… ein kranker Darm ist die Wurzel allen Übels

Hippokrates von Kos, 469–377 v. Chr.

Der Darm wurde in der Intensivmedizin jahrzehntelang weitgehend vernachlässigt. In verschiedenen Scoresystemen zur Beurteilung des Schweregrads von intensivmedizinischen Zustandsbildern, wie dem Acute-Physiology-and-Chronic-Health-Evaluation(APACHE)-Score oder dem Sequential-Organ-Failure-Assessment(SOFA)-Score, ist der Darm nicht als zu graduierendes Organversagen enthalten. Der Darm wurde vorwiegend als pflegerisches Problem bezüglich der enteralen Ernährung und Störung der intestinalen Motilität (Ileus, Diarrhö) betrachtet.

Inzwischen wurde das Versagen des Darmes als entscheidendes Organversagen im Rahmen des Multiorgandysfunktionssyndroms (MODS) erkannt, als eine Organdysfunktion, die einerseits häufig Ursache einer endogenen Infektion und auch der Sepsis ist („Darmhypothese“ der Sepsis) und andererseits im Rahmen des MODS zu einer Verstärkung und Perpetuierung der systemischen Inflammation beitragen kann [1,2,3].

Der Schweregrad des Darmversagens korreliert mit der Mortalität eines Intensivpatienten

Der Darm kann damit Ursache oder auch Motor einer Sepsis bzw. eines MODS sein, das Darmversagen korreliert in seinem Schweregrad mit der Mortalität eines Intensivpatienten. Durch die zentrale Stellung des Darms führt ein Darmversagen auch zur Störung anderer Organsysteme. Daher wurde für Intensivpatienten ein gastrointestinaler Organversagensscore entwickelt, um die intestinale Dysfunktion beurteilen, überwachen und dokumentieren zu können [4].

Die wesentliche Konsequenz dieser Erkenntnisse für das Management von Intensivpatienten muss darin liegen, die intestinalen Funktionen aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen. Optimalerweise sollten die Maßnahmen schon präventiv eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang kommt einer zielorientierten Infusionstherapie, der Vermeidung einer Hypervolämie und der enteralen Ernährung eine zentrale Rolle zu, die heute als intestinale Organunterstützung („Organ-Support“) angesehen werden sollte [5]. Auch ergibt sich ein neues Spektrum von therapeutischen Interventionen durch die Modulation des intestinalen Mikrobioms.

In diesem Beitrag sollen ein spezieller Aspekt, der Darm als Ursache und Promotor von Infektionen, und die Interaktion mit anderen Organsystemen besprochen werden, wobei der intestinalen Barrierefunktion bzw. Translokation und der intraabdominellen Hypertension wesentliche Rollen zukommen.

Der Darm als Quelle und Ursache von Infektionen

Der Darm ist die wichtigste Quelle der endogen vom Patienten selbst ausgehenden Infektionen. Etwa 50 % der Infektionen bei Intensivpatienten stammen aus dem Darm. Dabei kann eine Infektion per continuitatem durch Aszension vom Keimen aus dem Magen in den Oropharynx, vor allem aber durch Eindringen von Keimen durch die intestinale Mukosa („bakterielle Translokation“) verursacht werden.

Aszension von Keimen

Unter physiologischen Bedingungen ist der Magen durch den niedrigen pH-Wert weitgehend steril. Die gastrale Azidose bildet eine Barriere gegen eine Besiedlung des Magens und gegen die Aszension von Keimen aus dem Darm über den Ösophagus in den Oropharynx.

Bei Intensivpatienten können verschiedene Faktoren dazu beitragen, diese gastrale Barriere zu stören: Beispiele sind die (in vielen Fällen nicht indizierte) Ulkusprophylaxe bzw. Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren, eine flache Lagerung des Oberkörpers, eine gestörte gastrale Entleerung bzw. ein hohes gastrales Residualvolumen oder ein zu rascher enteraler Ernährungsaufbau.

Die Folge sind eine Besiedlung des Oropharynx mit intestinalen Keimen sowie eine „stille Aspiration“ und die Ausbildung einer nosokomialen Pneumonie. Ein Beatmungstubus per se, die flache Lagerung des Patienten und eine Sedierung bzw. auch Relaxierung begünstigen die Ausbildung nosokomialer Pneumonien.

