Aspekte des effektiven Managements von lebensbedrohlichen Infektionen, die eine Sepsis und einen septischen Schock verursachen. Das Unterlassen einer geeigneten empirischen Therapie bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock ist mit einer beträchtlichen Zunahme der Morbidität und Mortalität verbunden [109, 125,126,127]. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit einer Progression von einer gramnegativen bakteriämischen Infektion zu einem septischen Schock erhöht [128]. Dementsprechend muss die initiale Auswahl einer antimikrobiellen Therapie breit genug angelegt sein, um alle wahrscheinlichen Pathogene abzudecken. Die Auswahl der empirischen antimikrobiellen Therapie hängt von komplexen Fragen im Zusammenhang mit der medizinischen Vorgeschichte des Patienten, dem klinischen Zustand und lokalen epidemiologischen Faktoren ab. Zu den wichtigsten patientenbezogenen Faktoren gehören die Art des klinischen Syndroms/die Lokalisation der Infektion, die zugrunde liegenden Begleiterkrankungen, chronisches Organversagen, Medikamente, Dauerkatheter, das Vorliegen einer Immunsuppression oder einer anderen Beeinträchtigung des Immunsystems, eine kürzlich bekanntgewordene Infektion oder Kolonisierung mit spezifischen Pathogenen sowie eine Behandlung mit Antiinfektiva innerhalb der letzten 3 Monate. Außerdem müssen Faktoren wie der Aufenthaltsort des Patienten zum Zeitpunkt der Infektion (z. B. kommunaler Bereich, Versorgungseinrichtung für chronisch Kranke, Akutversorgungshospital), die lokale Pathogenprävalenz und die Suszeptibilitätsmuster dieser Pathogene sowohl auf kommunaler Ebene als auch im Krankenhaus in der Therapiewahl berücksichtigt werden. Auch Medikamentenunverträglichkeiten und Toxizitäten müssen berücksichtigt werden.

Die häufigsten Pathogene, die einen septischen Schock verursachen, sind gramnegative Bakterien sowie grampositive Mikroorganismen. Bei ausgewählten Patienten sollten eine invasive Candidiasis, ein toxisches Schocksyndrom und auch selten auftretende Pathogene in Betracht gezogen werden. Bestimmte Sondersituationen setzen Patienten einem Risiko für atypische oder resistente Pathogene aus. Beispielsweise sind Neutropeniepatienten einem Risiko in Bezug auf ein besonders breites Spektrum an potenziellen Pathogenen ausgesetzt, zu denen resistente gramnegative Bakterien und Kandidaspezies gehören. Patienten mit nosokomial erworbenen Infektionen sind anfällig für eine Sepsis mit dem methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) und mit vancomycinresistenten Enterokokken (VRE).

Die Auswahl einer optimalen empirischen antimikrobiellen Behandlung bei Sepsis und septischem Schock ist einer der zentralen Einflussfaktoren in Bezug auf das Outcome. Die Überlebensrate kann sich um das 5‑Fache verringern, wenn ein septischer Schock mit einer empirischen Therapie behandelt wird, die das ursächliche Pathogen nicht abdeckt [125]. Wegen der hohen Mortalität, die mit einer nichtadäquaten initialen Therapie verbunden ist, sollten empirische Therapien im Zweifelsfall ein breites Spektrum von Pathogenen berücksichtigen. Die Auswahl von empirischen antimikrobiellen Therapien bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock ist jedoch eine komplexe Aufgabe und kann nicht auf eine einfache Tabelle reduziert werden. Diverse Faktoren müssen berücksichtigt werden, um eine geeignete antimikrobielle Therapie zu finden, und zwar an jedem medizinischen Zentrum und für jeden einzelnen Patienten. Dazu gehören:

  1. a)

    die anatomische Lokalisation des Infektionsherds unter Beachtung des typischen Pathogenprofils und der Gewebegängigkeit der Antiinfektiva;

  2. b)

    prävalente Pathogene auf kommunaler Ebene, im Krankenhaus und auf der jeweiligen Station des Krankenhauses;

  3. c)

    die Resistenzmuster dieser prävalenten Pathogene;

  4. d)

    das Vorliegen von spezifischen Immundefekten, wie z. B. Neutropenie, Z. n. Splenektomie, eine schlecht kontrollierte HIV-Infektion, erworbene oder angeborene Immunglobulindefekte bzw. Störungen der Leukozytenfunktion;

  5. e)

    das Alter und die Komorbiditäten des betreffenden Patienten einschließlich chronischer Erkrankungen (z. B. Diabetes) und chronischer Organdysfunktionen (z. B. Leber- oder Nierenversagen), das Vorliegen von Devices (z. B. zentralvenöse Zugänge oder Urinkatheter), die die Abwehr gegenüber Infektionen kompromittieren.

Angesichts der Bandbreite der Variablen, die analysiert werden müssen, ist die Empfehlung einer spezifischen Behandlung bei einer Sepsis und einem septischen Schock nicht möglich. Die Leser dieses Dokuments werden auf Leitlinien verwiesen, die Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten basierend auf der anatomischen Lokalisation der Infektion oder spezifischen Immundefekten zur Verfügung stellen [96, 129,130,131,132,133,134,135,136,137,138,139].

Eine Kombinationstherapie ist häufig erforderlich, um zu Beginn ein ausreichend breites Spektrum der empirischen Abdeckung sicherzustellen. Kliniker sollten sich des Risikos einer Resistenz gegenüber Breitspektrum-β-Laktamen und Carbapenemen in Bezug auf gramnegative Bazillen in einigen kommunalen Bereichen und Einrichtungen des Gesundheitswesens bewusst sein. Die Ergänzung eines zusätzlichen gramnegativen Wirkstoffs zu der empirischen Behandlung wird bei kritisch erkrankten septischen Patienten empfohlen, die einem hohen Risiko einer Infektion mit derartigen multiresistenten Pathogenen ausgesetzt sind (z. B. Pseudomonas, Acinetobacter etc.). So soll die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass zumindest ein aktiver Wirkstoff verabreicht wird [140]. Ebenso ist in Situationen mit einem Risiko für andere resistente oder atypische Pathogene die Ergänzung eines pathogenspezifischen Wirkstoffs zur Erweiterung des Spektrums gerechtfertigt. Vancomycin, Teicoplanin oder ein anderer Anti-MRSA-Wirkstoff können genutzt werden, wenn Risikofaktoren für MRSA vorhanden sind. Ein signifikantes Risiko einer Infektion mit Legionella-Spezies macht eine Kombinationstherapie mit einem Makrolid oder Fluorchinolon erforderlich.

Auch eine Kandidainfektion sollte in Erwägung gezogen werden. Zu den Risikofaktoren für invasive Kandidainfektionen gehören eine Beeinträchtigung des Immunsystems (Neutropenie, Chemotherapie, Transplantation, Diabetes mellitus, chronisches Leberversagen, chronisches Nierenversagen), eine längere Nutzung von invasiven vaskulären Zugängen (Hämodialysekatheter, zentralvenöse Katheter), eine vollumfängliche parenterale Ernährung, eine nekrotisierende Pankreatitis, ein kurz zuvor erfolgter großer chirurgischer Eingriff (insbesondere im Abdominalbereich), eine längere Verabreichung von Breitspektrumantibiotika, ein längerer Krankenhausaufenthalt, eine kurz zurückliegende Pilzinfektion und eine Kolonisierung an mehreren Lokalisationen [141, 142]. Falls ein Risiko für eine Kandidasepsis besteht und eine empirische antimykotische Behandlung gerechtfertigt erscheint, sollte die Auswahl des spezifischen Wirkstoffs basierend auf dem Schweregrad der Erkrankung, dem lokalen Muster der prävalentesten Kandidaspezies und einer etwaigen kürzlichen Exposition gegenüber antimykotischen Medikamenten erfolgen. Die empirische Nutzung von Echinocandinen (Anidulafungin, Micafungin oder Caspofungin) wird bei den meisten Patienten mit schwerer Erkrankung vorgezogen, insbesondere bei denjenigen Patienten mit septischem Schock, die vor Kurzem mit anderen antimykotischen Wirkstoffen behandelt wurden, oder falls eine Infektion mit Candida glabrata oder Candida krusei aufgrund von früheren Kulturdaten vermutet wird [130, 135]. Triazole sind bei hämodynamisch stabilen, weniger schwer erkrankten Patienten akzeptabel, bei denen keine vorherige Triazolexposition vorliegt und die nicht bekanntermaßen mit azolresistenten Spezies kolonisiert sind. Liposomale Formulierungen von Amphotericin B sind eine angemessene Alternative zu Echinocandinen bei Patienten mit Echinocandinintoleranz oder -toxizität [130, 135]. Erkenntnisse über die lokalen Resistenzmuster gegenüber antimykotischen Wirkstoffen sollten die Grundlage für die Medikamentenauswahl bilden, bis mykotische Suszeptibilitätsresultate vorliegen (falls verfügbar). Schnelle diagnostische Analysen unter Verwendung von β‑D-Glucan- oder Polymerasekettenreaktionsassays können hilfreich in der Therapieentscheidung sein. Der negative prädiktive Wert derartiger Tests ist jedoch nicht ausreichend hoch, um eine primäre Therapieentscheidung davon abhängig zu machen.

Eine überlegene empirische Abdeckung kann durch die Nutzung von lokalen und stationsspezifischen Resistenzmustern [143, 144] oder die Konsultation von Infektiologen erreicht werden [145]. Eine frühzeitige Einbeziehung von Infektiologen kann unter gewissen Umständen (z. B. bei einer Staphylococcus-aureus-Bakteriämie) das Behandlungsergebnis verbessern [143,144,145].

Bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock ist im Allgemeinen eine empirische Breitspektrumtherapie solange gerechtfertigt, bis der verursachende Organismus und dessen antimikrobielle Suszeptibilität bekannt sind. An diesem Punkt sollte das Therapiespektrum eingegrenzt werden, indem nichterforderliche antimikrobielle Wirkstoffe abgesetzt und Breitspektrumwirkstoffe durch spezifischere Wirkstoffe ersetzt werden [146]. Falls die relevanten Kulturen negativ sein sollten, ist eine empirische Therapiebeschränkung basierend auf einem guten klinischen Ansprechen angemessen. Die Nutzung von ABS-Programmen wird in diesem Zusammenhang befürwortet.

Bei etwa einem Drittel der Patienten mit einer Sepsis kann kein verursachendes Pathogen identifiziert [125] werden. Das ist überwiegend dann der Fall, wenn die Kulturen unter bereits laufender antimikrobieller Therapie abgenommen wurden. In einigen Fällen könnte dies darauf zurückzuführen sein, dass in einer Studie post hoc festgestellt wurde, dass fast die Hälfte der Patienten mit initialem Verdacht auf Sepsis gar keine Infektion hatten bzw. eine Infektion nur „möglich“ (aber nicht wahrscheinlich) erschien. Falls hinreichend nachgewiesen werden kann, dass keine Infektion vorliegt, sollte die antimikrobielle Therapie daher unverzüglich beendet werden.

D.5 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass von einer anhaltenden systemischen antimikrobiellen Prophylaxe bei Patienten mit schweren inflammatorischen Zuständen nichtinfektiösen Ursprungs abgesehen wird (z. B. schwere Pankreatitis, Brandverletzung).

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Eine systemische entzündliche Reaktion ohne Infektion rechtfertigt keine antimikrobielle Therapie. Dazu gehören z. B. eine schwere Pankreatitis und großflächige Brandwunden.

Obwohl die prophylaktische Verwendung systemischer Antibiotika bei einer schweren nekrotisierenden Pankreatitis in der Vergangenheit empfohlen wurde, sprechen sich aktuelle Leitlinien dagegen aus [147]. Dieses wird durch eine aktuelle Metaanalyse bestätigt, die keinen klinischen Vorteil von prophylaktisch verabreichten Antibiotika nachwies, der deren langfristige Nebenwirkungen aufwiegen würde [148]. In gleicher Weise wurde eine längere systemische antimikrobielle Prophylaxe für Patienten mit schweren Verbrennungen durchgeführt. Aktuelle Metaanalysen weisen jedoch auf den fraglichen klinischen Nutzen dieses Ansatzes hin [149, 150]. Die aktuellen Leitlinien für die Behandlung von Brandwunden unterstützen die Aufrechterhaltung einer antimikrobiellen Prophylaxe nicht [132]. Die vorhandende Evidenz ist jedoch gering, was auf die Diversität der Population zurückzuführen ist. Die Evidenzqualität war niedrig für die Mortalität bei Pankreatitis [148] und ebenfalls niedrig bei Verbrennungen; daher glauben wir, dass diese Empfehlung besser als Expertenkonsens zu deklarieren ist, der besagt, dass die Alternative der Verabreichung von Antibiotika ohne Anzeichen einer Infektion nicht plausibel ist [148,149,150]. Trotz unserer Empfehlung, von einer längeren systemischen antimikrobiellen Prophylaxe im Allgemeinen abzusehen, könnte eine kurze antibiotische Prophylaxe für spezifische invasive Eingriffe angemessen sein. Außerdem gilt, dass ein starker Verdacht bezüglich des gleichzeitigen Vorliegens einer Sepsis oder eines septischen Schocks bei Patienten mit einem schweren inflammatorischen Zustand nichtinfektiösen Ursprungs eine antimikrobielle Therapie rechtfertigt.

D.6 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass die Dosierung der Antiinfektiva basierend auf anerkannten pharmakokinetischen/pharmakodynamischen Prinzipien und spezifischen Medikamenteneigenschaften bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock optimiert wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Eine frühzeitige Optimierung der antimikrobiellen Pharmakokinetik kann das Outcome von Patienten mit einer schweren Infektion verbessern. Verschiedene Aspekte sollten bei der Dosisfindung berücksichtigt werden. Bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock liegt häufig eine hepatische oder renale Dysfunktion vor. Weiterhin bestehen immunologische Dysfunktionen und eine erhöhte Prädisposition in Bezug auf Infektionen mit resistenten Organismen. Wahrscheinlich am wichtigsten in Bezug auf die initiale antimikrobielle Dosierung ist ein erhöhtes Distributionsvolumen für die meisten Antibiotika, was teilweise auf die schnelle Expansion des extrazellulären Volumens als Folge einer aggressiven Flüssigkeitstherapie zurückzuführen ist. Dies führt zu einer unerwartet hohen Häufigkeit von suboptimalen Medikamentenkonzentrationen bei einem großen Spektrum von Antibiotika.

Antibiotika haben unterschiedliche Plasmazielwerte, die anzustreben sind. Das Nichterreichen von maximalen Plasmazielwerten bei der Inititaldosis wurde mit einem Therapieversagen von Aminoglykosiden nachgewiesen [151]. Ebenso wird ein unzureichender früher Talspiegel von Vancomycin in Bezug auf den Spitzenplasmaspiegel (im Verhältnis zur minimalen Hemmstoffkonzentration [MHK])/„minimal inhibition concentration“ [MIC]) mit einem klinischen Versagen bei schweren MRSA-Infektionen in Zusammenhang gebracht ([152]; einschließlich nosokomialer Pneumonie [153] und septischem Schock [154]). Die klinische Erfolgsrate bei der Behandlung schwerer Infektionen korreliert mit einem höheren Spitzenwert für die Blutkonzentration (im Verhältnis zur Pathogen-MIC) der Fluorchinolone (nosokomiale Pneumonie und andere schwere Infektionen; [155,156,157]) und Aminoglykoside (gramnegative Bakteriämie, nosokomiale Pneumonie und andere schwere Infektionen; [158]). Bei β‑Laktamen scheinen überlegene klinische und mikrobiologische Erfolgsraten mit einer längeren Dauer in Bezug auf höhere Plasmaspiegel im Verhältnis zur Pathogen-MIC verbunden zu sein, was insbesondere kritisch erkrankte Patienten betrifft [159,160,161,162].

Die optimale Dosierungsstrategie für Aminoglykoside und Fluorchinolone beinhaltet eine Optimierung der Plasmaspitzenwerte. Bei Aminoglykosiden kann dies am einfachsten durch eine einmalige tägliche Dosisgabe (5–7 mg/kg tägliche Gentamicinäquivalentdosis) erreicht werden. Die einmal tägliche Dosisgabe führt zumindest zu einer vergleichbaren klinischen Wirksamkeit bei möglicherweise reduzierter renaler Toxizität im Vergleich zur mehrmals täglichen Dosisgabe [163, 164]. Die einmal tägliche Dosisgabe von Aminoglykosiden wird bei Patienten mit erhaltener Nierenfunktion genutzt. Patienten mit einer leichten chronischen Beeinträchtigung der Nierenfunktion sollten dennoch eine einmal tägliche Äquivalentdosis erhalten, wobei bei diesen Patienten üblicherweise ein größerer Zeitraum (von bis zu 3 Tagen) ohne Dosisgabe vor der nächsten Dosis eingehalten wird. Dieses Dosierungsschema sollte nicht bei Patienten mit schwerer Beeinträchtigung der Nierenfunktion genutzt werden, bei denen keine Ausscheidung der Aminoglykoside innerhalb von wenigen Tagen zu erwarten ist. Das therapeutische Drugmonitoring der Aminoglykoside in diesem Kontext soll hauptsächlich sicherstellen, dass die Talspiegel ausreichend gering sind, um das Potenzial für eine renale Toxizität zu minimieren. In Bezug auf die Fluorchinolone ist ein Ansatz, der die Dosis innerhalb eines nichttoxischen Bereichs optimiert (z. B. Ciprofloxacin, 600 mg alle 12 h, oder Levofloxacin, 750 mg alle 24 h, ausgehend von einer erhaltenen Nierenfunktion), mit einem verbesserten mikrobiologischen und klinischen Therapieerfolg verbunden [165,166,167].

Vancomycin ist ein weiteres Antibiotikum, dessen Wirksamkeit zumindest teilweise konzentrationsabhängig ist. Die Dosierung mit einem Talspiegel von 15–20 mg/l wird von Experten empfohlen, um die Wahrscheinlichkeit des Erreichens angemessener pharmakodynamischer Ziele zu maximieren, die Gewebepenetration zu verbessern und die klinischen Ergebnisse zu optimieren [168,169,170]. Ein Monitoring der Talspiegel vor der nächsten Dosisgabe wird empfohlen. Bei Sepsis und septischem Schock wird eine intravenöse Sättigungsdosis von 25–30 mg/kg (basierend auf dem tatsächlichen Körpergewicht) vorgeschlagen, um schnell die avisierten Talspiegel zu erreichen. Eine Aufsättigungsdosis („loading dose“) von 1 g Vancomycin wird die frühzeitigen therapeutischen Konzentrationen bei einer signifikanten Untergruppe der Patienten nicht erreichen können. Tatsächlich sind Aufsättigungsdosen von Antibiotika mit niedrigem Distributionsvolumen (Teicoplanin, Vancomycin, Colistin) bei kritisch kranken Patienten gerechtfertigt, um schneller therapeutische Medikamentenkonzentrationen zu erreichen, was auf deren erweitertes extrazelluläres Volumen im Zusammenhang mit der Volumenexpansion nach der Flüssigkeitstherapie zurückzuführen ist [171,172,173,174,175]. Aufsättigungsdosen werden auch für β‑Laktame empfohlen, die als kontinuierliche oder langsam („extended“) verabreichte Infusionen verabreicht werden, um die Akkumulation des Medikaments in Bezug auf therapeutische Konzentrationen zu beschleunigen [176]. Zu beachten ist, dass die erforderliche Aufsättigungsdosis von antimikrobiellen Medikamenten nicht durch Änderungen der Nierenfunktion beeinträchtigt wird, obwohl dadurch die Verabreichungshäufigkeit und/oder die tägliche Gesamtdosis beeinflusst werden könnten.

Bei β‑Laktamen korreliert der wichtigste pharmakodynamische Parameter mit der mikrobiologischen und klinischen Reaktion. Dabei handelt es sich um die Zeit, in der die Plasmakonzentration des Medikaments die Pathogen-MIC im Verhältnis zum Dosisintervall übersteigt (T > MIC). Ein Mindestunterschied in Bezug auf T > MIC in Höhe von 60 % ist im Allgemeinen ausreichend, um ein gutes klinisches Ansprechen bei einer leichten bis mittelschweren Erkrankung zu ermöglichen. Ein optimales Ansprechen bei schweren Infektionen einschließlich Sepsis kann jedoch mit einem Unterschied in Bezug auf T > MIC in Höhe von 100 % erreicht werden [161]. Der einfachste Weg, um einen höheren Unterschied in Bezug auf T > MIC zu erreichen, besteht in einer erhöhten Dosisfrequenz (bei einer identischen täglichen Dosis). Beispielsweise kann Piperacillin/Tazobactam entweder in Höhe von 4,5 g alle 8 h oder 3,375 g alle 6 h bei schweren Infektionen dosiert werden. Wenn alle sonstigen Umstände übereinstimmen, würde durch die letztgenannte Dosis ein höherer Unterschied in Bezug auf T > MIC erreicht werden.

Wir haben zuvor vorgeschlagen, dass initiale Dosen an β‑Laktamen als Bolus oder Kurzinfusion verabreicht werden, um schnell eine therapeutische Blutkonzentration zu erreichen. Nach der initialen Dosis sollte jedoch bevorzugt eine verlängerte Infusion des Medikaments über mehrere Stunden (zur Erhöhung des Unterschieds in Bezug auf T > MIC) verabreicht werden, anstelle der dem Standard entsprechenden 30-minütigen Infusion, die von einigen Autoren empfohlen wird [177, 178]. Außerdem deuten manche Metaanalysen darauf hin, dass eine verlängerte/kontinuierliche Infusion von β‑Laktamen effektiver sein könnte als eine intermittierende Kurzinfusion, insbesondere bei relativ resistenten Organismen und Patienten mit Sepsis [162, 179,180,181]. Eine aktuelle individuelle Patientendatenmetaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien zum Vergleich von kontinuierlichen und intermittierenden Infusionen von β‑Laktam-Antibiotika bei Patienten mit schwerer Sepsis ergab einen unabhängigen schützenden Effekt einer kontinuierlichen Therapie nach Adjustierung um andere korrelierte Ergebnisdaten [162].

Während die vorliegende Evidenz pharmakokinetisch optimierte antimikrobielle Dosisstrategien bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock unterstützt, ist dies in der Praxis schwer umsetzbar, ohne dass schnelle Verfahren für ein therapeutisches Drugmonitoring verfügbar sind (d. h. Vancomycin, Teicoplanin und Aminoglykoside). Septische Patienten zeigen eine Vielfalt von physiologischen Störungen auf, die die Pharmakokinetik von Antiinfektiva beeinflussen. Dazu gehören eine instabile Hämodynamik, ein erhöhtes Herzzeitvolumen, ein erhöhtes extrazelluläres Volumen, eine variable Nieren- und Leberperfusion (die die Medikamentenclearance beeinträchtigen) und eine geänderte Medikamentenbindung aufgrund des reduzierten Serumalbumins [162]. Darüber hinaus könnte eine erhöhte renale Clearance zu einer verringerten antimikrobiellen Serumkonzentrationen in der frühen Phase der Sepsis führen. Basierend auf Studien mit therapeutischem Drugmonitoring ist eine Unterdosierung (insbesondere in der frühen Behandlungsphase) bei septischen Patienten häufig, wobei jedoch auch Medikamententoxizitäten, wie z. B. eine Irritation des zentralen Nervensystems beim Einsatz von β‑Laktamen und Nierenschäden bei der Verwendung von Colistin, zu berücksichtigen sind [182,183,184,185]. Dieses unterstreicht die Bedeutung eines erweiterten therapeutischen Drugmonitorings bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock.

D.7 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass eine kalkulierte Kombinationstherapie nicht routinemäßig zur Behandlung der Sepsis eingesetzt wird.

  • Bemerkungen: Davon ausgenommen sind Situationen, bei denen für die auslösende Infektion in den entsprechenden Leitlinien eine Kombinationstherapie empfohlen wird (z. B. Endokarditis, ambulant erworbene Pneumonie, Toxic-shock-Syndrom, ZNS-Infektionen, hohes Risiko für multiresistente Erreger).

  • SSC-Leitlinienadaptation und SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

D.8 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von einer Kombinationstherapie zur routinemäßigen Behandlung von neutropenischer Sepsis/Bakteriämie abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Die Bezeichnung „Kombinationstherapie“ im Kontext dieser Leitlinie bezieht sich auf die Verwendung von 2 verschiedenen Antibiotikaklassen (üblicherweise ein β‑Laktam mit einem Fluorchinolon, Aminoglykosid oder Makrolid) für ein einzelnes Pathogen, von dem erwartet wird, dass dieses eine hohe Empfindlichkeit auf beide Wirkstoffe aufweist und dass durch die Kombination die Clearance des Pathogens beschleunigt wird. Der Begriff wird nicht in Fällen verwendet, in denen der Zweck einer Kombinationstherapie ausdrücklich darin besteht, das Spektrum der antimikrobiellen Aktivität zu erweitern (z. B. Vancomycin in Ergänzung zu Ceftazidim, Metronidazol in Ergänzung zu einem Aminoglykosid oder ein Echinocandin in Ergänzung zu einem β‑Laktam).

Eine Studie hat mittels Propensity-matching-Verfahren bzw. Metaanalyse/Metaregressionsanalyse Hinweise darauf gegeben, dass eine Kombinationstherapie mit einer höheren Überlebensrate bei schwer erkrankten Patienten mit einem hohen Sterberisiko assoziiert ist, insbesondere bei Patienten mit septischem Schock [186, 187]. Die Metaregressionsstudie [186] wies auf den Nutzen einer Kombinationstherapie bei Patienten mit einem Mortalitätsrisiko von mehr als 25 % hin. Ebenso haben diverse Beobachtungsstudien einen Überlebensvorteil mit hohem Sterberisiko aufgezeigt [188,189,190,191]. Die zuvor erwähnte Metaregressionsanalyse hat jedoch auch auf die Möglichkeit eines erhöhten Sterberisikos bei Verwendung einer Kombinationstherapie bei Niedrigrisikopatienten (Mortalitätsrisiko <15 %) ohne septischen Schock hingewiesen [186]. Eine kontrollierte Studie zeigte, dass bei der Verwendung eines Carbapenems als empirische Therapie bei einer Population mit einem niedrigen Infektionsrisiko in Bezug auf resistente Mikroorganismen die Kombination mit einem Fluorchinolon nicht zu einer Verbesserung des Outcomes führt [192]. Trotz der insgesamt vorteilhaften Evidenz für eine Kombinationstherapie bei septischem Schock steht keine direkte Evidenz aus RCT mit angemessener Aussagekraft zur Verfügung. Möglicherweise ist bei septischem Schock eine vorübergehende Kombinationstherapie nützlich [175, 186, 187]. Dagegen gibt es auch keine Hinweise für ein besseres klinisches Outcome bei Patienten mit Bakteriämie und Sepsis ohne Schock.

Eine Reihe von weiteren Beobachtungsstudien und einige kleine prospektive Studien unterstützen eine initiale Kombinationstherapie für ausgewählte Patienten mit spezifischen Pathogenen (z. B. schwere Pneumokokkeninfektion, multiresistente gramnegative Pathogene; [191, 193,194,195,196,197,198,199]). Leider ist das verursachende Pathogen in den meisten Fällen nicht bekannt. Daher ist eine Kombinationstherapie in Bezug auf spezifische identifizierte Pathogene nur sinnvoll, wenn eine längere, gezielte Kombinationstherapie in Betracht gezogen wird. Bei Vorliegen von multiresistenten Pathogenen hat eine Kombinationstherapie keine eindeutigen Vorteile. Außerdem führen sowohl individuelle Studien als auch Metaanalysen im Hinblick auf multiresistente Pathogene zu variablen Ergebnissen in Abhängigkeit vom Pathogen und dem klinischen Szenario [196, 198,199,200,201]. Eine Konsultation durch einen Infektiologen kann ratsam sein, wenn ein Verdacht auf multiresistente Pathogene besteht. Breiter Konsens in Bezug auf die Nutzung einer spezifischen Form einer Kombinationstherapie besteht beim toxischen Streptokokkenschocksyndrom [139, 202, 203].

Obwohl die Datenlage den Nutzen einer initialen Kombinationstherapie bei septischem Schock unterstützt, wurde die Wirksamkeit einer weiterführenden anhaltenden Behandlung schwerer Infektionen (einschließlich Bakteriämie und Sepsis ohne septischen Schock) bisher nicht nachgewiesen [204]. Der Begriff „anhaltende Behandlung“ beinhaltet eine erweiterte empirische Therapie bei kulturnegativen Infektionen und eine erweiterte definitive/gezielte Therapie in Fällen, in denen ein Pathogen identifiziert wurde. Im Fall einer Neutropenie unter Abwesenheit eines septischen Schocks deuten Studien unter Verwendung moderner Breitspektrumantibiotika durchgängig darauf hin, dass eine Kombinationstherapie zur Erweiterung der Pathogenabdeckung (z. B. unter Einbeziehung von Kandidaspezies) zwar hilfreich sein kann, eine Kombinationstherapie unter Verwendung eines β‑Laktams und eines Aminoglykosids aber nicht vorteilhaft für weniger schwer erkrankte „Niedrigrisikopatienten“ ist [205]. Eine Kombinationstherapie dieser Art wird sogar für „Hochrisikopatienten“ mit Neutropenie (einschließlich einer hämodynamischen Instabilität und Organversagen), bei denen eine Sepsis vorliegt, von verschiedenen internationalen Expertengruppen nicht durchgängig unterstützt [136].

Daten hoher Qualität bezüglich der klinisch gesteuerten Deeskalation der antimikrobiellen Therapie bei schweren Infektionen stehen nur begrenzt zur Verfügung [206]. Eine frühzeitige Deeskalation der antimikrobiellen Therapie im Kontext einer Kombinationstherapie ist bisher noch nicht untersucht worden. Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass eine frühzeitige Deeskalation einer Kombinationstherapie mit äquivalenten oder überlegenen Ergebnissen bei Sepsis und septischem Schock verbunden ist [83, 207, 208], wobei mindestens eine Studie auf eine erhöhte Häufigkeit einer Superinfektion und längere Aufenthalte auf der ITS hinwies [209]. Eine frühzeitige Deeskalation kann zu Vorteilen für den einzelnen Patienten führen [210,211,212]. Obwohl die Daten nicht vollumfänglich konsistent sind, spricht vieles für eine frühzeitige Deeskalation bei der Nutzung einer Kombinationstherapie.

Während wesentliche Übereinstimmung dahingehend besteht, dass ein Bedarf für eine frühzeitige Deeskalation einer Kombinationstherapie vorhanden ist, mangelt es an einer Übereinkunft bezüglich präziser Kriterien für eine Deeskalation. Ansätze, die genutzt werden können, sind u. a. a) klinische Besserung (Abklingen des Schocks, Rückgang des Vasopressorbedarfs etc.), b) Rückgang von Infektionszeichen (insbesondere Prokalzitonin) und c) eine festgelegte Dauer der Kombinationstherapie.

D.9 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen eine antimikrobielle Behandlungsdauer von 7–10 Tagen für die meisten Infektionen, die mit Sepsis oder septischem Schock assoziiert sind, vor.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 92 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

D.10 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen eine längere Behandlungsdauer (mind. 14 Tage) für Patienten mit Staphylococcus-aureus-Bakteriämie.

  • SSC-Leitlinienadaptation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

D.11 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen eine längere Behandlungsdauer für Patienten mit verzögertem Therapieansprechen, mit persistierenden Infektionsherden, mit bestimmten Pilz- und Virusinfektionen oder mit Immundefizienz einschließlich Neutropenie vor.

  • SSC-Leitlinienadaptation und SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

D.12 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen eine kürzere Behandlungsdauer bei Patienten mit schnellem klinischem Therapieansprechen, nach einer effektiven Fokuskontrolle bei intraabdomineller oder urogenitaler Sepsis und bei anatomisch unkomplizierter Pyelonephritis vor.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

D.13 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen eine tägliche Beurteilung hinsichtlich der Deeskalation der antimikrobiellen Therapie bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die unnötige therapeutische Nutzung von antimikrobiellen Substanzen trägt zur Entstehung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen bei [213]. Beim einzelnen Patienten kann sie Erkrankungen wie z. B. eine C.-difficile-Kolitis auslösen [212] und ist mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert, für das es noch keine hinreichenden wissenschaftlichen Erklärungen gibt [83].

