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Erschienen in: rheuma plus 5/2021

Open Access 17.12.2021 | Schmerztherapie bei Kindern | Schmerztherapie

Kinderschmerztherapie – ein Stiefkind?

verfasst von: A.o. Prof. Dr. Sabine Sator

Erschienen in: rheuma plus | Ausgabe 5/2021

Zusammenfassung

Diagnosefindung und eine spezifische Schmerztherapie bei Kindern mit chronischen Schmerzen ist oft langwierig und leider insuffizient. Viele Medikamente, die am internationalen Markt zur Verfügung stehen, sind off label. Nur wenige Studien belegen die Wirksamkeit und Nebenwirkung in der Kinderschmerztherapie. Deshalb sind Kinder nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Jedoch können auch Kinder jedes Alters eine adäquate multimodale Schmerztherapie erhalten.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Eine Diagnose und adäquate Schmerztherapie bei Kindern ist oft langwierig, vor allem bei chronischen Schmerzen. In einer Studie eines Deutschen Kinderschmerzzentrums waren im Extremfall bis zu 28 Kontakte mit verschiedenen Ärzten notwendig, ehe Kinder und Jugendliche eine spezialisierte Behandlung erhielten. In dieser Studie wurde aufgezeigt, dass viele Kinder Schmerzmedikamente erhalten, die nicht geeignet oder falsch dosiert sind. Laut dieser Studie gäbe es wirksame Methoden, um chronische Schmerzen zu behandeln. Diese müssten aber bereits in einem möglichst frühen Krankheitsstadium von geschulten Kinderärzten und Schmerzspezialisten eingesetzt werden.
Viele Kinder erhalten ungeeignete oder falsch dosierte Schmerzmedikamente
Auch hierzulande steckt die Entwicklung eines Fachgebietes Schmerzmedizin noch in den Anfängen. Die Kinderschmerztherapie als Spezialisierung ist selbst innerhalb der Pädiatrie kaum vorhanden. Wissenschaftliche Publikationen gibt es zwar schon, aber insbesondere zu chronischen Schmerzen noch recht wenige.
Eine besondere Herausforderung bei Kindern liegt darin, ihre Schmerzen einzuschätzen und zu objektivieren. Babys und kleine Kinder kommunizieren ihre Schmerzen anders als Erwachsene und auch anders, als Ärzte es gewohnt sind. Bei Kindern kommen deshalb Schmerzskalen zum Einsatz.
Während bei Kindern bis zum vierten Lebensjahr Fremdbeurteilungsskalen verwendet werden, können ältere Kinder die Stärke des empfundenen Schmerzes oftmals bereits selbst kommunizieren wie beispielsweise mit einer Gesichterskala. Anhand einer Skala mit unterschiedlichen Gesichtern – weinend, lachend, normal schauend – kann dann der Arzt daraus schließen, ob es sich um sehr starke oder weniger starke Schmerzen handelt.
Leider sind viele Medikamente nicht zugelassen und man arbeitet mit Off-Label-Use. So gibt es in vielen Fällen keine Studie, keine Daten und keine Dosierungsangaben, auf die zurückgegriffen werden könnte. Das stellt vor allem bei Patienten mit chronischen Schmerzen ein großes Problem dar.
Aus mehreren Gründen kommen Forschungen auf dem Gebiet der Kinderschmerztherapie nur schleppend in Gang. Einerseits sind Arzneimittelstudien für die Industrie mitunter nur wenig attraktiv. Andererseits sind Eltern oft nicht bereit, ihre Kinder an Forschungsprojekten teilnehmen zu lassen. Es gibt sehr wirksame, lang erprobte Schmerzmedikamente für Kinder, auch wenn diese per se oft nur für Erwachsene zugelassen wurden.
So gäbe es in der Anästhesie jahrelange Erfahrungen in der Schmerzbehandlung von Kindern nach Verletzungen, in der Palliativbehandlung sowie während und nach Operationen. Paracetamol, Ibuprofen, Metamizol und Tramadol sowie bei schweren akuten oder Tumorschmerzen, Morphin oder Fentanyl sind bewährte und gut wirksame Schmerzmittel, über deren Wirkungen und Dosierungen wir auch bei Kindern sehr gut Bescheid wissen.
Generell ist festzustellen, dass die Etablierung von Anlaufstellen für Kinderschmerztherapien in Krankenhäusern ein komplexes Unterfangen ist. Davon sind nicht nur verschiedene Fachgebiete wie Anästhesie, Psychiatrie, Orthopädie, Chirurgie und viele andere mehr betroffen, sondern auch das Pflegepersonal sowie Physio- und Ergotherapeuten. Besonders dann, wenn es sich um nicht medikamentöse Schmerztherapien handelt, wie beispielsweise die optimale Lagerung der kleinen Patienten, spezielle Mobilisierungstechniken nach Unfällen oder das Trainieren von Atemtechniken, wird ersichtlich, dass eine multidisziplinäre Denk- und Vorgehensweise unerlässlich ist.