Therapeutische Implikationen

Zur Prävention der Aspiration sollte eine Oberkörperlagerung (30° Hochlagerung) erfolgen, die gastrale Motilität bzw. Entleerung gesteigert, eine enterale Ernährung langsam begonnen bzw. aufgebaut werden (s. unten) und eine Ulkusprophylaxe nur bei Risikopatienten vorgenommen werden. Zudem können spezielle Beatmungstuben mit der Möglichkeit der supraglottischen Absaugung eingesetzt werden.

Orale Hygiene/Dekontamination.

Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass eine peinliche orale Hygiene zur pflegerischen Grundversorgung jedes Beatmungspatienten gehört. Weitverbreitet ist die lokale Spülung des Mund-Rachen-Bereichs mit Chlorhexidin. Jüngere Metaanalysen konnten nicht zuletzt wegen der Gefahr von Schleimhautschäden keine günstigen Effekte belegen [6].

Eine weitere Möglichkeit besteht in der lokalen Applikation von Antibiotika im Oropharynx (selektive orale Dekontamination [SOD]) bzw. auch in der Kombination mit einer systemischen Antibiotikagabe (selektive digestive Dekontamination [SDD]). Trotz der günstigen Datenlage bezüglich der Vermeidung einer nosokomialen Pneumonie und einer Bakteriämie sowie hinsichtlich der Prognoseverbesserung hat sich dieses Therapieverfahren in den deutschsprachigen Ländern nicht durchgesetzt [7].

Intestinale Translokation

Der wichtigste Mechanismus der endogenen Infektionsentstehung ist die intestinale Translokation. War man früher der Meinung, dass der Darm ein dichtes Rohr darstellt, durch dessen Wand keine Makromoleküle, Bakterienbestandteile oder Mikroorganismen eindringen können, so ist klar geworden, dass luminale Makromoleküle und Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Viren) in einem engen Austausch mit der Schleimhaut und dem intestinalen Lymphsystem stehen.

Makromoleküle und Mikroorganismen durchdringen auch unter physiologischen Bedingungen sowohl transzellulär als auch parazellulär die Mukosa und treten mit submukösen Zellpopulationen wie Makrophagen und antigenpräsentierenden Zellen und dem intestinalen Lymphsystem („gut-associated lymphatic tissue“) in Kontakt.

Makromoleküle und Mikroorganismen durchdringen auch physiologisch die Mukosa

Der Crosstalk zwischen dem Immunsystem, der intestinalen Mukosa inklusive ihrer Immunglobulin-A-haltigen Schleimschicht und dem Mikrobiom ist ein zentraler Mechanismus in der Konditionierung des Immunsystems und in der Aufrechterhaltung eines physiologischen Gleichgewichts zwischen Wirt und Mikrobiom [8].

Mikroorganismen dringen durch Translokation vorwiegend in das Lymphsystem ein. Wird dieses überschwemmt, gelangen aktivierte Zellen, Mediatoren und Keime bzw. Keimbestandteile als „toxische Lymphe“ über den Ductus thoracicus in die systemische Zirkulation. Eine Verhinderung des Abflusses der intestinalen Lymphflüssigkeit kann experimentell das Auftreten einer Organschädigung, besonders der Lunge, verhindern und das Überleben verbessern [9].

Treten Mikroorganismen direkt in die Blutbahn ein, gelangen sie über den portalen Kreislauf in die Leber und werden von Kupffer-Zellen eliminiert, was eine hepatale inflammatorische Reaktion induziert und auch den inflammatorischen Status des Gesamtorganismus beeinflusst. Bei überhöhter Keimlast kommt es zu einer Bakteriämie.

Determinanten

Der menschliche Darm ist mit etwa 500 m2 die größte mit der Umgebung in Kontakt stehende Oberfläche des Organismus. Sie wird vom intestinalen Mikrobiom bedeckt, das mit einer Zahl von 1014 Keimen jene der somatischen Zellen des Organismus weit übersteigt.

Ob eine pathologische Translokation dieser Keime durch diese riesige Oberfläche auftritt, wird von drei Faktoren bestimmt (Tab. 1):

  • Darminhalt, Zusammensetzung, Zahl und Virulenz der Keime

  • Intaktheit der Schleimhautbarriere

  • Immunologischer Zustand des Gesamtorganismus

Tab. 1 Determinanten der bakteriellen Translokation

Luminale Faktoren.