Obwohl Patientenfaktoren die Länge der Antibiotikatherapie beeinflussen, ist eine Behandlungsdauer von 7–10 Tagen im Allgemeinen für die schwersten Infektionen angemessen [133, 214,215,216]. Die aktuellen Richtlinien empfehlen eine 7‑tägige Behandlungsdauer bei nosokomialer Pneumonie (sowohl bei einer im Krankenhaus erworbenen als auch bei einer beatmungsassoziierten Pneumonie [VAP]; [133]). Aktuelle Daten deuten darauf hin, dass einige schwere Infektionen sogar noch kürzer behandelt werden können, insbesondere, wenn eine Fokussanierung erfolgreich umgesetzt werden konnte [217, 218]. Bei abdomineller Sepsis zeigte eine Subgruppenanalyse schwerstkranker Patienten (Acute-physiologic-and-chronic-health-evaluation[APACHE]-II-Score größer als 15 oder 20) keine Nachteile einer Kurzzeitbehandlung mit Antibiotika [217, 219]. Eine Behandlungsdauer von 3–5 Tagen oder eine noch kürzere Behandlungsdauer waren ebenso wirksam wie eine Behandlungsdauer von bis zu 10 Tagen. Des Weiteren haben Studien gezeigt, dass eine Behandlungsdauer von <7 Tagen ebenso wirksam ist wie eine längere Behandlungsdauer, was das Management einer akuten Pyelonephritis mit oder ohne Bakteriämie [218], einer unkomplizierten Zellulitis [220] und einer spontanen bakteriellen Peritonitis betrifft [221]. Bei manchen Erkrankungen ist eine längere antimikrobielle Therapie erforderlich. Dazu gehören ein langsames klinisches Ansprechen, nichtdrainierbare Infektionsherde, eine Bakteriämie mit Staph. aureus (einschließlich MRSA; [96, 134]), eine Candidämie bzw. eine invasive Candidiasis [135] und andere Pilzinfektionen, einige Virusinfektionen (z. B. Herpes, Zytomegalievirus) und Immundefizite einschließlich Neutropenie [222].

Die Art des infizierenden Pathogens spielt ebenfalls eine Rolle. Eine unkomplizierte Staph.-aureus-Bakteriämie erfordert eine mindestens 14-tägige Therapie, während die Behandlungsdauer für eine komplizierte Bakteriämie als endovaskuläre Infektion bei 6 Wochen liegt. Eine unkomplizierte Bakteriämie ist folgendermaßen definiert: 1) Ausschluss einer Endokarditis; 2) keine implantierten Prothesen; 3) negative Kontrollblutkulturen, die 2–4 Tage nach dem initialen Blutkulturset entnommen wurden; 4) Entfieberung innerhalb von 72 h nach dem Ansetzen einer effektiven Antibiotikatherapie und 5) kein Nachweis einer metastasierenden Infektion [134]. Patienten mit Candidämie (entweder katheterassoziiert oder nicht) und tiefen Kandidainfektionen, die entweder mit einer Sepsis einhergehen oder nicht, benötigen eine längere Therapie [135, 223]. Hochresistente gramnegative Pathogene mit einer marginalen Sensitivität gegenüber den verwendeten Antimikrobiotika werden nur langsam eliminiert. Die Art und die Lokalisation der Infektion kann ebenfalls die Therapiedauer beeinflussen. Größere Abszesse und Osteomyelitis verfügen über eine begrenzte Medikamentenpenetration und erfordern eine längere Therapie. Obwohl allgemein bekannt ist, dass eine Endokarditis eine längere antimikrobielle Therapie erfordert, zeigt sich eine schwere Erkrankung typischerweise eher als Herzinsuffizienz/kardiogener Schock und Embolie als in Form einer Sepsis oder eines septischen Schocks [224]. Eine Vielzahl an anderen Faktoren kann die optimale Therapiedauer beeinflussen. Im Zweifelsfall sollte ein infektiologisches Konsil veranlasst werden.

Nur wenige Studien wurden dezidiert bei Patienten mit septischem Schock und Sepsis durchgeführt. Die Standardempfehlungen zur Therapiedauer beruhen in der Regel auf Studien mit weniger schwer kranken Kohorten.

Es gibt viele Gründe für eine unnötig lange antimikrobielle Therapie. Bei komplizierten, kritisch erkrankten Patienten, die mit schweren Infektionen aufgenommen werden, können eine nichtinfektiöse gleichzeitige Erkrankung und medizinische Eingriffe Anzeichen und Symptome hervorrufen, die im Einklang mit einer aktiven Infektion stehen (auch nach der Kontrolle der Infektion). Beispielsweise können Lungeninfiltrate und Kurzatmigkeit durch Lungenödeme verursacht werden, die neben einer Pneumonie bestehen, eine erhöhte Anzahl an weißen Blutkörperchen kann infolge der Verabreichung von Kortikosteroiden oder nach physiologischem Stress auftreten und Fieber kann mit bestimmten Medikamenten im Zusammenhang stehen, zu denen β‑Laktame und Phenytoin gehören. Wie jedoch bereits dargestellt wurde, stellen Antimikrobiotika keine harmlose Therapieform dar. Bei Niedrigrisikopatienten können die Nebenwirkungen einen etwaigen Nutzen überwiegen. Angesichts des potenziellen Schadens, der mit unnötig langen antimikrobiellen Therapien verbunden sein kann, wird eine tägliche Beurteilung hinsichtlich einer Deeskalation der antimikrobiellen Therapie bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock empfohlen. Studien haben gezeigt, dass eine tägliche Erwägung einer antimikrobiellen Deeskalation effektiv ist und mit einer Verbesserung der Mortalitätsraten verbunden sein kann [84, 234].

D.14 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, Messungen des Prokalzitoninwerts vorzunehmen, um die Dauer der antimikrobiellen Therapie bei Sepsispatienten zu verkürzen. Ausgenommen davon sind Patienten mit Infektionen, die eine längere Therapie erfordern (D.7).

  • SSC-Leitlinienmodifikation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Die Nutzung von Galactomannan und β‑D-Glucan ist bei der Beurteilung von invasivem Aspergillus (und einem breiten Spektrum von Pilzpathogenen) etabliert [226, 227]. Ebenso werden Messungen des Serumprokalzitonins in vielen Teilen der Welt ergänzend genutzt, um eine akute Infektion zu diagnostizieren und die Dauer der antimikrobiellen Therapie festzulegen. Diverse prokalzitoninbasierte Algorithmen werden verwendet, um die Deeskalation der antimikrobiellen Therapie bei schweren Infektionen und Sepsis zu steuern [228,229,230,231,232,233]. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass ein bestimmter Algorithmus einen klinischen Vorteil gegenüber einem anderen Algorithmus besitzt. Ein großer Teil der Literatur legt nahe, dass die Nutzung derartiger Algorithmen die sichere antimikrobielle Deeskalation im Vergleich zu klinischen Standardansätzen ohne negative Auswirkungen auf die Mortalität beschleunigen kann. Vor Kurzem hat eine große randomisierte Studie zur Prokalzitoninnutzung bei kritisch kranken Patienten mit vermuteter bakterieller Infektion eine Reduzierung der Behandlungsdauer mit Antibiotika nachgewiesen [234]. In Anbetracht des Studiendesigns könnte die Reduzierung jedoch auch im Zusammenhang mit einem „soufflierten“ Effekt stehen, der bereits bei anderen Studien beobachtet wurde [84, 235]. Des Weiteren zeigte die Prokalzitoningruppe eine signifikante Reduzierung der Mortalität. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit Studien, die einen Zusammenhang zwischen einer frühzeitigen antimikrobiellen Deeskalation und der Überlebensrate im Rahmen von Beobachtungsstudien zu Sepsis und septischem Schock demonstriert haben [83, 84]. Dieser Vorteil ist jedoch als ungesichert zu betrachten, da eine andere Metaanalyse von RCT zur Deeskalation keinen ähnlichen Vorteil in Bezug auf die Überlebensrate nachweisen konnte [236].

Es gilt nicht als erwiesen, dass die Nutzung von Prokalzitonin das Risiko von antibiotikaverbundener Diarrhö durch C. difficile reduziert. Es ist jedoch bekannt, dass das Auftreten einer C.-difficile-Kolitis im Zusammenhang mit der kumulativen Antibiotikaexposition bei individuellen Patienten steht [212], sodass ein derartiger Vorteil wahrscheinlich ist. Obwohl bisher nicht nachgewiesen wurde, dass die Prävalenz einer antimikrobiellen Resistenz durch die Nutzung von Prokalzitonin reduziert wird, ist bekannt, dass die Entwicklung einer antimikrobiellen Resistenz im Zusammenhang mit dem Gesamtverbrauch von Antiinfektiva steht [213].

Es ist wichtig zu beachten, dass Prokalzitonin und alle anderen Biomarker nur unterstützende und ergänzende Daten zur klinischen Beurteilung zur Verfügung stellen können. Entscheidungen bezüglich des Ansetzens, der Änderung oder des Absetzens einer antimikrobiellen Therapie sollten niemals ausschließlich auf Grundlage von Veränderungen von Biomarkern (einschließlich Prokalzitonin) getroffen werden.

E. Fokuskontrolle

E.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass nach einem sanierbaren Fokus, einschließlich Fremdmaterialien, schnell und gezielt gesucht wird und ggf. eine operative/interventionelle Fokussanierung so schnell wie medizinisch und logistisch möglich erfolgen soll.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Fundamentale Prinzipien der Fokuskontrolle beinhalten die schnelle Identifikation des Infektionsherds und dessen potenzielle chirurgische oder interventionelle Sanierung (insbesondere Abszessdrainage, Débridement von infiziertem nekrotischem Gewebe, Entfernung von potenziell infizierten Devices; [237]). Zu den Infektionsherden, die gut auf Fokuskontrollmaßnahmen ansprechen, gehören intraabdominelle Abszesse, gastrointestinale Perforationen, Darmischämie oder -volvulus, Cholangitis, Cholezystitis, mit einer Obstruktion oder einem Abszess verbundene Pyelonephritis, eine nekrotisierende Weichteilinfektion, andere tiefe Infektionen (z. B. Empyem oder septische Arthritis) sowie Infektionen von Implantaten.

Potenzielle Infektionsherde sollten so schnell wie möglich nach einer initialen Volumentherapie saniert werden [238, 239]. Ein Zeitfenster von nicht mehr als 6–12 h nach der Diagnose scheint in den meisten Fällen auszureichend zu sein.

Die klinische Erfahrung hat gezeigt, dass sich auch bei schwerstkranken Patienten eine Stabilisierung nur durch eine angemessene Fokuskontrolle erreichen lässt und nicht durch eine Erweiterung von supportiven oder antimikrobiellen Maßnahmen allein [138].

Bei der Auswahl von geeigneten Maßnahmen zur Fokuskontrolle müssen die Vorteile und Risiken einer spezifischen Intervention, das mit der Intervention verbundene Transportrisiko und die Erfolgswahrscheinlichkeit der betreffenden Maßnahme abgewogen werden. Die Interventionen können weitere Komplikationen verursachen wie z. B. Blutungen, Fisteln oder versehentliche Organverletzungen. Im Allgemeinen sollte die am wenigsten invasive Option angestrebt werden. Ein offener chirurgischer Eingriff sollte in Betracht gezogen werden, wenn andere Interventionsansätze nicht geeignet sind oder nicht zeitgerecht zur Verfügung stehen. Eine chirurgische Exploration kann auch indiziert sein, wenn der Infektionsherd trotz erfolgter Bildgebung nicht gesichert werden kann.

E.2 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen das unverzügliche Entfernen intravaskulärer Zugänge, die einen möglichen Ausgangspunkt für die Sepsis oder den septischen Schock darstellen.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Intravasale Zugänge wie zentrale Venenkatheter können Ausgangspunkt einer Sepsis oder eines septischen Schocks sein. Ein intravasaler Zugang sollte im Allgemeinen unverzüglich entfernt werden, nachdem ein anderer intravasaler Zugang gelegt wurde. Patienten mit implantierten, getunnelten Kathetern können mit einer längeren antimikrobiellen Therapie behandelt werden, falls kein septischer Schock oder keine Fungämie vorliegt und eine Entfernung des Katheters nicht praktikabel ist. Eine Entfernung des Katheters ist primär jedoch immer anzustreben.

F. Flüssigkeitstherapie

F.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass eine Flüssigkeitstherapie nach dem „Fluid-challenge“-Prinzip angewendet wird, bei der die Flüssigkeitsgabe fortgesetzt wird, solange Zeichen einer Hypoperfusion vorliegen.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die intravenöse Volumentherapie ist ein Eckpfeiler der modernen Therapie. Dennoch ist nur wenig Evidenz aus RCT verfügbar, die diese Praxis unterstützen würde. Eine Studie an (meist an Malaria erkrankten) Kindern in Afrika in einer Umgebung, in der andere supportive Maßnahmen nur sehr begrenzt verfügbar sind, stellte diese Praxis infrage [240]. Wir glauben jedoch, dass eine Extrapolation dieser Daten in Bezug auf Patienten in Regionen mit besserer medizinischer Versorgung nicht gerechtfertigt ist, und empfehlen daher, eine Euvolämie mit intravenösen Flüssigkeiten wiederherzustellen. Dieses sollte initial rasch erfolgen und dann zurückhaltend, sobald sich der Patient stabilisiert. Eine anhaltend positive Flüssigkeitsbilanz auf der Intensivstation ist mit einem schlechteren Outcome verbunden [241,242,243,244,245]. Daher sollte über die initiale Volumentherapie nur weiter Volumen verabreicht werden, wenn davon auszugehen ist, dass der Patient davon profitieren wird.

Abweichend von der SSC-Leitlinie wird als Ziel der weiterführenden Volumentherapie nicht die fortgesetzte Optimierung der hämodynamischen Faktoren, sondern die Vermeidung einer Hypoperfusion in den Vordergrund gestellt.

F.2 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen Kristalloide als initiale Flüssigkeitstherapie erster Wahl und eine anschließende intravaskuläre Volumenersatztherapie bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzqualität: moderat

Begründung.

Beim Fehlen von eindeutigen Vorteilen einer Verabreichung von kolloidalen Volumenersatzlösungen im Vergleich zu kristalloiden Lösungen und in Anbetracht hoher Kosten für Albuminlösungen wird eine starke Empfehlung für eine Verwendung von kristalloiden Volumenersatzlösungen in der initialen Flüssigkeitstherapie von Patienten mit Sepsis und septischem Schock ausgesprochen.

F.3 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen die Verwendung von balancierten Kristalloiden für die Flüssigkeitstherapie von Patienten mit Sepsis oder septischem Schock. 0,9 %ige Kochsalzlösung sollte nicht verwendet werden.

  • SSC-Leitlinienmodifikation; Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzqualität: moderat

Begründung.

Zur Fragestellung, welche kristalloide Lösung zur Flüssigkeitstherapie bei Patienten mit Sepsis oder septischen Schock besser geeignet ist, sind bislang nur wenige Daten aus klinischen Studien vorhanden. Yunos et al. untersuchten in zwei prospektiven Observationsstudien in einem Prä-/Post-Design die Auswirkungen eines Chlorid-basierten Infusionsregimes mit den Auswirkungen eines Chloridrestriktiven Infusionsregimes bei kritisch kranken Intensivpatienten [246, 247]. In diesen Studien wurden 1567 bzw. 2994 Intensivpatienten eingeschlossen. Die Verwendung eines chloridrestriktiven Regimes konnte in beiden Studien das Auftreten eines „acute kidney injury“ (AKI) im Stadiums 2 und 3 sowie die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie signifikant vermindern, während sich bezüglich der Krankenhaussterblichkeit oder der Liegedauer auf der ITS keine Unterschiede zeigten. Eine aktuelle RCT zum Vergleich von balancierten Lösungen (Ringer-Lösung oder Plasma-Lyte-A-Lösung) mit 0,9 %igem NaCl an insgesamt 15.802 kritisch kranken Patienten zeigte bezüglich einem kombinierten Endpunkt (Sterblichkeit, neue Nierenersatztherapie und anhaltende Nierenfunktionsstörung) signifikante Vorteile. Insbesondere in der Subgruppe mit Sepsis oder septischem Schock (ca. 15 % aller Patienten) zeigte sich ein signifikant besseres Ergebnis für die balancierten Lösungen (OR 0,8; KI 0,67–0,94, p = 0,01; [248]). Demgegenüber steht eine Metaanalyse von allerdings minderer Qualität von Rochwerg et al., die keinen Unterschied zwischen balancierten kristalloiden Lösungen und 0,9 %iger NaCl-Lösung bezüglich Sterblichkeit und Indikation zur Nierenersatztherapie aufzeigt [249]. In einer weiteren Studie (SPLIT-Trial) mit 2278 Intensivpatienten konnten keine positiven Effekte einer balancierten Lösung im Vergleich zu einer 0,9 %igen NaCl-Lösung gefunden werden. Diese Studie ist bezüglich der Aussagefähigkeit bei Sepsis jedoch stark eingeschränkt, da lediglich 3,7 % (n = 84) der Patienten eine Sepsis aufwiesen [250]. Inkludiert man die aktuelle Studie von Semler et al. in die Evidenztabelle, so ergibt sich bezüglich der Sterblichkeit kein Unterschied zwischen den beiden Lösungen (OR 0,89; KI 0,74–1,04) bezüglich des Auftretens einer schweren Nierenschädigung. Insgesamt besteht ein Vorteil für die balancierten Lösungen (OR 0,85; KI 0,74–0,98) auf moderatem Evidenzniveau [251].

Der Empfehlungsgrad „starke Empfehlung“ für balancierte Lösungen trägt dem Umstand Rechnung, dass zwar im Hinblick auf den isolierten Endpunkt Sterblichkeit für Patienten mit Sepsis und septischem Schock kein positiver Effekt gezeigt werden konnte, aber bei kombinierten Studienendpunkten und bezüglich der Vermeidung oder Verminderung von Organdysfunktion (Niere) die erwiesenen positiven Effekte der balancierten kristalloiden Lösungen überzeugen.

F.4 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass von einer Verwendung von Albumin oder Gelatine bei der Behandlung von Patienten mit septischem Schock abgesehen wird, sofern eine adäquate Flüssigkeitstherapie mit Kristalloiden in der Lage ist, die hämodynamische Stabilität zu erreichen. Für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, schlagen wir den ergänzenden Einsatz von Albumin oder Gelatine vor.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzqualität: niedrig

Begründung.

Zu der Fragestellung, ob kolloidale Lösungen in Kombination mit einer kristallinen Lösung als Flüssigkeitstherapie bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock vorteilhaft sind, liegen nur wenige Daten aus klinischen Studien vor. Die Ergebnisse einer RCT [252] zeigen einen Vorteil von Kolloiden inklusive von HES in der 90-Tage-Sterblichkeit auf. Da jedoch als primäres Studienziel der CRISTAL-Studie ein Unterschied in der 28-Tage-Sterblichkeit definiert worden war, handelt es sich um ein methodisch negatives Ergebnis. Metaanalysen konnten zeigen, dass auch der Einsatz von Gelatine im Vergleich zu Kristalloiden/HES/Albumin nicht mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko oder einem erhöhten Risiko für eine Nierendysfunktion assoziiert ist. In einer RCT war die Gabe von Gelatine im Vergleich zu 6 % HES 200/0,62 bei septischen Patienten mit weniger renaler Dysfunktion assoziiert. 4 % Albumin war bei septischen Patienten in einer australischen Studie nichtsignifikant (p = 0,09) besser als 0,9 % NaCl.

Es ist also kaum Evidenz für den Einsatz von Albumin oder Gelatine vorhanden. Hierzu sind die Ergebnisse von laufenden großen RCT mit Albumin und Gelatine bei septischen Patienten abzuwarten (z. B. GENIUS-Studie, NCT02715466).

Angesichts der schwachen Beweislage für oder gegen den Einsatz von Albumin und/oder Gelatine ermöglicht die Änderung der Empfehlung F.4 Intensivmedizinern die Entscheidung für den zusätzlichen kolloidalen Volumenersatz mit Gelatine oder Albumin bei kritisch kranken und septischen Patienten. Diese Empfehlung mit dem Empfehlungsgrad „schwache Empfehlung“ für Albumin und/oder Gelatine trägt dem Umstand Rechnung, dass zwar im Hinblick auf den isolierten Endpunkt Sterblichkeit für die Gruppe der Patienten mit Sepsis und septischem Schock keine positiven Effekte gezeigt werden konnten, aber in der CRISTAL-Studie bei der Verwendung von Kolloiden in dieser Phase ein signifikanter Outcomevorteil nach 90 Tagen aufgezeigt werden konnte; dieses vor dem Hintergrund, dass in der Intensivmedizin die schnelle Stabilisierung der Hämodynamik kritisch kranker Patienten mit Schock innerhalb der ersten 6 h outcomerelevant ist [252].

F.5 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von der Verwendung von Hydroxyethylstärke zur intravaskulären Volumenersatztherapie bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzqualität: hoch

Begründung.

HES-Lösungen sind Kolloide, bei denen Sicherheitsbedenken bei Patienten mit Sepsis bestehen. Eine Metaanalyse von 9 Studien (3456 Patienten), in denen 6%iges HES 130/0,38–0,45 mit Kristalloiden oder Albumin bei Patienten mit Sepsis verglichen wurden, ergab keinen Unterschied in Bezug auf die Mortalität aller Ursachen (RR 1,04; 95 %-KI 0,89–1,22; [253]). Wurden jedoch diese Studien mit geringem Verzerrungspotenzial separat analysiert, führte die Nutzung von HES zu einem höheren Sterberisiko im Vergleich zu anderen Flüssigkeiten (RR 1,11; 95 %-KI 1,01–1,22; hohe Evidenzqualität). Dies entspricht 34 zusätzlichen Todesfällen pro 1000 Patienten. Des Weiteren führte die HES-Nutzung zu einem höheren Risiko für eine Behandlung mit Nierenersatztherapien (RR 1,36; 95 %-KI 1,08–1,72; hohe Evidenzqualität).

Eine anschließende Metaanalyse konzentrierte sich auf die akute Flüssigkeitstherapie bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock und ergab, dass HES zu einem höheren Sterberisiko (10 RCT; OR 1,13; CrI 0,99–1,30; hohe Evidenzqualität) und Bedarf einer Nierenersatztherapie (7 RCT; OR 1,39; CrI 1,17–1,66; hohe Evidenzqualität) im Vergleich zu Kristalloiden führte. Beim Vergleich von Albumin mit HES führte Albumin zu einem geringeren Sterberisiko (OR 0,73; CrI 0,56–0,93; mittlere Evidenzqualität) und zu einer Tendenz in Richtung eines geringeren Bedarfs an Nierenersatztherapien (OR 0,74; CrI 0,53–1,04; geringe Evidenzqualität; [249]). Die unerwünschten Folgen der Verwendung von HES (erhöhtes Sterberisiko und Bedarf für eine Nierenersatztherapie) und die mittlere bis hohe Qualität der entsprechenden Evidenz begründen die starke Empfehlung gegen die Nutzung von HES in der Flüssigkeitstherapie von Patienten mit Sepsis oder septischem Schock.

G. Vasoaktive Medikation

Neben der Flüssigkeitstherapie stellt die Anwendung von vasoaktiven Substanzen eine wichtige Strategie in der raschen hämodynamischen Stabilisierung bei Sepsis und septischen Schock dar. Die physiologischen Effekte von Vasopressoren und einer kombinierten Auswahl von inotropen Medikamenten und Vasopressoren bei septischem Schock wurden in einer großen Anzahl von Literaturreviews beschrieben.

G.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen Noradrenalin als Vasopressor erster Wahl.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Die physiologischen Effekte von Vasopressoren und einer Kombination von inotropen Medikamenten und Vasopressoren bei septischem Schock wurden in mehreren Reviews beschrieben [254,255,256,257,258,259,260,261,262,263, 686].

Norepinephrin erhöht den MAP aufgrund seiner vasokonstriktiven Wirkungen bei geringen Veränderungen der Herzfrequenz und einer geringeren Zunahme des Schlagvolumens im Vergleich zu Dopamin. Dopamin erhöht den MAP und das Herzzeitvolumen (HZV), was hauptsächlich auf eine Erhöhung des Schlagvolumens und der Herzfrequenz zurückzuführen ist. Norepinephrin ist potenter als Dopamin und kann bei der Behandlung von Hypotonie bei Patienten mit septischem Schock wirksam sein. Bei Patienten mit beeinträchtigter systolischer Funktion kann Dopamin besonders hilfreich sein, wobei es jedoch mehr Tachykardien verursacht und arrhythmogener zu sein scheint als Norepinephrin [264]. Es kann zudem die endokrine Reaktion über die Hypothalamus-Hypophysen-Achse beeinflussen und immunsuppressive Effekte haben [265]. Ein aktuelles systematisches Review und eine Metaanalyse, die 11 randomisierte Studien umfassten (n = 1710) und einen Vergleich von Norepinephrin mit Dopamin beinhalteten, befürworteten die Verwendung von Dopamin bei der Behandlung von septischem Schock nicht [266]. Tatsächlich führte die Nutzung von Norepinephrin zu einer verringerten Mortalität (RR 0,89; 95 %-KI 0,81–0,98, hohe Evidenzqualität) und einem geringeren Risiko für Arrhythmien (RR 0,48; 95 %-KI 0,40–0,58; hohe Evidenzqualität) im Vergleich zu Dopamin.

Studien deuten darauf hin, dass eine Epinephrininfusion schädliche Auswirkungen auf die Durchblutung des Splanchnikusgebiets haben und eine Hyperlaktatämie verursachen könnte. Klinische Studien haben jedoch keine Verschlechterung der klinischen Ergebnisse nachgewiesen. Eine RCT, in der Norepinephrin mit Epinephrin verglichen wurde, ergab keinen Unterschied in der Mortalität, wies aber eine Zunahme der medikamentenbezogenen Nebenwirkungen bei der Nutzung von Epinephrin nach [267]. Auch eine Metaanalyse von 4 randomisierten Studien (n = 540), in denen Norepinephrin mit Epinephrin verglichen wurde, wies keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Mortalität nach (RR 0,96; KI 0,77–1,21; niedrige Evidenzqualität; [266]). Epinephrin kann die aerobe Laktatproduktion erhöhen, indem es die adrenergen Skelettmuskel‑β2-Rezeptoren stimuliert, und könnte auf diese Weise die Nutzung der Laktatclearance ausschließen, was die Steuerung der Flüssigkeitstherapie betrifft.

G.2 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass entweder Vasopressin oder Epinephrin zu Norepinephrin ergänzt wird, wenn mit Noradrenalin allein kein ausreichender Blutdruck erzielt werden kann.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Die Vasopressinserumkonzentrationen bei Patienten mit septischem Schock sind unangemessen erniedrigt.

Niedrige Vasopressindosen können bei Patienten, die einen refraktären Schock unter anderen Vasopressoren aufweisen, den Blutdruck steigern und weisen zusätzliche physiologische Vorteile auf [268,269,270,271,272]. Terlipressin hat eine ähnliche Wirkung, ist aber langanhaltend wirksam [273]. Studien zeigten, dass die Vasopressinplasmakonzentrationen im frühen septischen Schock erhöht sind, aber bei der Mehrheit der Patienten nach 24–48 h in den normalen Wertebereich zurückgehen, während der Schockzustand andauert [274]. Dieses Ergebnis wird als relative Vasopressindefizienz bezeichnet, da zu erwarten wäre, dass die Vasopressinkonzentration bei Vorliegen einer Hypotonie erhöht sein würde. Die klinische Bedeutung dieser Befunde ist unzureichend untersucht.

Die VASST-Studie, eine RCT, in der Norepinephrin als Monosubstanz mit Norepinephrin plus Vasopressin in einer Dosierung von 0,03 U/min verglichen wurde, ergab keinen Unterschied in Bezug auf das Ergebnis in der Intent-to-treat-Population [275]. Eine geplante A‑priori-Subgruppenanalyse zeigte eine Verbesserung der Überlebensrate bei jenen Patienten, die bei Randomisierung Norepinephrin in einer Dosierung von <15 µg/min zusätzlich zu Vasopressin erhielten. Die Rationale für diese Stratifizierung bei Studienplanung war jedoch auf einen potenziellen Nutzen bei den Patienten angelegt, die ≥15 µg/min Norepinephrin benötigten. Höhere Dosen von Vasopressin sind mit kardialer und Splanchnikusischämie verbunden und sollten Situationen vorbehalten bleiben, in denen alternative Vasopressoren versagt haben [269].

In der VANISH-Studie wurden 409 Patienten mit septischem Schock im Rahmen eines faktoriellen (2 × 2) Designs randomisiert der Behandlung mit Vasopressin in Kombination mit Placebo oder Hydrokortison oder Norepinephrin mit Placebo oder Hydrokortison zugewiesen. Es wurde kein signifikanter Unterschied in Bezug auf die Tage ohne Nierenversagen oder Tod festgestellt. Allerdings wurde in der Vasopressingruppe seltener eine Nierenersatztherapie durchgeführt [276]. Wir haben eine aktualisierte Metaanalyse durchgeführt, in der die Ergebnisse der VANISH-Studie einbezogen wurden. Daten aus 9 Studien (n = 1324 Patienten mit septischem Schock), in denen Norepinephrin mit Vasopressin (oder Terlipressin) verglichen wurde, demonstrierten keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Mortalität (RR 0,89; 95 %-KI 0,79–1,00; mittlere Evidenzqualität; [269, 272, 273, 277,278,279]). Die Ergebnisse fielen ähnlich aus, nachdem Studien ausgeschlossen wurden, die eine Kombination aus Norepinephrin und Vasopressin im Interventionsarm verwendet hatten (RR 0,89; 95 %-KI 0,77–1,02).

Es mangelt an großen Studien, in denen Vasopressin mit anderen Vasopressoren bei septischem Schock verglichen wurde. Die zu Vasopressin publizierten Daten unterstützen mehrheitlich einen Einspareffekt in Bezug auf die Norepinephrindosis. Im Hinblick auf den Effekt von Vasopressin auf die Mortalität besteht Unsicherheit. Norepinephrin bleibt daher der Vasopressor erster Wahl in der Behandlung von Patienten mit septischem Schock. Wir empfehlen nicht die Nutzung von Vasopressin als Erstlinienvasopressor für die Unterstützung des MAP und würden zur Vorsicht raten, wenn es bei Patienten genutzt wird, die nicht euvolämisch sind oder höhere Dosen als 0,03 U/min erhalten.

Phenylephrin ist ein reiner α‑adrenerger Agonist. Klinische Studiendaten zur Verwendung bei Sepsis stehen nur begrenzt zur Verfügung. Phenylephrin verfügt über das Potenzial, eine Splanchnikusvasokonstriktion zu verursachen [280]. Eine Netzwerkmetaanalyse ergab inkonsistente Ergebnisse (breite Konfidenzintervalle), wenn Phenylephrin mit anderen Vasopressoren verglichen wurde [281]. Daher ist die Auswirkung auf die klinischen Ergebnisse ungewiss und die Nutzung von Phenylephrin sollte eingeschränkt werden, bis mehr Forschungsergebnisse zur Verfügung stehen.

Abweichend von der SSC-Leitlinie wurde die Evidenz dieser Empfehlung als niedrig beurteilt.

G.3 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, auf die Verwendung von Dopamin zu verzichten.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Abweichend von der SSC-Leitlinie interpretieren wir die vorliegenden Studien dahingehend, dass Dopamin im Vergleich mit Noradrenalin keine Vorteile hat. Es besteht ein erhöhtes Risiko von Rhythmusstörungen. Eine Empfehlung, den Einsatz auf Patienten mit einem geringen Risiko von Rhythmusstörungen zu beschränken, erscheint nicht sinnvoll. Konsequenterweise sollte auf den Einsatz von Dopamin komplett verzichtet werden.

G.4 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von einer Verwendung von Niedrigdosisdopamin zum Nierenschutz abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: hoch

Begründung.

Eine große randomisierte Studie und eine Metaanalyse, die Niedrigdosisdopamin mit einem Placebo verglichen hat, ergab keinen Unterschied in Bezug auf Arrhythmien, den Bedarf für eine Nierenersatztherapie, die Urinausscheidung, die Überlebensrate, die Dauer bis zur Erholung der Nierenfunktion und die Aufenthaltsdauer auf der ITS und im Krankenhaus [282, 687]. Somit unterstützen die verfügbaren Daten nicht die Verabreichung von niedrigen Dosen von Dopamin zum alleinigen Zweck der Aufrechterhaltung der Nierenfunktion.

G.5 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen die Verwendung von Dobutamin bei Patienten vor, bei denen Nachweise für eine persistierende Hypoperfusion trotz angemessener Flüssigkeitszufuhr und des Einsatzes von Vasopressoren vorliegen.

  • Bemerkungen: Sofern der Wirkstoff angesetzt wird, sollte die Dosis des Vasopressors auf einen Endpunkt titriert werden, der eine Perfusion widerspiegelt, und der Wirkstoff sollte reduziert oder abgesetzt werden, sofern eine Aggravierung der Hypotonie oder Arrhythmien auftreten.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Eine myokardiale Dysfunktion infolge einer Infektion kann bei einigen Patienten mit septischem Schock auftreten, aber das HZV wird üblicherweise durch eine ventrikuläre Dilatation, Tachykardie und einen reduzierten vaskulären Widerstand aufrechterhalten [283]. Ein gewisser Anteil dieser Patienten kann über eine verringerte kardiale Reserve verfügen und daher nicht in der Lage sein, ein HZV zu erreichen, um ein angemessenes Sauerstoffangebot sicherzustellen. Die Erkennung einer derart reduzierten kardialen Reserve kann eine Herausforderung darstellen; bildgebende Verfahren, die eine verringerte Ejektionsfraktion zeigen, müssen nicht notwendigerweise auch ein unzureichendes HZV bedeuten. Begleitende Messungen des HZV in Kombination mit dem quantitativen Nachweis einer angemessenen Perfusion sind zu bevorzugen.

Eine routinemäßige Erhöhung des Herzausgabevolumens auf im Vorfeld festgelegte „supranormale“ Werte bei allen Patienten führt eindeutig nicht zu einer Verbesserung der Ergebnisse, wie in 2 großen prospektiven klinischen Studien an kritisch kranken ITS-Patienten mit Sepsis unter Behandlung mit Dobutamin gezeigt wurde [284,285,286].

