Knochen- und Gelenkinfektionen umfassen ein großes Spektrum von Entitäten – am häufigsten treten periprothetische Infektionen und Osteomyelitiden auf, mit einigem Abstand gefolgt von den septischen Arthritiden und Spondylodiszitiden [8].
Die Inzidenz dieser Infektionen ist steigend; so steigt insbesondere in Deutschland die Anzahl der Gelenkersätze weiter auf bereits hohem Niveau (Endoprothesenregister Deutschland [EPRD]: 322.000 endoprothetische Hüft- und Knieoperationen) bei konstantem Anteil an Infektionen bei Folgeeingriffen (z. B. Hüfte: 16 %; [7]).
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Auch die Inzidenz des Diabetes mellitus steigt weltweit, somit auch die Anzahl der diabetischen Fußinfektionen (in 34 % Fußulzera, hiervon 50 % Fußinfektion; [10, 13]). Nach Schätzungen der International Diabetes Federation (IDF) gab es 2021 weltweit ca. 537 Mio. Erkrankte [1]. Für das Jahr 2030 werden 642 Mio. und für 2045 784 Mio. Menschen mit Diabetes mellitus prognostiziert.
Des Weiteren wird eine sich erneut verdoppelnde Inzidenz an Spondylodiszitiden in den letzten 10 Jahren auf 11,3/100.000 im Jahr 2019 registriert [5].
Die Knocheninfektionen stellen eine große Herausforderung dar, da die Diagnose häufig erschwert ist. Schwierig ist z. B. bei der periprothetischen Infektion die Differenzierung zwischen einer aseptischen Lockerung und einer Infektion mit niedrigvirulenten Erregern. Die Spondylodiszitis, die überwiegend hämatogen verursacht wird und mit einer hohen Morbidität und Letalität verbunden ist, wird häufig erst spät diagnostiziert, da das Kardinalsymptom, der Rückenschmerz, weit verbreitet ist.
Fast immer ist eine chirurgische und antiinfektive Therapie zur Sanierung nötig, wobei bei schwer erreichbaren Kompartimenten die antiinfektive Therapie lange, d. h. über Wochen, verabreicht werden muss.
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Diese Herausforderungen machen die Behandlung von Knochen- und Gelenkinfektionen durch ein interdisziplinäres Team aus Chirurgen, Infektiologen, Mikrobiologen erforderlich.
Die Evidenz zu den Behandlungsmodalitäten ist eher niedrig, aber in den letzten Jahren sind einige Landmarkstudien zu Therapielänge und Oralisierung und neue Wiki-Leitlinien veröffentlicht worden [11]. Diese sind öffentlich zugänglich, lassen eine breitere Autorenschaft zu, sind unabhängig von der Zugehörigkeit zu Fachgesellschaften, benennen Unsicherheiten der Evidenz klar und diskutieren dann klinisch sinnvolle Möglichkeiten.
Im Folgenden wird ein Überblick über die aktuellen Studien zur Therapielänge und zum Zeitpunkt der Oralisierung sowie eine Zusammenfassung der wichtigsten Empfehlungen aus den Wiki-Leitlinien in den entsprechenden Kapiteln geben.
Therapielänge
Periprothetische Infektionen
Im Jahr 2021 wurde die erste große randomisierte Studie aus Frankreich (N = 410) veröffentlicht, die eine Nichtunterlegenheit einer 6‑ vs. 12-wöchigen Therapie nicht zeigen konnte [3]. Die Randomisierung erfolgte stratifiziert nach chirurgischem Vorgehen (Débridement, Antibiotika, Implantatretention, kurz DAIR, ein- oder 2‑zeitiger Wechsel), Lokalisation (Knie oder Hüfte) und Episode der Infektion (erste vs. spätere). Das primäre Ziel war eine persistierende Infektion (definiert als Persistenz oder Rekurrenz mit dem initial verursachenden Erreger) innerhalb von 2 Jahren nach Ende der antibiotischen Therapie. In den Post-hoc-Subgruppenanalysen zeigte sich der größte Unterschied zwischen den Gruppen für Patienten, bei denen die Prothese erhalten wurde (DAIR), aber insgesamt zeigte die 12-wöchige Therapie einen konsistent besseren Effekt über alle Subgruppen. Über die Ergebnisse und Bedeutung für die Praxis insbesondere differenziert nach chirurgischer Modalität (DAIR vs. einzeitiger Wechsel vs. 2‑zeitiger Wechsel) wurde vielfach diskutiert und weitere Studien werden gefordert [3].
