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Ärzte Woche

27.09.2021 | Laboratoriumsmedizin

Antikörper-Tohuwabohu

verfasst von: Mag. Christopher Waxenegger

© koto_feja // iStock

Die Mühlen der COVID-Forschung mahlen schnell. Waren vor einem Jahr die Resultate serologischer Antikörpertests noch Schwankungen unterworfen, werden mittlerweile akkurate Ergebnisse erzielt. Wie diese zu interpretieren sind, steht auf einem anderen Blatt.

Hierzulande gilt ein positiver Befund auf neutralisierende Antikörper (AK) gegen SARS-CoV-2 als 3-G-Nachweis, und zwar für die Dauer von drei Monaten. Das Ergebnis ersetzt die üblichen ein- bis zweitägigen Testintervalle. Soweit die COVID-19-Öffnungsverordnung § 1, Abs. 2, Ziffer 7.

Kein Wunder also, dass Antikörpertestungen große Bedeutung beigemessen wird. Evidenz, dass es in der Zwischenzeit nicht trotzdem zu einer Reinfektion kommt, gibt es nicht. Dafür fehlen schlicht aussagekräftige systematische Langzeitstudien. Ein Blick in unsere Nachbarländer oder in die USA zeigt, dass den verfügbaren serologischen AK-Kontrollen dort wesentlich weniger Achtung zuteil wird. Serologische Tests gegen SARS-CoV-2-AK sind von wissenschaftlichem Interesse. Sie geben Auskunft über die Durchseuchungsrate in der Bevölkerung, lassen Aussagen über die Herdenimmunität zu und erlauben die Beantwortung konkreter infektionsepidemiologischer Fragestellungen. Moderne Nachweismethoden verlangen genaue Kenntnisse über die Strukturproteine, die am Aufbau des Virus beteiligt sind und die Produktion von Antikörpern triggern. Im Fall von SARS-CoV-2 sind dies das Spike-Protein, das Envelope-Protein, das Membran-Glykoprotein sowie das Nukleokapsid-Protein. „Die Auswahl hängt von der Fragestellung ab“, erläutert Priv.-Doz. Mag. DDr. Helmuth Haslacher, BSc BA, Oberarzt, Biobank-Leiter und Experte für SARS-CoV-2-Serologie am Klinischen Institut für Labormedizin der MedUni Wien.

Vielfalt der Testmöglichkeiten


„Wenn die Frage nach einer abgelaufenen Infektion gestellt wird, dann fallen in Zeiten der Impfung all jene Antikörpertests weg, welche Antikörper messen, die durch die derzeit verwendeten Impfstoffe – mRNA- und Vektorimpfstoffe – gebildet werden“, sagt der Experte. „Das sind im Wesentlichen die Antikörper gegen das virale Spike-Protein. Antikörper gegen das virale Nucleocapsid werden durch diese Impfungen nicht gebildet und können daher auf eine abgelaufene Infektion hinweisen. Will man hingegen das Ansprechen auf eine Impfung überprüfen, was zum Beispiel bei immunsupprimierten Personen sinnvoll sein kann, dann müssen die Antikörper gegen das virale Spike-Protein bestimmt werden.“

Horvath et al. berichten im Mai 2020 von variabler Sensitivität (53–94 %) und Spezifität (91–99,5 %) der damals erhältlichen AK-Testsysteme. In der Zwischenzeit werden in der Serologie laut Herstellerangaben Sensitivitäten von bis zu 100 Prozent und Spezifitäten bis zu 99,8 Prozent realisiert. „Die zwei wichtigsten eingesetzten Verfahren zum SARS-CoV-2-Antikörpernachweis sind ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay) und Chemilumineszenz-Immunoassays, für die diverse Virusantigene zur Verfügung stehen“. Beim ELISA kommen mit rekombinant hergestellten SARS-CoV-2-Anitgenen beschichtete Mikrotiterplatten zur Anwendung, welche mehreren Inkubations- und Waschschritten unterzogen werden. Die Auswertung der Proben einschließlich der Kontrollen geschieht mithilfe von Fotometern. Für die Chemilumineszenzdetektion werden für gewöhnlich Substrate wie AMPPD oder AMPPG eingesetzt, die an Detektionsantikörper oder -antigene gebunden sind. Diese Substanzen bilden nach Bindung an die Zielantikörper aus dem Patientenserum und enzymatischer Abspaltung intermediäre angeregte Dioxetane, die unter Freisetzung von Licht zerfallen.