Einige Patienten könnten jedoch von einer verbesserten Gewebeperfusion infolge einer inotropen Therapie, die auf eine Erhöhung des Sauerstoffangebots ausgerichtet ist, profitieren. In dieser Situation stellt Dobutamin für Patienten mit einem gemessenen oder vermuteten niedrigen HZV, bei denen ein angemessener linksventrikulärer Füllungsdruck (oder die klinische Beurteilung einer angemessenen Flüssigkeitstherapie) sowie ein angemessener MAP vorliegt, die inotrope Therapie erster Wahl dar. Die beste Möglichkeit, diese Art von Therapie zu steuern, besteht darin, die Reaktion von Perfusionsindizes auf den (gemessenen) Anstieg des HZV zu überwachen [286].

Die Daten, die die Nutzung von Dobutamin unterstützen, sind hauptsächlich physiologischer Art und zeigen eine verbesserte Hämodynamik und einige Verbesserungen bei den Perfusionsindizes, die eine klinische Verbesserung, abnehmende Laktatspiegel und eine ScvO2-Verbesserung umfassen können. RCT, die die Effekte von Dobutamin gegenüber einem Placebo im Hinblick auf die klinischen Ergebnisse verglichen haben, sind nicht bekannt. Die Mortalität bei Patienten, die randomisiert einer Therapie mit Dobutamin zusätzlich zu Norepinephrin zugewiesen worden waren, wies keinen Unterschied im Vergleich zu einer Therapie mit Epinephrin auf [286], wobei die Studie aufgrund einer unzureichenden Patientenzahl nicht über genügend Aussagekraft verfügt. Dobutamin wurde ferner als inotrope Erstlinientherapie im Rahmen der Standardbehandlung in klinischen EGDT-Studien verwendet [33, 36, 287, 288] und negative Auswirkungen auf die Mortalität wurden bei dessen Verwendung nicht festgestellt.

G.6 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass alle Patienten, die Vasopressoren benötigen, einen arteriellen Katheter erhalten, sobald dies praktisch realisierbar ist und sofern Ressourcen verfügbar sind.

  • SSC-Leitlinienadaptation, Abweichung des Empfehlungsgrads

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

In Schockzuständen kann die Schätzung des Blutdrucks unter Verwendung einer Manschette insbesondere bei automatisierten Messsystemen ungenau ausfallen. Die Nutzung eines arteriellen Zugangs ermöglicht eine genauere und besser reproduzierbare Messung des arteriellen Drucks [286, 289] und eine Schlag-zu-Schlag-Analyse, sodass Entscheidungen bezüglich der Therapie auf Grundlage von sofort verfügbaren und reproduzierbaren Blutdruckinformationen getroffen werden können [290]. Die Einführung von radial-arteriellen Kathetern ist im Allgemeinen sicher. Eine systematische Überprüfung von Beobachtungsstudien ergab, dass die Inzidenz von Ischämien der Gliedmaßen und von Blutungen bei weniger als 1 % liegt, wobei es sich bei der häufigsten Komplikation um lokalisierte Hämatome handelt (14 %) [291]. Die Komplikationsraten könnten geringer ausfallen, wenn eine ultraschallgesteuerte Technik genutzt wird [292]. Ein systematisches Review zeigte im Vergleich zu radial-arteriellen Kathetern ein höheres Infektionsrisiko, wenn femoralarterielle Katheter genutzt wurden (RR 1,93; 95 %-KI 1,32–2,84), und die gepoolte Gesamtinzidenz von Blutkreislaufinfektionen betrug 3,4 pro 1000 Katheter [293]. Es besteht ein Mangel an großen randomisierten Studien, in denen die arterielle Blutdrucküberwachung mit nichtinvasiven Methoden verglichen wird.

In Anbetracht der geringen Komplikationsrate und der wahrscheinlich besseren Schätzung des Blutdrucks, aber auch unter Berücksichtigung der potenziell begrenzten Ressourcen in einigen Ländern und des Mangels an Studien hoher Qualität überwiegen wahrscheinlich die Vorteile von arteriellen Kathetern die Risiken. Daher sprechen die Mitglieder der SSC-Leitlinie eine schwache Empfehlung zugunsten der Positionierung von arteriellen Kathetern aus. Die arteriellen Katheter sollten entfernt werden, sobald keine hämodynamische Überwachung mehr benötigt wird, um das Komplikationsrisiko zu minimieren.

Abweichend von der SSC-Leitlinie wurde diese Empfehlung als Expertenkonsens beurteilt.

Andere vasoaktive Medikamente

Auch alternative inotrope Wirkstoffe können verwendet werden, um das HZV in spezifischen Situationen zu erhöhen. Phosphodiesteraseinhibitoren führen zu einer Erhöhung des intrazellulären zyklischen AMP und haben somit inotrope Effekte, die unabhängig von den adrenergen β‑Rezeptoren sind. Der Phosphodiesteraseinhibitor Milrinon hat nachweislich das HZV in einer kleinen randomisierten Studie an 12 pädiatrischen Patienten erhöht, wobei die Studie in Bezug auf die Ergebnisanalyse nicht über genügend Aussagekraft verfügt [294]. Levosimendan erhöht die Kalziumresponsivität der kardialen Myozyten und öffnet außerdem die ATP-abhängigen Kaliumkanäle, was dem Medikament sowohl inotrope als auch vasodilatatorische Eigenschaften verleiht. In Anbetracht der potenziellen Störung der myokardialen Kalziumsensitivität bei sepsisinduzierter Kardiomyopathie ist die Verwendung von Levosimendan auch bei septischem Schock vorgeschlagen worden.

G.7 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, Levosimendan zur hämodynamischen Stabilisierung bei septischen Patienten nicht anzuwenden.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: hoch

Begründung.

In einer Studie an 35 Patienten mit septischem Schock und akutem Atemnotsyndrom (ARDS), die randomisiert der Behandlung mit Levosimendan oder einem Placebo zugeordnet wurden, verbesserte Levosimendan die rechtsventrikuläre Leistung und die gemischtvenöse Sauerstoffsättigung im Vergleich zum Placebo [295]. Es sind nur wenige Studien zum Vergleich von Levosimendan mit Dobutamin vorhanden, die allerdings keinen eindeutigen Vorteil in Bezug auf Levosimendan demonstrieren [296]. Levosimendan ist teurer als Dobutamin und in vielen Teilen der Welt nicht verfügbar. Sechs kleine RCT (mit insgesamt 116 Patienten) verglichen Levosimendan mit Dobutamin, wobei die gepoolten Schätzungen keinen signifikanten Effekt auf die Mortalität zeigten (RR 0,83; 95 %-KI 0,66–1,05; niedrige Evidenzqualität). Angesicht der verfügbaren Evidenz niedriger Qualität und der höheren Kosten, die mit Levosimendan verbunden sind, bleibt Dobutamin das bevorzugte Medikament für diese Population. In einer RCT, in der 516 Patienten mit septischem Schock randomisiert entweder der Behandlung mit Levosimendan oder einem Placebo zugeordnet wurden, zeigte sich kein Unterschied in Bezug auf die Mortalität. Levosimendan führte jedoch zu einem signifikant erhöhten Risiko einer supraventrikulären Tachyarrhythmie im Vergleich zum Placebo (absoluter Unterschied 2,7 %; 95 %-KI 0,1–5,3 %; [297]). Die Ergebnisse dieser Studie stellen die systematische Verwendung dieses Wirkstoffs bei Patienten mit septischem Schock infrage. Zu beachten ist, dass die Herzfunktion in dieser Studie nicht beurteilt wurde und dass Patienten mit einem infolge einer Beeinträchtigung der Herzfunktion erniedrigten HZV von der inotropen Stimulation profitieren könnten.

G.8 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Bezüglich der Behandlung von tachykarden Rhythmusstörungen können β1-selektive β‑Blocker erwogen werden.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Sepsis und septischer Schock sind unter anderem durch eine exzessive adrenerge Stimulation charakterisiert, die zu Tachykardie, Rhythmusstörungen sowie zu systolischen und diastolischen Funktionsstörungen des Myokards führen können, die mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sind [298, 299, 688]. Eine Applikation von β‑Blockern könnte theoretisch der adrenergen Stimulation entgegenwirken und die Herzfunktion optimieren (Senkung des myokardialen Sauerstoffbedarfs, Reduktion der Tachykardie, verbesserte diastolische Füllung/Relaxation, Antiarrhythmitizität). Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass β‑Blocker als Modulatoren des Immunsystems eine wichtige Rolle spielen könnten [300].

β‑Blocker werden bei Patienten mit Herzinsuffizienz und koronarer Herzkrankheit zur Verbesserung der myokardialen Funktion und zur Senkung des Reinfarktrisikos erfolgreich eingesetzt. Darüber hinaus können β‑Blocker über eine Senkung der Herzfrequenz den myokardialen Sauerstoffbedarf senken. Aus diesen Überlegungen heraus kann der Einsatz von β1-selektiven β‑Blockern bei tachykarden Rhythmusstörungen auch in der Sepsis von Vorteil sein. Die Anwendung sollte unter entsprechendem hämodynamischem Monitoring titriert erfolgen [301,302,303].

G.9 | Empfehlung | 2018

  • Der routinemäßige Einsatz von β‑Blockern zur hämodynamischen Stabilisierung bei septischen Patienten wird nicht empfohlen.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Für die routinemäßige Anwendung des β1-selektiven β‑Blockers Esmolol zeigte eine systematische Übersicht aus 10 qualitativ minderwertigen Studien (eine Metaanalyse war nicht durchführbar), dass Esmolol die Herzfrequenz senken kann. Weitere Effekte, insbesondere auf die Morbidität oder Mortalität, waren nicht erkennbar [304].

Im Gegensatz dazu zeigte eine prospektiv offene Studie von Morelli et al. eine signifikante Reduktion der Sterblichkeit in der β1-Blocker-Gruppe [305]. Diese Studie ist jedoch mit erheblichen Einschränkungen zu bewerten, sodass sie lediglich ein „proof of principle“ der sicheren Herzfrequenzreduktion durch Esmolol darstellt. Trotzdem lassen die Ergebnisse dieser Studie einen Versuch der hämodynamischen Stabilisierung durch Frequenzsenkung unter bestimmten Bedingungen als gerechtfertigt erscheinen. Die aktuell vorhandene Literatur zu dieser Thematik ist widersprüchlich und die Evidenz für eine belastbare Aussage ist sehr gering, sodass zum jetzigen Zeitpunkt keine generelle Empfehlung für den routinemäßigen Einsatz von β‑Blockern bei Sepsis oder septischen Schock gegeben werden kann. Die oben genannte „Proof-of-principle“-Studie (Morelli et al.) bedarf der Bestätigung in einer weiteren Studie.

H. Kortikosteroide

H.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass von einer Verwendung von intravenösem Hydrokortison bei der Behandlung von Patienten mit septischem Schock abgesehen wird, sofern eine adäquate Flüssigkeitstherapie und hochdosierte Vasopressortherapie in der Lage sind, die hämodynamische Stabilität wiederherzustellen.

  • Für den Fall, dass dies nicht erreichbar sein sollte, schlagen wir den Einsatz von intravenösem Hydrokortison in einer Dosis von 200 mg pro Tag vor.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzqualität: niedrig

Begründung.

Die Reaktion von Patienten mit septischem Schock auf die Flüssigkeits- und Vasopressortherapie scheint ein wichtiger Faktor bei der Auswahl von Patienten für eine optionale Hydrokortisontherapie zu sein. Eine französische multizentrische RCT an Patienten mit septischem Schock, die nicht auf eine Vasopressortherapie ansprachen (systolischer Blutdruck <90 mm Hg trotz Flüssigkeits- und Vasopressortherapie über einen Zeitraum von mehr als einer Stunde), zeigte einen signifikanten Schockrückgang und eine Reduzierung der Mortalitätsrate bei Patienten mit relativer Nebenniereninsuffizienz (definiert als ein maximaler Anstieg des postadrenokortikotropen Hormons (ACTH) Kortisol ≤9 μg/dl; [306]). Zwei kleinere RCT zeigten ebenfalls signifikante Effekte in Bezug auf einen Schockrückgang mit einer Steroidtherapie [307, 308]. Im Gegensatz dazu wies eine große europäische multizentrische Studie (CORTICUS), in die Patienten mit einem systolischen Blutdruck von <90 mm Hg trotz einer angemessenen Flüssigkeitsersatztherapie oder eines Bedarfs für Vasopressoren einbezogen wurden, ein geringeres Sterberisiko auf als die französische Studie und erbrachte keinen Nachweis für einen Mortalitätsvorteil bei Anwendung einer Hydrokortisontherapie [309]. Es lag kein Unterschied in Bezug auf die Mortalität in den Gruppen vor, die entsprechend der ACTH-Reaktion stratifiziert wurden.

Diverse systematische Reviews haben die Nutzung von Niedrigdosishydrokortison bei septischem Schock mit widersprüchlichen Ergebnissen untersucht. Annane et al. [306] analysierten die Ergebnisse von 12 Studien und errechneten eine signifikante Reduzierung der 28-tägigen Mortalität bei einer längeren Niedrigdosisbehandlung bei erwachsenen Patienten mit septischem Schock (RR 0,84; 95 %-KI 0,72–0,97; p = 0,02). Parallel dazu nutzten Sligl et al. [310] eine ähnliche Technik, identifizierten allerdings nur 8 Studien für ihre Metaanalyse, von denen 6 Studien über ein High-level-RCT-Design mit einem geringen Verzerrungspotenzial verfügten. Im Gegensatz zu dem zuvor erwähnten Review ergab diese Analyse keinen statistisch signifikanten Unterschied hinsichtlich der Mortalität (RR 1,00; 95 %-KI 0,84–1,18). Beide Reviews bestätigten jedoch eine Verbesserung in Bezug auf den Schockrückgang bei der Verwendung von Niedrigdosishydrokortison.

In jüngerer Zeit bezogen Annane et al. 33 geeignete Studien (n = 4268) in ein neues systematisches Review ein [306]. Von diesen 33 Studien wiesen 23 Studien ein geringes Auswahlverzerrungspotenzial auf; 22 Studien verfügten über ein geringes Performance- und Detektionsverzerrungspotenzial; 27 Studien hatten ein geringes Attritionsverzerrungspotenzial und 14 Studien verfügten über ein geringes Risiko hinsichtlich einer selektiven Berichterstattung. Kortikosteroide reduzierten die 28-Tage-Mortalität (27 Studien; n = 3176; RR 0,87; 95 %-KI 0,76–1,00). Eine lange Behandlungseinheit mit Niedrigdosiskortikosteroiden reduzierte die 28-Tage-Mortalität signifikant (22 Studien; RR 0,87; 95 %-KI 0,78–0,97). Kortikosteroide reduzierten auch die ITS-Mortalität (13 Studien; RR 0,82; 95 %-KI 0,68–1,00) und die Krankenhausmortalität (17 Studien; RR 0,85; 95 %-KI 0,73–0,98). Kortikosteroide erhöhten den Anteil der Schockrückgänge zum Tag 7 (12 Studien; RR 1,31; 95 %-KI 1,14–1,51) und zum Tag 28 (7 Studien; n = 1013; RR 1,11; 95 %-KI 1,02–1,21). Und schließlich wurde ein zusätzliches systematisches Review von Volbeda et al. veröffentlicht, in das insgesamt 35 Studien mit 4682 randomisierten Patienten einbezogen wurden (mit Ausnahme von 2 Studien bestand bei allen Studien ein hohes Verzerrungspotenzial; [311]). Konträr wurde in diesem Review kein statistisch signifikanter Effekt auf die Mortalität bei allen untersuchten Steroiddosen im Vergleich zum Placebo festgestellt und auch bei keiner Intervention nach der maximalen Anzahl der Nachuntersuchungen. Die beiden Studien mit einem geringen Verzerrungspotenzial wiesen ebenfalls keinen statistisch signifikanten Unterschied nach (Zufallseffektmodell; RR 0,38; 95 %-KI 0,06–2,42). Ähnliche Ergebnisse wurden in Untergruppen von Studien festgestellt, die entsprechend der Nutzung von Hydrokortison (oder eines äquivalenten Medikaments) bei hoher Dosis (>500 mg) oder niedriger Dosis (≤500 mg) stratifiziert worden waren (RR 0,87; an Studiensequenzanalyse [TSA‑]angepasstes KI 0,38–1,99 bzw. RR 0,90; TSA-angepasstes KI 0,49–1,67). Keine statistisch signifikanten Auswirkungen auf die schwerwiegenden Nebenwirkungen (mit Ausnahme der Mortalität) wurden berichtet (RR 1,02; TSA-angepasstes KI 0,7–1,48). In Abwesenheit eines überzeugenden Nachweises für einen Nutzen sprechen wir eine schwache Empfehlung gegen die Nutzung von Kortikosteroiden zur Behandlung von Patienten mit septischem Schock aus, sofern eine angemessene Flüssigkeits- und Vasopressortherapie in der Lage ist, die hämodynamische Stabilität wiederherzustellen.

In einer Studie war die Beobachtung einer potenziellen Interaktion zwischen der Steroidnutzung und einem ACTH-Test nicht statistisch signifikant [312]. Des Weiteren wurde kein Nachweis für diese Differenzierung zwischen auf die Therapie ansprechenden und nicht darauf ansprechenden Patienten in einer aktuellen multizentrischen Studie erbracht [309]. Stichprobenartige Überprüfungen des Kortisolspiegels könnten dennoch bei absoluter Nebenniereninsuffizienz hilfreich sein, es gibt jedoch keine Belege dafür, dass stichprobenartige Überprüfungen des Kortisolspiegels bei Patienten mit septischem Schock, bei denen eine relative Nebenniereninsuffizienz vorliegt (keine angemessene Stressreaktion), hilfreich sind. Kortisolimmunassays könnten den tatsächlichen Kortisolspiegel über- oder unterschätzen, was die Zuordnung der Patienten zu den auf die Therapie ansprechenden und nicht darauf ansprechenden Patienten beeinträchtigt [313]. Obwohl die klinische Signifikanz nicht eindeutig geklärt ist, wird inzwischen anerkannt, dass Etomidat die Hypothalamus-Nebennieren-Achse hemmt [314, 315]. Des Weiteren hat eine Unteranalyse der CORTICUS-Studie ergeben, dass die Nutzung von Etomidat vor der Anwendung von Niedrigdosissteroiden mit einer Erhöhung der 28-Tage-Mortalitätsrate verbunden war [309].

Es ist keine vergleichende Studie zwischen einem Behandlungsschema mit festgelegter Dauer und einem klinisch gesteuerten Behandlungsschema oder zwischen dem Ausschleichen und dem abrupten Absetzen von Steroiden vorhanden. Drei RCT nutzten ein Behandlungsschema mit festgelegter Dauer [307, 309, 312] und in 2 RCT wurde die Dosis verringert, nachdem der Schock abgeklungen war [308, 316]. In 4 Studien wurden die Steroide über einen Zeitraum von mehreren Tagen ausgeschlichen [307,308,309, 316] und in 2 RCT wurden die Steroide abrupt abgesetzt [312, 317]. Eine Cross-over-Studie zeigte hämodynamische und immunologische Reboundeffekte nach der abrupten Absetzung der Kortikosteroide [318]. Eine Studie wies keinen Unterschied in Bezug auf das Ergebnis bei Patienten mit septischem Schock nach, wenn Niedrigdosishydrokortison für 3–7 Tage genutzt wurde. Daher empfehlen wir das Ausschleichen der Steroide, wenn Vasopressoren nicht mehr benötigt werden [319].

Die Nutzung von Steroiden kann indiziert sein, wenn in der medizinischen Vorgeschichte eine Steroidtherapie oder eine Nebennierendysfunktion vorliegt. Ob jedoch Niedrigdosissteroide eine präventive Wirkung in Bezug auf die Reduzierung der Inzidenz von Sepsis und septischem Schock bei kritisch erkrankten Patienten haben, kann nicht beantwortet werden. Eine aktuelle große multizentrische Studie wies keine Reduzierung der Entwicklung von septischem Schock bei septischen Patienten nach, die Hydrokortison im Vergleich zu einem Placebo erhielten [320]. Daher sollten Steroide nicht bei septischen Patienten genutzt werden, um einem septischen Schock vorzubeugen. Derzeit laufen zusätzliche Studien, die möglicherweise zusätzliche Informationen liefern, die künftig in der klinischen Praxis genutzt werden können.

Diverse randomisierte Studien zur Nutzung von Niedrigdosishydrokortison bei Patienten mit septischem Schock meldeten einen signifikanten Anstieg von Hyperglykämien und Hypernatriämien [312] als Nebenwirkungen. Eine kleine prospektive Studie ergab, dass wiederholte Bolusanwendungen von Hydrokortison zu einem signifikanten Anstieg des Blutzuckers führten. Dieser Spitzenwerteffekt war während einer kontinuierlichen Infusion nicht feststellbar gewesen. Des Weiteren wurde eine beträchtliche interindividuelle Variabilität in Bezug auf diesen Blutzuckerspitzenwert nach der Hydrokortisonbolustherapie festgestellt [321]. Obwohl kein Zusammenhang zwischen einer Hyperglykämie und Hypernatriämie und den gemessenen Ergebnissen beim Patienten nachgewiesen werden konnte, beinhaltet eine gute Praxis Strategien zur Vermeidung und/oder Detektion dieser Nebenwirkungen.

I. Blutprodukte

I.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten bei septischen Patienten nur dann durchgeführt werden, wenn die Hämoglobinkonzentration bei Erwachsenen auf einen Wert von <7,0 g/dl sinkt und keine Hinweise auf eine anämische Hypoxie, wie z. B. Tachykardie, Hypotension, EKG-Ischämie, Laktatacidose, eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten wie z. B. koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz oder eine zerebrovaskuläre Insuffizienz oder eine akute Hämorrhagie, vorliegen.

  • SSC-Leitlinienadaptation; Abweichung des Evidenzgrads

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Nur eine große randomisierte kontrollierte multizentrische Studie evaluierte unterschiedliche Transfusionstrigger bei septischen Patienten. Diese TRISS-Studie („transfusion requirements in septic shock trial“) untersuchte eine Transfusionsschwelle von 7 g/dl gegenüber 9 g/dl bei Patienten mit septischem Schock nach der Aufnahme auf der ITS [322]. Die Ergebnisse zeigten eine ähnliche 90-Tage-Mortalität, ischämische Ereignisse und Nutzung von lebenserhaltenden Maßnahmen in beiden Behandlungsgruppen bei einer geringeren Anzahl von Transfusionen in der Gruppe mit der niedrigeren Transfusionsschwelle. Bei Nachuntersuchungen ein Jahr nach Intensivaufenthalt fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen bezüglich Mortalität und Lebensqualität [323]. In einer Post-hoc-Analyse der Patienten des TRISS-Trials zeigte sich auch bei Patienten mit schweren Begleiterkrankungen, wie z. B. schwerer Lungenerkrankung oder malignen Erkrankungen, kein Outcomeunterschied zwischen beiden Transfusionstriggern. In der Post-hoc-Analyse fanden sich auch keine Outcomeunterschiede bei Patienten mit elektiver vs. Notfalloperationen und bei Patienten, die auch nach den neuen Sepsis-3-Definitionen einen septischen Schock aufwiesen.

In einer Metaanalyse, die neben der TRISS-Studie noch 12 Kohortenstudien in die Auswertung einschloss, fanden sich auch keine Outcomeunterschiede zwischen einer restriktiven und einer liberalen Transfusionsstrategie bei septischen Patienten [324].

Eine einzelne Observationsstudie mit insgesamt 6016 septischen Patienten fand sogar bei fehlender Mortalitätsreduktion eine vermehrte Häufung von nosokomialen Infektionen und schweren Hypoxämien bei einer liberaleren Transfusionsstrategie während der Intensivtherapie [325].

In 3 großen RCT, die die Effektivität einer Early-goal-Therapie bei septischen Patienten untersuchten, waren Erythrozytentransfusionen mit unterschiedlichen Hämatokritwerten ein Bestandteil einer umfassenderen Sepsismanagementstrategie [326]. Weder in den einzelnen Studien noch in einer Metaanalyse fand sich ein Hinweis auf eine Mortalitätsreduktion durch das Maßnahmenbündel, bei dem u. a. die Erythrozytentransfusion mit enthalten waren, um eine Hämatokritkonzentration von über 30 % zu erreichen.

Die Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten haben eine besondere rechtliche Stellung, da in den Richtlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten (Hämotherapie) nach § 18 TFG auf die vorliegenden Querschnittsleitlinien verwiesen wird [327]. Auch bei septischen Patienten sollten die Empfehlungen der deutschen Querschnittsleitlinie beachtet werden.

I.2 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von der Verwendung von Erythropoietin zur Behandlung einer Anämie bei septischen Patienten abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Es gibt bislang keine klinische Studie zur Nutzung von Erythropoietin speziell bei septischen Patienten. Die klinischen Studien zur Erythropoietinverabreichung an dem größeren Kollektiv an kritisch erkrankten Patienten zeigten einen kleinen Rückgang des Bedarfs für Erythrozytentransfusionen, ohne dass dies Auswirkung auf die Mortalität hatte [328, 329]. Der Effekt von Erythropoietin bei Sepsis und septischem Schock wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vorteilhafter sein als bei anderen kritischen Erkrankungen. Die Verabreichung von Erythropoietin könnte aber mit einer erhöhten Inzidenz von thrombotischen Ereignissen bei kritisch erkrankten Patienten verbunden sein. Unabhängig von einer vorliegenden Sepsis oder einem septischen Schock können aber ggf. Grunderkrankungen des septischen Patienten vorliegen, bei denen eine Indikation zur Verwendung von Erythropoietin vorliegt.

I.3 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass Plasmapräparate zur Korrektur von Gerinnungsanomalien bei septischen Patienten nicht genutzt werden, es sei denn es liegen aktive Blutungen vor oder es sind invasive Eingriffe geplant.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: sehr niedrig

Begründung.

In Deutschland stehen 4 verschiedene Plasmapräparationen zur klinischen Anwendung zur Verfügung: gefrorenes Frischplasma (GFP), das Solvent-Detergent(SD)-behandelte Plasma (SDP), das Methylenblau-Licht-behandelte Plasma (MLP) sowie das lyophilisierte Humanplasma (LHP). Es finden sich in der medizinischen Literatur keine randomisierten klinischen Studien, die unterschiedliche Plasmasubstitutionsregime bzw. die Anwendung der unterschiedlichen Plasmapräparationen bei kritisch kranken Patienten untersucht haben. Aktuelle Empfehlungen basieren hauptsächlich auf Expertenmeinungen, die besagen, dass Plasmapräparationen gegeben werden können, wenn eine dokumentierte Störung der plasmatischen Gerinnung vorhanden ist (Koagulopathie mit Quickwerten <50 % oder APTT >45 s und/oder Fibrinogenspiegel <1 g/l) und eine aktive Blutung vorliegt bzw. wenn invasive Prozeduren oder Operationen geplant werden. Plasma sollte bei Vorliegen dieser Voraussetzungen in einer Dosierung von 15–20 ml/kg Körpergewicht rasch transfundiert werden [327].

I.4 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen eine prophylaktische Thrombozytentransfusion bei fehlenden weiteren Blutungsrisiken erst bei Thrombozytenzahlen <10.000/μl vor. In Abhängigkeit von geplanten Operationen oder anderen invasiven Maßnahmen, dem Vorliegen einer aktiven Blutung oder der Einnahme von Medikamenten, die die Thrombozytenfunktion beeinträchtigen, kann eine Thrombozytentransfusion aber auch schon bei Thrombozytenzahlen von 20.000/µl bis zu 100.000/µl erforderlich sein.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: sehr niedrig

Begründung.

Es sind keine RCT zu prophylaktischen Thrombozytentransfusionen bei septischen oder kritisch erkrankten Patienten bekannt. Spezifische Empfehlungen zur prophylaktischen oder therapeutischen Gabe von Thrombozytenkonzentraten bei septischen Patienten können deswegen nicht ausgesprochen werden. Wir empfehlen auf der Basis der Querschnittsleitlinien der BÄK zur Therapie mit Blutkomponenten, eine prophylaktische bzw. therapeutische Thrombozytentransfusion bei septischen Patienten durchzuführen [327].

J. Immunglobuline

J.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass von der Verwendung von intravenösen Immunglobulinen bei Patienten mit Sepsis oder septischem Schock abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Enthaltungen: 3

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Eine große multizentrische RCT (n = 624; [330]) bei erwachsenen Patienten erbrachte keinen mortalitätssenkenden Effekt einer IVIgG-Gabe. Die aktuelle Cochrane-Metaanalyse [331] differenziert zwischen Standardimmunglobulinen (polyklonales IVIgG) und IgM-angereichertem polyklonalem Ig (IVIgGMA). In 10 Studien mit IVIgG (1430 Patienten) betrug die 28-Tage- bis 130-Tage-Sterblichkeit in der IVIgG-Gruppe 29,6 % und in der Placebogruppe 36,5 % (RR 0,81; 95 %-KI 0,70–0,93). Für die 7 Studien mit IVIgGMA (528 Patienten) lag die 28-Tage- bis 60-Tage-Sterblichkeit in der IVIgGMA-Gruppe bei 24,7 % und in der Placebogruppe bei 37,5 % (RR 0,66; 95 %-KI 0,51–0,85). Die Aussagekraft wurde für die IVIgG-Studien als niedrig eingestuft basierend auf dem Biasrisiko und der vorhandenen Heterogenität. Für die IVIgGMA-Studien wurde die Aussagekraft als mittelgradig eingestuft basierend auf dem Biasrisiko. Vergleichbare Ergebnisse fanden sich auch in anderen Metaanalysen.

Diese Ergebnisse sind im Einklang mit denjenigen älterer Metaanalysen [332, 333] anderer Cochrane-Autoren. Eines dieser systematischen Reviews [333] hatte 21 Studien eingeschlossen und eine Mortalitätssenkung durch die Ig-Gabe gezeigt (RR 0,77; 95 %-KI 0,68–0,88). Allerdings war diese Mortalitätssenkung bei der Auswertung nur der hochwertigen Studien (insgesamt 763 Patienten) nicht mehr statistisch signifikant unterschiedlich (RR 1,02; 95 %-KI 0,84–1,24). In ähnlicher Weise fanden Laupland et al. [332] eine signifikante Letalitätssenkung durch IVIg (OR 0,66; 95 %-KI 0,53–0,83; p < 0,005), diese war aber bei Berücksichtigung nur der qualitativ hochwertigen Studien nicht mehr signifikant (OR 0,96; 95 %-KI 0,71–1,3; p = 0,78). Zwei ebenfalls ältere Metaanalysen [334, 335] mit weniger strengen oder fehlenden Qualitätskriterien zur Biaserkennung fanden eine signifikante Mortalitätssenkung. Weiterhin muss festgestellt werden, dass es bei Sepsispatienten keinen IgG-Plasmaspiegel-Grenzwert gibt, unterhalb dessen eine Substitution mit IVIgG die Prognose verbessert [336].

Die meisten IVIg-Studien sind klein und einige haben ein hohes Biasrisiko. Die einzige große Studie – durchgeführt mit IVIgG – zeigte keinen Effekt [330]. Die getrennte Betrachtung der Studien mit IVIgGMA und IVIgG weist eine signifikante Heterogenität auf. Indirektheit und Publikationsbias wurden zwar in Betracht gezogen, aber nicht zur Bewertung dieser Empfehlung herangezogen. Der geringe Evidenzgrad führte zur Klassifizierung als „schwache Empfehlung“. Die statistische Information der Studien mit hoher Qualität unterstützt nicht die Annahme eines günstigen Effekts des polyklonalen IVIg. Die Leitlinienexperten regen die Durchführung großer multizentrischer Studien zur Evaluierung der Wirksamkeit weiterer polyklonaler IV-Immunglobulin-Präparate bei Patienten mit Sepsis an.

Einen Schritt in diese empfohlene Richtung ging die Phase-II-CIGMA-Studie [337] mit der Gabe eines neuen, doppelt so hoch angereicherten IgM(23 %)-Immunglobulinpräparats (Trimodulin, Fa. Biotest, Dreieich, Deutschland) bei 160 Patienten mit beatmungspflichtiger ambulant erworbener Pneumonie (sCAP). Zwar war der primäre Endpunkt – Anzahl der ventilatorfreien Tage innerhalb der ersten 28 Tage – nicht signifikant unterschiedlich; ermutigende Ergebnisse der Post-hoc-Analysen in Subgruppen führten immerhin zur Planung einer entsprechenden Phase-III-Studie.

K. Blutreinigung

K.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass von Blutreinigungstechniken außerhalb von klinischen Studien abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

Begründung.

Bei der Blutreinigung kommen diverse Techniken zum Einsatz, wie z. B. die Hochvolumenhämofiltration und Hämoadsorption (oder Hämoperfusion), bei denen Sorbenzien, die entweder Endotoxin oder Zytokine entfernen, in Kontakt mit dem Blut gebracht werden. Weitere Verfahren sind: der Plasmaaustausch oder die Plasmafiltration, über die Plasma vom Vollblut getrennt, entfernt und durch herkömmliche Kochsalzlösung, Albumin oder gefrorenes Frischplasma ersetzt wird, sowie das Hybridsystem: die kombinierte Plasma-Filtration-Adsorption („coupled plasma filtration adsorption“, CPFA), bei der die Plasmafiltration und -adsorption über eine Harzkartusche kombiniert wird, die Zytokine entfernt.