Spondylodiszitis
Bereits 2015 konnte in einer multizentrischen randomisierten Studie zur Spondylodiszitis gezeigt werden, dass eine 6‑wöchige (n = 176) Therapie einer 12-wöchigen (n = 175) nicht unterlegen ist bezüglich der Heilung nach einem Jahr (primärer Zielparameter; [4]). Auch in den sekundären Zielparametern, die u. a. die Lebensqualität einschlossen, wurden keine signifikanten Unterschiede gesehen. Ausgeschlossen von der Studie wurden Patienten mit einem spinalen Implantat oder einer rekurrenten Infektion. Die Identifikation des mikrobiologischen Erregers war Bedingung und Patienten mit einer Brucellose, Tuberkulose oder fungalen Spondylodiszitis wurden ebenfalls ausgeschlossen. Somit sind die Ergebnisse auf diese Patientengruppen nicht übertragbar. Welche Patienten möglicherweise von einer längeren Therapie profitieren, bleibt unklar; in einer Post-hoc-Analyse gab es Hinweise, dass höheres Alter (≥ 75 Jahre) und S. aureus Risikofaktoren für ein Versagen der antibiotischen Therapie darstellen könnten [4]. Bei unkomplizierter Infektion ist eine 6‑wöchige Therapie als Standard sowohl in der amerikanischen Leitlinie der Infectious Diseases Society of America (IDSA) als auch in der AWMF-S2k-Leitlinie aus dem Jahr 2020 benannt [2, 6].
Diabetische Fußinfektion
Für die diabetische Fußinfektion liegt keine große randomisierte Studie vor. In einer kleinen prospektiv-randomisierten Studie wurde eine 6‑wöchige mit einer 12-wöchigen Therapie bei rein konservativ behandelten Patienten verglichen [12]. Es wurden 40 Patienten eingeschlossen (20 in jeder Gruppe) und es gab keine signifikanten Unterschiede in der Remissionsrate bei einem Follow-up von 12 Monaten nach Ende der antibiotischen Therapie.
Wiki-Leitlinien
Die Wiki-Leitlinien geben nur eine klare Empfehlung für die Osteomyelitis (inkl. diabetischer Fußinfektion ohne Fremdmaterial) ab [11]. Hier wird eine Therapiedauer von 6 Wochen empfohlen, wenn eine adäquate Fokussanierung erfolgt ist (Zusammenfassung aller Empfehlungen in Tab. 1).
Tab. 1
Empfehlungen für die Therapielänge bei Osteomyelitis [11]
Erkrankung | Eindeutige Empfehlung | Klinische Diskussion |
---|---|---|
Osteomyelitis ohne Implantaterhaltung (einschließlich diabetische Fußinfektion) | Max. 6 Wochen | 3–4 Wochen bei Débridement evtl. ausreichend, Bestätigung durch Studien ausstehend |
Osteomyelitis mit vollständiger Resektion des infizierten Knochens | Nicht vorhanden | Verzicht auf Antibiotikatherapie möglich, allerdings nicht länger als 5 Tage |
Periprothetische Infektion mit Prothesenerhalt (DAIR) | Nicht vorhanden | Alle Autoren empfehlen 12 Woche, zweite bestätigende Studie für eine eindeutige Empfehlung erforderlich |
Periprothetische Infektion mit Prothesenwechsel | Nicht vorhanden | Keine übereinstimmende Meinung zu 6‑ oder 12-wöchiger Therapie; 6 Wochen können angemessen sein, insbesondere bei einzeitigem Wechsel (nicht bei S. aureus) 6 Wochen können für einen 2‑zeitigen Wechsel angemessen sein, Notwendigkeit weiterer Antibiotika nach der zweiten Phase (Reimplantation) jedoch umstritten |
Zeitpunkt der Oralisierung
Randomisierte Studie
2019 wurde eine große randomisierte Studie (n = 1054) aus Großbritannien zur Oralisierung bei Knocheninfektionen veröffentlicht [9]. Knocheninfektionen verschiedener Lokalisationen mit oder ohne Fremdmaterial wurden eingeschlossen. Innerhalb von 7 Tagen nach Operation (oder bei konservativem Prozedere nach Start der Antiinfektivatherapie) wurde im entsprechenden Therapiearm oralisiert. Für den primären Endpunkt, das definitive Therapieversagen nach einem Jahr, konnte die Nichtunterlegenheit der oralen Therapie gezeigt werden. Hier gilt es aber zu beachten, dass nur sehr wenige Fälle mit Spondylodiszitis eingeschlossen wurden, so dass eine Übertragbarkeit auf diese Entität unklar ist.