Intestinales Mikrobiom: Ohne hier auf die fundamentale Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit des Organismus und auch für verschiedene Organinteraktionen eingehen zu können, ist zuletzt gezeigt worden, dass bei kritischem Kranksein eine fundamentale Änderung der Diversität, der Quantität und Qualität der intestinalen Mikrobiota auftritt („Dysbiose“; [10]).

Einer intestinalen Dysbiose wird heute eine zentrale Rolle in der Entstehung nosokomialer Infektionen, der Sepsis und des MODS zugeschrieben [11]. Derzeit ist jedoch nicht im Einzelnen geklärt, welche Änderungen des Mikrobioms Ursachen bzw. Folgen einer Akuterkrankung darstellen.

Die Ursachen dieser Dysbiose sind vielfältig. Dazu gehören

  • das kritische Kranksein selbst („Stress“),

  • die gestörte Immunitätslage,

  • die intestinale Motilitätsstörung und

  • das Fehlen einer enteralen Nährstoffzufuhr bzw. eine parenterale Ernährung.

Zweifellos der wichtigste Faktor ist jedoch die (unkritische) antibiotische Therapie.

Durch diese Faktoren kommt es zu einer Selektion von Keimen, zum überschießenden Wachstum verschiedener Keimpopulationen, beispielsweise von Clostridien. Entscheidend ist die Tatsache, dass Keime bei Intensivpatienten ihr Virulenzverhalten ändern, sodass auch jahrzehntelang im Darm ansässige Keime virulent werden können [12]. Eine strikte Unterscheidung von „physiologischen“ und „pathologischen“ Keimen ist daher nicht möglich.

Verstärkt wird die Fehlbesiedlung durch Motilitätsstörungen. So finden sich bei einem paralytischen Ileus mehrere Liter von bakterienüberladener Darmflüssigkeit, was auch als „nichtdrainierter Abszess“ bezeichnet wurde [13].

Alle diese Faktoren – Fehlbesiedlung, Selektion, überschießendes Keimwachstum und erhöhte Virulenz – tragen dazu bei, dass Keime über eine intakte, aber insbesondere über eine geschädigte Schleimhautbarriere in die Submukosa, in das Lymphsystem oder den portalen Kreislauf eindringen können.

Schleimhautfaktoren/Barrierefunktion.

Obwohl eine (physiologische) Translokation auch bei einer intakten Schleimhaut auftritt, führt jede Schädigung der intestinalen Mukosa zu einer Störung der intestinalen Barrierefunktion sowie Erhöhung der intestinalen Permeabilität und begünstigt damit eine (pathologische) Translokation („Leaky-gut-Hypothese“).

Die möglichen schädigenden Ereignisse sind vielfältig. Dazu gehören

  • die Sepsis selbst,

  • Infektionen der Darmwand,

  • der hämorrhagische bzw. hypovolämische Schock,

  • eine Hypoperfusion,

  • Verbrennungen,

  • Traumata,

  • Bestrahlung und

  • eine zytostatische Therapie.

Weitere „neue“ Faktoren in diesem Zusammenhang sind die Sekretion von Gallensäuren, die zytotoxisch wirken, und die Freisetzung von pankreatischen Enzymen, die die intestinale Schleimschicht schädigen und damit die Barriere beeinträchtigen können [14, 15].

Wie in verschiedenen experimentellen Untersuchungen gezeigt, führt das Fehlen einer enteralen Nährstoffzufuhr, wie etwa bei einer rein parenteralen Ernährung, zu einer Beeinträchtigung der Barrierefunktion [5]. Auch andere therapeutische Maßnahmen, wie eine Therapie mit Vasokonstriktoren (Noradrenalin, Adrenalin, Vasopressin), können zu einer mikrovaskulären Hypoperfusion und damit Schädigung der Mukosa und Störung der intestinalen Barriere beitragen [16].

Systemische Faktoren.

Schließlich entscheidet auch der Gesamtzustand des Organismus, insbesondere seine Immunitätslage, ob eine Translokation in das Lymphsystem oder den portalen Kreislauf nur eine lokalisierte Reaktion auslösen oder aber zu einer systemischen Inflammation oder manifesten Infektion führen wird.

Kritisches Kranksein selbst führt zu einer Beeinträchtigung der Immunitätslage des Organismus [17]. Eine Malnutrition, aber auch eine systemische immunsuppressive Therapie, eine Therapie mit Kortikoiden und eine Chemotherapie können die Abwehrkraft vermindern [18].