Sofern diese Modalitäten der Blutreinigung im Vergleich zur konventionellen Behandlung untersucht wurden, waren die dazu durchgeführten Studien klein und nicht verblindet und verfügten über ein hohes Verzerrungspotenzial. Die Patientenauswahl war uneindeutig und unterschied sich in Abhängigkeit von den verschiedenen Techniken. Bei der Hämoadsorption handelt es sich um die am genauesten untersuchte Technik, insbesondere mit Polymyxin-B-immobilisierten, auf Polystyren basierten Fasern zur Entfernung von Endotoxin aus dem Blut. Eine vor kurzem durchgeführte Metaanalyse zeigte einen vorteilhaften Effekt auf die Gesamtmortalität bei Verwendung dieser Technik [338]. Dieser Effekt beruht jedoch auf einer Reihe von Studien, die in einem einzigen Land (Japan) durchgeführt wurden und zwar hauptsächlich von einer einzigen Forschungsgruppe. Eine aktuelle große RCT, die an Patienten mit Peritonitis im Zusammenhang mit einer Organperforation innerhalb von 12 h nach einer Notoperation durchgeführt wurde, wies keinen Vorteil einer Polymyxin-B-Hämoperfusion in Bezug auf die Mortalität und das Organversagen im Vergleich zur Standardbehandlung nach [339]. Der Schweregrad der Erkrankung der Studienpatienten war jedoch insgesamt gering, wodurch die Ergebnisse limitiert sind. Aktuell beendet wurde eine multizentrische RCT, die eine stärkere Evidenz im Hinblick auf diese Technik zur Verfügung stellen könnte [340]. Die Auswertung der 449 eingeschlossenen Patienten, die alle einen nachgewiesenen, erhöhten Endotoxinspiegel im Blut hatten, ergab keinerlei Vorteil der Behandlung bezüglich der Sterblichkeit, auch nicht in einer vordefinierten Untergruppe mit besonders schwerem Organversagen [341].

Wenige RCT evaluierten die Plasmafiltration als Monotherapie oder in Kombination mit einer Adsorption zur Zytokinentfernung (CPFA). Eine aktuelle RCT, in der die CPFA mit der Standardbehandlung verglichen wurde, ist wegen mangelnder Machbarkeit abgebrochen worden [342]. Etwa die Hälfte der Patienten, die randomisiert der CPFA zugeordnet wurden, war nicht wirksam behandelt, hauptsächlich wegen eines „clotting“ im extrakorporalen Kreislauf, was an der CPFA-Umsetzbarkeit zweifeln lässt.

Schließlich bleiben noch aktuelle Studien zu Zytokinadsorbern (Hersteller: CytoSorbents) zu erwähnen. Hier gab es 2018 und Anfang 2019 die ersten beiden kleinen RCT; vorher bestand die spezifische klinische Literatur ausschließlich aus Einzelfallberichten oder Fallserien. Beide Studien waren nicht gepowert, um einen Outcomevorteil darzustellen. In der deutschen Studie von 2018 war zudem das Ziel einer besseren IL-6-Elimination nicht nachweisbar [343]. In der ungarischen Studie von 2019 gibt es Hinweise auf einen rascheren Abfall des Prokalzitoninwerts in der behandelten Gruppe [344].

In Anbetracht all dieser Einschränkungen ist die Evidenz sehr gering, was die Entscheidung gegen oder für Blutreinigungstechniken betrifft. Es werden weitere Studien benötigt, um den klinischen Nutzen von Blutreinigungstechniken zu klären.

L. Antikoagulanzien

L.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von der Verwendung von Antithrombin zur Behandlung von Patienten mit Sepsis und septischem Schock abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Antithrombin ist das häufigste gerinnungshemmende Mittel, das im Plasma zirkuliert. Der Rückgang der diesbezüglichen Plasmaaktivität zu Beginn der Sepsis korreliert mit einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) und einer schlechten Prognose. Eine Phase-III-Studie zu Hochdosisantithrombin bei Erwachsenen mit Sepsis und septischem Schock sowie systematische Reviews von Antithrombin bei kritisch erkrankten Patienten wiesen keinen vorteilhaften Effekt in Bezug auf die Gesamtmortalität nach. Antithrombin wurde mit einem erhöhten Blutungsrisiko in Zusammenhang gebracht [345, 346]. Obwohl Post-hoc-Untergruppenanalysen von Patienten mit Sepsis im Zusammenhang mit DIC eine bessere Überlebensrate bei Patienten nachwiesen, die Antithrombin erhielten, kann dieser Wirkstoff nicht empfohlen werden, bis nicht weitere klinische Studien durchgeführt wurden.

L.2 | Statement | 2018

  • Wir sprechen keine Empfehlung hinsichtlich der Verwendung von Thrombomodulin oder Heparin zur Behandlung von Patienten mit Sepsis oder septischem Schock aus.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die meisten RCT zu rekombinantem löslichem Thrombomodulin waren auf Sepsis im Zusammenhang mit DIC ausgerichtet und ein systematisches Review deutete auf einen vorteilhaften Effekt auf die Überlebensrate ohne eine Erhöhung des Blutungsrisikos hin [347, 348]. Eine Phase-III-RCT wird momentan bei sepsisassoziierter DIC durchgeführt. Zwei systematische Reviews deuteten auf einen potenziellen Überlebensvorteil bei der Nutzung von Heparin bei Patienten mit Sepsis hin, ohne dass eine Zunahme von großen Blutungen vorlag [349]. Die Gesamtauswirkung bleibt jedoch ungewiss und Heparin kann nicht empfohlen werden, bevor nicht weitere RCT durchgeführt worden sind.

M. Invasive Beatmung

Im folgenden Kapitel fassen wir knapp die S3-Leitlinie „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ zusammen. Die in der S3-Leitlinie abgegebenen Empfehlungen zu Patienten mit ARDS umfassen in der Mehrheit Patienten mit Sepsis, septischem Schock und/oder einer Pneumonie und erfüllen somit die Kriterien der Sepsis‑3. Allerdings ist in diesem Kontext keine Studie bekannt, die sich spezifisch mit septischen Patienten befasst hat.

Im Folgenden werden die aus Sicht der Leitlinienkommission der S3-Leitlinie „Sepsis“ wesentlichen Empfehlungen der S3-Leitlinie „Beatmung“ für Patienten mit Sepsis und septischem Schock mit der entsprechenden Evidenz beschrieben und um einige Empfehlungen der SSC-Leitlinie ergänzt. Der Aufbau des vorliegenden Texts ist der SSC-Leitlinie angepasst. Für weitergehende Informationen und insbesondere für die detaillierte Bewertung der zugrunde liegenden Evidenz verweisen wir auf die Langfassung der S3-Leitlinie „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“.

M.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen die Beatmung von Patienten mit ARDS mit einem VT ≤6 ml/kg Standardkörpergewicht (KG). (Tab. 1 und 2, Anhang)

  • Adaptation der S3-Leitlinie Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Mehrere Metaanalysen [350, 351] von RCT, die eine Beatmung mit kleinem VT oder niedrigem endinspiratorischem Atemwegsdruck (PEI) <30 cm H2O (die in einem VT <7 ml/kg KG resultierten) gegen eine Beatmung mit einem VT von 10–15 ml/kg KG mit und ohne Änderung des positiven endexspiratorischen Drucks („positive end-expiratory pressure“, PEEP) verglichen haben, zeigen eine Reduktion der Sterblichkeit bei adulten (>16 Jahre) invasiv beatmeten Patienten mit ARDS [352,353,354].

Die aktuelle internationale Leitlinie der SSC empfiehlt zur Beatmung bei Patienten mit ARDS, die eine schwerere Sepsis bzw. einen septischen Schock aufweisen, ein VT ≤6 ml/kg Standard-KG (starke Empfehlung, hohe Qualität der Evidenz), um einen PEI <30 cm H2O anzustreben (starke Empfehlung, moderate Qualität der Evidenz).

Aufgrund dieser nachgewiesenen Reduktion der Sterblichkeit von Patienten mit ARDS durch eine Beatmung mit niedrigen Tidalvolumina bei fehlendem Nachweis von relevantem Schaden vergibt die Leitlinienkommission eine starke Empfehlung für die Beatmung von invasiv beatmeten Patienten mit ARDS mit einem Tidalvolumen VT ≤6 ml/kg Standard-KG. Die Anwendung von VT ≤6 ml/kg Standard-KG, um einen PEI <30 cm H2O zu erreichen, kann in unterschiedlichem Ausmaß zur Hyperkapnie und respiratorischer Acidose führen. Die resultierende Hyperkapnie und respiratorische Acidose wurden in den RCT in unterschiedlichem Ausmaß toleriert und therapiert [350]. Hyperkapnie und respiratorische Acidose können bei kritisch kranken Patienten den intrakraniellen Druck erhöhen, eine pulmonale Hypertension und eine myokardiale Depression verstärken sowie den renalen Blutfluss reduzieren [355]. Bei Patienten, bei denen aufgrund der Grunderkrankung eine Hyperkapnie und respiratorische Acidose vermieden werden sollen, ist daher Nutzen und Risiko der Reduktion des VT individuell zu bewerten [356].

M.2 | Empfehlung | 2018

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

  • Wir empfehlen die invasive Beatmung von Patienten ohne ARDS mit einem VT von 6–8 ml/kg Standard-KG.

  • Adaptation der S3-Leitlinie Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Mehrere Metaanalysen belegen eine Reduktion der Beatmungsdauer bzw. der postoperativen pulmonalen Komplikationen (PPC) durch die Anwendung von kleinen VT (6–8 ml/kg Standard-KG) bei adulten (>16 Jahre) Patienten ohne ARDS, die entweder intraoperativ oder auf der ITS invasiv beatmet wurden [357,358,359]. Zudem zeigte eine Metaanalyse eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen dem Auftreten von PPC und der Größe des VT (R2 = 0,39; [359]). Aufgrund des nachgewiesenen Nutzens für den Patienten und fehlender Hinweise auf relevante Risiken erteilt die Leitlinienkommission eine starke Empfehlung für die invasive Beatmung von Patienten ohne ARDS mit einem VT von 6–8 ml/kg Standard-KG. Die Anwendung eines VT von 6–8 ml/kg Standard-KG kann auch bei Patienten ohne ARDS in unterschiedlichem Ausmaß zur Hyperkapnie und respiratorischer Acidose führen [358]. Hyperkapnie und respiratorische Acidose können bei kritisch kranken Patienten den intrakraniellen Druck erhöhen, eine pulmonale Hypertension und myokardiale Depression verstärken sowie den renalen Blutfluss reduzieren [355]. Bei Patienten, bei denen aufgrund der Grunderkrankung eine Hyperkapnie und respiratorische Acidose vermieden werden sollen, sind daher Nutzen und Risiko der Reduktion des VT individuell zu bewerten [356].

M.3 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, bei der invasiven Beatmung von Patienten mit ARDS den endinspiratorischen Atemwegsdruck (PEI) ≤30 cm H2O zu halten.

  • Adaptation der S3-Leitlinie Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

M.4 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, bei der invasiven Beatmung von Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz einen endinspiratorischen Atemwegsdruck (PEI) ≤30 cm H2O zu halten.

  • Adaptation der S3-Leitlinie Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: moderat

M.5 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, bei der invasiven Beatmung eine inspiratorische Druckdifferenz („driving pressure“) von ≤15 cm H2O anzustreben.

  • Adaptation der S3-Leitlinie Beatmung; Abweichung des Evidenzgrads

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

In einer qualitativ hochwertigen Cochrane-Metaanalyse [351] wurde der Effekt einer lungenprotektiven Beatmung bei Patienten mit ARDS analysiert. Insgesamt wurden 6 RCT in die Metaanalyse einbezogen, nur bei 3 Studien war in der Kontrollgruppe ein erhöhter endinspiratorischer Druck bei der Beatmung der Patienten notwendig [353, 354, 360,361,362]. Bei insgesamt 1009 Patienten aus diesen 3 Studien zeigte sich in der Interventionsgruppe (511 Patienten) mit der Reduktion des PEI auf ≤30 cm H2O ein relatives Risiko von 0,74 (0,63; 0,87) bezüglich der Sterblichkeit [353, 362]. Die absolute Reduktion der Sterblichkeit betrug 10,7 %. Für die analysierten sekundären Outcomeparameter Beatmungsdauer, Verweildauer auf der ITS und Inzidenz eines Multiorganversagens, aber auch für Lebensqualität und kognitives Outcome ist die Datenlage ungenügend.

Trotz der aktuell noch offenen Frage, ob der inspiratorische Beatmungsdruck Hauptdeterminante oder nur ein Resultat anderer Parameter – wie beispielsweise PEEP, Tidalvolumen und Compliance bei der lungenprotektiven Beatmung sowie der Schwere der Erkrankung – ist, spricht die Leitlinienkommission in Abwägung von Nutzen und Schaden eine starke Empfehlung zur Limitierung des endinspiratorischen Beatmungsdrucks ≤30 cm H2O bei Patienten mit ARDS und eine schwache Empfehlung bei Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz aus, da ein Nutzen für die Mehrzahl der Patienten angenommen werden kann.

Das Konzept der inspiratorische Druckdifferenz („driving pressure“) und dessen Limitierung auf ≤15 cm H2O – bisher nur auf retrospektiven Daten [363] bzw. einer großen prospektiven Beobachtungsstudie [364] beruhend – hat die Leitlinienkommission in der Abwägung von Nutzen und Schaden zu einer diesbezüglichen (schwachen) Empfehlung veranlasst. Bei adipösen Patienten oder Patienten mit einem erhöhten intraabdominellen Druck kann gegebenenfalls ein höherer endinspiratorischer Druck bis zu 35 cm H2O notwendig werden. Während pathophysiologische Überlegungen dies zu rechtfertigen scheinen, da der transpulmonale Druck unter diesen Umständen reduziert sein kann [365], existieren keine prospektiv-randomisierten Studien, die die Unbedenklichkeit eines solchen Vorgehens belegen.

Für die Beatmung von Patienten unter Extrakorporalverfahren wird aufgrund theoretischer Annahmen eine weitere Reduktion des Plateaudrucks [366] und des „driving pressure“ [367] angestrebt. Prospektiv randomisierte Studien, die hierfür Grenzen untersucht haben, fehlen jedoch bisher.

M.6 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, invasiv beatmete Patienten mit einem PEEP nicht unter 5 cm H2O zu beatmen.

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: sehr niedrig

M.7 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, Patienten mit ARDS mit einem höheren PEEP zu beatmen.

  • Adaptation S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: hoch

M.8 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, für die orientierende Einstellung des PEEP eine der im einleitenden Abschnitt dieses Kapitels in der S3-Leitlinie „Beatmung“ vorgeschlagenen bettseitigen Methoden anzuwenden. Unter Berücksichtigung der einfachen Anwendbarkeit schlagen wir orientierend die Einstellung nach der ARDS-Network-Tabelle vor. (Tab. 1 und 2, Anhang)

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 77 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Patienten ohne ARDS

Pathophysiologische Überlegungen legen nahe, Patienten nicht mit einem PEEP von weniger als 5 cm H2O invasiv zu beatmen. Entsprechend lautende Empfehlungen werden in mehreren Leitlinien im Sinne einer Expertenmeinung ausgesprochen [368,369,370,371] und wurden beispielsweise in den Kontrollgruppen der oben erwähnten RCT zur Beatmung mit niedrigen Tidalvolumina auch ausnahmslos angewendet. Die aktualisierte Version der SSC-Leitlinie enthält keine allgemeine Empfehlung zur Anwendung von PEEP [2]. Eine wirklich fundierte Evidenz für diese Empfehlung bestand bisher nicht.

Trotz der bisher fehlenden Nachweise positiver Effekte einer Beatmung mit mindestens 5 cm H2O PEEP beim Patienten ohne ARDS auf kritische Outcomeparameter, wie Überleben und ITS-Verweildauer, vergibt die Leitlinienkommission aufgrund der nachgewiesenen positiven Effekte auf Oxygenierung und Lungencompliance und wegen fehlender Hinweise auf relevante Risiken eine starke Empfehlung für die Anwendung von mindestens 5 cm H2O PEEP bei invasiv beatmeten Patienten ohne respiratorisches Versagen auf der ITS.

Patienten mit ARDS

Die aktualisierte Version der SSC-Leitlinie 2016 vergibt eine schwache Empfehlung zur Anwendung höherer statt niedriger PEEP-Level in adulten Patienten mit schwerem ARDS (schwache Empfehlung, moderate Qualität der Evidenz; [2]).

Der Effekt einer invasiven Beatmung mit höherem PEEP (typischerweise 12–15 cm H2O und höher) im Vergleich zu einer konventionellen PEEP-Einstellung (typischerweise 5–10 cm H2O) bei Patienten mit einem ARDS wurde anhand von qualitativ hochstehenden systematischen Übersichtsarbeiten/Metaanalysen (SR/MA) untersucht [372,373,374,375,376,377], die auf RCT basieren [353, 375, 378,379,380,381,382].

Die Erkenntnisse aus diesen Studien bzw. Metaanalysen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Die Kombination aus hohem PEEP und niedrigem VT (um 6 ml/kg KG) ist gegenüber einer Beatmung mit niedrigem PEEP (und hohem oder niedrigem VT) mehrheitlich mit einer signifikant besseren ITS-, Krankenhaus- und (teilweise) Tag-28-Überlebensrate verbunden [353, 372, 373, 376, 377].

Eine invasive Beatmung mit einem höheren PEEP verbessert die Oxygenierung (paO2-FIO2-Ratio) signifikant an Tag 1 und 3 [373, 379, 380] und ist nicht mit einer höheren Rate an Barotraumata verbunden [373,374,375,376,377] bzw. geht in Kombination mit einem niedrigen Tidalvolumen sogar mit einer geringeren Rate an Barotraumata einher [353, 383]. Allerdings vermag eine invasive Beatmung mit höherem PEEP weder die Aufenthaltsdauer auf der ITS noch die Beatmungsdauer signifikant zu verkürzen bzw. die Anzahl an beatmungsfreien Tagen zu erhöhen [373, 377].

Ob bei invasiver Beatmung die Wahl eines höheren PEEP per se zu pulmonalen Langzeitschäden führt, kann aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht beantwortet werden. Ebenfalls sind keine Studien bekannt, die den Einfluss einer Beatmung mit höherem PEEP (per se) auf das Langzeitüberleben und die Lebensqualität untersucht haben.

Patienten mit erhöhten ICP

Es sind derzeit keine kontrollierten Studien bekannt, die bei Patienten mit ARDS und erhöhtem ICP den Effekt eines unterschiedlich hohen PEEP auf Überleben, neurologisches Outcome usw. untersucht haben. Die in Reviews [384] zum Ausdruck gebrachten Expertenmeinungen sprechen sich in solchen Situationen für die Wahl eines höheren PEEP unter kontinuierlicher Kontrolle von ICP und zerebralem Perfusionsdruck (CPP) aus.

Von den verschiedenen Möglichkeiten der Einstellung eines für den individuellen Patienten adäquaten PEEP-Niveaus ist aus Sicht der LL-Gruppe die Anwendung der ARDS-Network-Tabelle die am häufigsten verwendete und zugleich einfachste Methode; sie lässt aber individuelle atemmechanische Begebenheiten unberücksichtigt. Gleichzeitig ist die Qualität der zugrunde liegenden Evidenz für die Einstellung eines individuell adäquaten PEEP sowie konkret für die Auswahl der Methode als gering einzuschätzen.

Daher gibt die Leitlinienkommission hier eine schwache Empfehlung für diese Methode als orientierende Hilfe zur Einstellung eines adäquaten PEEP-Niveaus.

Aufgrund der erwähnten Nebenwirkungen sind bei Patienten mit instabiler Herz-Kreislauf-Funktion Nutzen und Risiko eines höheren PEEP individuell zu bewerten. Ebenso sind bei Patienten mit regional unterschiedlicher Ausprägung des ARDS der Nutzen (Rekrutierung atelektatischer Lungenareale, Verminderung von Scherstress) und das Risiko (Überdehnung weniger betroffener Lungenareale mit konsekutiver Totraumventilation) bei der Applikation eines höheren PEEP zu berücksichtigen.

M.9 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, bei invasiv beatmeten Patienten mit ARDS keine Rekrutierungsmanöver (RM) durchzuführen.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: moderat

M.10 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen bei invasiv beatmeten Patienten mit ARDS keine Durchführung von Rekrutierungsmanövern mit endinspiratorischen Drücken über 50 cm H2O.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

In der aktualisierten Version der SSC-Leitlinie 2016 wird eine schwache Empfehlung für die Anwendung von Rekrutierungsmanövern (RM) in adulten Patienten mit sepsisinduziertem schwerem ARDS gegeben (schwache Empfehlung, moderate Qualität der Evidenz). Die Autoren beziehen sich auf eine ältere Metaanalyse aus dem Jahr 2008, geben im Hintergrundtext jedoch später einschränkend an, dass ausgewählte Patienten mit schwerer Hypoxämie von Rekrutierungsmanövern in Verbindung mit hohem PEEP profitieren könnten und bezeichnen die Evidenz für einen routinemäßigen Einsatz als gering [2]. Die hier verabschiedete Empfehlung beruht auf der Bewertung einer aktuellen Metaanalyse von 10 prospektiv-randomisierten Studien, die den Einfluss von RM auf die Krankenhaussterblichkeit zusammenfasst [385]. Bei den insgesamt 1594 Patienten mit ARDS führten RM im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer signifikant geringeren Krankenhaussterblichkeit von 36 % in der RM-Gruppe gegen 42 % in der Kontrollgruppe (RR 0,84; 95 %-KI 0,74–0,95; I2 = 0 %). Die Durchführung von RM war dabei nicht mit einer höheren Inzidenz von Barotraumen assoziiert, senkte aber nicht die Notwendigkeit der Durchführung von Rescue-Therapien wie ECMO oder NO-Inhalation. Die meisten eingeschlossenen Studien fanden keine Unterschiede in der Beatmungsdauer sowie in der Dauer des ITS- oder Krankenhausaufenthalts; diese Variablen ließen sich wegen uneinheitlicher Erfassung jedoch nicht systematisch auswerten.

Die RM waren in der Mehrzahl der berücksichtigten Studien der Metaanalyse Teil eines studienspezifischen Maßnahmenbündels zur Optimierung der Beatmung (u. a. wurden die folgenden Maßnahmen mit der Durchführung von RM gepaart: intermittierende Bauchlage, inhalative Gabe von NO, kontinuierliche Muskelrelaxation). Somit ist der Effekt auf die Krankenhaussterblichkeit nur indirekt auf RM zurückzuführen. Zudem wurden in den verschiedenen Studien unterschiedliche Formen von Rekrutierungsmanövern durchgeführt, wodurch die Vergleichbarkeit eingeschränkt ist. Die eingeschlossenen Studien zeigten zum überwiegenden Teil ein hohes Biasrisiko, da z. B. Informationen über Randomisierung in 5 Studien fehlten. Die Submetaanalyse der 3 Studien, die ein niedriges Biasrisiko trugen, konnte für die Anwendung von RM keinen Überlebensvorteil zeigen [385].

Im Oktober 2017 verglich eine randomisierte multizentrische Untersuchung bei 1010 Patienten mit moderatem und schwerem ARDS die Anwendung eines Rekrutierungsmanövers mit anschließender PEEP-Einstellung nach der besten Compliance des respiratorischen Systems (Rekrutierungsmanöver-plus-hoher-PEEP-Gruppe) gegenüber einer maschinellen Beatmung ohne Anwendung eines Rekrutierungsmanövers und der PEEP-Einstellung nach der niedrigen FIO2-PEEP-Tabelle des ARDS-Network (Kontrollgruppe; [386]). PEEP Einstellung nach der besten Compliance des respiratorischen Systems resultierte in einem höheren PEEP-Niveau. Im Rahmen des Rekrutierungsmanövers wurde ein PAW >50 cm H2O angewandt. In der Rekrutierungsmanöver-plus-hohe-PEEP-Gruppe verstarben 277 der 501 Patienten (55,3 %) und in der Kontrollgruppe 251 der 509 Patienten (49,3 %) bis zum Tag 28 (HR 1,20; 95 %-KI 1,01–1,42; p = 0,041). Verglichen mit der Kontrollgruppe zeigte die Rekrutierungsmanöver-plus- hohe-PEEP-Gruppe eine erhöhte Sterblichkeit nach 6‑Monaten (65,3 % vs. 59,9 %; HR 1,18; 95 %-KI 1,01–1,38; p = 0,04), geringere Anzahl beatmungsfreier Tage (5,3 vs. 6,4; Differenz −1,1; 95 %-KI −2,1 bis −0,1; p = 0,03), und ein erhöhtes Risiko für ein Barotrauma (5,6 % vs. 1,6 %; Differenz 4,0 %; 95 %-KI 1,5–6,5 %; p = 0,001). Die ITS- und Krankenhausverweildauer unterschieden sich nicht. Damit ergab sich für die Anwendung eines Rekrutierungsmanövers mit einem PAW >50 cm H2O und anschließender PEEP-Einstellung nach der besten Compliance des respiratorischen Systems bei Patienten mit ARDS eine Übersterblichkeit.

M.11 | Statement | 2018

  • In der S3-Leitlinienkommission „Beatmung“ besteht erklärter Dissens darüber, ob bei erwachsenen Patienten nach akutem Abfall des Atemwegsdrucks (z. B. durch Diskonnektion, Bronchoskopie) und konsekutiver akuter Hypoxämie ein RM vorzuschlagen ist.

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die Evidenz beschränkt sich auf 2 kleine Studien mit Untersuchungen physiologischer Surrogatparameter im „Cross-over“-Design. Eine Erhöhung des inspiratorischen Drucks während Absaugmanövern konnte einen Abfall des Lungenvolumens weitgehend verhindern [387]. RM nach offenem Absaugen verhinderte einen längerfristigen Abfall der arteriellen Oxygenierung und des Lungenvolumens [388].

Aufgrund der sehr geringen Qualität der Evidenz war es das Ziel der Diskussion in der Leitlinienkommission einen Expertenkonsens zu formulieren. Aufgrund der Heterogenität der Expertenmeinungen innerhalb der Leitlinienkommission erklären die Mitglieder zur Frage der Anwendung von RM nach akutem Atemwegsdruckabfall den einen expliziten Dissens. Es bleibt damit dem klinischen Anwender vorbehalten, eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung zu dieser Frage durchzuführen.

M.12 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass die Bauchlage bei Patienten mit ARDS und Einschränkung der arteriellen Oxygenierung (paO2/FIO2 <150) durchgeführt werden soll.

  • SSC-Leitlinienadaptation sowie Adaptation der S3-Leitlinie Beatmung unter Anlehnung an die S2e-Leitlinie Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen 2015 [389]

  • Konsensstärke: 92 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

M.13 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass ein Bauchlagerungsintervall von mindestens 16 h angestrebt werden soll. Die Bauchlagerung sollte frühzeitig erwogen und nach Indikationsstellung unverzüglich umgesetzt werden.

  • Adaptation der S3-Leitlinie Beatmung unter Anlehnung an die S2e-Leitlinie Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen 2015 [389]

  • Konsensstärke: 92 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Die Empfehlungen M.12 und M.13 stellen eine Adaptation der S2e-Leitlinie zur Lagerungstherapie dar. Die Behandlung des Themas folgt grundsätzlich der S2e-Leitlinie: „Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen – Revision 2015“ [390], allerdings wurden eine Cochrane-Analyse [391] und eine systematische Übersicht [392], die nach Redaktionsschluss der Quellleitlinie erschienen sind, hier mit aufgenommen. Die Cochrane-Analyse von Bloomfield et al. [391] sieht einen möglichen Überlebensvorteil durch Anwendung der Bauchlage für diejenigen Patientengruppen, die entweder frühzeitig nach Auftreten des Lungenversagens in die Bauchlage gebracht wurden oder einer prolongierten Bauchlagerung unterzogen wurden oder zu Beginn der Maßnahme eine schwere Hypoxämie aufwiesen. Zu einem vergleichbaren Fazit kommen Park et al. in ihrer Metaanalyse bisher durchgeführter randomisierter Studien.

In einer im Jahr 2013 publizierten multizentrischen Studie im prospektiv-randomisierten Design [278] wurden 237 Patienten mit moderatem oder schwerem ARDS frühzeitig (<48 h) nach Auftreten der Erkrankung in die Bauchlage gebracht (16 h oder mehr täglich für ca. 7 Tage), während die Patienten der Kontrollgruppe in Rückenlage behandelt wurden. Alle Patienten wurden lungenprotektiv beatmet und in der Frühphase des ARDS wurde eine Muskelrelaxation mit Cisatracurium vorgenommen. Die 90-Tage-Sterblichkeit betrug 23,6 % in der Bauchlagerungsgruppe und 41 % in der Kontrollgruppe (p < 0,001; OR = 0,44). Die Inzidenz an Komplikationen war nicht unterschiedlich zwischen den Gruppen, aber Patienten der Kontrollgruppe wiesen eine signifikant höhere Inzidenz an kardialen Arrhythmien auf (Qualität der Evidenz 1a). In mehreren Metaanalysen [77, 393] und einer aktuellen Cochrane-Analyse [391] wurde gezeigt, dass bei Patienten mit ARDS (paO2/FIO2 <150) und lungenprotektiver Beatmungsstrategie die frühe Anwendung prolongierter Bauchlagerung zu einer signifikanten Senkung der Sterblichkeit im Vergleich zur Rückenlagerung führt (Qualität der Evidenz 2b). Bei Patienten mit ARDS und einem paO2/FIO2-Verhältnis <150 wies die Nutzung der Bauchlage im Vergleich zur Rückenlage innerhalb der ersten 36 h nach Intubation, wenn diese über einen Zeitraum von >16 h pro Tag aufrechterhalten wurde, eine verbesserte Überlebensrate auf [394, 395].

Folgende Komplikationen wurden während der Bauchlagerung beschrieben: Gesichtsödeme (20–30 %), Druckulzera in den Bereichen Gesicht/Hornhaut, Becken, Knie (ca. 20 %), „Nichttoleranz“ während Bauchlagerung (=Husten, Pressen, Beatmungsprobleme ca. 20 %), Herzrhythmusstörungen (ca. 5 %), Mamillennekrosen, Druckulzera der Tibiavorderkante (Einzelberichte), Tubus- oder Katheterdislokationen (ca. 1–2 %) und Nervenschäden. Die retrospektive Analyse der multizentrischen randomisierten Studie von Guerin et al. wies eine höhere Inzidenz von Druckstellen und Hautulzera in der Bauchlagerungsgruppe (14,3/1000 Beatmungstage) im Vergleich zur Rückenlage auf (7,7/1000 Beatmungstage, p = 0,002; [266]).

Die frühzeitig nach Entwicklung/Diagnose eines schweren ARDS begonnene und ausreichend lange durchgeführte Bauchlagerung ist mit einem hohen zu erwartenden Patientennutzen verknüpft. Das in den Studien und Metaanalysen beschriebene Risikoprofil ist vertretbar und beherrschbar. Voraussetzung hierfür ist die interdisziplinär-routinierte Anwendung mit Kenntnis der Ein- und Ausschlusskriterien, der sicheren praktischen Durchführung sowie der frühzeitigen Identifikation besonderer Risikopatienten und -konstellationen.

Für Patienten mit akuten abdominellen Erkrankungen kann derzeit aufgrund mangelnder Untersuchungen keine Empfehlung bezüglich Art und Dauer einer Bauchlagerung abgegeben werden. Patienten mit abdomineller Adipositas (CT-Definition: sagittaler abdomineller Durchmesser ≥26 cm) entwickelten während länger dauernder Bauchlagerung (im Mittel 40 h) im Vergleich zu Patienten ohne ähnliche Konfiguration signifikant häufiger ein Nierenversagen (83 % vs. 35 %, p < 0,01) und signifikant häufiger eine hypoxämische Hepatitis (22 % vs. 2 %, p = 0,015; [396]).

Bauchlagerung kann bei akuten traumatischen oder nichttraumatischen zerebralen Läsionen einen Anstieg des intrakraniellen Drucks und (bei unveränderter Hämodynamik) eine Reduktion des zerebralen Perfusionsdrucks bewirken. Allerdings kann die durch die Bauchlagerung induzierte Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches die zerebrale Oxygenierung steigern.

M.14 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen nicht die Hochfrequenzbeatmung bei erwachsenen Patienten mit ARDS.

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: hoch

Begründung.

Zwei Metaanalysen zeigen keine Reduktion der Krankenhaus- bzw. 30-Tage-Sterblichkeit und z. T. eine längere Beatmungs- sowie Intensivbehandlungsdauer durch die Anwendung von „high frequency oscillation ventilation“ (HFOV) bei vornehmlich adulten (>18 Jahre) Patienten mit moderatem und schwerem ARDS (paO2/FIO2 <200; [397, 398]). Eine aktuelle RCT [399] zeigt keine Änderung der 30-Tage-Letalität, während eine andere aktuelle RCT [400] eine Zunahme der Krankenhausletalität mit HFOV beobachtete. Vor diesem Hintergrund wird die Anwendung der HFOV bei Patienten mit ARDS nicht empfohlen (Empfehlungsgrad stark).