Schmerzen bei Frühgeborenen

Unter Frühgeborenen versteht man Kinder, deren Geburt vor der 36. Schwangerschaftswoche lag. Sie haben eine verminderte Schmerzverarbeitung aufgrund ihrer neurologischen Entwicklungssituation. Dies bedeutet, dass die Schmerzschwelle im Vergleich zum Neugeborenen niedriger liegt. Eine bewusste Schmerzwahrnehmung ist mit der Entwicklung der thalamokortikalen Projektionsbahnen ab ca. der 24.–26. Schwangerschaftswoche vollständig.
Frühchen leiden häufig unter einer physiologischen Allodynie bzw. Hyperalgesie. Zusätzlich sind sie nach der Geburt vielen Stressfaktoren ausgeliefert wie Kälte, Lärm, Licht, Trennung von der Mutter, Unreife der Organe, Angst, Hunger und Durst. Die auf einer neonatologischen Intensivstation durchgeführten invasiven Maßnahmen wie Intubation, Legen zentraler Zugänge und selbst das Kleben von Pflastern verursachen Schmerzen. Es kommt zu einer eingeschränkten Atemfunktion mit Tachypnoe, Apnoen, Bradykardien, Hyperkapnie, einer Immunsuppression mit erhöhter Infektanfälligkeit, erniedrigter Urinausscheidung, einem erhöhten intrakraniellen Druck und zu Veränderungen im Katabolismus.
Frühchen leiden häufig unter einer physiologischen Allodynie
Die Entstehung einer Schmerzsensibilisierung, d. h. einer erhöhten Reaktion auf bestehende Schmerzen, wird begünstigt. Hier wird oft der Grundstein für vermehrte Schmerzreaktion bei späteren medizinischen Maßnahmen gelegt. Schmerzen und Stress können das spätere Schmerzverhalten und die Entwicklung des ZNS beeinflussen. Die Schmerzmessung im Säuglingsalter erfolgt anhand von Fremdbeurteilung. In der Folge kann sich ein erhöhter Analgetikabedarf bei späteren medizinischen Prozeduren entwickeln.

Schmerzen bei Säuglingen und Kleinkindern (1.–3. Lebensjahr)

Säuglinge und Kleinkinder können ihre Schmerzen nicht kommunizieren oder zum Ausdruck bringen. Auch hier gibt es nur die Möglichkeit der Fremdeinschätzung (Tab. 1). Kleinkinder zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr können in der Regel auf Nachfrage Schmerz und Schmerzort beschreiben, ihre Darstellung entspricht aber noch nicht der Wahrnehmung von Erwachsenen. Hier sind die Eltern in der Regel am besten in der Lage, die Schmerzäußerung ihrer Kinder zu interpretieren. Deshalb sind Eltern von Beginn an in schmerztherapeutische Maßnahmen mit einzubeziehen.
Tab. 1
Schmerzmessung im prä-/frühverbalen Alter
 