Intraabdomineller Druck, intraabdominelle Hypertension und abdominelles Kompartment-Syndrom

Ein entscheidender Mechanismus für die Schädigung des Darms selbst und anderer intraabdomineller Organe, für die Beeinträchtigung der Hämodynamik und extraabdomineller Organsysteme und für die Ausbildung eines MODS liegt in der Erhöhung des intraabdominellen Drucks (IAP; [19]).

Eine persistierende oder wiederholte Erhöhung des IAP auf >12 mm Hg wird als intraabdominelle Hypertension (IAH) bezeichnet, eine Druckerhöhung von >20 mm Hg, die mit der Beeinträchtigung mindestens eines zusätzlichen Organsystems einhergeht, als intraabdominelles Kompartment-Syndrom [20]. Eine IAH ist bei Intensivpatienten häufig zu beobachten, je nach behandelter Patientengruppe bei 20–80 %.

Unmittelbare Folgen betreffen zunächst den Darm selbst. Eine intraabdominelle Drucksteigerung führt im Sinne eines Circulus vitiosus zu einer weiteren Beeinträchtigung der gastrointestinalen Motilität, zu einer Behinderung der mukosal-mikrovaskulären Durchblutung und des Lymphabflusses, zu einer Schädigung der Schleimhaut, zur Steigerung des Kapillarlecks und Ödems sowie zur Störung der Barrierefunktion und damit zur Förderung der Translokation [21, 22]. Diese Folgen sind schon bei moderaten Erhöhungen des IAP zu beobachten [23].

Eine intraabdominelle Hypertension führt auch zur Beeinträchtigung anderer Organsysteme

Eine IAH führt auch zur Beeinträchtigung anderer Organsysteme. Im Vordergrund stehen dabei zunächst die retroperitoneal liegenden Nieren. Eine IAH führt durch Erhöhung des intrarenalen Parenchymdrucks und Behinderung der renal-venösen Drainage zu einer Störung der Nierenfunktion. Zwischen IAP und Nierenfunktion besteht eine enge Korrelation. Indirekt führt eine IAH auch über eine Steigerung des inflammatorischen Status zur Beeinträchtigung der Nierenfunktion.

Eine weitere wesentliche Folge der IAH ist eine Beeinträchtigung der Hämodynamik. Die Flüssigkeitssequestration und das Ödem im Abdomen führen zu einer funktionellen Hypovolämie, Verminderung des venösen Rückflusses und Verminderung der kardialen Auswurfleistung. Folge ist die Beeinträchtigung weiterer extraintestinaler Organsysteme, was wiederum durch eine erhöhte Inflammation verstärkt wird. Insgesamt ist ein erhöhter IAP als ein Motor des MODS anzusehen.

Wegen der eminenten Bedeutung des IAP für Krankheitsverlauf und Mortalität muss bei allen gefährdeten Patientengruppen routinemäßig eine Überwachung des intraabdominellen Drucks erfolgen. Als praktikabelste Methode hat sich dabei die Messung des Harnblasendrucks mit speziellen Blasenkathetern herausgestellt [24].

Therapeutische Implikationen

Intraabdomineller Druck

Die umfangreichen therapeutischen Implikationen einer IAH können hier nur kurz zusammengefasst werden (Infobox 1; [25]). Sie bestehen zunächst in einer Sanierung von primär intraabdominellen Ursachen wie Blutungen oder Abszessen.

Infobox 1 Therapieoptionen bei intraabdomineller Hypertension

  • Optimierung des Kreislaufs (Zielgrößen? Abdomineller Perfusionsdruck?)

  • Zielorientierte Volumentherapie, Vermeidung einer Hypervolämie

  • Volumenreduktion bei Bestehen einer Hypervolämie:

    • Diuretika

    • Extrakorporal

  • Verbesserung der abdominellen Compliance

  • Flache Körperlagerung

  • Sedierung/Analgesie

  • Relaxierung (?)

  • Maßnahmen zur Dekompression:

    • Magensonde

    • Rektale Sonde, Einlauf

    • Endoskopische Absaugung

    • Chirurgisch, Entlastungslaparotomie

Merke: Prävention ist besser als Therapie.