M.15 | Statement | 2018

  • Wir können derzeit keine Empfehlung für oder gegen die Ermöglichung der Spontanatmung bei Patienten in der Frühphase (≤48 h) eines schweren ARDS abgeben.

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Obwohl eine RCT [401] eine Reduktion der Hazard Ratio (HR) für die 90-Tage-Letalität, die 28-Tage-Letalität, die Inzidenz eines Pneumothorax und eine Zunahme der Anzahl an beatmungsfreien und organversagensfreien Tage durch die Gabe von hochdosiertem Cisatracurium in den ersten 48 h zeigte, kann die Blockade der Spontanatmung durch die Gabe von Muskelrelaxanzien in der Frühphase des schweren ARDS nicht generell empfohlen werden. Dies ist begründet durch die methodologischen Mängel, die insbesondere die Teststärke (Power), aber auch Einschlusskriterien, eine nichtleitliniengerechte tiefe Analgosedierung in beiden Behandlungsgruppen, eine hochdosierte fixe Muskelrelaxation mit Cisatracurium ohne Train-of-four-Überwachung und die Gabe von Cisatracurium in der Hälfte der Patienten in der Placebogruppe sowie eine nicht nachvollziehbare überhöhte Inzidenz eines Pneumothorax in der Placebogruppe betreffen [402, 403]. Kritisch muss auch der Hinweis der S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin [402] gewertet werden, dass die deutliche Übersedierung die Letalität in beiden Behandlungsgruppen negativ beeinflusst haben könnte [404, 405]. Zentral ist zu betonen, dass in der vorliegenden RCT in beiden Untersuchungsgruppen kein relevanter Spontanatmungsanteil bei den Patienten vorlag und somit die RCT neutral zu der gestellten Frage ist. Im Gegensatz zur vorliegenden RCT [401] weist eine andere Studie nach kompletter Zwerchfellinaktivität von 18–69 h eine ausgeprägte Zwerchfellatrophie mit nachfolgender Zwerchfelldysfunktion und erschwerten Entwöhnung von der Beatmung nach [406]. Andererseits erlauben Studien zur Spontanatmung mit APRV/BIPAP an Patienten mit leichtem und moderatem ARDS (paO2/FIO2 ≥100; [407]) oder retrospektive Beobachtungsstudien keine Aussage, dass eine erhaltene Spontanatmung hinsichtlich des VALI unbedenklich bei schwerem ARDS (paO2/FIO2 <100) ist. Eine neuere RCT an 138 Patienten mit moderatem und schwerem ARDS (paO2/FIO2 mm Hg 122 ± 47) zeigte eine kürzere Beatmungs- und ITS-Verweildauer mit erhaltener Spontanatmung [408]. Zudem war die Sterblichkeitsrate auf der ITS mit früher Spontanatmung zwar nicht signifikant geringer (19,7 % vs. 34,3 %; p = 0,053) aber assoziiert mit einer Verbesserung der arteriellen Oxygenierung, der respiratorischen Compliance und einem niedrigeren PEI sowie einem geringeren Bedarf an Analgosedierung (p < 0,05).

Daher ist derzeit aus Sicht der LL-Gruppe unklar, ob die Ermöglichung von Spontanatmung oder eine hochdosierte Gabe von Muskelrelaxanzien in den initialen 48 h für Patienten mit schwerem ARDS mehr Nutzen oder mehr Risiko bzw. Schaden bedeutet. Somit kann zu dieser Frage aktuell keine Empfehlung abgegeben werden. Bei Patienten, bei denen aufgrund der Grunderkrankung eine Spontanatmung vermieden werden soll (z. B. erhöhter intrakranieller Druck, Rechtsherzversagen etc.) ist daher Nutzen und Risiko der Blockade von Spontanatmung durch Einsatz einer Muskelrelaxation individuell zu bewerten. Die S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin [402] empfiehlt die Muskelrelaxation zurückhaltend zu indizieren, auf den kürzest möglichen Zeitraum zu beschränken und mit einem adäquaten Monitoring der Relaxierungstiefe als auch des Sedierungs- und Analgesiegrads zu begleiten. Dazu wird nochmals im Unterkapitel 5.1 Stellung genommen.

M.16 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, frühzeitig (innerhalb der ersten 48 h nach Intubation) eine unterstützende Beatmung zur Ermöglichung von Spontanatmung mit Ausnahme des schweren ARDS einzusetzen.

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: moderat

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

In RCT mit Patienten mit mildem und moderatem ARDS [404, 409] als auch bei Patienten mit akutem respiratorischem Versagen [410] wurde mit assistierter Spontanatmung im Vergleich zu einer kontrollierten Beatmung eine Reduktion des intrapulmonalen Rechts-Links-Shunts, eine Verbesserung der arteriellen Oxygenierung und des HZV, eine Reduktion der Analgosedierung oder eine Reduktion der Beatmungsdrücke bei vergleichbarer Oxygenierung bzw. einer verbesserten CO2-Elimination beobachtet. Diese kleineren RCT und eine internationale Kohortenstudie mit auf einem Propensity-Score basiertem Matchingalgorithmus [411] weisen bei Patienten mit mildem und moderatem ARDS oder akuter respiratorischer Insuffizienz auf keine höhere Rate von beatmungsassoziierten Komplikationen oder höhere ITS- oder Krankenhausletalität infolge einer erhaltenen Spontanatmung hin. In einer neueren RCT an 138 Patienten mit moderatem und schwerem ARDS (paO2/FIO2 mm Hg 122 ± 47) wurde eine initial erhaltene Spontanatmung unter APRV/BIPAP mit einer volumenkontrollierten Beatmung mit einem Tidalvolumen von 6 ml/kg standardisiertem KG („low VT ventilation“, LOVT) verglichen [408]. APRV wurde mit einem hohen Beatmungsdruck (Phigh) von <30 cm H2O und einem niedrigen Beatmungsdruck (Plow) von 5 cm H2O durchgeführt. Verglichen mit der LTV-Gruppe war in der APRV-Gruppe die Anzahl der beatmungsfreien Tage höher (19 [„interquartile range“, IQR] 8–22 vs. 2 [IQR 0–15]; p < 0,001) und die Verweildauer auf ITS kürzer (p = 0,003). Die Sterblichkeitsrate auf der ITS betrug in der APRV-Gruppe 19,7 % vs. 34,3 % in der LTV-Gruppe (p = 0,053) und war assoziiert mit einer Verbesserung der arteriellen Oxygenierung, der respiratorischen Compliance und einem niedrigeren endinspiratorischen Druck sowie einem geringeren Bedarf an Analgosedierung (p < 0,05).

Dennoch liegen keine multizentrischen RCT mit adäquater Patientenzahl vor, die den primären Endpunkt Letalität bzw. die Inzidenz von VALI untersuchten und damit den Vorteil einer frühzeitigen assistierten Beatmung belegen.

Allerdings empfiehlt auch die S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin [402] ein protokollbasiertes Sedierungsregime, das spontan atmende, möglichst wache und kooperative Patienten, die die intensivmedizinisch erforderlichen Maßnahmen gut tolerieren (RASS 0/−1), anstrebt. Dies ist nur durch eine frühzeitige unterstützende Beatmung möglich. Eine zu tiefe Analgosedierung kann zu einer erhöhten Sterblichkeit beitragen und soll daher vermieden werden.

Aufgrund der aktuellen Datenlage, die Nachweise für eine Verbesserung wichtiger, aber nicht kritischer Endpunkte (Verbesserung Oxygenierung, Reduktion der Beatmungsdrücke und verminderter Sedierungsbedarf) bei gleichzeitig fehlenden relevanten Risiken liefert, und unter Berücksichtigung der Empfehlungen der S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement schlägt die Leitlinienkommission daher frühzeitig eine unterstützende Beatmung zur Ermöglichung von Spontanatmung bei respiratorischer Insuffizienz mit Ausnahme des schweren ARDS vor (Empfehlungsgrad: schwach). Bei Patienten, bei denen aufgrund der Grunderkrankung eine Spontanatmungsaktivität vermieden werden soll (z. B. erhöhter intrakranieller Druck, Rechtsherzversagen etc.) ist Nutzen und Risiko einer assistierten Beatmung individuell kritisch zu bewerten.

M.17 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen keine intravenöse und inhalative Gabe von β2-Mimetika zur Prophylaxe oder zur adjunktiven Therapie bei Patienten mit ARDS.

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Eine Metaanalyse über 3 prospektive randomisierte placebokontrollierte Studien mit den intravenösen oder inhalativen β2-Mimetika Salbutamol/Albuterol konnte keinen Vorteil für β2-Mimetika als adjuvante Therapie beim ARDS zeigen (28-Tage-Sterblichkeit RR 1,04 [0,5–2,16 95 %-KI], I2 83 %, p 0,92). Darüber hinaus treten in den mit β2-Mimetika behandelten Patienten signifikant mehr unerwünschte Ereignisse (Tachykardien und Arrhythmien) auf [412]. Die Qualität der in die Metaanalyse eingegangen Studien wurde aufgrund eines niedrigen Biasrisikos und in Bezug auf die beatmungsfreien Tage und organversagensfreie Tage als hoch eingeschätzt.

Die aktualisierte Version der SSC 2016 enthält eine starke Empfehlung gegen die Anwendung von β2-Mimetika bei Patienten mit ARDS ohne Bronchospasmus (starke Empfehlung, moderate Qualität der Evidenz; [413]).

Aufgrund des fehlenden Nutzens bei gleichzeitigen deutlichen Hinweisen für einen möglichen Schaden durch die Gabe von β2-Mimetika bei Patienten mit ARDS und zudem hoher Qualität der zugrunde liegenden Evidenz vergibt die Leitlinienkommission eine starke Empfehlung gegen diese Therapie.

Die Empfehlung bezieht sich nicht auf invasiv beatmete Patienten mit einer akuten durch einen Bronchospasmus verursachten Atemwegsobstruktion. Im Fall einer solchen akuten oder akut-auf-chronischen obstruktiven Störung (Bronchospasmus) bei invasiv beatmeten Patienten besteht die Indikation zur inhalativen Applikationen von β2-Mimetika (z. B. über Vernebler). Hierzu verweisen wir auf die entsprechenden Behandlungsleitlinien für Patienten mit „chronic obstructive pulmonary disease“ (COPD) bzw. Asthma bronchiale [414], die sich zurzeit in Überarbeitung befinden.

M.18 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen bei adulten Patienten, die länger als 24 h invasiv beatmet wurden, ein Protokoll zur Entwöhnung von der invasiven Beatmung (Weaningprotokoll) anzuwenden, um standardisiert die Bewertung der Entwöhnungsbereitschaft („readiness to wean“) zu evaluieren, die Spontanatmungsversuche („spontaneous breathing trial“) durchzuführen und die Kriterien zur Beendigung der invasiven Beatmung bzw. Extubation/Dekanülierung zu überprüfen.

  • Adaptation der S3-Leitline Beatmung

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Mehrere Metaanalysen zeigen eine Reduktion der Beatmungs-, der Weaning- und der Intensivbehandlungsdauer durch die Anwendung von standardisierten Weaningprotokollen bei adulten (>18 Jahre) maschinell beatmeten Patienten im Rahmen der Intensivbehandlung [415, 416].

Alle Metaanalysen belegen, dass die Anwendung von standardisierten Weaningprotokollen nicht mit einer Zunahme von Komplikationen oder nachteiligen Auswirkungen, wie z. B. erhöhte Rate an Weaningversagen, Reintubation, Tracheotomie, assoziiert ist [415].

Mehrere Metaanalysen zeigen bei neurologischen bzw. neurochirurgischen Patienten keine Reduktion der Beatmungs-, der Weaning- und der Intensivbehandlungsdauer durch die Anwendung von standardisierten Weaningprotokollen [415, 415,416,417]. Für den Einsatz von Weaningprotokollen bei dieser Patientengruppe kann somit aktuell kein Vorteil, aber auch kein Nachteil gesehen werden.

Für Patienten im prolongierten Weaning (erfolgreiches Weaning nach >3 SBT bzw. >7-tägiger Beatmungsdauer) findet sich eine unzureichende Studienlage, weshalb keine Empfehlung für den Einsatz von Weaningprotokollen abgegeben werden kann [418].

M.19 | Statement | 2018

  • Wir sprechen keine Empfehlung hinsichtlich der Verwendung einer nichtinvasiven Beatmung bei Patienten mit sepsisinduziertem ARDS aus.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die NIV könnte Vorteile bei sepsisinduziertem Lungenversagen haben wie z. B. bessere Kommunikationsfähigkeit, reduzierter Sedierungsbedarf und die Vermeidung einer Intubation. Eine NIV könnte jedoch die Nutzung eines niedrigen Atemzugvolumens oder das Erreichen von angemessenen PEEP-Werten ausschließen, beides Beatmungsstrategien, für die ein Nutzen sogar bei leichtem bis schwerem ARDS nachgewiesen wurde [419, 420]. im Gegensatz zu Indikationen wie dem kardiogenen Lungenödem oder einer Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), wo die NIV-Nutzung nur kurzzeitig erfolgt, dauert es beim ARDS oft Tage oder Wochen, bis eine Besserung eintritt, und eine länger andauernde NIV-Nutzung kann zu Komplikationen führen wie z. B. zu einer Schädigung der Gesichtshaut, einer ungenügenden Nahrungszufuhr und einer mangelhaften Erholung der Atemmuskulatur.

Einige kleine RCT haben einen Vorteil bei der NIV-Nutzung bei leichtem ARDS oder ARDS im Frühstadium oder hypoxischem De-novo-Lungenversagen nachgewiesen; diese Studien wurden jedoch an stark selektierten Patientenpopulationen durchgeführt [421, 422]. In jüngerer Zeit verglich eine größere RCT an Patienten mit hypoxämischem Lungenversagen die NIV mit der traditionellen Sauerstofftherapie oder der High-flow-Nasenkanüle [423]. Diese Studie wies eine verbesserte 90-Tage-Überlebensrate mit High-flow-Sauerstoff im Vergleich zur Standardtherapie oder NIV auf; die NIV-Technik war jedoch nicht standardisiert und die Erfahrung der Studienzentren variierte. Obwohl High-flow-Sauerstoff hier nicht adressiert wird, ist es möglich, dass diese Technik künftig eine größere Rolle bei der Behandlung von hypoxischem Lungenversagen und ARDS spielen wird.

Angesichts der Ungewissheit, ob die Kliniker ARDS-Patienten identifizieren können, bei denen sich eine NIV vorteilhaft auswirken könnte, haben wir keine Empfehlung für oder gegen diese Maßnahme ausgesprochen. Falls die NIV-Methode bei Patienten mit ARDS genutzt wird, empfehlen wir eine engmaschige Überwachung des Atemzugvolumens.

M.20 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen die Anwendung von protokollbasierten Spontanatmungsversuchen bei mechanisch beatmeten Patienten mit Sepsis.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: hoch

Begründung.

Tägliche spontane Atmungsversuche bei sorgfältig ausgewählten Patienten reduzieren die Dauer der mechanischen Beatmung und die Entwöhnungsdauer sowohl in individuellen Studien als auch in der gepoolten Analyse der individuellen Studien [415, 424, 425]. Diese Atmungsversuche sollten in Verbindung mit einem spontanen Aufwachversuch durchgeführt werden [426]. Die erfolgreiche Absolvierung von spontanen Atmungsversuchen führt zu einer hohen Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen frühzeitigen Absetzens der mechanischen Beatmung bei nachweislich minimaler Schädlichkeit.

N. Sedierung und Analgesie

N.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen die Minimierung einer kontinuierlichen oder diskontinuierlichen Sedierung bei beatmeten Sepsispatienten bis zu festgelegten Titrationsendpunkten.

  • Der Zielwert auf der Richmond Agitation Sedation Scale (RASS) für alle intensivmedizinisch behandelten Patienten ist außerhalb von speziellen Indikationen 0/−1.

  • SSC-Leitlinienadaptation; zusätzliche DSG-Ergänzung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die Eingrenzung der Nutzung einer Sedierung bei kritisch erkrankten beatmeten Patienten reduziert die Dauer der mechanischen Beatmung und die Aufenthaltsdauer auf der ITS und im Krankenhaus und ermöglicht eine frühere Mobilisierung [427, 428]. Während diese Daten aus Studien stammen, die an einem großen Spektrum an kritisch erkrankten Patienten durchgeführt wurden, besteht wenig Grund zur Annahme, dass bei septischen Patienten nicht die gleichen Vorteile nachweisbar sind.

Diverse Strategien haben nachweislich die Nutzung von Sedativa und damit die Dauer der mechanischen Beatmung reduzieren können. Durch das Pflegepersonal gesteuerte Protokolle, die eine Sedierungsskala beinhalten, führen mit großer Wahrscheinlichkeit zu besseren Ergebnissen; allerdings hängt der Nutzen von den vorhandenen lokalen Gewohnheiten und der Praxis ab [429, 430]. Eine andere Option für die systematische Begrenzung des Einsatzes von Sedierungsmaßnahmen ist die bevorzugte Verabreichung von intermittierend anstelle von kontinuierlich verabreichten Sedativa [431, 432]. Eine tägliche Sedationsunterbrechung („daily sedation interruption“, DSI) war mit verbesserten Ergebnissen in einer monozentrischen randomisierten Studie im Vergleich zur Standardbehandlung verbunden [425]. Allerdings wurde in einer multizentrischen RCT kein Vorteil im Zusammenhang mit einer DSI festgestellt, wenn die Patienten unter Nutzung eines Sedierungsprotokolls behandelt wurden. Zudem war dieses mit erhöhtem Aufwand für das das Pflegepersonal verbunden [433]. Eine vor Kurzem durchgeführte Cochrane-Metaanalyse ergab keine starke Evidenz dafür, dass eine DSI die Dauer der mechanischen Beatmung, die Mortalität, die Aufenthaltsdauer auf der ITS oder im Krankenhaus sowie die Nebenwirkungsraten oder den Medikamentenverbrauch von kritisch erkrankten Patienten reduziert. Allerdings ist die Interpretation dieser Ergebnisse durch eine hohe klinische Heterogenität limitiert [434].

Eine andere Strategie besteht in der primären, alleinigen Nutzung von Opioiden und der Vermeidung von Sedativa, wobei in einer monozentrischen Studie nachgewiesen wurde, dass diese Strategie bei der Mehrheit der beatmeten Patienten realisierbar und mit einer schnelleren Entwöhnung von der mechanischen Beatmung verbunden war [435]. Weiterhin kann die Nutzung von schnell wirkenden Medikamenten, wie z. B. Propofol und Dexmedetomidin, zu besseren Ergebnissen führen als die Verwendung von Benzodiazepinen [436,437,438]. Die aktuellen Leitlinien zu Schmerzen, Unruhe und Delirium enthalten weitere Angaben zur Umsetzung des Sedierungsmanagements einschließlich nichtpharmakologischer Ansätze für das Management von Schmerzen, Unruhe und Delirium [439].

Unabhängig von der Herangehensweise steht ein großer Umfang an Evidenz zur Verfügung, die den Vorteil einer Begrenzung der Sedierung bei Patienten demonstriert, die eine mechanische Beatmung benötigen und bei denen keine Kontraindikationen vorliegen. Dementsprechend sollte dies die Best Practice für alle kritisch erkrankten Patienten sein einschließlich der Patienten mit Sepsis.

Im Vergleich zur SSC-Leitlinie, die als Einzelempfehlung vorschlägt, eine „kontinuierliche oder diskontinuierliche Sedierung zu minimieren und Sedierungsprotokolle mit spezifischen Sedierungszielen anzustreben“, empfiehlt die deutsche Leitlinie bei intensivmedizinisch behandelten Patienten mit höchstem Empfehlungsgrad außerhalb spezifischer Indikationen (z. B. therapeutische Sedierung im Rahmen eines erhöhten intrakraniellen Drucks, Bauchlagerungstherapie im Rahmen des ARDS) einen RASS-Zielwert von 0/−1.

Hinsichtlich der angewandten Methodologie zur Festlegung von Evidenzstärken unterscheidet sich die DAS-Leitlinie von der der SSC. In der deutschen Leitlinie kam das „Oxford level of evidence“ (Oxford LoE) zum Einsatz. In der SSC-Leitlinie handelt es sich um ein nicht abgestuftes Best-Practice-Statement.

Zur Diagnostik und Behandlung von Agitation, Schmerzen und Delir sowie zum Einsatz von Sedativa wurde im Jahre 2015 die aktualisierte S3-Leitlinie „Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin (DAS-Leitlinie 2015)“ (AWMF-Nr. 001/012, gültig bis 30.08.2020) veröffentlicht [440]. Sie ist unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sowie unter Beteiligung von weiteren 15 medizinischen Fachgesellschaften entwickelt und verabschiedet worden. Die Empfehlungen dieser nationalen Leitlinie gelten für Deutschland.

O. Blutzuckerkontrolle

O.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen einen protokollierten Ansatz für das Blutzuckermanagement bei ITS-Patienten mit Sepsis, bei denen die Insulindosisgabe beginnt, wenn 2 aufeinanderfolgende Messungen einen Blutzuckerspiegel von >180 mg/dl ergeben. Bei diesem Ansatz sollte bevorzugt ein oberer Blutzuckerspiegel von ≤180 mg/dl statt eines oberen Zielblutzuckerspiegels von ≤110 mg/dl angestrebt werden.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Enthaltung: 1

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzqualität: hoch

O.2 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass die Blutzuckerwerte alle 1–2 h kontrolliert werden, bis die Blutzuckerwerte und die Insulininfusionsraten stabil sind. Danach sollte alle 4 h eine Kontrolle bei Patienten erfolgen, die Insulininfusionen erhalten.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Eine große monozentrische RCT aus dem Jahr 2001 demonstrierte eine Reduzierung der ITS-Mortalität bei einer intensivierten intravenösen Insulinbehandlung (Leuven-Protokoll) mit einem Blutzuckerzielwert von 80–110 mg/dl [441]. Eine zweite randomisierte Studie zu einer intensivierten Insulintherapie unter Verwendung des Leuven-Protokolls umfasste internistischen ITS-Patienten auf 3 internistischen ITS mit einer erwarteten Aufenthaltsdauer auf der ITS von mehr als 3 Tagen. In dieser Studie lag keine Reduzierung der Gesamtmortalität vor [442]. Seit diese 2 Studien veröffentlicht wurden, sind diverse RCT [443,444,445,446,447,448,449,450] und Metaanalysen [451,452,453,454,455,456,457] zur intensivierten Insulintherapie durchgeführt worden. Die RCT untersuchten gemischte Populationen von chirurgischen und internistischen ITS-Patienten und wiesen nach, dass eine intensivierte Insulintherapie zu keinem signifikanten Rückgang der Mortalität führte, die NICE-SUGAR-Studie erbrachte sogar einen Nachweis für einen Anstieg der Sterblichkeit [446]. Alle Studien zeigten eine viel höhere Inzidenz einer schweren Hypoglykämie (Glukose ≤40 mg/dl; 6–29 %) bei der Durchführung einer intensivierten Insulintherapie auf. Diverse Metaanalysen bestätigten, dass eine intensivierte Insulintherapie bei chirurgischen, medizinischen oder gemischten ITS-Patientenpopulationen nicht mit einem Mortalitätsvorteil verbunden ist. Die Metaanalyse von Song et al. [457] evaluierte ausschließlich septische Patienten und ergab, dass eine intensivierte Insulintherapie nicht zu einer Veränderung der 28-Tage- oder 90-Tage-Letalität führt und mit einer höheren Inzidenz von Hypoglykämien verbunden ist. Schwellenwert für die Initiierung eines Insulinprotokolls waren in der NICE-SUGAR-Studie Blutzuckerwerte >180 mg/dl mit einem oberen Blutzuckerzielwert von <180 mg/dl. Die NICE-SUGAR-Studie ist die größte und bisher überzeugendste Studie zur Blutzuckerkontrolle bei Intensivpatienten, da in diese zahlreiche ITS und Krankenhäuser sowie eine sehr heterogene Patientenpopulation einbezogen wurden. Diverse medizinische Organisationen, einschließlich der American Association of Clinical Endocrinologists, der American Diabetes Association, der American Heart Association, dem American College of Physicians und der Society of Critical Care Medicine haben Konsenserklärungen zur glykämischen Kontrolle von Krankenhauspatienten veröffentlicht [458, 459]. Diese Erklärungen beinhalten im Allgemeinen avisierte Blutzuckerzielwerte zwischen 140 und 180 mg/dl. Da keine Evidenz vorliegt, die belegen würde, dass sich Zielwerte zwischen 140 und 180 mg/dl von Zielwerten zwischen 110 und 140 mg/dl unterscheiden, wird in den vorliegenden Empfehlungen ein oberer Blutzuckerzielwert von ≤180 mg/dl genutzt, ohne einen unteren Zielwert festzulegen, mit Ausnahme der Hypoglykämie. Engere Wertebereiche, wie z. B. 110–140 mg/dl, können bei ausgewählten Patienten angemessen sein, wenn diese Zielwerte ohne signifikante Hypoglykämie erreicht werden können [458, 460]. Bei der Behandlung sollten Hyperglykämien (>180 mg/dl), Hypoglykämien und große Schwankungen der Blutzuckerwerte vermieden werden, da diese mit einer höheren Mortalität in Zusammenhang gebracht wurden [461,462,463,464,465,466]. Die Fortsetzung von Insulininfusionen, insbesondere beim Absetzen der Ernährungsmaßnahmen, wurde als Risikofaktor für eine Hypoglykämie identifiziert [449]. Eine ausgewogene Ernährung könnte mit einem reduzierten Risiko für eine Hypoglykämie verbunden sein [467]. Eine Hyperglykämie und Glukosevariabilität scheint nicht im Zusammenhang mit erhöhten Mortalitätsraten bei Diabetespatienten im Vergleich zu Nichtdiabetespatienten zu stehen [468,469,470]. Patienten mit Diabetes, chronischer Hyperglykämie und Niereninsuffizienz im Endstadium könnten höhere Blutzuckerwertebereiche benötigen [471, 472].

O.3 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen die bevorzugte Verwendung von arteriellem Blut gegenüber kapillarem Blut für die patientennahen Testverfahren unter Verwendung von Blutzuckermessgeräten vor, falls die Patienten über arterielle Katheter verfügen sollten.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 90 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzqualität: niedrig

Begründung.

Diverse Faktoren können die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der Point-of-Care-Testverfahren des kapillaren Blutzuckers beeinflussen, zu denen der Typ und das Modell des verwendeten Geräts, die Nutzererfahrung und Patientenfaktoren gehören einschließlich Hämatokrit (falsche Erhöhung bei Anämie), paO2 und Medikamente [473]. Die Plasmablutzuckerwerte, die durch kapillare Blutzuckertestverfahren ermittelt wurden, waren nachweislich potenziell ungenau mit häufigen fehlerhaft gemessenen Erhöhungen [474,475,476] über alle Blutzuckerwerte hinweg insbesondere jedoch in den hypoglykämischen und hyperglykämischen Wertebereichen [477] und bei Schockpatienten (die Vasopressoren erhalten; [473]). Ein Review von Studien ergab, dass die Genauigkeit von Blutzuckermessungen mittels Blutgasanalysegeräten und Blutzuckermessgeräten, die arterielles Blut nutzen, signifikant höher ist als bei Blutzuckermessgeräten, die kapillares Blut nutzen [475]. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat erklärt, dass „kritisch erkrankte Patienten nicht mit einem Blutzucker-Point-of-Care-Messgerät getestet werden sollten, weil die Ergebnisse ungenau sein könnten“, und die Zentren für Medicare- und Medicaid-Leistungen verfügen über Pläne zur Durchsetzung eines Verbots der Off-Label-Verwendung von Point-of-Care-Blutzuckertestgeräten bei kritisch kranken Patienten [478]. Diverse medizinische Experten haben den Bedarf für ein Moratorium zu diesem Plan gefordert.

Ein Review von 12 veröffentlichten Insulininfusionsprotokollen für kritisch erkrankte Patienten demonstrierte eine große Variabilität in Bezug auf die Dosisempfehlungen und eine hohe Variabilität der Blutzuckerkontrolle [479]. Dieser Mangel an Konsens in Bezug auf die optimale Dosierung von intravenösem Insulin könnte die Variabilität bei Patientenfaktoren reflektieren (Schweregrad der Erkrankung, chirurgische vs. internistische Patienten) oder die Praxismuster (z. B. Ansätze in Bezug auf die Ernährung, intravenöse Dextrose) in dem jeweiligen Setting, in dem diese Protokolle entwickelt und getestet wurden. Diverse Studien haben darauf hingewiesen, dass computerbasierte Algorithmen zu einer engmaschigeren glykämischen Kontrolle bei gleichzeitiger Reduzierung des Risikos einer Hypoglykämie führen [480, 481]. Computergestützte Systeme zur Unterstützung der Entscheidungsfindung und vollautomatische Closed-loop-Systeme zur Blutzuckerkontrolle sind realisierbar, aber noch nicht Bestandteil der Standardbehandlung. Es besteht ein Bedarf an Studien zu validierten, sicheren und wirksamen Protokollen und Closed-loop-Systemen zur Kontrolle des Blutzuckerspiegels unter Berücksichtigung der Variabilität innerhalb der Sepsispopulation.

P. Nierenersatztherapie

P.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass bei Patienten mit Sepsis und akutem Nierenversagen entweder kontinuierliche oder intermittierende Nierenersatztherapien angewendet werden.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Zahlreiche nichtrandomisierte Studien zeigen eine nichtsignifikante Tendenz in Richtung einer Verbesserung der Überlebensrate unter Nutzung kontinuierlicher Methoden auf [482,483,484,485,486,487,488]. Hingegen konnten 2 Metaanalysen [489, 490] in Bezug auf die Krankenhausmortalität keine signifikante Differenz zwischen dem Outcome unter kontinuierlicher Nierenersatztherapie und intermittierender Nierenersatztherapie zeigen. Diese Abwesenheit eines offensichtlichen Vorteils einer Methode gegenüber der anderen ist auch festzustellen, wenn die Analyse auf RCT begrenzt wird [490]. Vier von 5 prospektiven RCT [491,492,493,494,495] stellten keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Mortalität fest [491, 492, 494, 495]. Eine RCT zeigte eine signifikant höhere Mortalität in der Patientengruppe mit der kontinuierlichen Behandlung [493]. In dieser Gruppe hatte allerdings eine unausgeglichene Randomisierung zur Folge, dass ein höherer Schweregrad der Erkrankung zur Baseline vorlag. Bei Anwendung eines multivariablen Modells zur Anpassung in Bezug auf den Schweregrad der Erkrankung konnte keine offensichtliche Differenz im Hinblick auf die Mortalität zwischen den Gruppen festgestellt werden. Die meisten Studien, in denen die Nierenersatztherapiemodi bei kritisch erkrankten Patienten verglichen wurden, umfassten eine kleine Patientenzahl und verfügten über ein hohes Verzerrungspotenzial (z. B. Randomisierungsversagen, Modifikationen des therapeutischen Protokolls während des Studienzeitraums, Kombination von verschiedenen kontinuierlichen Nierenersatztherapietypen, heterogene Patientengruppen). Die aktuellste und größte RCT [495] umfasste 360 Patienten und wies keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Überlebensrate zwischen der kontinuierlichen und intermittierenden Gruppe nach.

P.2 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass kontinuierliche Therapien zum besseren Management des Flüssigkeitshaushalts bei hämodynamisch instabilen septischen Patienten verwendet werden.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: sehr niedrig

Begründung.

Die Evidenz für diese Empfehlung ist weiterhin niedrig. Zwei prospektive Studien [491] haben über eine bessere hämodynamische Toleranz bei einer kontinuierlichen Behandlung berichtet, ohne eine Verbesserung der regionalen Perfusion [496] und ohne einen Überlebensvorteil [491]. Vier andere Studien wiesen keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf den MAP oder einen Abfall des systolischen Drucks zwischen den beiden Methoden nach [492, 494, 495, 497]. Zwei Studien fanden eine signifikante Verbesserung in Bezug auf das Erreichen der Zielwerte mit kontinuierlichen Methoden [491,492,493] hinsichtlich des Flüssigkeitsmanagements.

Zwei weitere RCT zur Wirksamkeit einer kontinuierlichen Nierenersatztherapie wurden kürzlich publiziert. Beide Studien beinhalteten Patienten mit Sepsis und akutem Nierenversagen und zeigten keinen Unterschied in Bezug auf die Mortalität im Zusammenhang mit einer höheren Nierenersatztherapiedosis auf. Zwei große, multizentrische randomisierte Studien zum Vergleich der Dosis einer Nierenersatztherapie (Acute Renal Failure Trial Network in den USA und die RENAL-Studie in Australien und Neuseeland) konnten ebenfalls keinen Vorteil einer aggressiveren Dosierung der Nierenersatztherapie nachweisen [498, 499]. Eine Metaanalyse der Sepsispatienten, die in alle relevanten RCT einbezogen wurden (n = 1505), demonstrierte keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Dosis und der Mortalität, wobei jedoch die Punktschätzung vorteilhafter für kontinuierliche Nierenersatztherapiedosen >30 ml/kg KG und Stunde ausfiel. Wegen des Verzerrungspotenzials, der Inkonsistenz und der Ungenauigkeit ist das Vertrauen in die Schätzung sehr gering. Daher sollten weitere Studien zu diesem Aspekt durchgeführt werden. Eine typische Dosis für eine kontinuierliche Nierenersatztherapie wäre 20–25 ml/kg KG und Stunde.