Vorteile
Nachteile
Postoperative Schmerzen
KUSS (Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala)
– Weinen
– Gesichtsausdruck
– Rumpfhaltung
– Beinhaltung
– Motorische Unruhe
Die Items werden mit 0–2 Punkten bewertet; ab 4 Punkten therapiebedürftige Schmerzen
– Einfach und schnell in der Handhabung
– Therapeutischer Bedarf ab 4 Punkten
– Breiter Altersbereich wird abgedeckt
– Gut validiert
Keine
Invasive Maßnahmen
BPSN (Berner Schmerzscore für Neugeborene)
– Schlaf
– Weinen
– Beruhigung
– Hautfarbe
– Gesichtsmimik
– Körperausdruck
– Atmung
– Herzfrequenz
– O2-Sättigung
Die Items werden mit 0–3 Punkten bewertet; therapiebedürftige Schmerzen ab 10 Punkten
Ohne Vitalparameter verwendbar („subjektive Indikatoren“)
NIPS (Neonatal Infant Pain Scale)
– Gesichtsausdruck
– Weinen/Schreien
– Armbewegungen
– Beinbewegungen
– Atmung
– Wachheit/Aufmerksamkeit
Die Items werden mit 0–2 Punkten bewertet
Gut validiert, schnell und einfach
– Skala ist nicht symmetrisch
– Geringe Trennschärfe bei der Graduierung von Schmerzen
– Arm- und Beinbewegungen sind überschneidende Kriterien und bringen keine Zusatzinformation
Beatmung
Sedierungsbogen nach Hartwig
– Motorik
– Mimik
– Augen öffnen
– Toleranz der Beatmung
– Reaktion beim Absaugen
Ab 12 Punkten therapiebedürftige Schmerzen
– Einfach zu handhaben
– Direkte Berücksichtigung der Maßnahme des Absaugens
– Unzureichend validiert
– Erfasst neben Schmerzen auch Distress
Schmerzen bei medizinischen Behandlungen spielen in dieser Altersgruppe eine große Rolle. So erfolgen z. B. die meisten Impfungen in den ersten beiden Lebensjahren. Schmerz und Stress sollten deutlich reduziert werden. Kleine invasive Eingriffe können durch ruhiges Vorgehen, genügend Zeit und ausreichende Schulung von Kind und Eltern entspannt vor sich gehen. Auch Pflegekräfte stellen bei dieser Altersgruppe als Beobachter und Unterstützer eine wichtige Rolle. Sie fungieren auch als Vermittler zwischen den verschiedenen Berufsgruppen und der Eltern.
Hier unterscheiden wir vier Arten von Fremdbeurteilungsskalen:
1.
Verhaltenschecklisten geben eine Liste an Verhaltensweisen vor (z. B. Weinen – wird beobachtet oder nicht): Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS)
 
2.
Ratingskalen beinhalten die Beurteilung der Intensität, Häufigkeit und Dauer eines Verhaltens: Toddler-Preschooler Postoperative Pain Scale (TPPS)
 
3.
Globale Ratingskalen liefern eine globale Einschätzung des Beurteilers über den Schmerz des Kindes. Dabei kann jedes metrische Instrument zur globalen Einschätzung verwendet werden: numerische Ratingskala (NRS).
 
4.
Globale Ratingskalen mit Verhaltensanker präsentieren dem Beurteiler eine Schmerzskala, z. B. 0 bis 5. Für jeden dieser Werte wird ein bestimmtes Verhaltensmuster beispielhaft beschrieben, das dem Beurteiler die Einschätzung erleichtert.
 
Für das Erfassen prozeduraler Schmerzen und postoperativer Schmerzen haben sich 2 Messinstrumente gut bewährt:
FLACC und Children’s Hospital of Eastern Ontario Pain Scale (CHEOPS) und für postoperative Schmerzen zu Hause kann mittels der Parents’ Post-Operative Pain Measure (PPM) gemessen werden.

Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen (4.–18. Lebensjahr)

