Die funktionelle Integrität des Gastrointestinaltrakts ist bei Intensivpatienten eine wesentliche Voraussetzung für die suffiziente Applikation einer enteralen Ernährung. Aufgrund der Bedeutung des Gastrointestinaltrakts als größtes immunologisches Organ spielen Integrität und Funktionalität des Gastrointestinaltrakts eine prognostisch wichtige Rolle. Intensivpatienten mit einer gastrointestinalen Dysfunktion oder einem gastrointestinalen Versagen haben eine deutlich erhöhte Morbidität und Mortalität [1]; sowohl die 28-Tage-, als auch die 90-Tage-Mortalität sind signifikant erhöht [1]. Abhängig vom Schweregrad entwickeln bis zu 80% aller Intensivpatienten eine gastrointestinale Funktionsstörung, die gastrointestinale Motilitätsstörung ist die häufigste Dysfunktion [2].

Pathophysiologie der gastrointestinalen Intoleranz beim Intensivpatienten

Zahlreiche Studien zeigten, das eine frühzeitige enterale Ernährung innerhalb von 24–48 h nach Aufnahme auf der Intensivstation, bei 65% aller Patienten zu Symptomen der gastrointestinalen Dysfunktion mit hohen gastrischen Residualvolumen, Erbrechen und abdomineller Distension führt und daraus eine Unterbrechung der enteralen Ernährung resultiert. Der GIF(Gastrointestinal Failure)-Score [1] definiert einen Score für das gastrointestinale Versagen, dabei werden Punkte von 0 (normale gastrointestinale Funktion) bis 4 (abdominelles Kompartmentsyndrom) vergeben (Tab. 1). In einer Studie an 264 Intensivpatienten zeigte sich, dass bei Werten von 3 oder mehr die Mortalität auf über 50% signifikant anstieg [1]. Die Entwicklung einer gastrointestinalen Intoleranz, allen voran einer Störung der gastrointestinalen Motilität, führt über einer Störung der Darmpassage zu einer Änderung der physiologischen Darmflora mit einer Zunahme der intraluminalen Bakteriendichte und einer Beeinträchtigung der gastrointestinalen Barrierefunktion [3]. Die konsekutive bakterielle Translokation ist der entscheidende Faktor für das Konzept des „Gastrointestinaltrakts als Motor der Sepsis“ [4]. In mehreren experimentellen Untersuchungen zeigte sich, dass eine erhöhte intestinale Permeabilität mit der Entwicklung eines Multiorganversagens bei Intensivpatienten assoziiert ist und die Dünndarmpermeabilität sehr eng mit einem Organversagen Score korreliert [5]. Darüber hinaus triggert eine ausgeprägte exokrine Pankreasfunktion bei Intensivpatienten die gastrointestinale Intoleranz. Bei Patienten im septischen Schock kommt es bei über 90% der Patienten zu einer reduzierten exokrinen Pankreasfunktion mit signifikanter Abnahme der Amylase, Chymotrypsin und Trypsinsekretion [6]. Diese exokrine Einschränkung der Pankreasfunktion mit reduzierter Protein- und Kohlenhydratspaltung korreliert ebenfalls direkt mit dem Schweregrad des Multiorganversagens [7]. Die pathophysiologischen Veränderungen der gastrointestinalen Intoleranz und damit die Auswirkungen auf die Toleranz der enteralen Ernährung bei Intensivpatienten können den gesamten Gastrointestinaltrakt vom Ösophagus über den Dünndarm bis zum Kolon betreffen (Infobox 1).