Eine ganz entscheidende Bedeutung hat die Vermeidung einer Hypervolämie. Eine überhöhte Infusionstherapie führt zu einer Steigerung des IAP, eine Verminderung der Hypervolämie durch Flüssigkeitsentzug, Diuretika oder Hämofiltration senkt dagegen den IAP [26]. Zudem muss eine Optimierung der Hämodynamik erfolgen, wobei sich der abdominelle Perfusionsdruck (MAP-IAP) als Zielgröße nicht durchgesetzt hat.

Sowohl präventiv als auch therapeutisch wirkt die Aufrechterhaltung der intestinalen Motilität. Diese kann durch eine (frühe) enterale Ernährung (nur präventiv), eine (frühzeitige) Gabe von Prokinetika oder auch durch Einläufe erreicht werden.

Eine Dekompression sollte durch Ableitung von intraluminaler Flüssigkeit oder Gas durch gastrale/jejunale und rektale Sonden erfolgen. Wenn dies nicht ausreicht, sollte eine endoskopische Absaugung vorgenommen werden. Intraabdominelle Flüssigkeitsansammlungen sollen durch eine Parazentese entfernt werden.

Die Compliance der abdominellen Wand kann durch eine flache Köperlagerung (Oberkörper <20o) verbessert werden. Andere Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance sind die Sedierung und Analgesie [27]. Dies kann auch über eine neuromuskuläre Relaxierung erfolgen, was aber nicht als Standardtherapie empfohlen werden kann. Weitere medikamentöse Therapieoptionen, beispielsweise Theophyllin und Octreotid, haben derzeit nur experimentellen Charakter [28].

Die Compliance der abdominellen Wand lässt sich durch eine flache Köperlagerung verbessern

Bei anders nicht beeinflussbarer kritischer Erhöhung des IAP (intraabdominelles Kompartment-Syndrom) muss eine chirurgische Therapie erwogen werden. Eine Entlastungslaparotomie führt zu einer unmittelbaren Verbesserung der Hämodynamik und anderer Organfunktionen [29].

Orale Hygiene, selektive orale/digestive Dekontamination

Siehe oben.

Motilität

Im Rahmen jeder Akuterkrankung kommt es – mit unterschiedlicher Ausprägung und zeitlichem Verlauf – zu einer Beeinträchtigung der gastrointestinalen Motilität, gastral, intestinal und im Kolon. Das Ausmaß der Störung korreliert mit dem Schweregrad der Grunderkrankung. Die Aufrechterhaltung der Motilität muss ein vordringliches Ziel jeder Intensivtherapie sein. Erste und wichtigste Maßnahme ist die (frühe) enterale Ernährung (s. unten).

Zur Verbesserung der gastralen Entleerung wird Metoclopramid oder Erythromycin empfohlen

Bei den meisten Intensivpatienten müssen jedoch prokinetische Medikamente eingesetzt werden. Zur Verbesserung der gastralen Entleerung wird Metoclopramid (wenn verfügbar) oder Erythromycin empfohlen, zur Verbesserung der Dünn- und Dickdarmmotilität Erythromycin oder ein Parasympathomimetikum wie Pyridostigmin. Bei vielen Patienten ist eine Kombination von Metoclopramid und Erythromycin/Pyridostigmin erforderlich [30]. In einigen Institutionen werden Prokinetika schon prophylaktisch bei Ernährungsbeginn verabreicht.

Wenn eine ausreichende Motilität nicht erzielt und eine gastrale enterale Ernährung nicht entsprechend aufgebaut werden kann, sollte die Legung einer Jejunalsonde erwogen werden. Moderne Jejunalsonden können auch ohne die Notwendigkeit einer Endoskopie rasch und mit hoher Erfolgsrate angelegt werden [31].

Enterale Ernährung

Die erste und bei Weitem wichtigste Maßnahme zur Unterstützung der vielfältigen intestinalen Funktionen ist die enterale Ernährung. Durch ihre multiplen günstigen Effekte auf das Intestinum wird die enterale Ernährung heute als „intestinaler Organ-Support“ angesehen (Infobox 2). Insbesondere fördert sie die mukosale Integrität, die Motilität, Resorptionsfunktionen und auch die Keimdiversität.

Infobox 2 Effekte einer enteralen Ernährung auf den Darm

  • Verbessert intestinale Perfusion

  • Stimuliert Mukosazellproliferation

  • Aktiviert enterales Nervensystem und Motilität

  • Unterstützt intestinales Immunsystem

  • Vermindert überschießendes Keimwachstum

  • Vermindert den inflammatorischen Status

  • Stimuliert Galle- bzw. Pankreassekretion

  • Unterstützt die „Darm-Leber-Achse“

  • Stimuliert die Sekretion trophischer Hormone

Merke: enterale Ernährung = intestinaler Organ-Support.