Bei kognitiv gut entwickelten Kindern etwa ab dem 4. Lebensjahr können Schmerzen mit Hilfe von Selbsteinschätzungsskalen, sogenannten Selfreport-Instrumenten, eingeschätzt werden. Dabei ist eine kindgerechte Sprache einzusetzen. Meist ist die Sprachfähigkeit bei 4‑ bis 5‑Jährigen so weit ausgebildet, dass ein Verständnis von Schmerz oder Wörtern ähnlicher Bedeutung z. B. „Wehtun“, „Aua“ möglich ist. Die Kinder können mit Hilfe zwischen Schmerz und Schmerzfreiheit unterscheiden und sind auch in der Lage, Bilder und Symbole zu benutzen sowie die Bedeutung von relationalen Begriffen wie „weniger“, „gleich“ und „mehr“ zu verstehen.
Die Beurteilung eigener Schmerzen wird durch persönliche Erfahrung geprägt
Die Beurteilung der eigenen Schmerzen wird immer auch durch die persönliche Erfahrung mit Schmerz geprägt. Da die meisten jüngeren Kinder auf nur wenige Schmerzerfahrungen als Referenzereignis zurückgreifen können, ist daran zu denken, dass der allgemeine Distress in Form von Angst, Wut oder Unsicherheit bei einer erstmaligen größeren Verletzung stärkere Reaktionen hervorrufen kann als bei schmerzerfahrenen Kindern.
Eine Verbesserung der Messung kann erreicht werden, indem – häufig mehrmals – in beruhigender Weise auf das Schmerzverständnis des Kindes eingegangen wird. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass wiederholte invasive Prozeduren oder chronische Schmerzen zu einer Schmerzsensibilisierung führen können.
Kinder ab sieben Jahren können Schmerzlokalisation, -intensität und -qualität anhand von Skalen bereits gut einschätzen. Ihre kognitiven Fähigkeiten sind so weit entwickelt, dass sie frühere Schmerzerfahrungen zur Beurteilung ihrer aktuellen Schmerzen zum Vergleich heranziehen können. Bei Jugendlichen verändert sich das Schmerzverständnis noch einmal. Die Pubertät, der Gruppenkommunikationsstil und das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Selbstkontrolle können die Schmerzmessung beeinflussen.
Bei Jugendlichen ist eine eindimensionale Erfassung der Schmerzintensität aufgrund der komplexen Schmerzempfindung auf den Ebenen der Kognitionen, Emotionen und des Verhaltens meist nicht ausreichend. Hier empfiehlt sich der Einsatz von multidimensionalen Testverfahren.
Schon in diesem Alter können sich durch Schmerzen beim Zahnarzt oder bei Infektionen durch schlechte Schmerzerfahrungen chronische Schmerzen entwickeln. Oft kommen noch Angst, Panikstörungen und Depressionen bis hin zu Essstörungen mit Selbstverletzungen dazu. Schon da kann der Grundstein einer somatoformen Schmerzstörung gelegt werden.
Aufgrund der Komplexität des Schmerzgeschehens kann es bei betroffenen Kindern und Jugendlichen zu massiven Beeinträchtigungen der Lebensqualität kommen. Viele Kinder mit chronischen Schmerzen sind nicht mehr in der Lage, die Schule zu besuchen oder am Alltag teilzunehmen. In diesen Fällen ist eine multiprofessionelle und multimodale Schmerztherapie indiziert.
In dieser Altersgruppe werden zur Schmerzeinschätzung Selbsteinschätzungsskalen eingesetzt. Ab einem Alter von sieben Jahren ist es neben einfachen Skalen möglich, auch multidimensionale Verfahren zur Schmerzerfassung einzusetzen, insbesondere bei chronischen Schmerzen (Tab. 2).
Tab. 2
Skalen zur Selbsteinschätzung der Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen
 
Vorteil
Nachteil
VAS (visuelle Analogskala)
– 10 cm lange horizontale oder vertikale Linie mit den Polen „kein Schmerz“ und „stärkstmöglicher Schmerz“
– Erfassen der Dimensionen Schmerzintensität bzw. Schmerzaffektivität möglich
– 3 Jahre – Erwachsenenalter
– Reliabel und valide
– Sensibel für Veränderungsmessung
Farbige grafische Skalen werden besser verstanden als diese klassische Form
Faces Pain Scale-Revised
Messung der Schmerzintensität und des Schmerzaffektes durch eine Skala von 7 Erwachsenengesichtern (0–6) von „kein Schmerz“ bis „schlimmstmöglicher Schmerz“
– 4–12 Jahre. Sehr gute Testgütekriterien
– Mäßige Reliabilität bei Kindern <6 Jahren
– Akute, rekurrierende und chronische Schmerzen
Form und Ausdruck der Gesichter finden bei Kindern nur geringe Akzeptanz