P.3 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass von einer Verwendung von Nierenersatzverfahren bei Patienten mit Sepsis und akutem Nierenversagen wegen einer Erhöhung des Kreatinins oder einer Oligurie abgesehen wird, ohne dass Indikationen für ein Nierenersatzverfahren vorliegen (z. B. therapierefraktäre Überwässerung, Acidose, Hyperkaliämie oder Urämiesymptome).

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Eine kleine Studie aus dem Jahr 2002 [500] evaluierte das frühzeitige im Vergleich zum „späten“ oder „verzögerten“ Ansetzen der Nierenersatztherapie, wobei diese Studie nur 4 Patienten mit Sepsis umfasste und keinerlei Vorteile einer frühzeitigen kontinuierliche Nierenersatztherapie nachweisen konnte.

2016 sind 2 relevante RCT veröffentlicht worden: Die Ergebnisse suggerieren entweder die Möglichkeit eines Vorteils [501] oder die eines Nachteils [502] im Zusammenhang mit der Mortalität und deuten auf einen erhöhten Einsatz von Dialyse sowie von Katheterinfektionen bei einer frühzeitigen Nierenersatztherapie hin. Die Indikationskriterien und der Zeitpunkt des Beginns der Nierenersatztherapie unterschieden sich bei den beiden Studien. Die Ergebnisse wurden als Ergebnisse niedriger Evidenzsicherheit beurteilt basierend auf der Indirektheit (viele nichtseptische Patienten) und der Ungenauigkeit im Hinblick auf die Mortalität. Die Möglichkeit einer Schädigung (z. B. Katheterinfektionen) verschiebt die Abwägung des Risikos und des Nutzens in Richtung eines späteren Beginns einer Nierenersatztherapie. Gleichzeitig scheinen die unerwünschten Effekte und Kosten die erwünschten Folgen aufzuwiegen. Daher schlagen wir vor, dass von einer Verwendung einer Nierenersatztherapie bei Patienten mit Sepsis und akuten Nierenschäden nur wegen einer Erhöhung des Kreatinins oder einer Oligurie abgesehen wird, ohne dass sonstige definitive Indikationen für eine Dialyse vorliegen.

Q. Bikarbonattherapie

Q.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass von einer Verwendung einer Natriumbikarbonattherapie zum Zwecke einer Verbesserung der Hämodynamik oder zur Verringerung des Vasopressorbedarfs bei Patienten mit hypoperfusionsinduzierter Laktatacidose und einem pH-Wert von ≥7,15 abgesehen wird

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzqualität: moderat

Begründung.

Obwohl eine Natriumbikarbonattherapie hilfreich bei der Begrenzung des Atemzugvolumens bei ARDS bei permissiver Hyperkapnie sein kann, steht keine Evidenz zur Verfügung, die die Nutzung einer Natriumbikarbonattherapie zur Behandlung einer hypoperfusionsinduzierten Laktatacidämie bei Sepsis rechtfertigen würde. Zwei verblindete Cross-over-RCT, die äquimolares Kochsalz mit Natriumbikarbonat bei Patienten mit Laktatacidose verglichen, wiesen keine Unterschiede in Bezug auf die hämodynamischen Variablen oder den Vasopressorbedarf nach [503, 504]. Die Anzahl der Patienten mit einem pH-Wert <7,15 in diesen Studien war allerdings gering. Außerdem lag bei den Patienten nicht nur ein septischer Schock vor, sondern sie hatten auch andere Erkrankungen wie z. B. eine Mesenterialischämie. Die Bikarbonatverabreichung war mit einem Natrium- und Volumenanstieg und einem Anstieg des Laktats und paCo2 sowie einem Rückgang des ionisierten Serumkalziums verbunden. Die Auswirkung der Verabreichung von Natriumbikarbonat auf die Hämodynamik und den Vasopressorbedarf bei einem niedrigeren pH-Wert ist nicht bekannt, das gilt auch für die Auswirkung bei anderen pH-Werten.

R. Prophylaxe einer venösen Thromboembolie

R.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen eine pharmakologische Prophylaxe einer venösen Thromboembolie (VTE) mittels unfraktionierten Heparins (UFH) oder niedermolekularem Heparins (NMH), sofern keine Kontraindikationen in Bezug auf die Verwendung dieser Wirkstoffe vorliegen.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Intensivpflichtige Patienten weisen ein erhöhtes Risiko sowohl für die Entwicklung einer tiefen Venenthrombose (TVT) als auch einer Lungenarterienembolie (LAE) auf. Die Inzidenz einer auf der ITS erworbenen TVT beträgt bis zu 10 % [505], während die Inzidenz einer LAE in einem Bereich von 2–4 % liegt [506, 507]. Gerade Patienten mit Sepsis bzw. septischem Schock weisen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer venösen Thromboembolie (VTE) auf, da z. B. die Notwendigkeit zur Applikation von Vasopressoren einen unabhängigen Risikofaktor für eine auf der ITS erworbene TVT darstellt. Im Rahmen einer Metaanalyse konnte dementsprechend gezeigt werden, dass eine pharmakologische VTE-Prophylaxe mittels unfraktionierten Heparins (UFH) oder niedermolekularen Heparins (NMH) bei kritisch erkrankten Patienten zu einer signifikanten Reduktion des Risikos für die Entwicklung einer TVT sowie einer LAE führt, ohne dass es zu einer signifikanten Zunahme von Blutungskomplikationen kommt. Die Mortalität bei Patienten, die eine medikamentöse VTE-Prophylaxe mittels UFH oder NMH erhielten, war zwar geringer, vermochte allerdings keine statistische Signifikanz zu erreichen [507]. Alle Studien, die in diese Metaanalyse mit einbezogen worden sind, wurden bereits in den SSC-Leitlinien aus dem Jahr 2012 berücksichtigt, im Rahmen derer eine Empfehlung zur Nutzung einer pharmakologischen Prophylaxe ausgesprochen wurde. In der Zwischenzeit wurden keine weiteren prospektiven randomisierten kontrollierten Studien zu dem Themenkomplex der VTE-Prophylaxe bei intensivpflichtigen Patienten publiziert, sodass diese Studien auch die Datenbasis für die im Jahr 2018 publizierten europäischen Leitlinien der European Society of Anaesthesiology (ESA) zur perioperativen VTE-Prophylaxe bei intensivpflichtigen Patienten darstellen [508]. In Bezug auf intensivpflichtige Patienten mit Sepsis bzw. septischem Schock muss allerdings berücksichtigt werden, dass für dieses spezielle Subkollektiv fast ausschließlich indirekte Daten für eine pharmakologische VTE-Prophylaxe vorliegen, da nahezu alle Studien an einer undifferenzierten Population kritisch erkrankter Patienten durchgeführt wurden. Dementsprechend liegt nur eine einzige große prospektive RCT zur VTE-Prophylaxe (mittels UFH oder NMH vs. Placebo) bei septischen Patienten vor, im deren Rahmen allerdings alle Patienten gleichzeitig noch mit Drotrecogin alfa behandelt wurden [509].

Insgesamt haben wir uns in der hier vorliegenden Leitlinie der SSC-Empfehlung aus dem Jahr 2016 angeschlossen (=SSC-Leitlinienadaptation) und eine starke Empfehlung für eine pharmakologische VTE-Prophylaxe auch bei kritisch kranken Patienten mit Sepsis oder septischem Schock ausgesprochen, da die generelle Effektivität dieser Maßnahme unzweifelhaft ist. Nichtsdestotrotz kann die zugrunde liegende Evidenz für das Subkollektiv intensivpflichtiger Patienten mit Sepsis oder septischem Schock nur als mittelgradig eingestuft werden, da sich die verfügbare Datenbasis durch eine ausgeprägte Indirektheit auszeichnet.

R.2 | Statement | 2018

  • Wir geben keine Empfehlung für die Bevorzugung von NMH gegenüber UFH zur VTE-Prophylaxe ab.

  • DSG-Leitlinienstellungnahme

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Obwohl die generelle Wirksamkeit einer medikamentösen VTE-Prophylaxe unstrittig ist, bleibt dennoch die Frage nach dem zu verwendenden Antikoagulans (NMH, UFH etc.) kontrovers.

Eine Reihe von Studien hat die Nutzung von NMH im Vergleich zu UFH zur VTE-Prophylaxe bei kritisch erkrankten Patienten verglichen. In die Metaanalyse von Alhazzani et al. aus dem Jahr 2013 wurden insgesamt 4 Studien einbezogen [507], die diesen direkten Vergleich von UFH zu NMH zum Ziel hatten. Im Rahmen dieser Metaanalyse wurde deutlich, dass die Verwendung von NHM zur VTE-Prophylaxe mit einem signifikant geringeren Risiko für die Entwicklung einer LAE bzw. einer symptomatischen LAE assoziiert ist, wenngleich das Risiko für die Entstehung einer TVT, einer symptomatischen TVT, von relevanten Blutungskomplikationen oder des Versterbens nicht signifikant beeinflusst wurde. Eine weitere Metaanalyse zu dem Thema NMH vs. UFH zur VTE-Prophylaxe bei intensivpflichtigen Patienten aus dem Jahr 2015 konnte unter Einschluss von insgesamt 8 RCT zeigen, dass eine VTE-Prophylaxe mittels NMH mit einem signifikant geringeren Risiko für die Entwicklung einer TVT assoziiert ist und in einem klinischen Nettobenefit im Vergleich zur UFH-Applikation resultierte. Allerdings zeigte sich im Rahmen dieser Metaanalyse kein signifikanter Unterschied in Bezug auf die Entwicklung einer LAE, einer Blutung oder des Versterbens [510].

In Analogie zur Datenlage bei der pharmakologischen VTE-Prophylaxe bei intensivpflichtigen Patienten im Allgemeinen liegt zur Beantwortung der Effektivitäts- bzw. Sicherheitsfrage von NMH vs. UFH vs. Placebo bei dem Subkollektiv intensivpflichtiger Patienten mit Sepsis bzw. septischem Schock lediglich eine große prospektive randomisierte kontrollierte Studie [509] vor. Wie bei R.1 bereits beschrieben wurden im Rahmen dieser Studie allerdings alle Patienten gleichzeitig noch mit Drotrecogin alfa behandelt. Im Vergleich der mit UFH vs. NMH behandelten Subgruppen mit mindestens schwerer Sepsis ergab sich ein minimaler und nichtsignifikanter Überlebensvorteil in Höhe von 2 % für die mit NMH behandelte Subgruppe septischer Patienten. In Bezug auf die Anwendung von NMH bei rein septischen Patientenkollektiven liegt zudem noch eine Metaanalyse randomisiert kontrollierter Studien ausschließlich aus China vor (11 Studien mit insg. 594 Patienten), im deren Rahmen die Effektivität und Sicherheit des Einsatzes von NMH zusätzlich zur Routinebehandlung bei Patienten mit Sepsis im Vergleich zur alleinigen Routinebehandlung evaluiert wurde. Durch die NMH-Applikation ließ sich zwar sowohl die Krankheitsschwere (Surrogatparameter: APACHE-II-Score) als auch die 28-Tage-Mortalität reduzieren, allerdings kam es zu einer signifikanten Zunahme von relevanten Blutungskomplikationen.

Um die Frage nach dem optimalen Präparat für die VTE-Prophylaxe bei Patienten mit Sepsis bzw. septischem Schock abschließend beantworten zu können, müssen darüber hinaus nun noch die folgenden weiteren Aspekte berücksichtigt werden.

Entwicklung einer heparininduzierten Thrombopenie (HIT) II.

Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2012 vermochte einen signifikanten Rückgang der Inzidenz von heparininduzierter Thrombozytopenie (HIT) II bei postoperativen Patienten zu verzeichnen, wenn diese NMH anstatt UFH erhielten [511]. Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass in dieses Cochrane-Review nur 2 Studien mit insgesamt 923 Patienten eingeschlossen werden konnten und sich beide Studien keineswegs spezifisch auf intensivpflichtige oder gar septische Patienten fokussierten.

Dosierung und Monitoring.

Die Applikation von UFH kann in einer Dosierung von 5000 IE alle 8 bzw. 12 h oder mit 7500 IE alle 12 h erfolgen. Bei den direkt vergleichenden Studien zu NMH vs. UFH bei intensivpflichtigen Patienten erfolgte in allen Untersuchungen eine nur 2‑mal tägliche UFH-Applikation. Qualitativ hochwertige Studien unter Einschluss von intensivpflichtigen Patienten mit einem direkten Vergleich von dreimal täglich verabreichtem UFH vs. NMH sind gegenwärtig nicht verfügbar. Eine indirekt vergleichende Metaanalyse aus dem Jahr 2011 konnte jedenfalls keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Wirksamkeit (Endpunkte: TVT, LAE, relevante Blutung, Versterben) zwischen 2‑mal und 3‑mal täglich verabreichtem UFH bei den in die Analyse eingeschlossenen Patienten nachweisen [491, 512]. Im Gegensatz hierzu suggerierte ein anderes Review mit Metaanalyse, der ebenso eine indirekte Vergleichsmethodik zugrunde lag, eine höhere Wirksamkeit von 3‑mal täglich verabreichtem UFH, bei aber gleichzeitig erhöhtem Blutungsrisiko [513].

Applikationsweise (intravenöse vs. subkutane VTE-Prophylaxe).

Aufgrund vielfältiger Einflussfaktoren (z. B. Schockzustand mit Katecholaminpflichtigkeit, positive Flüssigkeitsbilanz mit ausgeprägter Ödembildung, schwerwiegende Organdysfunktionen) besteht im Rahmen einer Sepsis bzw. eines septischen Schocks das Risiko für eine nichtvorhersehbare bzw. gestörte Resorption von subkutan appliziertem UFH bzw. NMH. Gerade bei der subkutanen Applikation von geringen oder moderaten UFH-Dosen (5000–15.000 IE/24 h), so wie sie vor allem im Rahmen der klassischen VTE-Prophylaxe erfolgt, muss mit einer reduzierten Bioverfügbarkeit gerechnet werden. In Analogie hierzu konnte in einer randomisierten doppelblinden Studie an insgesamt 115 Patienten mit akuter proximaler TVT gezeigt werden, dass eine kontinuierliche intravenöse Dauerapplikation im Vergleich zu einer intermittierenden subkutanen Bolusapplikation von UFH (jeweils 30.000 IE/24 h) signifikant häufiger zu einer initialen therapeutischen Antikoagulation führt (i.v.: 70,7 % vs. s.c. 36,8 %). Das insuffiziente therapeutische Ansprechen auf die s.c.-Applikation war wiederum mit einer signifikant höheren Rethromboserate assoziiert (i.v. 3/58 Patienten vs. s.c. 11/57 Patienten; p = 0,024; [514]). Somit scheint also im Fall von UFH die i.v.-Applikation die sicherste Applikationsweise für Intensivpatienten darzustellen. Ebenso kritisch muss aber auch die subkutane Bioverfügbarkeit von NMH bei intensivpflichtigen Patienten gesehen werden. So konnte im Rahmen einer klinisch prospektiven Studie unter Einschluss von 89 intensivpflichtigen Patienten gezeigt werden, dass die s.c.-Applikation von Enoxaparin 40 mg zu den Zeitpunkten 4 h, 12 h sowie 24 h nach Applikation nur in 56,5 %, 39,3 % sowie 12,6 % der Fälle zu dem angestrebten Anti-Xa-Spiegel von 0,1–0,3 IE/ml führte [515]. Vergleichbare Ergebnisse zeigten sich auch in einer prospektiven Observationsstudie unter Einschluss von 55 intensivpflichtigen Patienten. Ein suffizienter Anti-Xa-Spiegel in Höhe von 0,1–0,3 IE/ml wurde hier nur bei 87,3 %, 32,7 % sowie 0 % der Patienten zu den Zeitpunkten 4, 12 und 24 h nach Applikation von 40 mg Enoxaparin erreicht [516]. Als Risikofaktoren für ein unzureichendes Ansprechen auf die s.c.-Applikation wurden ein hohes Körpergewicht, eine hohe Erkrankungsschwere bzw. die Existenz eines Multiorganversagens identifiziert. Vergleichbare Ergebnisse sind auch für andere NMH, wie z. B. Certoparin oder Dalteparin, beschrieben [517, 689]. Durch die höherdosierte Applikation von NMH (z. B. Enoxaparin einmal 1 mg/kg KG und Tag oder 2‑mal 40 mg pro Tag) ist es jedoch möglich, auch bei intensivpflichtigen Patienten Anti-Xa-Spiegel im angestrebten Zielbereich zu erreichen [518].

Renale Dysfunktion.

Bei Patienten mit renaler Dysfunktion muss im Fall einer Nutzung von NMH eine mögliche Bioakkumulation mit nachfolgend erhöhtem Blutungsrisiko bedacht werden. Dies trifft in besonderem Maße für intensivpflichtige Patienten zu, da nahezu ein Drittel der Patienten bereits bei Aufnahme auf die ITS eine Kreatininclearance von weniger als 30 ml/min aufweist [505]. Eine erste Metaanalyse aus dem Jahr 2006 konnte bei intensivpflichtigen Patienten mit einer Kreatininclearance ≤30 ml/min zeigen, dass die Applikation des NMH Enoxaparin in therapeutischer Standarddosierung ohne Anpassung an die Nierenfunktion zu einer relevanten Bioakkumulation mit signifikant erhöhtem Blutungsrisiko führt. Aufgrund einer insuffizienten Datenlage war diese Metaanalyse allerdings nicht in der Lage, eine relevante Bioakkumulation von Enoxaparin in rein prophylaktischer Dosierung nachzuweisen [519]. In Bezug auf das potenzielle Risiko für eine Bioakkumulation von NMH im Rahmen einer derartigen rein prophylaktischen Dosierung liegen vor allem für das NMH Dalteparin (einmal 5000 IE s.c. pro Tage) weiterführende Studien vor. Im Rahmen einer observierenden Kohortenstudie von Rabbat et al. unter Einschluss von insgesamt 19 intensivpflichtigen Patienten mit einer Kreatininclearance von mehr als 30 ml/min bei Aufnahme auf die ITS kam es jedenfalls zu keiner relevanten Bioakkumulation von Dalteparin [520]. Ebenso wurde in der sog. DIRECT-Studie [521] keine Bioakkumulation von Dalteparin bei Patienten (n = 138) mit einer kalkulierten Kreatininclearance von weniger als 30 ml/min nachgewiesen, sodass diese Patientengruppe anschließend auch in die sog. PROTECT-Studie mit einbezogen wurde [522]. Im Rahmen der PROTECT-Studie wurden schließlich 118 Patienten mit akutem Nierenversagen analysiert, von denen 60 Patienten einer Behandlung mit Dalteparin und 58 Patienten einer Behandlung mit UFH zugeordnet wurden. In dieser speziellen Subgruppe intensivpflichtiger Patienten ergab sich kein Anhalt für ein vermehrtes Auftreten unerwünschter Ereignisse bei Patienten, die mit Dalteparin im Vergleich zu UFH behandelt wurden. Umgekehrt erwies sich in dieser kleinen Subgruppe die Behandlung mit Dalteparin jedoch auch nicht als effektiver im Vergleich zur VTE-Prophylaxe mittels UFH. Inwiefern andere NMH-Präparationen genauso sicher wie Dalteparin bei Patienten mit akutem Nierenversagen zur VTE-Prophylaxe eingesetzt werden können, bleibt jedoch ungewiss, da keine anderen qualitativ hochwertigen Daten zu dieser Fragestellung verfügbar sind. Nebenbefundlich suggerierte eine im Jahr 2014 publizierte Kosten-Nutzen-Analyse von Fowler et al., die die Datenbasis der PROTECT-Studie nutzte [522], dass die Verwendung von NMH zum Zweck der VTE-Prophylaxe trotz einer Zunahme der unmittelbaren Kosten für das eingesetzte Antikoagulans zu einem allgemeinen Rückgang der Gesamtbehandlungskosten führt [523].

Vordergründig scheint also die Nutzung von NMH zur VTE-Prophylaxe bei kritisch erkrankten Patienten grundsätzlich einfach, effektiv und zugleich auch kostengünstig zu sein, sodass die SSC-Leitlinie 2016 eine starke Empfehlung für die Nutzung von NMH anstelle von UFH aussprach, wann immer dies praktisch möglich ist. Der zugehörige Evidenzgrad wurde jedoch nur als mittelgradig eingestuft, da die zugrunde liegende Datenbasis durch eine ausgeprägte Indirektheit gekennzeichnet ist, wie z. B. 1.) keine rein septischen Patientenkollektive, sondern gemischte Kollektive intensivpflichtiger Patienten; 2.) systematische Vergleiche zwischen NMH und UFH zur VTE-Prophylaxe jeweils mit nur 2‑mal täglich verabreichtem UFH anstatt mit 3‑mal täglicher UFH-Verabreichung. Neben der SSC-Leitlinie 2016 wird aber auch durch die aktuell gültige S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)“ (AWMF-Leitlinien Register-Nr. 003/001) und die aktuellen europäischen Leitlinien zur perioperativen VTE-Prophylaxe bei intensivpflichtigen Patienten der European Society of Anaesthesiology (ESA; [508]) der Einsatz von NMH auf ITS gegenüber UFH bevorzugt. Demgegenüber wird durch die hiesige Leitlinienkommission gerade der Aspekt der nicht vorhersehbaren subkutanen Resorption bei septischem Schock sowie die nicht auszuschließende Bioakkumulation bei Niereninsuffizienz als kritisch erachtet, sodass in der hier vorliegenden S3-Leitlinie keine klare Empfehlung für die Bevorzugung von (subkutan appliziertem) NMH gegenüber UFH zur VTE-Prophylaxe ausgesprochen wird (=keine SSC-Leitlinienadaptation, DSG-Leitlinienstellungnahme). Dies ist analog zu einer weiteren Empfehlung innerhalb der S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)“ [524], die bei Blutungsneigung, Niereninsuffizienz oder unsicherer Resorption alternativ auch die intravenöse Verabreichung von UFH in niedriger Dosierung („low dose“) legitimiert, wenngleich dies bisher nicht im Rahmen von Studien validiert wurde. Diesbezüglich wird die i.v.-Applikation von UFH in einer Dosierung von 10.000–15.000 IE/24 h als angemessen erachtet.

R.3 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen eine Kombination aus einer pharmakologischen VTE-Prophylaxe und einer mechanischen Prophylaxe vor, wann immer dies möglich ist.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Die Kombination aus pharmakologischer VTE-Prophylaxe und mechanischer VTE-Prophylaxe mittels intermittierender pneumatischer Kompression (IPK) und/oder medizinischen Thromboseprophylaxestrümpfen (MTPS) ist eine Option bei kritisch erkrankten Patienten mit Sepsis oder septischem Schock. Ein Cochrane-Review [525] aus dem Jahr 2008 konnte unter Einschluss von insgesamt 11 Studien an chirurgischen Hochrisikopatienten (n = 7431) zeigen, dass eine kombinierte mechanisch(IPK)-medikamentöse VTE-Prophylaxe im Vergleich zu einer rein pharmakologischen VTE-Prophylaxe die Inzidenz einer TVT signifikant zu reduzieren vermag. Die eingeschlossenen Studien wiesen allerdings keine ausreichende Power auf, um eine Aussage in Bezug auf die Risikoreduktion für die Entwicklung einer LAE durch eine kombinierte mechanisch(IPK)-medikamentöse VTE-Prophylaxe im Vergleich zu einer rein pharmakologischen VTE-Prophylaxe tätigen zu können. Ein im Jahr 2016 publiziertes Update dieses Cochrane-Reviews unter Einschluss von insgesamt 22 Studien konnte zwar durch eine derart kombinierte mechanisch(IPK)-medikamentöse VTE-Prophylaxe im Vergleich zu einer rein pharmakologischen VTE-Prophylaxe eine signifikante Reduktion der LAE-Inzidenz nachweisen, allerdings wurde hier nun ein signifikanter Effekt auf die TVT-Inzidenz knapp verfehlt [526]. Die Qualität der Evidenz muss jedoch als gering eingestuft werden, da sich die Daten aus den untersuchten chirurgischen Patientenkollektiven nur indirekt auf intensivpflichtige Patienten im Allgemeinen bzw. septische Patienten im Speziellen übertragen lassen. Dementsprechend enthalten die vom American College of Chest Physicians (ACCP) veröffentlichten Leitlinien keine Empfehlung zur Nutzung einer Kombinationstherapie im Rahmen der VTE-Prophylaxe bei kritisch erkrankten Patienten, schlagen jedoch die Nutzung einer derartigen Kombinationstherapie bei chirurgischen Hochrisikopatienten vor [527, 528]. Die aktuell gültige S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)“ (AWMF-Leitlinien, Register-Nr. 003/001) empfiehlt für die ITS den Einsatz von physikalischen Maßnahmen (bevorzugt IPK) vor allem dann, wenn Kontraindikationen gegen eine medikamentöse Prophylaxe bestehen. Eine generelle Empfehlung zur kombinierten mechanisch(IPK)-medikamentösen VTE-Prophylaxe für ITS ist allerdings nicht beinhaltet. Im Gegensatz hierzu wurde von Seiten der SSC im Jahr 2016 eine schwache Empfehlung für eine Kombinationstherapie zur VTE-Prophylaxe bei kritisch erkrankten Patienten mit Sepsis oder septischem Schock ausgesprochen. Dieser Empfehlung schließt sich die Leitlinienkommission der hier vorliegenden S3-Leitlinie auf Basis der zum Zeitpunkt der Konsensuskonferenz im November 2018 publizierten Literatur an (=SSC-Leitlinienadaptation). Die Datenlage hat sich seither nun insofern verändert, als dass im Februar 2019 der sog. PREVENT-Trial publiziert wurde, im dessen Rahmen die Effektivität einer kombinierten mechanisch(IPK)-medikamentösen VTE-Prophylaxe (IPK-Gruppe: n = 991) im Vergleich zu einer rein pharmakologischen VTE-Prophylaxe (Kontrollgruppe: n = 1012) bei einem gemischten intensivmedizinischen Patientenkollektiv evaluiert wurde [529, 530, 685]. Dieses Patientenkollektiv bestand größtenteils aus internistischen Intensivpatienten (IPK-Gruppe: 79,4 % vs. Kontrollgruppe: 77,0 %), während chirurgische Patienten in deutlich geringerem Maß vertreten waren (IPK-Gruppe: 13,6 % vs. Kontrollgruppe: 14,5 %). Eine Beatmungspflichtigkeit bestand bei knapp zwei Drittel der eingeschlossenen Patienten (IPK-Gruppe: 66,7 % vs. Kontrollgruppe: 65,9 %), während eine Katecholaminpflichtigkeit nur bei etwa einem Drittel der Patienten vorlag (IPK-Gruppe: 35,5 % vs. Kontrollgruppe: 36,0 %). Die IPK wurde von den behandelten Patienten jeweils gut vertragen, da sich die Anzahl der Patienten mit Hautläsionen oder Ischämien im Bereich der unteren Extremität zwischen der IPK- sowie der Kontrollgruppe nicht signifikant voneinander unterschied. Darüber hinaus wurden keine schwerwiegenden, IPK-assoziierten unerwünschten Ereignisse beobachtet. Vordergründig konnte bei diesem gemischten intensivmedizinischen Patientenkollektiv durch die adjunktive IPK-Nutzung nun allerdings keine Reduktion der Inzidenz einer proximalen TVT im Vergleich zu einer alleinigen medikamentösen VTE-Prophylaxe erzielt werden. Darüber hinaus ließ sich auch die VTE-Inzidenz sowie die Gesamtsterblichkeit nicht durch die adjunktive IPK-Nutzung reduzieren. Als wichtigste Limitation dieser Studie muss allerdings berücksichtigt werden, dass der primäre Endpunkt (=neu aufgetretene proximale TVT im Bereich der unteren Extremität) bei nur 4,2 % der Patienten in der Kontrollgruppe beobachtet werden konnte, was deutlich seltener als erwartet war. Dies bedingt eine kritische Reduktion der Studienpower, sodass ein klinisch relevanter Effekt der adjunktiven IPK-Nutzung trotz des negativen Studienergebnisses nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Außerdem können die Studienergebnisse wiederum nur sehr indirekt auf Patienten mit Sepsis bzw. septischem Schock übertragen werden, da es sich um ein gemischtes intensivmedizinisches Patientenkollektiv handelte und keine Subgruppenanalysen von Patienten mit Sepsis bzw. septischem Schock berichtet wurden. Somit muss der Evidenzgrad für dieses Patientenkollektiv weiterhin als niedrig eingestuft werden und es darf angenommen werden, dass auch eine Berücksichtigung des PREVENT-Trials im Rahmen der Evidenzbewertung für die hier vorliegende S3-Leitlinie zu keiner anderslautenden Empfehlung geführt hätte.

R.4 | Empfehlung | 2018

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

  • Wir schlagen eine mechanische VTE-Prophylaxe vor, wenn eine pharmakologische VTE-Prophylaxe kontraindiziert ist.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Ein Teil der an Sepsis oder septischem Schock erkrankten Patienten dürfte relative Kontraindikationen für die Durchführung einer pharmakologischen VTE-Prophylaxe aufweisen. Speziell bei diesen Patienten drängt sich die Durchführung einer mechanischen VTE-Prophylaxe mittels IPK und/oder MTPS geradezu auf, wenngleich die wissenschaftliche Evidenz für deren Nutzung bei intensivpflichtigen Patienten durchaus begrenzt ist. Bislang sind 2 Metaanalysen veröffentlicht worden, in denen Patientengruppen verglichen wurden, die entweder eine mechanische VTE-Prophylaxe oder keinerlei VTE-Prophylaxe erhielten. Hierbei handelte es sich größtenteils um Patienten, die sich einer orthopädischen Operation zu unterziehen hatten [531, 532]. Während sich das Cochrane-Review von Sachdeva et al. auf die Nutzung von MTPS konzentrierte, lag der Schwerpunkt der Arbeit von Pavon et al. auf der Nutzung von IPK. In den Analysen wurde deutlich, dass sowohl die Nutzung von MTPS als auch die Anwendung der IPK wirksamer als der Verzicht auf eine derartige mechanische Prophylaxe zu sein scheint. Bei der Interpretation der erhobenen Daten muss allerdings berücksichtigt werden, dass eine jeweils unterschiedliche Anzahl von Patienten in den vergleichenden Studienarmen eine zusätzliche pharmakologische Prophylaxe erhielt. Die Evidenz muss dementsprechend als indirekt eingestuft werden. Eine weitere Kohortenstudie unter Einschluss von insgesamt 798 intensivpflichtigen Patienten konnte mittels Propensity-Score-Analysen zeigen, dass die IPK (im Vergleich zu den MTPS) die einzig wirklich effektive Maßnahme zur mechanischen VTE-Prophylaxe bei kritisch erkrankten Patienten darstellt [533].

Basierend auf diesen Daten wurde von Seiten der SSC eine schwache Empfehlung für die Nutzung einer mechanischen Prophylaxe bei kritisch erkrankten septischen Patienten mit Kontraindikationen für die Verwendung einer pharmakologischen Prophylaxe ausgesprochen, der sich die hier vorliegende S3-Leitlinie anschließt (=SSC-Leitlinienadaptation). Darüber hinaus gibt es zunehmende Hinweise dafür, dass die IPK wirksamer als die alleinige Nutzung von MTPS bei kritisch erkrankten Patienten zu sein scheint, sodass diese Methode die bevorzugte Modalität zur mechanischen Prophylaxe darstellt. In Analogie hierzu empfiehlt die S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)“ (AWMF-Leitlinien, Register-Nr. 003/001) für ITS die Durchführung von physikalischen Maßnahmen (v. a. IPK) vor allem dann, wenn Kontraindikationen gegen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe bestehen.

S. Stressulkusprophylaxe

S.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass Patienten mit Sepsis oder septischem Schock, bei denen Risikofaktoren für gastrointestinale (GI-)Blutungen vorliegen, eine Stressulkusprophylaxe erhalten.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: niedrig

S.2 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, dass entweder Protonenpumpenhemmer oder Histamin‑H2-Rezeptor-Antagonisten verwendet werden, wenn eine Indikation für eine Stressulkusprophylaxe vorliegt.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

S.3 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass Patienten ohne Risikofaktoren für gastrointestinale Blutungen keine Stressulkusprophylaxe erhalten.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Ein Stressulkus entwickelt sich im Magen-Darm-Trakt von kritisch erkrankten Patienten und kann mit einer signifikanten Morbidität und Mortalität verbunden sein [534]. Der exakte Mechanismus ist nicht vollumfänglich geklärt, man geht jedoch von einer Beeinträchtigung der protektiven Mechanismen gegen die Magensäure, einer Hypoperfusion der Magenschleimhaut, einer erhöhten Säureproduktion und oxidativen Schädigungen des Verdauungstrakts aus [535]. Die stärksten klinischen Prädiktoren des gastrointestinalen Blutungsrisikos bei kritisch kranken Patienten sind eine mechanische Beatmung über einen Zeitraum von >48 h und eine Koagulopathie [536]. Eine aktuelle internationale Kohortenstudie ergab, dass eine vorbestehende Lebererkrankung, die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie und ein höherer Schweregrad eines Organversagens unabhängige Prädiktoren eines gastrointestinalen Blutungsrisikos sind [537]. Eine multizentrische prospektive Kohortenstudie ergab, dass die Inzidenz von klinisch bedeutsamen gastrointestinalen Blutungen bei 2,6 % (95 %-KI 1,6–3,6 %) bei kritisch kranken Patienten lag. Andere Beobachtungsstudien wiesen jedoch niedrigere Raten von gastrointestinalen Blutungen nach [538,539,540,541].