Tab. 1 Gastrointestinal Failure Score (GIF-Score). (Adaptiert nach [1])

Postpylorische enterale Ernährung

Die pathophysiologischen Veränderungen des oberen Gastrointestinaltrakts führen klinisch zu einer massiven Verzögerung der Magenentleerung und damit zum Bild eines erhöhten gastralen Residualvolumens, konsekutiv zu vermehrtem gastroösophagealen Reflux und schließlich zu einer Intoleranz der gastralen enteralen Ernährung. Ein erhöhtes gastrales Residualvolumen tritt bei bis zu 81% aller Intensivpatienten auf [8] und bewirkt, dass maximal 75% der vorgeschriebenen Kalorien an enteraler Ernährung tatsächlich zugeführt werden [9]. Sowohl die ESPEN Guidelines zur enteralen Ernährung bei Intensivpatienten [10] als auch die amerikanischen und kanadischen Guidelines der ASPEN [11] empfehlen bei Intoleranz der intragastralen Ernährung eine postpylorische Ernährung über eine Jejunalsonde.

Über eine Jejunalsonde wird enterale Ernährung deutlich besser toleriert

In einer kürzlich erschienenen kontrollierten Studie [12], die 1000 Patienten mit akutem Lungenversagen einschloss und in und Patienten entweder eine enterale Ernährung mit 1300 kcal pro Tag oder eine Zottenernährung mit etwa 400 kcal pro Tag erhielten, zeigte sich, dass in beiden Patientengruppen etwa 15% der Patienten postpylorisch ernährt wurden [12]. Eine postpylorische Ernährung über eine Jejunalsonde wurde ab einem gastralen Residualvolumen von mehr als 300 ml pro 6 h begonnen. In mehreren klinischen Studien, die eine gastrale mit einer postpylorischen Ernährung verglichen, zeigte sich, dass prinzipiell das Ernährungsziel unter einer postpylorischen Ernährung rascher erreicht werden kann und die Pneumonierate unter einer postpylorischen Ernährung signifikant reduziert werden kann (Tab. 2). Eine rezente Studie bei 428 Intensivpatienten zeigte, je weiter distal die postpylorische Sonde zum Liegen kommt umso geringer ist die Aspirations- und Pneumoniegefahr [13]. Bei tiefer Jejunallage konnte die Aspirationsrate um 18% und die Wahrscheinlichkeit eine Pneumonie zu entwickeln um 70% signifikant reduziert werden [13]. Als Indikationen für eine frühzeitige nasojejunale Ernährung werden derzeit angesehen

  • hohes gastrales Residualvolumen bzw. schwere Gastroparese,

  • schwere Verbrennungen,

  • schwere akute Pankreatitis,

  • schweres Polytrauma und

  • Schädel-Hirn-Trauma.

Tab. 2 Vergleichsstudien: gastrale vs. postpylorische Ernährung

Der Goldstandard zur Applikation der Nasojejunalsonde ist weiterhin der endoskopische Zugangsweg mit einer Erfolgsrate von über 90%. Bei der endoskopischen Technik besteht gleichzeitig die Möglichkeit der visuellen Beurteilung des oberen Gastrointestinaltrakts [14]. Alternativ gibt es mehrere nicht endoskopische, teilweise „bed side“ anwendbare Techniken zur Applikation der nasojejunalen Sonde. Dabei erfolgt die Applikation der Sonde teilweise EKG- oder EMG-unterstützt, unter direkter Visualisierung im Rahmen einer Durchleuchtung, teilweise sonographisch unterstützt bzw. unter elektromagnetischen Monitoring. Bestimmte Sonden sind technisch so modifiziert worden, dass ein selbstvorziehender Applikationsmodus eine postpylorische Ernährung ermöglichen kann. Nachteile dieser alternativen Techniken sind die teilweise längere Applikationsdauer, die Notwendigkeit einer additiven Applikation von Prokinetika und die mit 40–70% deutlich niedrigere Erfolgsrate. Rezente technische Entwicklungen, wie die elektromagnetisch visualisierte Applikation der Jejunalsonde mit Hilfe einer elektromagnetischen Feldes, zeigte in kontrollierten Studien eine Erfolgsrate für eine erfolgreiche postpylorische Lage von 80–95%, bei kurzer Applikationsdauer von durchschnittlich 15 min [15]. Bei dieser Technik kann die Sondenspitze über ein elektromagnetisches Feld über einen Monitor direkt am Bett dargestellt werden und so die Sonde visualisiert in korrekter Jejunalposition platziert werden. Da es sich dabei jedoch um eine einlumige Sonde handelt, muss bei korrekter postpylorischer Ernährung zur Drainage des Magens eine zusätzliche Sonde intragastral appliziert werden.