Altersabhängige medikamentöse Schmerztherapie

Da gerade bei Kindern die Compliance schwer aufrecht zu erhalten ist, ist eine regelmäßige medikamentöse Schmerztherapie sinnvoll. Dies muss jedoch immer in einem multimodalen Setting erfolgen. Bei der Wahl des Applikationsmodus müssen die individuellen Vorlieben und Abneigungen des Kindes genau erfasst werden.
Für Compliance sollte die akzeptabelste Applikationsform gewählt werden
Dabei ist auf das Schlucken von Tabletten zu achten. – Ist das möglich oder nur in Saftform, die eine bestimmte Geschmacksrichtung hat. Die meisten oral zu verabreichenden Wirkstoffe gibt es in unterschiedlichen Applikationsformen: Tablette, Dragee, Kapsel, Saft, Pulver, Kügelchen, Tropfen etc. Zusätzlich ist von Bedeutung, ob Tabletten geteilt oder gemörsert werden dürfen.
Um eine größtmögliche Compliance zu erreichen, sollte gemeinsam mit dem Kind und den Eltern die akzeptabelste Applikationsform gewählt werden. Wenn Kinder Tabletten oder Kapseln nicht schlucken können, kann ein Tablettentraining mit kleinen Bonbons oder Leerkapseln erfolgen. Joghurts oder Puddings vereinfachen bei jüngeren Patienten die Einnahme. Auch durch Lieblingsgetränke kann die Tabletteneinnahme versucht werden. Jedoch sind die Eltern darüber aufzuklären, dass die Medikamente nicht mit Milchprodukten eingenommen werden dürfen. Auch können Kinder vorerst im stationären Setting unterstützt von Musiktherapeuten und Klinikclowns die Tabletteneinnahme spielerisch erlernen.
Bei Kindern kommt das WHO-Stufenschema (Abb. 1; Tab. 3) zum Einsatz, gemeinsam mit Adjuvantien. Leider sind jedoch viele Medikamente im Off-Label-Use, da Studien bei Kindern fehlen.
Tab. 3
WHO-Stufenschema
Wirkstoff
Applikation
Einzeldosis
Dosisintervall
Tageshöchstdosis (bis 50 kgKG)
Präparate
WHO I
Nichtopioide Analgetika
Diclofenac
p.o.
1 mg/kgKG
(6–)8 h
3 mg/kgKG/Tag
Voltaren® (Tabletten)
12,5; 25; 50 mg
Supp.
Supp. ab 12,5 mg
Ibuprofen
p.o.
10 mg/kgKG
6(–8) h
40 mg/kgKG/Tag
Nureflex (Saft)
5 ml = 100 mg
Supp.
Supp. ab 60 mg
Metamizol
p.o.
15 mg/kgKG
(4–)6 h
75 mg/kgKG/Tag
Novalgin® (Tropfen)
1 Tr. = 25 mg,
Supp.
Supp. 300 und 1000 mg
i.v.
Paracetamol
p.o.
15 mg/kgKG, Ladungsdosis zu Beginn der Therapie: 30 mg/kgKG
<1 Jahr 7,5 mg/kgKG
>1 Jahr 15 mg/kgKG
(4–)6 h
<2 Jahre 60 mg/kgKG/Tag
>2 Jahre 90 mg/kgKG/Tag
<1 Jahr 30 mg/kgKG/Tag
>1 Jahr 60 mg/kgKG/Tag
Mexalen (Saft)
5 ml = 200 mg
Perfalgan® (Flaschen à 500 oder 1000 mg)
10 mg/ml
Supp.
Mexalen
Supp. ab 75 mg
i.v.
WHO II und III
Schwache und starke Opioide
Übliche Startdosis für Kinder mit einem Körpergewicht >10 kg und einem Lebensalter >6 Monate
Tramadol
p.o.
Nichtretardiert: 1 mg/kgKG (max. 50 mg)
Alle 4 h
Tropfenform: 100 mg/ml
4 bis 8 Tropfen pro 10 kg Körpergewicht (entsprechend 1 bis 2 mg Tramadolhydrochlorid)
Retardiert: 2 mg/kgKG (max. 100 mg)
Alle 8‑12 h
i.v.
1–2 mg/kgKG
Alle 8 h, 3‑mal/Tag
Morphin
p.o.
Nichtretardiert: 0,1 mg/kgKG
Alle 4 h
Retardiert: 0,2 mg/kgKG
Alle 8 h
i.v.
0,02–0,04 mg/kgKG
Alle 4 h
Hydromorphon
p.o.
Nichtretardiert: 0,03 mg/kgKG
Alle 4 h
Retardiert: 0,06 mg/kgKG
Alle 8 h
i.v.
0,01–0,004 mg/kgKG
Alle 3 h
Buprenorphin
Transdermal
0,2 bis 0,4 µg/kgKG
96 h–7 Tage, je nach Pflastertyp alle 6 h oder 8 h
Sublingual
0,004 µg/kgKG (max. 0,2 mg)
i.v.
0,003 mg/kgKG
Fentanyl
Transdermal
0,1-0-2 µg/kgKG/Tag
Alle 72 h
i.v.
2–3 µg/kgKG
Einige Medikamente sind auch in der schnell wirksamen sublingualen Darreichungsform erhältlich. Auf Kinderneonatologien bzw. Intensivstationen ist oft auch ein Setzen einer Magensonde notwendig, worüber Medikamente appliziert werden können.
In der Pubertät treten zusätzlich oft Depressionen, Angst‑, Panik- und Essstörungen auf
Eine weitere Alternative ist die transdermale Medikamentenapplikation. Durch das Angebot von für Kinder ab zwei Jahren zugelassenen transdermalen therapeutischen Systemen (TTS) kann diese Applikationsform nun auch in der Pädiatrie verstärkt genutzt werden.
Eine intravenöse Schmerztherapie ist bei Tumorkindern im häuslichen Bereich induziert, wenn das Kind bereits über einen zentralvenösen Katheter verfügt. Da kann es über eine PCA kontinuierlich und als Bolus verabreicht werden.
Ist die intravenöse Verabreichung unmöglich, besteht bei ausgewählten Medikamenten als weitere Option die subkutane Applikation.
Neben dem WHO-Stufenschema stehen auch Adjuvantien – sogenannte Koanalgetika (Tab. 4) – zur Verfügung. Diese sind vor allem bei neuropathischen Komponenten einzusetzen.
Tab. 4
Koanalgetika
 