Ein systematisches Review und eine Metaanalyse von 20 RCT untersuchten die Wirksamkeit und Sicherheit der Stressulkusprophylaxe [542]. Die Prophylaxe mit Histamin‑H2-Rezeptor-Antagonisten (H2RA) oder Protonenpumpenhemmern (PPI) reduziert das Risiko von gastrointestinalen Blutungen im Vergleich zu keiner Prophylaxe (RR 0,44; 95 %-KI 0,28–0,68; niedrige Evidenzqualität), führt jedoch zu einem nichtsignifikanten Anstieg des Pneumonierisikos (RR 1,23; 95 %-KI 0,86–1,78). Eine große retrospektive Kohortenstudie untersuchte den Effekt einer Stressulkusprophylaxe bei Patienten mit Sepsis und ergab, dass kein signifikanter Unterschied in Bezug auf das Risiko einer C.-difficile-Infektion im Vergleich zu keiner Prophylaxe besteht [543]. Bei Indikation für eine Stressulkusprophylaxe sollte die Auswahl der eingesetzten Medikamentengruppe in Abhängigkeit von den Patientencharakteristika und der lokalen Inzidenz von C.-difficile-Infektionen und Pneumonien erfolgen.

Obwohl die veröffentlichten RCT nicht ausschließlich septische Patienten beinhalteten, sind Risikofaktoren für gastrointestinale Blutungen häufig bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock vorhanden [536]. Daher ist die Nutzung dieser Datenbasis als Informationsgrundlage für unsere Empfehlungen gerechtfertigt. Basierend auf der verfügbaren Evidenz überwiegt der erwünschte Nutzen einer Stressulkusprophylaxe das unerwünschte Risiko. Daher haben wir eine starke Empfehlung für die Nutzung einer Stressulkusprophylaxe bei Patienten mit den o. g. Risikofaktoren ausgesprochen. Patienten ohne Risikofaktoren weisen keine große Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung klinisch bedeutsamer gastrointestinaler Blutungen während ihres Aufenthalts auf der ITS auf. Daher ist eine Stressulkusprophylaxe nur indiziert, wenn Risikofaktoren vorliegen, und die Patienten sollten in regelmäßigen Abständen dahingehend überprüft werden, ob weiterhin ein Bedarf im Hinblick auf die Nutzen-Risiko-Relation für die Prophylaxe besteht.

Während es Unterschiede in der weltweiten Praxis gibt, haben diverse Umfragen ergeben, dass PPI die am häufigsten genutzten Wirkstoffe in Nordamerika, Australien und Europa sind gefolgt von H2RA [537, 544,545,546,547]. Eine vor Kurzem durchgeführte Metaanalyse von 19 RCT (n = 2177) ergab, dass PPI zwar wirksamer als H2RA bei der Prävention von klinisch bedeutsamen gastrointestinalen Blutungen waren (RR 0,39; 95 %-KI 0,21–0,71; p = 0,002; mittlere Evidenzqualität), aber zu einer nichtsignifikanten Zunahme des Risikos von Pneumonien führten (RR 1,17; 95 %-KI 0,88–1,56; p = 0,28; niedrige Evidenzqualität; [547]). Frühere Metaanalysen [548, 549] und eine aktuelle methodisch hochwertige sog. Netzwerkmetaanalyse von 57 RCT (n = 7293 Patienten; [550]) waren zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt.

Keine der RCT berichteten über ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer C.-difficile-Infektion; wobei eine große retrospektive Kohortenstudie einen kleinen Anstieg des Risikos für eine C.-difficile-Infektion mit PPI im Vergleich zu H2RA feststellte (2,2 % vs. 3,8 %; p < 0,001; sehr niedrige Evidenzqualität). Im Wesentlichen mangelt es bislang an prospektiven Studien, die einen kausalen Zusammenhang zwischen einer medikamentösen Prophylaxe sowohl für PPI als auch H2RA und dem Auftreten einer C.-difficile-Infektion zeigen. Außerdem kamen Kosten-Nutzen-Analysen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen [551, 552].

Dementsprechend muss der Nutzen einer Prävention von gastrointestinalen Blutungen (mittlere Evidenzqualität) gegen eine potenzielle Zunahme der infektiösen Komplikationen (sehr niedrige bis niedrige Evidenzqualität) abgewogen werden. Die Auswahl des prophylaktischen Wirkstoffs wird weitgehend von den individuellen Charakteristika des betreffenden Patienten abhängen sowie von der lokalen Prävalenz der gastrointestinalen Blutungen, Pneumonien und C.-difficile-Infektionen. Aufgrund der Unsicherheiten sprechen wir keine bevorzugte Empfehlung für einen Wirkstoff gegenüber dem anderen Wirkstoff aus.

Eine multizentrische Pilotstudie und Metaanalyse (5 RCT, n = 604 Patienten) zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen einer SUP mit Pantoprazol vs. keine SUP in den Endpunkten klinische bedeutsame Blutung, Pneumonie und C.-difficile-Infektionen [553]. Auch die Pilotstudie von Selvanderan et al. an 241 kritisch kranken beatmeten und enteral ernährten Patienten kam zu übereinstimmenden Ergebnissen [554].

Die methodisch hochwertig konzipierte multizentrische sog. SUPICU-RCT zeigte keinen signifikanten Unterschied im primären Endpunkt 90-Tage-Mortalität zwischen einer SUP mit Pantoprazol und Placebo in einem heterogenen Kollektiv von 3298 Intensivpatienten, auch wenn die Patienten in der Pantoprazolgruppe signifikant weniger klinisch bedeutsame gastrointestinale Blutungen hatten (2,5 % vs. 4,2 %; relatives Risiko 0,58 [0,40–0,86]; [555]). Auch in der Subgruppe der Patienten mit Schock zeigte sich kein Unterschied im primären Endpunkt, allerdings bleibt der Anteil von Patienten mit septischem Schock unklar. Derzeit laufende weitere multizentrische Studien zum Effekt einer SUP stehen zum jetzigen Zeitpunkt noch aus (ClinicalTrials.gov, Registrierungsnummer NCT02467621; NCT02718261 und ANZICS-CTG-Studiennummer: 1415-01).

T. Ernährung

Zugrunde gelegt wurden die Empfehlungen der SSC-Leitlinie 2016, die anhand der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. „Besonderheiten der Überwachung bei künstlicher Ernährung“ [556] und unter Berücksichtigung der S2k-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“ der Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM; [557]), der ESICM Leitlinie „Frühe enterale Ernährung“ [558] und der Leitlinie der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) „Clinical Nutrition in the intensive care unit“ [559] aktualisiert und ggf. modifiziert wurden. Da nur wenige Daten insbesondere aus randomisierten Studien bei ausschließlich septischen Patienten vorliegen, stellen die meisten Empfehlungen einen Expertenkonsens anhand der Daten aus Studien mit nichtseptischen Patienten dar.

T.1 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, bei kritisch erkrankten Patienten mit Sepsis oder septischem Schock, die enteral ernährt werden können, bevorzugt den frühzeitigen Beginn einer enteralen Ernährung.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Die Bereitstellung einer totalen oder supplementierenden parenteralen Ernährung kann sehr rasch auch bei eingeschränkter gastrointestinaler Toleranz das Erreichen eines angestrebten Kalorien- und Proteinziels gewährleisten. Dies stellt theoretisch einen Vorteil gegenüber der reinen enteralen Ernährung dar, insbesondere für die Patienten, die aufgrund einer eingeschränkten gastrointestinalen Toleranz nicht „voll“ enteral ernährt werden können, was in den ersten Tagen der Behandlung auf der ITS relevant sein kann. Die Bereitstellung einer parenteralen Ernährung ist jedoch invasiver und bedeutet zugangsbedingt potenzielle Komplikationen, einschließlich eines erhöhten Infektionsrisikos. Es besteht allgemeiner Konsens, auch aufgrund anzunehmender physiologischer Vorteile der enteralen Zufuhr beim kritisch kranken Patienten den Vorzug zu geben [557,558,559,560].

Um die Frage der Überlegenheit einer parenteralen Ernährung bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock anzugehen, wurde die Evidenz für Patienten evaluiert, die frühzeitig enteral ernährt werden konnten, im Vergleich zu Patienten, bei denen eine frühzeitige enterale Ernährung nicht realisierbar war. Das erste systematische SSC-Review untersuchte die Auswirkung einer frühzeitigen parenteralen Ernährung allein oder in Kombination mit einer enteralen Ernährung im Vergleich zu einer ausschließlich enteralen Zufuhr auf die Mortalität bei enteral ernährbaren Patienten. Identifiziert wurden insgesamt 10 Studien mit 2888 Intensivpatienten mit verschiedenen Krankheitsbildern, postoperativ, nach Polytrauma einschließlich Schädel-Hirn-Trauma sowie mit akuter Pankreatitis [561,562,563,564,565,566,567,568,569,570]. Hierbei zeigte sich, dass eine frühzeitige parenterale Ernährung weder die Mortalität (RR 0,97; 95 %-KI 0,87–1,08; n = 2745) noch das Infektionsrisiko reduzieren würde (RR 1,52; 95 %-KI 0,88–2,62; n = 2526), allerdings war die Aufenthaltsdauer auf der ITS erhöht (RR 0,90; 95 %-KI 0,38–1,42; n = 46; [571]). Die Evidenzqualität wurde als mittel bis sehr niedrig eingestuft. In der größten randomisierten Studie, die sich mit dieser Frage befasste (CALORIES, n = 2400), traten weniger Episoden einer Hypoglykämie oder von Erbrechen in der Gruppe mit einer frühzeitigen parenteralen Ernährung auf. Es wurden jedoch keine Unterschiede in Bezug auf die Mortalität zwischen den Studiengruppen festgestellt [572].

Seit der systematischen SSC-Übersicht sind zur Frage enteral vs. parenteral 4 aktuelle Metaanalysen erschienen. In einer ersten Metaanalyse zum Vergleich einer enteralen mit einer parenteralen Ernährung bei Intensivpatienten wurden 18 RCT mit 3347 Patienten eingeschlossen. Ein Einfluss der enteralen Ernährung auf die Letalität konnte nicht aufgezeigt werden [573]. Es fand sich jedoch eine niedrigere Rate an infektiösen Komplikationen (RR 0,64; 95 %-KI 0,48–0,87; p = 0,004). Dieser Effekt war ausgeprägter in einer Subgruppe, in der die parenteral ernährten Patienten mehr Kalorien erhalten hatten (RR 0,55; 95 %-KI 0,37–0,82; p = 0,003). Der Effekt fehlte, wenn die Kalorienzufuhr in beiden Gruppen gleich gewesen war. Auch wurde ein signifikant kürzerer Intensivaufenthalt beobachtet (−0,8; 95 %-KI −1,23 bis 0,37; p = 0,0003). Insgesamt wurden die Vorteile der enteralen Ernährung vor allem durch die niedrigere Kalorienzufuhr und weniger durch den Zufuhrweg selbst erklärt.

In einer weiteren von der Arbeitsgruppe als qualitativ gut bewerteten Metaanalyse wurden 16 randomisierte Studien mit 3325 Intensivpatienten eingeschlossen. Hier wurde eine frühe (innerhalb von 24 h) begonnene enterale Standardernährung mit allen anderen Formen einer Ernährung verglichen. Eine allgemeine Senkung der Mortalität konnte bei früher enteraler Ernährung nicht festgestellt werden und fand sich auch nicht im Vergleich mit einer parenteralen Ernährung. In vorher definierten Subgruppen zeigte sich im Vergleich mit einem verzögerten Ernährungsbeginn (>24 h) eine signifikant niedrigere Mortalität (OR 0,45; 95 %-KI 0,21–0,95; p = 0,038, I = 0 %). Insgesamt entwickelten Patienten mit früher enteraler Ernährung weniger Pneumonien (OR 0,75; 95 %-KI 0,60–0,94; p = 0,012; I2 = 48 %; [574]).

In einer aktuelle Cochrane-Metaanalyse wurden 25 Studien mit 8816 Patienten eingeschlossen. 23 Studien waren randomisiert, 2 quasi-randomisiert. Als Ergebnis zur Frage enterale vs. parenterale vs. kombinierte enteral-parenterale Ernährung war die Evidenz bezüglich der Krankenhausmortalität, 10- und 90-Tage-Mortalität, der Zahl an beatmungsfreien Tagen und unerwünschten Ereignissen unzureichend. Jedoch war die 30-Tage-Mortalität niedriger bei kombiniert enteral-parenteraler Ernährung. Bei enteraler Ernährung kam es seltener zu einer Sepsis als bei parenteraler Ernährung. In die vierte Metaanalyse, deren Qualität von der Arbeitsgruppe als gut bewertet wurde, wurden 23 Studien mit 6478 Patienten eingeschlossen. Im Ergebnis zeigte sich kein Unterschied in der Mortalität und dem Auftreten einer Organdysfunktion. Im Vergleich kam es bei enteraler Ernährung zu weniger Bakteriämien (OR 0,59; 95 %-KI 0,43–0,82; p = 0,001; I2 = 27 %). Dies galt vor allem für chirurgische Intensivpatienten (OR 0,36; KI 0,22–0,59; p < 0,0001; I2 = 0 %). Bei enteraler Ernährung war die Krankenhausverweildauer tendenziell kürzer (MD −0,90; 95 %-KI −1,63 bis −0,17; p = 0,21; I2 = 0 %), wobei gastrointestinale Probleme signifikant häufiger auftraten (OR 2,00; 95 %-KI 1,76–2,27; p = 0,00001; I2 = 0 %; [575]).

Nicht berücksichtigt war ferner eine RCT, die bei 2410 Intensivpatienten mit Schock keinen Vorteil einer frühen isokalorischen enteralen (n = 1202) gegenüber einer parenteralen (n = 1208) Ernährung bezüglich einer Senkung der Mortalität oder anderer sekundärer Komplikationen gezeigt hat (NUTRIREA‑2; [576]). Am Tag 28 waren 443 (37 %) der 1202 Patienten in der enteralen Gruppe und 422 (35 %) der 1208 Patienten in der parenteralen Gruppe verstorben (absoluter Unterschied, 95 %-KI −1,9 bis 5,8; p = 0,33). Die kumulative Inzidenz von auf der ITS erworbenen Infektionen war nicht unterschiedlich (enteral: 173 [14 %], parenteral: 194 [16 %]; HR 0,89 [95 %-KI 0,72–1,09]; p = 0,25). Verglichen mit der parenteralen Gruppe zeigte sich bei den enteral ernährten Patienten jedoch eine höhere Inzidenz an Erbrechen (406 [34 %] vs. 246 [20 %]; HR 1,89 [1,62–2,20]; p < 0,0001), Diarrhö (432 [36 %] vs. 393 [33 %]; 1,20 [1,05–1,37]; p = 0,009), Darmischämien (19 [2 %] vs. 5 [<1 %]; 3,84 [1,43–10,3]; p = 0,007), und dem Auftreten einer akuten Kolonpseudoobstruktion (11 [1 %] vs. 3 [<1 %]; 3,7 [1,03–13,2]; p = 0,04).

Als Kontraindikationen zur frühzeitigen enteralen Ernährung werden in den neuen ESICM-Leitlinien (2017) genannt: unkontrollierter Schock, metabolische Entgleisung mit unkontrollierter Hypoxämie und Acidose, unkontrollierte obere Gastrointestinalblutung, Magenresidualvolumen >500 ml/6 h, mesenteriale Ischämie, Darmobstruktion, Kompartmentsyndrom, High-output-Fistel ohne distalen Zugang zur Ernährung [558]. Eine gastrale Ernährung kann kontinuierlich oder als Bolusgabe erfolgen, die jejunale Zufuhr bedarf der kontinuierlichen Applikation [557].

Zusammenfassend wird bei ungenügender Evidenz für die Zielpopulation dieser Leitlinie und in Bezug auf einen Mortalitätsvorteil sowie mögliche zusätzliche Kosten einer parenteralen Ernährung in Abwesenheit eines klinischen Nutzens bevorzugt auch bei Patienten mit Sepsis und septischem Schock (nach hämodynamischer Stabilisierung) der frühzeitige Beginn einer enteralen Ernährung empfohlen, sofern nicht die oben genannten Kontraindikationen vorliegen [561, 566, 572, 577].

T.2 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen eine frühzeitige minimale „trophische“ enterale Ernährung möglichst innerhalb der ersten 48 h nach Beginn der Sepsis.

  • Wir empfehlen, die enterale Ernährung innerhalb der ersten 7 Tage entsprechend der metabolischen und gastrointestinalen Toleranz zu steigern.

  • SSC-Leitlinienmodifikation

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Die frühzeitige enterale Substratzufuhr bietet auch bei Patienten mit Sepsis potenzielle physiologische Vorteile für den Erhalt von Darmintegrität und intestinaler Barriere. Alles dies kann eine verminderte intestinale Permeabilität, Abschwächung der Entzündungsreaktion und Modulation der Stressreaktion mit reduzierter Insulinresistenz nach sich ziehen [578]. Um die Evidenz für diese Ernährungsstrategie zu beurteilen, ging die SSC-Arbeitsgruppe der Frage nach, ob eine frühzeitige kalorienbedarfsdeckende Ernährung, mit der innerhalb der ersten 48 h begonnen wird und bei der die Ernährungsziele innerhalb von 72 h nach der Aufnahme auf der ITS oder dem Trauma erreicht werden sollen, im Vergleich zu einem verzögerten Beginn der enteralen Zufuhr um mindestens 48 h das Ergebnis bei kritisch kranken Patienten verbessern würde.

In dem systematischen SSC-Review wurden insgesamt 11 Studien mit heterogenen, kritisch erkrankten Patientenpopulationen (n = 412 Patienten) eingeschlossen [579,580,581,582,583,584,585,586,587,588,589]. Nur eine Studie wurde spezifisch an Patienten mit Sepsis durchgeführt (n = 43 Patienten) [585]. Das Sterberisiko unterschied sich zwischen den Gruppen nicht signifikant (RR 0,75; 95 %-KI 0,43–1,31; n = 188 Patienten). Auch die Infektionsrate war nicht signifikant reduziert (RR 0,60; 95 %-KI 0,34–12,07; n = 122 Patienten). Die anderen systematischen Reviews fokussierten sich auf Traumapatienten (3 Studien, 126 Patienten) bzw. heterogen zusammengesetzte Populationen von Intensivpatienten (6 Studien, n = 234 Patienten). Hier war eine frühzeitige enterale Ernährung mit einer geringeren Mortalität und Pneumonierate assoziiert [590, 591].

Im Gegensatz zu dem ersten systematischen Review beinhalteten die letztgenannten Reviews keine Studien, in denen die enterale Ernährung im Interventionsarm sowohl frühzeitig als auch kalorienbedarfsdeckend erfolgte und bei denen die Ernährung im Kontrollarm mindestens um 48 h verzögert wurde.

Außerdem wurde von der SSC-Arbeitsgruppe untersucht, ob ein frühzeitig hypokalorisches Ernährungsprotokoll (Beginn der enteralen Ernährung innerhalb der ersten 48 h und bis zu 70 % der kalorischen Zielwerte über mindestens 48 h) einer verzögerten enteralen Ernährungsstrategie überlegen war. In den beiden Studien, die diese Kriterien erfüllten, lagen keine statistischen Unterschiede in Bezug auf die Mortalität (RR 0,67; 95 %-KI 0,35–1,29; n = 229; niedrige Evidenzqualität) oder Infektionsrate (RR 0,92; 95 %-KI 0,61–1,37; n = 229; sehr niedrige Evidenzqualität) zwischen den Gruppen vor [592, 593]. Da es derzeit keine Evidenz für Nachteile einer frühzeitigen enteralen Ernährung im Vergleich zu einem verzögerten Beginn gibt, wird aufgrund der pathophysiologischen Konzepte zum Erhalt der intestinalen Barriere eine schwache Empfehlung für einen frühzeitigen Beginn der Ernährung bei Patienten mit Sepsis ausgesprochen. Nach hämodynamischer Stabilisierung des Patienten im septischen Schock (z. B. stabile Katecholamingabe, Laktatnormalisierung) können ebenso minimale Zufuhrraten (5–10 ml/h) einer enteralen Ernährung unter engmaschigem Monitoring der gastrointestinalen und metabolischen Toleranz verabreicht werden (Kontraindikationen s. oben).

Biologische Grundlage für eine trophische oder hypokalorische Ernährung ist die aus der reduzierten Kalorienzufuhr potenziell resultierende Stimulation der Autophagie, die als Verteidigungs- und Reparaturmechanismus auch zu einer Reduzierung des Infektionsrisikos führen könnte. Die SSC-Arbeitsgruppe hat als trophische/hypokalorische Ernährung ein Kalorienziel von 70 % oder weniger mindestens für einen Zeitraum von 48 h definiert, bevor eine weitere Steigerung erfolgt. Das systematische Review identifizierte 7 randomisierte Studien mit 2665 untersuchten Patienten [594,595,596,597,598,599,600,601]. Die Patientenpopulationen umfassten heterogene Gruppen kritisch kranker Patienten. Unterernährte Patienten wurden von 4 der Studien ausgeschlossen und der durchschnittliche Body-Mass-Index in den verbleibenden 3 Studien lag zwischen 28 und 30. Die Ziele für die trophische-/hypokalorische Ernährung lagen im Bereich von 10–20 kcal pro Stunde bis zu 70 % des anvisierten Ziels. Die Studienintervention umfasste eine Zeitdauer von 6–14 Tagen (oder den Zeitraum bis zur Entlassung von der ITS). In 3 der Studien wurde zur Deckung des Proteinbedarfs 0,8–1,5 g/kg und Tag verabreicht. Insgesamt bestanden zwischen den Studiengruppen keine Unterschiede in Bezug auf die Letalität (RR 0,95; 95 %-KI 0,82–1,10; n = 2665; hohe Evidenzqualität), die Infektionsrate (RR 0,96; 95 %-KI 0,83–1,12; n = 2667; mittlere Evidenzqualität) oder die Aufenthaltsdauer auf der ITS (MD, −0,27 Tage; 95 %-KI −1,40 bis 0,86; n = 2567; mittlere Evidenzqualität). Eine randomisierte Studie zur hypokalorischen Ernährung (anvisiertes Ernährungsziel 40–60 % über einen Zeitraum von bis zu 14 Tagen) enthielt eine Untergruppe von 292 Sepsispatienten; hier wurden ebenfalls keine Unterschiede in Bezug auf den Tod nach Ablauf von 90 Tagen zwischen den Studiengruppen festgestellt (RR 0,95; 95 %-KI 0,71–1,27; p = 0,82 für Interaktion). Eine weitere systematische Übersicht zur normo- vs. hypokalorischen Ernährung ergab ebenfalls zwischen den Studiengruppen keine Unterschiede in Bezug auf Krankenhausletalität, Infektionen, Intensivaufenthaltsdauer und beatmungsfreie Tage [595].

Eine Studie zur trophischen/hypokalorischen Ernährung an 525 Patienten, bei der lediglich 20 % des Kalorienziels in einem Zeitraum von bis zu 6 Tagen verabreicht wurden, ergab keinen Unterschied in Bezug auf die Muskelstärke, die Muskelmasse und einen 6‑Minuten-Gehtest nach Ablauf von 6 Monaten oder einem Jahr. Bei den Patienten in der trophischen/hypokalorischen Ernährungsgruppe war jedoch die Wahrscheinlichkeit erhöht, innerhalb der ersten 12 Monate der Nachuntersuchungsphase eine Rehabilitationsbehandlung zu benötigen [602].

Tian et al. führten eine Metaanalyse von 8 kontrollierten Studien mit 1895 Intensivpatienten zur Frage der Höhe der enteralen Kalorienzufuhr durch [574]. Keine Unterschiede fanden sich zwischen einer niedrigen und hohen Energiezufuhr für die Parameter Mortalität, Infektionsrate und gastrointestinale Intoleranz. In einer Subgruppe von Patienten mit niedriger Energiezufuhr von 33,3–66,6 % des Energieziels zeigte sich im Vergleich zur höheren Energiezufuhr >66,6 % eine niedrigere Mortalität (RR 0,68; 95 %-KI 0,51–0,82; p = 0,01) und gastrointestinale Intoleranz (RR 0,65; 95 %-KI 0,43–0,99; p = 0,05). Hieraus wurde geschlossen, dass die hohe enterale Energiezufuhr bei Intensivpatienten ohne Mangelernährung keine Vorteile bietet und das Risiko für gastrointestinale Komplikationen erhöht. Zur Frage der nahe am Kalorienziel orientierten Energiezufuhr ergab eine Metaanalyse von 10 randomisierten Studien mit 3155 Teilnehmern keine Vorteile (RR 1,02; 95 %-KI 0,81–1,27; p = 0,89; [603]).

Zusammenfassend spricht die aktuelle Evidenz mehr für eine trophisch beginnende hypokalorische enterale Ernährung als für ein frühzeitiges „Erzwingen“ einer kalorienbedarfsdeckenden Ernährung [558, 604]. Die enterale Kalorienzufuhr sollte insbesondere in der Akutphase der Sepsis nach individueller intestinaler und metabolischer Toleranz gesteigert werden.

T.3a | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen eine kombiniert enteral/parenterale Ernährung innerhalb der ersten 7 Tage, sofern eine zielorientierte und an die individuelle Toleranz adaptierte Steigerung der enteralen Ernährung nicht möglich ist.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

T.3b | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Bei Kontraindikationen für eine enterale Ernährung empfehlen wir den frühzeitigen Einsatz einer an die individuelle metabolische Toleranz adaptierten rein parenteralen Ernährung.

  • Zusätzliche DSG-Leitlinienempfehlung

  • Konsensstärke: 100 %

Begründung.

Bei einigen Patienten mit Sepsis oder septischem Schock kann eine frühzeitige enterale Ernährung nur eingeschränkt realisierbar sein, was auf eine Dysfunktion des Gastrointestinaltrakts z. B. im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen oder eine gastrointestinale Intoleranz zurückzuführen ist. Bei dieser Untergruppe muss diskutiert werden, ob die parenterale Ernährung frühzeitig mit oder ohne enterale Ernährung zugeführt werden sollte, um das Kalorienziel zu erreichen, ob ausschließlich eine trophische/hypokalorische enterale Ernährung erfolgen sollte oder ob überhaupt keine Nahrung verabreicht werden sollte mit Ausnahme von intravenöser Glukose zur Kalorienbereitstellung.

Um dieser Frage nachzugehen, wurde ein systematisches SSC-Review durchgeführt, in den insgesamt 4 Studien mit 6087 Patienten einbezogen wurden [605,606,607,608]. Zwei der einbezogenen Studien beinhalteten 98,5 % der Patienten im Rahmen des Review, und bei diesen Studien handelte es sich bei mehr als 65 % der Patienten um chirurgische, kritisch erkrankte Patienten [606, 609]. Nur 20 % der Patienten waren als septisch zu betrachten. Unterernährte Patienten wurden entweder ausgeschlossen oder repräsentierten einen sehr kleinen Anteil (n = 46, 3,3 %). In 3 der Studien wurde eine parenterale Ernährung angesetzt, wenn die enterale Ernährung nach den ersten 7 Behandlungstagen nicht vertragen wurde [606, 607, 609]. Das SSC-Review ergab, dass eine frühzeitige parenterale Ernährung mit oder ohne Supplementierung durch eine enterale Ernährung nicht mit einer reduzierten Mortalität verbunden war (RR 0,96; 95 %-KI 0,79–1,16; n = 6087; mittlere Evidenzqualität), sondern mit einem erhöhten Infektionsrisiko (RR 1,12; 95 %-KI, 1,02–1,24; 3 Studien; n = 6054; mittlere Evidenzqualität). Die Ergebnisse in Bezug auf die Beatmungsdauer wurden divergierend in den 2 großen Studien berichtet, wobei eine Studie einen Anstieg suggerierte [609] und die andere einen Rückgang der Beatmungszeit im Zusammenhang mit einer frühzeitigen parenteralen Ernährung berichtete [606]. Eine Studie berichtete auch bei Anwendung des Subjective Global Assessment Score über eine geringere Rate an Muskelatrophie und Fettverlust in der Gruppe mit frühzeitiger parenteraler Ernährung [606]. Die Erhöhung der Energiedichte einer standardenteralen Ernährung von 1 auf 1,5 kcal/ml hat in einer großen randomisierten Studie bei mechanisch beatmeten Intensivpatienten keine Vorteile bezüglich des Outcomes ergeben [610].

Eine durch indirekte Kalorimetrie und Messung der Harnstoffausscheidung im Urin individuell gestaltete („goal-directed“) Kalorienzufuhr hat in einer randomisierten Studie (EAT-ICU-Trial) von 199 beatmeten Intensivpatienten mit einem Aufenthalt von mehr als 3 Tagen im Vergleich mit einer Standardernährung von 25 kcal/kg und Tag keine Vorteile bezüglich der Outcomeparameter sowie der Lebensqualität nach 6 Monaten (PCS Score, SF-36) erbracht [611].

Die SSC-Arbeitsgruppe hatte insgesamt festgestellt, dass aktuell keine klare Evidenz für den allgemeinen Beginn einer frühzeitigen parenteralen Ernährung (innerhalb der ersten 7 Behandlungstage) bei Patienten mit Kontraindikationen oder Unverträglichkeit für die enterale Ernährung vorliegt. Fehlendem klinischem Vorteil bezüglich der Letalität stehen ein eher erhöhtes Infektionsrisiko und zusätzliche Kosten der parenteralen Ernährung gegenüber. Diese Überlegungen führten die SSC-Arbeitsgruppe zu folgender Empfehlung. „Wir empfehlen, von der Verabreichung einer rein parenteralen Ernährung oder einer parenteralen Ernährung in Kombination mit enteraler Ernährung in den ersten 7 Tagen bei kritisch erkrankten Patienten mit Sepsis oder septischem Schock abzusehen. Sofern eine frühzeitige minimale und trophische enterale Ernährung nicht möglich ist, empfehlen wir bevorzugt die intravenöse Verabreichung von Glukose“.

Weitere klinische Studien zur Charakterisierung geeigneter Untergruppen für eine frühzeitige parenterale Ernährung wurden für notwendig erachtet. Hierbei sollte der Fokus auf bereits bei Aufnahme auf die ITS unterernährte Patienten gelegt werden, die bisher in den meisten klinischen Studien ausgeschlossen wurden.

Drei seit der Veröffentlichung der SSC Leitlinie publizierte Metaanalysen [574, 604, 612] zeigen, dass <33 % Zielkalorien (im Vergleich zu >33 %) in der Akutphase mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sind. Dieser Effekt war in der Metaanalyse von Choi et al. auch unabhängig vom BMI. Weitere aktuelle Daten bestätigen die negativen Auswirkungen eines kumulativen Kaloriendefizits beim kritisch Kranken [613,614,615,616,617] und haben die DSG-Arbeitsgruppe im Expertenkonsens und Einklang mit den aktuellen DGEM- und ESPEN-Leitlinien zur Modifikation der Empfehlung veranlasst. Hierbei wird der Patient mit Sepsis oder septischem Schock primär als ein metabolischer Hochrisikopatient angesehen [557, 618].

So schlagen wir unter Berücksichtigung der methodischen Schwächen der in der SSC-Leitlinie angeführten RCT und zuvor genannter aktuellen Metaanalysen eine kombinierte enteral/parenterale Ernährung innerhalb der ersten 7 Tage nach Beginn der Sepsis vor, sofern eine zielorientierte und an die individuelle Toleranz adaptierte Steigerung der enteralen Ernährung nicht ausreichend möglich ist.

Die aktuelle ASPEN-Leitlinie [618] empfiehlt den frühzeitigen Beginn einer rein parenteralen Ernährung primär bei mangelernährten Patienten und solchen mit metabolischem Risiko (NRS >5 oder NUTRIC-Score >5). Die aktualisierte ESPEN-Leitlinie [559] empfiehlt im Fall einer Kontraindikation zur oralen/enteralen Ernährung den Beginn einer parenteralen Ernährung innerhalb von 3–7 Tagen. Die aktuelle DGEM-Leitlinie empfiehlt, bei Vorliegen von Kontraindikationen für eine enterale Ernährung eine parenterale Ernährung durchzuführen, um die an die Phase der Erkrankung und an die individuelle metabolische Toleranz angepasste Kalorien- bzw. Proteinzufuhrrate zu erreichen. Auch kann insbesondere bei vorbestehender Mangelernährung in der Akutphase frühzeitig eine (ggf. supplementäre) parenterale Ernährung zum Erreichen des Kalorien- und Proteinziels entsprechend der individuellen metabolischen Toleranz durchgeführt werden [557].