Die enterale Ernährung sollte früh, das heißt innerhalb von 24 h nach Aufnahme bzw. nach hämodynamischer Stabilisierung begonnen werden [32]. Die Ernährung sollte mit niedriger Rate gestartet und nach individueller gastrointestinaler und metabolischer Toleranz langsam aufgebaut werden.

Das Verhältnis der Makronährstoffe beeinflusst die Effekte einer enteralen Nährstoffzufuhr auf intestinale Funktionen. Im Tierexperiment fördert eine proteinreiche Ernährung die Translokation, eine fettreiche Ernährung vermindert diese [33]. Klinische Daten dazu sind nicht verfügbar.

Trophische Ernährung („Zottenernährung“)

Auch wenn eine vollständige enterale Ernährung nicht möglich ist, können kleine Mengen enteral verabreichter Nährstoffe (trophische Ernährung) die intestinalen Funktionen unterstützen [34]. Die trophische Ernährung soll eine rein lokale Wirkung entfalten. Sie ist keine Ernährung des Patienten und nicht zu verwechseln mit einer permissiven hypokalorischen Ernährung, die heute vielfach für die akute Krankheitsphase empfohlen wird [35].

Spezielle Nahrungsbestandteile

Einer Reihe von Nährstoffen wird ein spezifischer Effekt in der Unterstützung der intestinalen Funktionen bzw. auch der intestinalen immunologischen Funktionen zugesprochen. Sie können hier nur kurz angesprochen werden.

Glutamin.

Glutamin wurde bei kritisch Kranken als eine krankheitsbedingt essenzielle Aminosäure betrachtet [36]. Glutamin hat zahlreiche günstige Funktionen, nicht zuletzt in der Stimulation der mukosalen Proliferation und Unterstützung des intestinalen Immunsystems („Darmernährung“).

Parenterales Glutamin wurde in der Ernährung von Intensivpatienten bis vor Kurzem noch als EBM-IA-Empfehlung geführt, jüngste negative Studien haben jedoch zu einer Neubewertung geführt. Heute wird Glutamin nur bei länger dauernder parenteraler Ernährung kataboler Intensivpatienten ohne Leber- und Nierenversagen empfohlen [37]. Für glutaminangereicherte enterale Diäten gibt es in der Intensivmedizin nur wenige Indikationen, nur für Patienten mit Verbrennungen und Traumen wurden positive Effekte nachgewiesen [38].

ω-3 Fettsäuren/Fischöl.

Herkömmliche, sojabohnenölbasierte parenterale Fettemulsionen führen zur Bildung von Lipidmediatoren mit negativen Effekten. Fischölhaltigen Emulsionen dagegen werden antiinflammatorische und immunmodulierende Wirkungen zugeschrieben. Trotz eher limitierter Evidenzlage empfehlen europäische Ernährungsgesellschaften bei Intensivpatienten die Verwendung von Mischemulsionen, bei denen Sojabohnenöl zum Teil durch Kokosöl (mittelkettige Triglyzeride), Olivenöl und/oder Fischöl ersetzt wird.

Immunonutrition.

Unter Immunonutrition versteht man ansonsten konventionelle nährstoffdefinierte (hochmolekulare) enterale Diäten, die mit einem oder mehreren immunmodulierenden Substraten, beispielsweise mit Glutamin, Fischöl, Antioxidanzien, Selen und Nukleotiden, angereichert sind. Für entsprechende Diätpräparate bestehen mögliche Indikationen perioperativ bei Verbrennungs- und Traumapatienten. Sie werden jedoch nicht für Intensivpatienten empfohlen [39].

Präbiotika/Ballaststoffe

Ballaststoffe sind Nahrungsbestandteile, die einer Hydrolyse durch Verdauungsenzyme weitgehend entgehen und im Kolon verschiedene vorteilhafte Wirkungen entfalten können; vorwiegend handelt es sich um Kohlenhydrate. Ballaststoffe haben einen günstigen Einfluss auf den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel, unterstützen die Motilität, unterstützen die Integrität und Barrierefunktion der Kolonschleimhaut über Freisetzung von kurzkettigen Fettsäuren durch bakterielle Fermentation und führen zu einer Normalisierung des intestinalen Mikrobioms (Präbiotika; [40]). Enterale Diäten für Intensivpatienten sollten mit wenigen Ausnahmen (Fehlen des Kolons, Kurzdarmsyndrom, intestinale Fisteln) grundsätzlich Ballaststoffe enthalten.