Aufgrund der derzeitigen Datenlage erscheint durch die Anwendung einer Jejunalsonde bei über 90% der Intensivpatienten eine adäquate postpylorische enterale Ernährung möglich zu sein. Neben der deutlich besseren Toleranz der enteralen Ernährung kommt es durch die Applikation der Jejunalsonde zu einer Abnahme des gastroösophagealen Refluxes und der Inzidenz der beatmungsassoziierten Pneumonie. In den letzten Jahren wurden mehrere Techniken entwickelt, die eine schnelle und komplikationsarme Platzierung einer Jejunalsonde ermöglichen.

Therapieoptionen zur Verbesserung der enteralen Ernährung bei gastrointestinalen Motilitätsstörungen

Prinzipiell kann man zwischen Allgemeinmaßnahmen und speziellen therapeutischen Optionen zur Behandlung der gastrointestinalen Motilitätsstörungen bei Intensivpatienten unterscheiden.

Allgemeinmaßnahmen

Kalium- und Magnesiumplasmaspiegel im oberen Normbereich verkürzen postoperative Motilitätsstörungen und sollten daher regelmäßig kontrolliert werden [16]. Aufgrund des negativen Effekts von großen Flüssigkeitsvolumina auf die Entwicklung eines Darmwandödems sollte die Flüssigkeitsbilanzierung zielgerichtet und individuell bei Intensivpatienten eingesetzt werden [17]. Prinzipiell ist eine restriktive Flüssigkeitstherapie bei gastrointestinaler Motilitätsstörung günstiger zu sehen, wobei die Gefahr einer Mikrozirkulationsstörung bzw. Verminderung der gastrointestinalen Perfusion bei zu restriktiver Politik wiederum negative Motilitätseffekte hervorrufen könnte. Auch eine Katecholamintherapie kann über einen Shift des Blutflusses die gastrointestinale Perfusion verschlechtern und damit die gastrointestinale Motilität zusätzlich negativ beeinflussen und dadurch die Intoleranz der enteralen Ernährung verursachen [17]. Ferner hat die Analgosedierung ausgeprägte negative Effekte auf die gastrointestinale Motilität und führt zu einer Intoleranz der enteralen Ernährung. Den positiven Effekt individueller Sedoanalgesiekonzepte mit Applikation kurz wirksamer Medikamente, „On-demand-Therapie“, tägliches Pausieren der Sedoanalgesie bzw. Umstellung auf Substanzen mit geringerer inhibitorischer Wirkung sind eine der wichtigsten Maßnahmen zur Behandlung bzw. Prävention einer gastrointestinalen Motilitätsstörung mit Intoleranz der enteralen Ernährung [3].

Frühe enterale Ernährung kann bei Intensivpatienten infektiöse Komplikationen reduzieren

Die frühzeitige enterale Ernährung stellt per se einen Eckpfeiler in der Prävention, aber auch in der Therapie von gastrointestinalen Motilitätsstörungen dar. Die enterale Ernährung hat einen wesentlichen Effekt auf die Integration des Gastrointestinaltrakts und führt zu einer Aufrechterhaltung der physiologischen Darmfunktion, allen voran der Aufrechterhaltung der Darmbarriere [4]. Zahlreiche Studien zeigten, dass eine frühzeitige enterale Ernährung bei Intensivpatienten infektiöse Komplikationen, die Liegedauer auf der Intensivstation und auch die Mortalität reduzieren kann, sodass auch bei schwerer gastrointestinalen Intoleranz eine minimale Zufuhr an enteraler Ernährung beibehalten werden sollte. Die absoluten und relativen Kontraindikationen für eine enterale Ernährung aus gastroenterologischen Gründen sind in Infobox 2 angegeben.