T.4a | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen vor, von der routinemäßigen Überwachung des gastrischen Restvolumens bei kritisch erkrankten Patienten mit Sepsis oder septischem Schock abzusehen.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

T.4b | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen jedoch Messungen des gastrischen Restvolumens bei Patienten mit gastraler Intoleranz und hohem Reflux sowie bei Patienten mit hohem Aspirationsrisiko vor.

  • Bemerkungen: Dieser Vorschlag bezieht sich auf nichtchirurgische, kritisch erkrankte Patienten mit Sepsis oder septischem Schock.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Kritisch kranke Patienten haben ein signifikantes Risiko für eine gastrointestinale Dysmotilität, was wiederum eine Prädisposition für Regurgitation oder Erbrechen, Aspiration und die Entwicklung einer Aspirationspneumonie darstellt. Der Zweck der Durchführung von Messungen des gastralen Residualvolumens (GRV) besteht in der Reduzierung des Risikos einer Aspirationspneumonie durch Anpassung der enteralen Zufuhrrate. Die Diskussion bezieht sich darauf, dass Beobachtungs- und Interventionsstudien nicht durchgängig eine Beziehung zwischen den GRV-Messungen (mit einer Schwelle von 200 ml bis hin zur Nichtüberwachung des GRV) und den Refluxereignissen von Erbrechen, Aspiration oder Pneumonie nachgewiesen haben [619,620,621,622,623]. In dem systematischen SSC-Review wurde eine multizentrische Nichtunterlegenheitsstudie an 452 kritisch erkrankten Patienten identifiziert, die Patienten entweder in eine Gruppe ohne GRV-Messung oder in eine Gruppe mit GRV-Messung in 6‑Stunden-Intervallen randomisierte [624]. Eine Ernährungsintoleranz wurde als Erbrechen in der Interventionsgruppe (ohne GRV-Messung) bzw. als GRV >250 ml bzw. Erbrechen oder beidem in der Kontrollgruppe (mit GRV-Messung) definiert. Obwohl Erbrechen häufiger (39,6 % vs. 27 %; mediane Differenz 12,6; 95 %-KI 5,4–19,9) in der Gruppe auftrat, in der keine GRV-Messung erfolgte, war diese Strategie gegenüber der 6‑stündlichen Messung des GRV nicht unterlegen, da kein Unterschied in der Häufigkeit der VAP (primärer Endpunkt) bestand (16,7 % vs. 15,8 %; Differenz 0,9 %; 95 %-KI −4,8 bis 6,7 %). Ebenfalls kein Unterschied zwischen beiden Gruppen zeigte sich bezüglich Mortalität nach 28 und 90 Tagen. Patienten, bei denen innerhalb von 4 Wochen vor Studienbeginn ein chirurgischer Eingriff vorgenommen worden war, wurden in diese Studie nicht eingeschlossen. Daher können diese Ergebnisse nicht zwangsläufig auf chirurgische Patienten angewendet werden. Die Ergebnisse dieser Studie stellen jedoch den Bedarf für routinemäßige GRV-Messungen als Methode zur Reduzierung von Aspirationspneumonien infrage. Dies gilt vor allem für Patienten mit niedrigem Aspirationsrisiko. Aufgrund dieser Daten und der möglichen Einsparung der zur Messung erforderlichen Pflegeressourcen sprechen wir eine Empfehlung gegen die routinemäßige GRV-Überwachung bei allen Sepsispatienten aus, sofern keine manifeste Ernährungsintoleranz vorliegt (z. B. Erbrechen, Reflux von Nahrung in die Mundhöhle) oder es sich um Patienten mit bekannt hohem Aspirationsrisiko (z. B. Z. n. chirurgischem Eingriff, hämodynamische Instabilität) handelt. Wir verweisen zusätzlich auf die S3-Leitlinie der DGEM „Besonderheiten der Überwachung bei künstlicher Ernährung“ [625].

T.5 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen den Einsatz von Prokinetika bei kritisch kranken Patienten mit Sepsis oder septischem Schock und gastrointestinaler Intoleranz vor.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Prokinetika, zu denen Metoclopramid, Domperidon und Erythromycin gehören, werden häufig auf der ITS eingesetzt. Jeder dieser Wirkstoffe verfügt über unterschiedliche pharmakodynamische und pharmakokinetische Eigenschaften, allerdings können alle diese Wirkstoffe mit einer Verlängerung des QT-Intervalls und ventrikulären Arrhythmien verbunden sein. Eine große Fallkontrollstudie an Patienten, die sich nicht auf der ITS befanden, demonstrierte eine 3‑fache Zunahme des Risikos eines plötzlichen Herztods bei der Nutzung von Domperidon in einer Dosis von >30 mg/Tag [626]. Eine andere retrospektive Kohortenstudie ergab, dass die Nutzung von Erythromycin durch ambulante Patienten mit einer 2‑fachen Zunahme des Risikos eines plötzlichen Herztods verbunden war, insbesondere wenn das Medikament gleichzeitig mit anderen CYP3A-Inhibitoren verwendet wurde [627]. Der Einfluss auf ventrikuläre Arrhythmien bei kritisch kranken Patienten ist weniger klar.

Eine aktuelle systematische Übersicht und Metaanalyse von 13 RCT, in die 1341 kritisch kranke Patienten einbezogen wurden, ergab, dass die Nutzung von Prokinetika mit einem geringeren Risiko für eine enterale Ernährungsintoleranz assoziiert war (RR 0,73; 95 %-KI 0,55–0,97; mittlere Evidenzqualität). Dies entsprach einer absoluten Risikoreduktion von 17 %. Die Nutzung von Prokinetika führte zu keiner signifikanten Erhöhung der Mortalität (RR 0,97; 95 %-KI 0,81–1,1; niedrige Evidenzqualität); nicht in allen Studien wurde die Inzidenz von tödlichen und nichttödlichen Herzrhythmusstörungen beobachtet. Es war kein signifikanter Effekt auf das Risiko für Pneumonie und Erbrechen festzustellen. Die Mehrheit der in dieser Metaanalyse inkludierten Studien untersuchte den Effekt von Metoclopramid oder Erythromycin; eine Subgruppenanalyse nach Medikamentenklasse war nicht aussagekräftig genug, um potenzielle Unterschiede festzustellen [628]. Die Überwachung des QT-Intervalls ist erforderlich, wenn diese Wirkstoffe auf der ITS eingesetzt werden, insbesondere, wenn sie gleichzeitig mit anderen, das QT-Intervall verlängernden Medikamenten verwendet werden [629]. Der Einsatz von Prokinetika sollte täglich im Hinblick auf Nutzen-Risiko-Relation und Indikation überprüft werden.

Zur Vermeidung von unerwünschten neurologischen Reaktionen wie Dyskinesien und Krämpfen wird seit Dezember 2013 von der regulierenden Behörde der European Medicines Agency (EMA) ein eingeschränkter Einsatz von Metoclopramid empfohlen: maximal 5 Tage mit Dosisreduktion bei Erwachsenen bis 30 mg/Tag oder 0,5 mg/kg Körpergewicht und Tag unabhängig von der Applikationsart; keine längerfristige Anwendung bei Patienten mit chronischer Gastroparese. Die Effektivität von Metoclopramid zur Verstärkung der Magenmotilität und zur Verbesserung der enteralen Toleranz wird auch in den aktuellen DGEM- und ASPEN-Leitlinien betont. In der aktualisierten ESPEN-Leitlinie wird bei gastraler Intoleranz zunächst Erythromycin, dann entweder Metoclopramid oder eine Kombination beider Prokinetika empfohlen [559].

Unter Berücksichtigung der erwünschten Konsequenzen (geringeres Risiko einer Ernährungsintoleranz) und der niedrigen Evidenzqualität bei fehlendem Unterschied in Bezug auf die Mortalität oder Pneumonie wird eine schwache Empfehlung für die Verwendung der Prokinetika Metoclopramid oder Erythromycin zur Behandlung einer Ernährungsintoleranz bei Patienten mit Sepsis ausgesprochen. Weitere große vergleichende Studien werden benötigt, um die relative Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener Prokinetika zu beurteilen und zu vergleichen. Wir verweisen zusätzlich auf die S3-Leitlinie „Besonderheiten der Überwachung bei künstlicher Ernährung“ [625].

T.6 | Empfehlung | 2018

  • Wir schlagen die Platzierung von postpylorischen Ernährungssonden bei kritisch erkrankten Patienten mit Sepsis oder septischem Schock mit gastraler Intoleranz sowie bei Patienten mit hohem Aspirationsrisiko vor.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: schwach

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Eine Ernährungsintoleranz wird als Erbrechen, abdominelle Distension oder hohes GRV definiert, die eine Unterbrechung der enteralen Ernährung nach sich ziehen. Kritisch kranke Patienten haben ein erhöhtes Risiko für eine gastrointestinale Motilitätsstörung. So bestehen bei etwa 50 % der kritisch erkrankten Patienten Zeichen einer verzögerten Magenentleerung, bei septischen Patienten sogar bis zu 80 % [630, 690]. Eine Ernährungsintoleranz ist durch Erbrechen, die Aspiration von Mageninhalt oder sogar eine Pneumonie gekennzeichnet und kann eine Unterbrechung der enteralen Ernährung erfordern [631]. Die Pathophysiologie ist nicht vollständig geklärt und mit großer Wahrscheinlichkeit multifaktoriell. Die Gastroparese kann durch häufig in der Intensivmedizin verwendete Pharmaka begünstigt werden (z. B. Sedativa, Opioide oder NMBA) oder auch die Folge einer schockbedingten Minderperfusion im Gastrointestinaltrakt, einer Hyperglykämie oder der Gabe von Katecholaminen sein [632].

Bei einer Gastroparese bietet die postpylorische Sondenplatzierung theoretische Vorteile zur Verbesserung der Ernährungsintoleranz, da die Applikation der Nahrung unter Umgehung des Magens direkt in den Dünndarm ermöglicht wird. Postpylorische Ernährungssonden sind sicher, sind jedoch nicht immer verfügbar und erfordern besonderen technischen Aufwand und Expertise zur erfolgreichen Positionierung. Eine gastrische Luftinsufflation und Prokinetika sind jeweils effektive Hilfsmittel für die Platzierung [633]. Ferner kann die Positionierung endoskopisch erfolgen oder ein externes Magnetsystem zur Führung der Sonde verwendet werden. Eine systematische Übersichtsarbeit und eine Metaanalyse von randomisierten Studien untersuchten die Auswirkungen der postpylorischen (im Vergleich zur Magensonden‑) Ernährung. Es wurden 21 RCT mit 1579 Patienten einbezogen. Die Ernährung über eine postpylorische Sonde reduzierte das Risiko einer Pneumonie im Vergleich zu einer Ernährung über Magensonden (RR 0,75; 95 %-KI 0,59–0,94; niedrige Evidenzqualität). Dies entspricht einer 2,5 %igen (95 %-KI 0,6–4,1 %) absoluten Reduzierung des Pneumonierisikos. Es wurde jedoch keine signifikante Auswirkung auf die Mortalität, die Aspiration oder das Erbrechen festgestellt. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen anderer Metaanalysen [634].

Obwohl die Nutzung von postpylorischen Sonden das Risiko einer Pneumonie reduziert, ist die Evidenzqualität niedrig und der quantifizierbare Nutzen gering. Weitere Auswirkungen für den Patienten sind nicht sicher geklärt. Zur ökonomischen Bewertung der postpylorischen Sondenplatzierung besteht ein Bedarf für Kosten-Nutzen-Analysen. Daher ist bei Niedrigrisikopatienten die Indikation bei Abwägung zwischen erwünschten und unerwünschten Folgen relativ. Bei Patienten mit hohem Aspirationsrisiko (d. h. bei solchen mit wiederholter Aspiration in der Anamnese, einer schweren Gastroparese oder einer persistierenden Ernährungsintoleranz bei gastraler Ernährung) kann die postpylorische Sondenplatzierung gerechtfertigt sein.

Hier besteht Konsens mit den o. g. Leitlinien nationaler und internationaler Ernährungsgesellschaften.

T.7 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von der Verwendung von intravenösem Selen bei der Behandlung von Patienten mit Sepsis und septischem Schock abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Selen wird mit der Intention verabreicht, eine Verminderung der Selenkonzentration im Rahmen der Sepsis zu korrigieren und einen positiven pharmakologischen Effekt auf die antioxidative Kapazität zu erzielen. Obwohl einige RCT verfügbar sind, ist die Evidenz für den Nutzen von intravenösem Selen nicht überzeugend. Zwei aktuelle Metaanalysen suggerieren (mit schwachen Ergebnissen) einen potenziellen Vorteil einer hochdosierten Selensupplementierung bei Sepsis [634, 635]. Die hochdosierte Gabe von Selen (Natriumselenit 1000 µg/Tag für max. 21 Tage) vs. Placebo wurde in einer multizentrischen randomisiert-kontrollierten Studie (SISPCT) an 1089 Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock neben einer prokalzitoningesteuerten Antibiotikatherapie untersucht [636]. In der „Intention-to-treat“-Analyse von 543 Patienten mit Selengabe vs. 546 mit Placebo zeigte sich im primären Endpunkt 28-Tage-Letalität mit 28,3 % (95 %-KI, 24,5–32,3 %) vs. 25,5 % (95 %-KI 22,9–29,5 %) kein signifikanter Unterschied (p = 0,30; [637]).

Des Weiteren wurden keine Unterschiede in Bezug auf die sekundären Endpunkte hinsichtlich des Auftretens einer nosokomialen Pneumonie oder der Aufenthaltsdauer auf der ITS festgestellt. Bei der Aktualisierung der SSC-Metaanalyse unter Einbeziehung der SISPCT-Studienergebnisse wurde kein Vorteil bezüglich der Mortalität bei hochdosierter Selengabe nachgewiesen. So kann die intravenöse Gabe von Selen bei septischen Patienten nicht empfohlen werden.

T.8 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von der Verwendung von Glutamin bei der Behandlung von Patienten mit Sepsis oder septischem Schock abgesehen wird.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: moderat

Begründung.

Die Glutaminkonzentration im Plasma kann während einer kritischen Erkrankung reduziert sein. Plasmaglutaminspiegel sind bei nichtelektiven Aufnahmen auf die ITS signifikant niedriger als bei elektiven Patienten. Niedrige Glutaminspiegel sind Ausdruck der Schwere der Erkrankung und einer Infektion. Die exogene Supplementierung kann die Atrophie und Permeabilität der Darmschleimhaut verbessern und möglicherweise zu einer Reduktion der bakteriellen Translokation führen. Zu den anderen potenziellen Vorteilen gehören eine verbesserte Funktion von Immunzellen, eine verringerte proinflammatorische Zytokinproduktion und höhere Konzentrationen von Glutathion und damit eine erhöhte antioxidative Kapazität. Die klinische Signifikanz dieser pathophysiologischen Erkenntnisse wurde jedoch noch nicht eindeutig festgestellt.

Obwohl eine frühere Metaanalyse eine Reduktion der Mortalität demonstrierte [638], war dies bei neueren Metaanalysen nicht der Fall [639,640,641,642]. Vier aktuelle gut konzipierte Studien wiesen in den Primäranalysen ebenfalls keinen Mortalitätsvorteil nach, wobei keine dieser Studien spezifisch auf septische Patienten fokussiert war [643,644,645,646]. In der Studie von Heyland und Mitarbeitern [646] war eine hochdosierte Glutaminsupplementierung bei Patienten mit Multiorganversagen (31 % der Patienten mit Sepsis als Diagnose) sogar mit einer signifikant höheren 6‑Monats-Mortalität assoziiert. Zwei kleine Studien an septischen Patienten ergaben keinen Vorteil in Bezug auf die Mortalitätsraten [647, 648], demonstrierten aber eine signifikante Reduktion der Rate infektiöser Komplikationen und eine schnellere Erholung der Organfunktion.

Eine von der Arbeitsgruppe als qualitativ gut bewerteten „Umbrella“-Übersicht von 22 Metaanalysen sowie eine aktuelle hier noch nicht eingeschlossene Metaanalyse von 15 randomisierten Studien hat Vorteile für die Glutaminsupplementierung bei Intensivpatienten in Bezug auf die Rate infektiöser Komplikationen und der Krankenhausverweildauer gezeigt [649, 650]. In der Mehrheit der Metaanalysen wurde jedoch keine statistische Signifikanz erreicht. Hingewiesen worden ist auch auf die erhebliche und statistisch signifikante Heterogenität der Studien und Metaanalysen [649].

In der Zusammenschau der Daten für Intensivpatienten kann der Einsatz von Glutamin beim septischen Patienten mit Organdysfunktion nicht empfohlen werden.

T.9 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass von der Verwendung von Omega-3-Fettsäuren als Immunsupplement bei kritisch kranken Patienten mit Sepsis oder septischen Schock abgesehen wird (dies betrifft nicht den Einsatz Omega-3-fetthaltiger Lipidemulsionen im Rahmen der parenteralen Ernährung).

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke bei Doppelabstimmung: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzgrad: niedrig

Begründung.

Pathophysiologisch legt das hohe antiinflammatorische Potenzial durch den Shift der Mediatorsynthese die Gabe von Fischöl bzw. Omega-3-Fettsäuren bei Intensivpatienten sogar mit Sepsis und septischem Schock nahe [651]. Andererseits kann eine bereits bestehende Immunsuppression zusätzlich verstärkt werden.

In den der SSC-Arbeitsgruppe vorliegenden systematischen Übersichten zur Omega-3-Supplementierung bei Intensivpatienten und auch solchen mit ARDS wurde ein therapeutischer Nutzen nicht sicher gezeigt. Eine große randomisierte kontrollierte Studie bei 272 Patienten mit Lungenversagen hatte sogar ein erhöhtes Risiko für Mortalität sowie verlängerte Beatmungs- und Intensivliegedauer ergeben [652].

In vielen Studien bei Intensivpatienten wurden vor allem enteral Omega-3-Fettsäuren mit Vitaminen und Spurenelementen kombiniert, sodass die isolierte Beurteilung erschwert ist. Aus diesem Grund hat die SSC-Arbeitsgruppe eine Metaanalyse der Studien mit ausschließlicher Gabe von Omega-3-Fettsäuren im Interventionsarm vorgenommen. 16 Studien mit 1216 Patienten wurden eingeschlossen. Es gab keinen signifikanten Unterschied in der Letalität (RR 0,86; 95 %-KI 0,71–1,03; niedrige Evidenzqualität). Die Intensivliegedauer war jedoch bei Einsatz von Omega-3-Fettsäuren signifikant verkürzt (MD −3,84 Tage, 95 %-KI, −5,57 bis −2,12; sehr niedrige Evidenzqualität). Insgesamt wurde die Evidenz als niedrig bewertet. Aufgrund der Unsicherheit über Nutzen und Nebenwirkungen wurde von der SSC-Arbeitsgruppe auch in Anbetracht der Kosten vom Einsatz außerhalb von randomisierten Studien stark abgeraten.

Die DSG-Arbeitsgruppe hat die seit 2016 erschienenen Studien und Metaanalysen mit Fokus auf Patienten mit Sepsis bewertet.

In einer aktuellen Metaanalyse der randomisiert-kontrollierten Studien mit septischen Patienten wurden 11 Studien mit 898 Patienten eingeschlossen. Hier wurde kein Einfluss der Ernährung mit Omega-3-Fettsäuren auf die Letalität (RR 0,84; 95 %-KI 0,67–1,05; p = 0,17) und die Rate infektiöser Komplikationen gezeigt (RR 0,95; 95 %-KI; 0,77–1,25; p = 0,70). Signifikant reduziert war bei den mit Omega-3-Fettsäuren ernährten Patienten die Dauer der mechanischen Beatmung (−3,82; 95 %-KI −4,61 bis 3,04; p < 0,00001). Eine signifikante Heterogenität der Daten wurde für die Krankenhausverweil- und Intensivliegedauer festgestellt [692]. Eine weitere ebenfalls auf Patienten mit Sepsis fokussierte Metaanalyse von 17 Studien mit 1239 Patienten konnte für die Supplementierung mit Omega-3-Fettsäuren keinen signifikanten Effekt auf die Mortalität (RR 0,85; 95 %-KI 0,71–1,03, p = 0,10; I2 = 0 %) beobachten, führte aber zu einer signifikanten Verkürzung des Intensivaufenthalts (−3,79 Tage; 95 %-KI −5,49 bis −2,09; p < 0,0001; I2 = 82 %) und Dauer der mechanischen Beatmung (−2,27 Tage; 95 %-KI −4,27 bis 0,27; p = 0,003; I2 = 60 %). Aufgrund der Heterogenität der Studien halten die Autoren selbst die Evidenz für nicht ausreichend, um eine Empfehlung zum Routineeinsatz beim septischen Patienten zu rechtfertigen [653, 691].

Für septische Patienten, die aufgrund einer schweren gastrointestinalen Dysfunktion nach den SSC-Leitlinien behandelt und ausschließlich parenteral ernährt wurden, haben Chen et al. in einer randomisierten verblindeten Pilotstudie bei Supplementierung mit 100 ml Fischöl (10 g Fischöl/Tag) eine signifikant niedrigere 28-Tage-Letalität in der Interventionsgruppe gezeigt (12,5 % vs. 41,7 %; p = 0,023). Die verminderte Mortalität wurde von einem signifikant niedrigeren APACHE-II- und Marshall-Multiorgandysfunktionsscore an Tag 7 (p < 0,05) sowie einer höheren Rate von T‑Helfer-/-Inducer-Zellen und CD4-/CD8-Lymphozyten (p < 0,01) begleitet [654].

Von derselben Arbeitsgruppe wurde in einer zweiten analog durchgeführten randomisierten Studie (n = 78) eine grenzwertig signifikant niedrigere 60-Tage-Mortalität bei parenteraler Fischölsupplementierung gezeigt: 26,8 % vs. 48,6 % (OR 0,387; KI 0,150–0,996; p = 0,046). Die 28-Tage-Letalität war hier ohne Unterschied. Das Verhältnis von Omega‑6 zu -3 betrug 5 zu 1. In der multivariaten Analyse profitierten besonders Patienten mit hohem intraabdominellem Druck und intraabdomineller Sepsis, passend zu der früheren Beobachtungsstudie von Heller et al. (2006). Methodisch sieht die DSG-Arbeitsgruppe hier Schwächen. Nicht klar ist, ob es sich wirklich um 2 getrennte Studien handelt oder die Daten der Pilotstudie in der zweiten Studie enthalten sind. Auch die Definition der primären und sekundären Endpunkte ist nicht deutlich.

In einer prospektiven nichtrandomisierten, nach Auffassung der Arbeitsgruppe qualitativ guten Beobachtungsstudie (2 plus) bei 112 Patienten mit Sepsis war eine parenterale Supplementierung mit Omega-3-Fettsäuren mit einer signifikant geringeren Gesamtletalität (20 vs. 10 %; p = 0,034) und Intensivverweildauer assoziiert. Keine Unterschiede wurden für TNF-α- und Prokalzitoninspiegel sowie die 28-Tage-Mortalität, die Krankenhausverweildauer und die Dauer der mechanischen Beatmung beobachtet. Medikamentöse Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet [655].

Bei der Gabe von Omega-3-Fettsäuren gilt ein Verhältnis von Omega‑6 zu Omega‑3 von 2,1 zu 1 als immunneutral. Die auf dem Markt verfügbaren Omega-3-haltigen Infusionslösungen berücksichtigen dieses Verhältnis, was eine Erklärung für die bisher nicht eindeutig gezeigten klinischen Vorteile bei Intensivpatienten sein kann, die zumeist erst in Metaanalysen gepoolter Daten herausgearbeitet wurden. Auch eine aktuelle produktspezifische von der Arbeitsgruppe als qualitativ gut bewertete Metaanalyse hat keine signifikanten Unterschiede gezeigt [656]. Insgesamt sind große multizentrische Studien auch zur Dosisfindung erforderlich.

In Zusammenschau der Heterogenität der Daten und im Einklang mit der aktuellen DGEM-S2k-Leitlinie kann die Empfehlung der SSC, bei septischen Patienten keine Omega-3-Fettsäuren einzusetzen, nur vor dem Hintergrund des „primum nil nocere“ (unter Nichtberücksichtung der positiven Daten) verstanden werden. Die DSG-Leitlinienkommission hat daher in der o. g. Empfehlung den Zusatz mit angeführt, dass die Nichtverwendung von Omega-3-Fettsäuren als (hochdosiertes) Immunsupplement bei kritisch kranken Patienten mit Sepsis oder septischen Schock nicht den Einsatz Omega-3-fetthaltiger Lipidemulsionen im Rahmen der parenteralen Ernährung betrifft, da bisher keine schädlichen Wirkungen beschrieben wurden und klinische sowie experimentelle Studien mögliche Vorteile suggerieren. Auch die aktualisierte ESPEN-Leitlinie empfiehlt, dass enterale hochdosierte Omega-3-Nährlösungen nicht routinemäßig oder als Bolus zugeführt werden sollten, Omega-3-Fettsäuren als ernährungsrelevanter Bestandteil enteraler Nährlösungen jedoch eingesetzt werden können. Bei Einsatz von parenteralen Lipidlösungen angereichert mit Fischöl können diese in einer Dosierung von 0,1–0,2 g/kg und Tag verwendet werden [559].

U. Setzen von Behandlungszielen

U.1 | Empfehlung | 2018

  • Expertenkonsens

  • Wir empfehlen, dass die Behandlungsziele und die Prognose mit den Patienten und deren Angehörigen/Betreuern besprochen werden.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

U.2 | Empfehlung | 2018

  • Wir empfehlen, dass die Behandlungsziele in die Therapieplanung und gegebenenfalls Sterbebegleitung einbezogen werden, wobei geeignete palliative Behandlungsprinzipien genutzt werden sollten.

  • SSC-Leitlinienadaptation

  • Konsensstärke: 100 %

  • Empfehlungsgrad: stark

  • Evidenzqualität: moderat

Begründung.

Die Sterblichkeitsrate von Sepsispatienten mit multiplem Organsystemversagen ist hoch und die Langzeitfolgen nach überlebter Sepsis sind häufig schwer. Das Ergebnis einer intensivmedizinischen Behandlung bei kritisch erkrankten Patienten akkurat vorherzusagen, ist problematisch. Dennoch ist die Aufstellung realistischer Therapieziele von außerordentlicher Wichtigkeit [657], insbesondere weil falsche Erwartungen bezüglich der Prognose bei den Angehörigen häufig vorkommen [658]. Eine nichtvorteilhafte, vollumfängliche, lebensverlängernde ITS-Behandlung steht nicht im Einklang mit dem Setzen von Behandlungszielen [659, 660]. Die Nutzung von Behandlungskonferenzen zur Identifizierung von Patientenverfügungen und von Behandlungszielen innerhalb von 72 h ab dem Zeitpunkt der Aufnahme auf der ITS fördert nachweislich die Kommunikation und die Verständigung zwischen der Familie des Patienten und dem Behandlungsteam, verbessert die Familienzufriedenheit, verringert Stress, Ängste und Depressionen bei den Verwandten, erleichtert die Entscheidungsfindung zur Sterbebegleitung und verkürzt die Aufenthaltsdauer auf ITS bei Patienten, die versterben [661, 662]. Die Förderung einer gemeinsamen Entscheidungsfindung mit dem Patienten und dessen Familie ist hilfreich bei der Sicherstellung einer angemessenen Versorgung auf der ITS und der Gewährleistung, dass überflüssige Behandlungsmaßnahmen vermieden werden [663, 664].

Die Palliativversorgung wird zunehmend als wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Versorgung von kritisch erkrankten Patienten anerkannt, und zwar unabhängig von der Diagnose oder der Prognose [665]. Die Nutzung der Palliativmedizin auf ITS erweitert die Fähigkeiten zur Erkennung von Schmerzen und Ängsten, die Feststellung der Wünsche, Glaubensgrundsätze und Werte des Patienten und deren Einfluss auf die Entscheidungsfindung, die Entwicklung von flexiblen Kommunikationsstrategien, die Festlegung von Behandlungszielen, die Bereitschaft zur Sterbebegleitung durch Angehörige, die Unterstützung bei der Lösung von Konflikten innerhalb des Teams und die Aufstellung von angemessenen Zielen für die lebenserhaltenden Maßnahmen [666].

Ein aktuelles systematisches Review von palliativen Maßnahmen und der Nutzung von vollumfänglichen Intensivbehandlungsplänen hat ergeben, dass Patienten, bei denen vollumfängliche Intensivbehandlungspläne und palliative Maßnahmen einbezogen wurden, trotz großer Abweichungen in Bezug auf den Studientyp und die Qualität in 9 randomisierten kontrollierten Studien und 13 nichtrandomisierten kontrollierten Studien durchgängig ein Muster aufwiesen, das auf einen Rückgang der ITS-Einweisungen und einen kürzeren Aufenthalt auf der ITS hindeutet [667].

Die signifikanten Abweichungen bei den Beurteilungen der einzelnen Krankenhäuser und der Bereitstellung von palliativen Maßnahmen stehen jedoch im Einklang mit früheren Studien, die Abweichungen bei der Versorgungsintensität am Lebensende nachgewiesen haben [668]. Trotz der Unterschiede in Bezug auf die geographische Lage, das Rechtssystem, die Religion und die Kultur besteht ein weltweiter professioneller Konsens im Hinblick auf die wesentlichen intensivmedizinischen Praktiken am Lebensende [669].

Der Förderung einer auf den Patienten und dessen Familie ausgerichteten Behandlung auf der ITS wird inzwischen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Sie beinhaltet die Umsetzung von frühzeitigen und wiederholten Behandlungskonferenzen zur Reduzierung der Belastung der Familie und zur Verbesserung der Konsistenz in der Kommunikation sowie offene und flexible Besuchszeiten, die Anwesenheit der Familienmitglieder bei klinischen Visiten und die Einbeziehung von kulturellen und spirituellen Unterstützungsleistungen [393, 670,671,672].

Spätfolgen der Sepsis

Neben den im Rahmen validierter Testinstrumente (z. B. SF-36) erfassten Einschränkungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität [673,674,675] leidet eine Vielzahl von ehemaligen Sepsispatienten unter funktionellen Einschränkungen, die unter den Begriffen „critical illness polyneuropathy“ (CIP) bzw. „critical illness myopathy“ (CIM) seit mehr als 2 Jahrzehnten bekannt sind [676]. Mehr als 70 % der Patienten mit septischem Schock und mehr als 60 % der mechanisch beatmeten Patienten sowie der Patienten mit einer schweren Sepsis zeigen signifikante elektrophysiologische Veränderungen bereits 3 Tage nach Aufnahme auf die ITS [677]. Assoziationen mit myopathischen oder neuropathischen Veränderungen zeigen neben der Sepsis und der Beatmung auch das Multiorganversagen, ARDS, eine systemische Inflammation, Kortikosteroide, Störungen des Glukosemetabolismus und die Liegedauer auf der ITS. In der Summe werden bei Patienten mit CIP/CIM häufiger Schwierigkeiten bei der Entwöhnung vom Beatmungsgerät („weaning failure“) und prolongierte Phasen der posthospitalen Rehabilitation beobachtet.

Zunehmend in den Blickpunkt geraten im Zusammenhang mit der perihospitalen funktionellen Entwicklung auch das Delirium während der Intensivtherapie sowie anhaltende neurokognitive Einschränkungen (ca. 17 %), posttraumatischer Disstress (PTSD, 44 %) und Depressionen (29 %; [678, 679, 682]). Der Grad der durch eine Sepsis resultierenden Funktionsdefizite und somit die tatsächliche Lebensqualität der Betroffenen kann jedoch durch eine geeignete Rehabilitationsmaßnahme durchaus beeinflussbar sein. Allerdings gibt es bis heute weder therapeutische Rehabilitationsstandards [680] noch auf diese Patienten ausgerichtete Rehabilitationseinrichtungen, da die zugrunde liegenden biologischen Mechanismen der Langzeitfolgen einer Sepsis nach intensivtherapeutischer Behandlung unzureichend verstanden sind. Außerdem sind die Langzeitfolgen den nachbehandelnden Ärzten in der Regel wenig bekannt. Bis zur Einführung der DRG wurden Sepsispatienten bis zu ihrer „Entlassungsfähigkeit“ in der Regel im Akutkrankenhaus versorgt, das jedoch im Allgemeinen nicht über entsprechende rehabilitationsmedizinische Ressourcen verfügt. Mit Einführung der DRG sehen sich diese Patienten jedoch mit einem weiteren Problem konfrontiert. Aufgrund zukünftig fehlender Abrechnungsgrundlagen ist das Akutkrankenhaus an einer vorzeitigen Entlassung des Patienten interessiert, um das pro Behandlungsfall zur Verfügung stehende Budget nicht über Gebühr zu überschreiten. Das Ergebnis ist, dass Sepsispatienten nun noch früher aus der akutmedizinischen Versorgung entlassen werden. Gezielte Forschung ist notwendig, um unser Verständnis der häufig lang andauernden neurokognitiven und motorisch-funktionellen Beeinträchtigungen dieser Patientengruppe zu verbessern und mögliche Präventions- bzw. Therapieansätze aufzuzeigen [681, 682].

Es wird empfohlen, typische Sepsisfolgen – sofern möglich – bereits im akutmedizinischen Bereich zu erfassen und die nachbehandelnden Ärzte im postakuten und ambulanten Bereich über diesbezüglich bestehende bzw. potenziell im Langzeitverlauf auftretende Funktionsdefizite hinzuweisen.