Modulation des Mikrobioms

Die enterale Ernährung kann insgesamt, aber auch durch spezielle Nahrungsbestandteile wie Proteine/Aminosäuren, Fett und insbesondere Ballaststoffe einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Mikrobioms ausüben. Andere, derzeit noch nicht durch Studien abgesicherte, Maßnahmen zur Modulation des Mikrobioms sind die Verabreichung von Probiotika und die Durchführung einer Stuhltransplantation.

Probiotika

Probiotika sind apathogene, magen- und gallensäurestabile Keime, die enteral verabreicht zur Kolonisation des Gastrointestinaltrakts führen und günstige Gesundheitseffekte entfalten können. Zu diesen gehören die Normalisierung des Mikrobioms, die Verhinderung der mukosalen Keimbesiedlung und bakteriellen Translokation sowie die Dämpfung der Inflammation. Günstige Wirkungen wurden in der Prävention und Behandlung der antibiotikainduzierten Kolitis nachgewiesen, zudem bei Clostridium-difficile-Infektionen und in der Verminderung von nosokomialen Infektionen wie der beatmungsassoziierten Pneumonie.

Eine generelle Empfehlung für Probiotika kann zum derzeitigen Zeitpunkt nicht gegeben werden. Offene Fragen beziehen sich auf die Art und Kombination der Keime sowie die Dosierung, Dauer und optimale Form der Verabreichung.

Stuhltransplantation

Als Stuhltransplantation (fäkale Mikrobiotatransplantation [FMT]) wird die Einbringung von Mikrobiota (Stuhl) eines gesunden Spenders oder von standardisierten Keimsuspensionen mithilfe eines Endoskops oder als Kapseln in den Darm von Patienten bezeichnet. Dadurch kommt es zu einer Rekonstitution der Darmflora und oft dramatischen Besserung des Krankheitsverlaufs bei schweren Infektionen.

Bislang gilt die schwere, mit einer konventionellen Therapie nicht beherrschbare Clostridium-difficile-Infektion als Indikation für eine FMT. Bei Intensivpatienten als weitere Indikationen diskutiert werden die Prävention und Therapie schwerer systemischer Infektionen und auch das MODS [41]. In diesen anderen Indikationen gilt die FMT derzeit als eine rein experimentelle Therapiemaßnahme [42].

Die Entwicklung von standardisierten, industriell zubereiteten Bakteriensuspensionen bzw. von in Kapseln eingebrachtem Spenderstuhl wird die Akzeptanz und Praktikabilität dieser im Prinzip nicht neuen, aber sicherlich zukunftsträchtigen therapeutischen Maßnahme wesentlich steigern [43].

Fazit für die Praxis

  • Der Darm ist ein zentrales Organ für den Intensivpatienten und steht in enger Beziehung zu anderen Organsystemen. Eine Dysfunktion führt zu Störungen anderer intra- und extraabdomineller Organsysteme. Ein Darmversagen ist Teil des Multiorgandysfunktionssyndroms.

  • Der Darm ist die wichtigste Quelle endogen bedingter Infektionen, vorwiegend durch Störung der mukosalen Barrierefunktion und die daraus folgende gesteigerte Translokation von Mikroorganismen („leaky gut“).

  • Als wichtiger Mechanismus der Organinteraktion führt eine intraabdominelle Druckerhöhung zu einer weiteren Schädigung des Darms, zu einer Verstärkung der Translokation und Inflammation und zur Beeinträchtigung weiterer Organsysteme, wie der Nieren, des Kreislaufs und der Lunge.

  • Erste und wichtigste Maßnahme ist eine frühe, individuell adaptierte enterale Ernährung, die heute auch als „intestinaler Organ-Support“ angesehen wird.

  • Eine intraabdominelle Hypertension muss konsequent durch zielorientierte Volumentherapie, durch Lagerung des Patienten, medikamentös (Verbesserung der abdominellen Compliance) und durch Dekompression (durch Sonden, endoskopisch oder in schweren Fälle auch chirurgisch) behandelt werden.