Spezifische therapeutische Optionen

Aufgrund der komplexen multifaktoriellen Genese der gastrointestinalen Motilitätsstörungen stehen unterschiedliche spezifische medikamentöse Optionen zur Behandlung der gastrointestinalen Intoleranz und damit zur Verbesserung der Toleranz der enteralen Ernährung bei Intensivpatienten zur Verfügung [3].

Metoclopramid wirkt als Dopamin- und Serotoninrezeptantagonist antiemetisch und über die agonistische Wirkung auf periphere Serotoninrezeptoren im enterischen Nervensystem motilitätssteigernd im Bereich des Magens und Dünndarms [3]. Auf die Dickdarmperistaltik hat Metoclopramid keinen Einfluss. Die Standarddosierung beträgt 3×10 mg intravenös pro Tag, bei niereninsuffizienten Patienten jedoch lediglich 1×10 mg pro Tag. Als Nebenwirkungen sind, bei zu hoher Dosierung, extrapyramidale Störungen mit Dyskinesie und Dystonie sowie Herzrhythmusstörungen und Hypertonie beschrieben [18].

Das Makrolidantibiotikum Erythromycin wirkt über eine Aktivierung der Motilinrezeptoren der glatten Muskelzellen auf die Motilität stimulierend [3]. Die Anwendung von Erythromycin in einer Dosis von 100–200 mg 3× täglich führt zu einer deutlichen Verbesserung der gastrointestinalen Motilität der Intensivpatienten. Der Effekt ist jedoch nur kurzfristig und sollte daher nur auf wenige Tage beschränkt bleiben. Eine Studie zeigte auch, dass die Erythromycin-Metoclopramid-Kombination den einzelnen Therapiemöglichkeiten überlegen ist [19].

Die prokinetische Kombinationstherapie mit Erythromycin und Metaclopramid sollte jedoch nicht prophylaktisch, sondern erst bei erhöhten gastralen Residualvolumen bzw. Erbrechen eingesetzt werden.

Cholinesterasehemmer, wie Neostigmin und Distigminbromid, wirken über eine Hemmung der Cholinesterase und reduzieren dadurch den Abbau des freigesetzten Acetylcholins [18]. Dies führt über eine Stimulation des Parasympathikus zu einer verbesserten Peristaltik. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite führt eine Überdosierung rasch zu Spasmen der glatten Darmmuskulatur und damit zu einer Hemmung der gastrointestinalen Peristaltik [18].

Caerulein ist ein Cholecystokininagonist der mit Cholecystokininrezeptoren der glatten Darmmuskelzellen stimulierend auf die intestinale Motilität wirkt. Es kommt zu einer Ausschüttung von Acetylcholin und Substanz P aus den enterischen Neuronen und wirkt sowohl im Dünn- als auch im Dickdarm [18]. Caerulein ist derzeit in Deutschland und Österreich nicht verfügbar.

Selektive Serotoninrezeptoragonisten (STH4-Rezeptoragonisten), wie Cisaprid, Tegaserod oder Prucaloprid, wirken überwiegend über die peripheren Serotoninrezeptoren im enterischen Nervensystem. Über eine entsprechende Rezeptorenstimulation kommt es zu einer Verbesserung der gastrointestinalen Motilität, wobei STH4-Rezeptoragonisten sowohl die gastrale als auch die Dünn- und Dickdarmmotilität verbessert. Teilweise wurden die selektiven Serotoninrezeptoragonisten (Tegaserod und Cisaprid) aufgrund schwerer Rhythmusstörungen (Verlängerung der QT-Zeit) wieder vom Markt genommen [3].

Eine weitere Therapieoption sind Laxantien, die durch Erhöhung des Stuhlvolumens und Überdehnung der Darmwand propulsive Darmaktivitäten bewirken. Vor allem Macrogole wie Polyethylenglykol (PEG) entfalten über ihre osmotische Wirkung einen positiven Effekt auf Darmentleerung und Motilität [3]. Die Wirkung tritt erst nach frühestens 24–48 h ein. Darüber hinaus finden stimulierende Laxantien wie Senna oder Bisacodyl ihre Anwendung, die häufig in Kombination mit osmotisch wirksamen Laxantien eingesetzt werden [18].