Dosis
Indikation
Gabapentin (Neurontin®)
Schrittweise Aufdosierung innerhalb von 3–7 Tagen auf 15–30 mg/kgKG/Tag, p.o. in 3 ED., max. 60 mg/kgKG/Tag
Neuropathische Schmerzen, einschießend
Pregabalin (Lyrica®)
0,5–1 mg/kgKG/Tag, p.o. in 2 ED
Neuropathische Schmerzen, einschießend, Angststörung
Panikstörung
Carbamazepin (Tegretol®)
p.o. auch als Saft, XR Tbl.
10 bis 20 mg/kgKG/Tag
Amitriptylin (Saroten®)
Beginn mit 0,2 mg/kgKG/Tag p.o. abends, steigern über 2–3 Wochen (alle 2–3 Tage um 25 %) Zieldosierung: 1 mg/kgKG/Tag oder geringst wirksame Dosis
Neuropathische Schmerzen, brennend
Phantomschmerz nach Amputation
Schmerzbedingte Schlafstörungen
Es gibt auch lokale Capsaicin-Salben (0,025 %, 2‑mal/Tag), die bei starken Allodynien bei älteren Kindern eingesetzt werden können und somit die systemische Gabe von Medikamenten einsparen lassen. Wenn Kinder und Jugendliche bei starken Allodynien die Capsaicin-Salbe tolerieren, kann man versuchen Qutenza® (Capsaicin 179 µg) zu kleben. Dies ist eine ambulante einmalige Pflasteranwendung in einer Ambulanz bzw. in einer Ordination. Das Pflaster kann alle 3 Monate erneut angewendet werden und erspart ebenfalls die systemische Anwendung.
Additiv kann auch ein TENS-Gerät (transkutanes Nervenstimulationsgerät) zu Hause bei Muskelverspannungen und Schmerzen angewendet werden. Dieses bekommt man als Leihgerät von der Krankenkasse. Eine physikalische Therapie ist bei allen Schmerzerkrankungen begleitend unterstützend notwendig.
Bei Kindern, die oft schon im Volksschulalter mit chronischen Kopf- oder Bauchschmerzen einen Arzt aufsuchen ist eine begleitende Psychotherapie – meist Verhaltenstherapie – sehr zu empfehlen. In der Pubertät treten zusätzlich oft Depressionen, Angststörungen, Panikstörungen und Essstörungen auf. Hier ist es sinnvoll, diese Jugendlichen in einen Verhaltensturnus einzuschleusen.
Eine Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Schmerzen ist eine Voraussetzung, um über die eingesetzten Messinstrumente und die eingesetzten Interventionen zu entscheiden. Jedes Kind und jeder Jugendliche hat ein Anrecht auf eine multimodale Schmerztherapie in einem multimodalen Setting.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Sator gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Metadaten
Titel
Kinderschmerztherapie – ein Stiefkind?
verfasst von
A.o. Prof. Dr. Sabine Sator
Publikationsdatum
17.12.2021
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
rheuma plus / Ausgabe 5/2021
Print ISSN: 1868-260X
Elektronische ISSN: 2191-2610
DOI
https://doi.org/10.1007/s12688-021-00471-6

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