Die Interpretation der Resultate hängt von der Vortestwahrscheinlichkeit, der epidemiologischen Situation und der Kenntnis hinsichtlich der Empfindlichkeits- und Spezifitätsraten des verwendeten Testsystems ab. Beispielsweise würden bei einer 99-prozentigen Testspezifität und einer 1-prozentigen Durchseuchung von 100 Menschen zwei positiv getestet werden, wovon nur 50 Prozent richtig sind. Bei einer Durchseuchung von 10 Prozent erhält man mit dergleichen Spezifität elf positive Ergebnisse, wovon immerhin 91 Prozent korrekt sind. „Zudem wird in diesen Testsystemen nicht die Funktion der Antikörper gemessen, sondern nur deren Bindungsfähigkeit an das jeweilige Antigen, zum Beispiel das Spike-Protein“ erklärt Haslacher.

„Bei den Neutralisationsassays, welche in der Durchführung aufwändiger und teurer sind, wird die neutralisierende Wirkung des Patientenserums dadurch überprüft, dass es zu einer Zellkultur gegeben und nachfolgend gemessen wird, ob das Serum hinzugegebene Viren davon abhält, die Zellen zu befallen.“ Letztlich wird die höchste Verdünnungsstufe angegeben, bei der in der Zellkultur virusbedingte pathogene Effekte unter einem bestimmten Grenzwert bleiben. Neutralisationsassays eignen sich nicht für die breite Anwendung, sondern kommen bei Spendern von Rekonvaleszenzplasma zum Einsatz. Ergänzt werden sie durch sogenannte „Surrogat-Neutralisationstests“. „Dabei wird in einem Testansatz Patientenserum mit markiertem Spike-Protein vorinkubiert und in einem zweiten Schritt die Bindung von Spike-Protein an ACE 2-Rezeptor-Proteine auf einer Platte gemessen“ erklärt Haslacher. „Je mehr neutralisierende Antikörper in der Probe vorhanden waren, desto weniger ACE 2-Rezeptor/Spike-Protein Paare können sich bilden. Limitierend ist die Tatsache, dass nur der erste Schritt der Virus-Neutralisierung gemessen wird, nämlich die hemmende Interaktion zwischen den neutralisierenden Antikörpern und dem Spike-Protein.“

© Alexandre Marchi / MAXPPP / dpa / picture alliance


Derselbe Wind lässt verschiedene Drachen steigen


In der Regel wird eine Serokonversion in der zweiten Woche nach Symptombeginn registriert. Serologische Tests haben in der Akutdiagnostik aufgrund der geringen Serokonversionsraten in Woche eins bis zwei insofern keinen Platz. Dieser Meinung ist auch das amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC), das in seinen aktuellen Interim Guidelines for COVID-19 Antibody Testing keinen Ersatz für den Virus-Direktnachweis mittels PCR sieht. Ideal scheint für die Serologie der Zeitraum sechs bis acht Wochen nach Symptombeginn bzw. drei Wochen nach der Grundimmunisierung bei mRNA-Impfstoffen respektive sechs Wochen bei Vektorimpfstoffen zu sein. Die Testresultate sind gemäß WHO-Standard, zwecks besserer Vergleichbarkeit, in BAU (Binding Antibody Units) pro Milliliter anzugeben. Die Umrechnung aus AU/ml (Arbitrary Units) und U/ml (Unit) ist vom jeweiligen Testsystem abhängig, so auch die Grenzwerte, ab welchen der jeweilige Test als diagnostisch für eine abgelaufene Erkrankung zu werten ist. Festgelegte Grenzwerte für den immunologischen Schutz nach Impfung existieren jedoch nicht. Dazu Haslacher: „Trotz WHO-Standardisierung sind die Werte ein und derselben Probe mit unterschiedlichen Testsystemen nicht austauschbar“.

Wie groß die Differenz der Proben nach einer Dosis Biontech/Pfizer ist, belegt eine der rezenten Publikationen von Haslacher und Kollegen. Aktuelle Daten derselben Forschungsgruppe weisen aber auf ein noch viel komplexeres und folgenschwereres Problem hin: Der Zusammenhang zwischen den Ergebnissen von zwei unterschiedlichen Tests kann nicht durch einen konstanten Faktor korrigiert werden, da dieser auch von der Zeit abhängt, die zwischen der Impfung und der Blutabnahme vergangen ist. Die Ursache für diese Veränderungen könnte mit dem unterschiedlichen angewandten Testprinzip und der physiologischen Veränderung der Antikörper (Antikörperreifung) zu tun haben. Darüber hinaus dominieren verschiedene Antikörperfraktionen zu abweichenden Zeitpunkten das Infektionsgeschehen. Die IgM-Produktion beginnt bereits am dritten bis vierten Tag nach Symptomeintritt, üblicherweise zwei Tage früher als IgA, welches rund drei bis sechs Tage nach Symptombeginn im Serum messbar ist. In den ersten sieben Tagen können bei 90 Prozent der Infizierten IgM-Antikörper und bei 50 Prozent IgA nachgewiesen werden. Nach 14 Tagen steigt diese Zahl auf bis zu 100 bzw. 95 Prozent an. Die IgG-Freisetzung setzt als letztes etwa sieben bis zehn Tage nach Symptombeginn ein, hält aber am längsten an. Während der ersten Woche sind bei 30 Prozent, ab der dritten Woche bei circa 94 Prozent IgG messbar. Ein positiver IgA- und IgM-Titer bei fehlenden IgG verweist folglich auf eine erst kürzliche Infektion, derweil negative IgA- und IgM-Titer bei vorhandenen IgG auf eine länger zurückliegende Erkrankung hinweisen. „Für die Verwendung einer Antikörperbestimmung als Eintrittstest für Genesene in Österreich ist es wichtig, dass der eingesetzte Test nach Angaben des ausführenden Labors eine hinreichende Korrelation mit dem Vorhandensein neutralisierender Antikörper aufweist“ so Haslacher.