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Wiki-Leitlinien
Die Wiki-Leitlinien geben eine klare Empfehlung für die Oralisierung, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: klinisch stabil, adäquate Fokussanierung, gute orale Resorption, verfügbares Regime für Erreger aus Studien und Adhärenz [11]. Eine minimale Therapiedauer für die intravenöse Gabe entfällt. In (Tab. 2) findet sich eine Übersicht zu den oralen Antibiotika mit Dosierungen aus den veröffentlichten Studien.
Tab. 2
Zusammenfassung der in veröffentlichten Studien zur Osteomyelitis verwendeten oralen Antibiotikadosen [11]
Wirkstoff | Dosis | Anmerkung |
---|---|---|
Ciprofloxacin | 2‑mal tgl. 500–700 mg | Höhere Dosis bei Pseudomonas |
Levofloxacin | Einmal tgl. 750 mg | L‑Enantiomer von Ofloxacin (umfassend für Osteomyelitis untersucht) |
TMP-SMX | Trimethoprim 7,5–10 mg/kgKG und Tag in 2 oder 3 Dosen tgl. | In den meisten Studien 7,5–10 mg/kgKG und Tag, in 2 Studien 4–6 mg/kgKG und Tag (in einer davon mit niedrigerer Heilungsrate) |
Clindamycin | 3‑mal tgl. 600 mg; 3‑mal tgl. 900 mg oder 4‑mal tgl. 600 mg für große Patienten | Auch 4‑mal tgl. 450 mg möglich, in Studien nicht bevorzugt |
Linezolid | 2‑mal tgl. 600 mg | Standarddosierung, Überwachung auf reversible Hämatotoxizität nach 2 Wochen und irreversible Neurotoxizität nach 4 Wochen |
Amoxicillin/Clavulansäure | 3‑mal tgl. 500 mg oder 2‑mal tgl. 875 mg | Insbesondere bei diabetischer Fußinfektion |
Rifampicin | Einmal tgl. 600 mg | Untersuchte Dosierungen: einmal tgl. 600 mg, einmal tgl. 900 mg oder 2‑mal tgl. 600 mg, Unterschiede in Wirksamkeit und Toxizität unklar; bei 300 mg-Dosis niedrigere AUC-Werte und geringerer Komfort für die Patienten |
Fosfomycin | 4–16 g/Tag | Verschiedene Dosierungen von außerhalb der USA erhältlichen Formulierungen untersucht, nicht in Pulverformulierung in den USA |
Schlussfolgerung
Knocheninfektionen stellen komplexe Krankheitsbilder dar, die ein interdisziplinäres Management benötigen. In den letzten Jahren ist durch die Veröffentlichung insbesondere von 3 Landmarkstudien die Evidenz für die Therapielänge und Oralisierung deutlich verbessert worden. Weiterhin bleibt aber noch eine Reihe von Fragen offen, die insbesondere die Identifikation von Risikogruppen betreffen, die eine längere Therapie benötigen. Weitere offene Fragen betreffen die Optimierung der oralen Antibiotikaauswahl zur Reduzierung der Toxizität bei gleich guter Wirksamkeit. Insbesondere der Einsatz von Rifampicin, bei dem es viele Interaktionen zu beachten gilt, ist häufig unklar (beste Evidenz für Staphylokokken und einliegendes Fremdmaterial nur in Kombination!). Wann sollte Rifampicin begonnen werden und sollte es für den gesamten Therapiezyklus verabreicht werden? Sollten Fluorchinolone, zu denen die meisten Studiendaten vorliegen, als Therapie der ersten Wahl trotz der Rote-Hand-Brief-Warnungen verabreicht werden? Wichtige offene Fragen betreffen auch die Indikation und Modalität von Suppressionstherapien.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
N. Jung macht folgende Angaben: In den letzten drei Jahren – Vortragshonorare von AbbVie, Infectopharm, Medupdate und Medacta; Reiseunterstützung von Gilead und Pfizer; Honorare für Advisory Boards von MSD und Shinogi sowie Honorare für die Mitarbeit im Editorial Board der Zeitschrift Die Innere Medizin vom Springer Verlag sowie den Podcast consilium infectiorum von Infectopharm.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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