Anhand eines positiven SARS-CoV-2-IgG-Befundes ist zwar eine stattgefundene Infektion anzunehmen, was allerdings nicht zwangsweise besagt, dass damit ein Infektionsschutz (Immunität) verbunden ist. „Bei den Bindungsassays haben die angegebenen Cut-off-Werte primär eine diagnostische Bedeutung. Es bedeutet jedoch nicht, dass mit dem Erreichen dieses diagnostisch relevanten Werts bei Zustand nach Impfung ein hinreichender Schutz vor einer Neuinfektion gewährleistet wäre.“ Vom Robert-Koch-Institut und anderen Institutionen veranlasste serologische Antikörperstudien sollen hierzu Klarheit verschaffen (u. a. NCT04562285, NCT04706390, NCT04483908). Aus immunologischer Sicht haben (serologische) SARS-CoV-2-Antikörpertests zurzeit keinen Anspruch auf einen Immunitätsnachweis.

Fallendes Herbstlaub und die dritte Impfung


Gesundheitsminister Dr. Wolfgang Mückstein kündigte inzwischen für Oktober die Drittimpfung an. Ob und für wen eine Auffrischungsimpfung überhaupt indiziert ist, wird zurzeit durch die EMA für den Impfstoff von Biontech/Pfizer geprüft – Ergebnisse werden im Laufe der nächsten Wochen erwartet. Insofern besteht im Augenblick keine Evidenz wer einen dritten Stich bekommen soll. In Labortests konnte bisher gezeigt werden, dass Personen mit durchgemachter Erkrankung spezifische Antikörper entwickeln, die das Virus eliminieren. Dies gelang umso besser, je höher der Antikörpertiter war. Vermehrt finden sich überdies Publikationen, die sich mit der zellvermittelten Immunität durch SARS-CoV-2-antigenspezifische T-Zellen beschäftigen. Solche T-Zell-Populationen lassen sich in Speziallaboren mittels Durchflusszytometrie und FACS-(Fluorescence-activated Cell Sorting)-Analyse erfassen, indem die Zellen nach Kontakt mit SARS-CoV-2 mit der Herstellung und Freisetzung von gewissen Zytokinen reagieren (T-Zell-Immunantwort). Es besteht zwar die Möglichkeit, dass trotz der fehlenden Antikörperantwort, ein zellulärer Schutz aufgebaut wird, bei den meisten Menschen gehen aber zelluläre und humorale Antwort Hand in Hand.

Booster-Impfung


„Eine Antikörperbestimmung kann recht zuverlässig anzeigen, ob der Körper auf die Impfung reagiert hat und sich spezifische Antikörper bilden. Besonders bei Patienten, die Medikamente erhalten, welche das Immunsystem beeinträchtigen, kann diese Reaktion ausbleiben.“ Leider ist auch hier noch kein wissenschaftlich gesicherter Cut-off definiert. In Studien wird derzeit bei ausbleibender Antikörper-Response eine frühe Booster-Impfung durchgeführt, vor allem dann, wenn Alter, Immunstatus und Komorbiditäten dafürsprechen. „Durch eine Bestimmung der Antikörperspiegel bei dieser Personengruppe können also Menschen identifiziert werden, die von einer dritten Impfung profitieren könnten.“

Fazit für die Praxis


Der serologische Nachweis von SARS-CoV-2 spezifischen Antikörpern ist kein direkter Virusnachweis, er bietet also keine Aussage zur Infektiosität. Für Genesene und Geimpfte gibt es derzeit noch keine verlässlichen Grenzwerte, ab welchen von ausreichender Immunität gesprochen werden kann – nicht zuletzt darum, weil sich die Ergebnisse unterschiedlicher Testsysteme zum Teil deutlich unterscheiden. Die ausgegebenen Referenzbereiche beziehen sich nur auf den Nachweis einer abgelaufenen Erkrankung, nicht jedoch auf den immunologischen Schutz. Umso wichtiger ist die Aufklärung von interessierten Laien über den tatsächlichen Nutzen von AK-Testungen in der Praxis.

Metadaten
Titel
Antikörper-Tohuwabohu
Publikationsdatum
27.09.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 39/2021

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