„Wir müssen alles einsetzen, das uns zur Verfügung steht“

Mit einer Reihe von medikamentösen Möglichkeiten ist eine effektive LDL-Cholesterin-Senkung und damit auch eine Reduktion von kardiovaskulären Events erreichbar. Doch immer noch sind viel zu viele Patienten von ihrem LDL-Cholesterin-Zielwert entfernt. Das ist katastrophal, sagt Prof. Dr. Gerit-Holger Schernthaner. Als Mono- oder Kombinationstherapie belegen Outcome-Daten für Statine, Ezetimib, Bempedoinsäure und PCSK9 Inhibitoren, dass sie ihr Ziel, effektiv das LDL-Cholesterin zu senken, nicht verfehlen. zentilia / Getty Images / iStock (Symbolbild) × Ärzte Woche: Kardiovaskuläre Erkrankungen sind Todesursache Nummer 1 in Österreich. Welchen Teil tragen Lipide, speziell das LDL-C dazu bei? Schernthaner: Grob vereinfacht gesagt, sind 30 bis 50 Prozent aller Primärereignisse in den kardiovaskulären Erkrankungen auf Probleme im Lipoprotein-Stoffwechsel zurückzuführen, zu über 90 Prozent auf das LDL-C, der Rest größtenteils auf Lipoprotein (a). Beim Herzinfarkt spielen Blutfette sicher die entscheidendste Rolle.1 In der Primärprävention gehen an die 70 Prozent der Infarkte auf Kosten der Blutfette, in der Sekundärprävention, wenn der Patient bereits einen Herzinfarkt hatte, zumindest 50 Prozent. Beim Schlaganfall ist der Bluthochdruck der größte Treiber, dennoch darf man das LDL-C nicht unterschätzen. Anders verhält es sich bei der pAVK: Bei dieser können alle vier wesentlichen Risikofaktoren – Diabetes, Rauchen, Blutfette, Bluthochdruck – zusammen in der Primärprävention nur 70 Prozent der Ereignisse vorhersagen, wobei die Blutfette mit 50 Prozent Anteil der stärkste Prädiktor sind. In der Sekundärprävention können die vier Hauptrisikofaktoren sogar weniger als 50 Prozent erklären. Streng genommen wissen wir also in einer Vielzahl von Patientinnen und Patienten nicht, warum sie mit einer Schaufensterkrankheit einen zweiten, dritten oder vierten Event haben. Ärzte Woche: Es sind mehrere neue Medikamente zur LDL-C-Senkung am Markt. Ist es überhaupt noch notwendig, kardiovaskuläre Outcome-Daten zu bekommen? Schernthaner: Selbstverständlich, das ist essenziell. Es ist ein großer Unterschied, ob Sie einen Laborparameter wie das LDL-C beeinflussen oder ob die Beeinflussung dieses Laborparameters dann auch wirklich einen Effekt auf ein gesteigertes eventfreies Überleben hat. Und es macht einen großen Unterschied, ob Sie einen gesunden Patienten vor sich haben oder einen Patienten mit bereits stattgehabtem Ereignis oder einem Diabetes. Für Patienten mit atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes muss man nicht nur die LDL-C-Ziele erreichen, sondern das kardiovaskuläre Risiko senken. So lange es für die Erkrankung eines jeweiligen Patienten Medikamente mit einer gültigen Endpunkt-Studie gibt, sollte man unbedingt solchen Medikamenten den Vorzug geben. Diese evidenzbasierte Medizin definieren wir heute als Goldstandard. Ärzte Woche: Der primäre Endpunkt – eine Kombination aus der Zeit bis zum ersten kardiovaskulären Tod, nicht tödlichen Myokardinfarkt, einem nicht tödlichen Schlaganfall oder einer koronaren Revaskularisation2 – der CLEAR-Outcome-Studie wurde erreicht. Welchen Impact haben die CLEAR-Outcome-Daten der Bempedoinsäure für Sie? Schernthaner: Durch die Phase-3b-Studie CLEAR Outcome, die Anfang März offiziell präsentiert wird, liegen nun auch für die Bempedoinsäure positive Endpunkt-Daten vor. Nun haben wir im Lipidmanagement sozusagen für alle vier Pfeile im Köcher – Statine, Ezetimib, Bempedoinsäure und PCSK9-Antikörper – eine Beweisführung, dass sie auch ins Schwarze treffen. Wir können sehr gut abschätzen, mit welchen Präparaten oder Kombinationen wir welche LDL-C-Spiegel-Senkung erreichen. Starke Statine senken das LDL-C um circa 50 Prozent. Ezetimib und Bempedoinsäure können das LDL-C um jeweils 15–20 Prozent senken, in Kombination um etwa 38 Prozent.3 Patienten, deren LDLC- Werte dann immer noch zu hoch liegen, kann man noch einen PCSK9-Hemmer dazugeben. Damit kommen wir in eine neue Ära, in der wir das LDL-C oftmals in den individuellen Zielwert bringen können. Aber hier ist noch ein Aspekt wichtig: Statine sind sehr billig, PCSK9-Hemmer sind sehr teuer. Wir brauchen unbedingt Substanzen dazwischen, mit denen wir beim individuellen Patienten das LDL-C-Ziel erreichen, ohne hohe monatliche Kosten. Mit der Bempedoinsäure steht eine weitere orale Therapieoption zur Verfügung, die auch im niedergelassenen Bereich erstverordnet werden kann. Es hat keinen Sinn, allen Patienten das teuerste Medikament zu verschreiben. Wir wollen möglichst viele Menschen möglichst gut behandeln, und das System muss daher mithilfe von Kosteneffizienz „am Leben erhalten werden“. Ärzte Woche: Die CLEAR-Outcome- Studie wurde bei Patienten (N = 14.014) durchgeführt, die kein oder nur eine sehr geringe Dosis eines Statins vertragen. Welche neuen Erkenntnisse kann die Studie in diesem schwierig zu behandelnden Patientenkollektiv liefern?2 Schernthaner: Dadurch, dass der Großteil der Patienten in der Studie keine oder nur sehr wenig Statine bekommen hatte, kann man den wahren Effekt der Bempedoinsäure sehen. Weiters haben wir mit der Kombination Bempedoinsäure/Ezetimib nun auch für jene circa zwei Prozent der Menschen, die eine echte, durch einen Creatin-Kinase-Anstieg im Blut nachgewiesene Statinintoleranz haben, eine Behandlungsoption, die der Wirkung niedrig dosierter High-Power- Statine nahekommt. Bei Statinnaiven Patienten ist die Wirkung dieser Kombination sogar noch stärker als nach Statin-Vorbehandlung.4 Ärzte Woche: Rezente Studien zeigen, dass antiinflammatorische Medikation mit einer kardiovaskulären Risikoreduktion einhergeht. Bempedoinsäure senkt neben Lipidparametern auch das hsCRP.5 Könnte diese Tatsache Ihrer Meinung nach einen Einfluss auf die kardiovaskuläre Risikoreduktion bedingt durch die Bempedoinsäure haben? Schernthaner: Es hat auch uns überrascht, dass der hsCRP-senkende Effekt der Bempedoinsäure auf dem Niveau der hochpotenten Statine liegt, und das kontinuierlich über viele Jahre bei über 7.000 Patientinnen und Patienten. In der Atherosklerose gibt es drei verschiedene Pathophysiologien: Die Inflammation, die Atherothrombose und die Fibrose. Während beim Herzinfarkt die Inflammation der stärkste gefäßbiologische Treiber ist, ist es beim Schlaganfall die Atherothrombose und beim Beininfarkt die Fibrose. Ich würde mir deshalb erwarten, dass der Effekt der Bempedoinsäure vor allem für die instabile Angina pectoris und das akute Koronarsyndrom besonders ausgeprägt sein müsste, weil dort die Inflammation eine besonders große Rolle spielt. Ärzte Woche: Bempedoinsäure führte bei Diabetes-Patienten in Vergleich zu Placebo nicht zu einer Verschlechterung der glykämischen Variablen oder zu einem Anstieg der Inzidenz von neu auftretendem Diabetes.6 Könnte das auf einen pleiotropen Effekt hindeuten? Schernthaner: Dass die Bempedoinsäure im Unterschied zu den Statinen keinerlei Einfluss auf den Shift vom Prädiabetes zum Diabetes hat, ist schön, aber ich würde den Effekt nicht überbewerten. Zum einen lebt ein Diabetiker mit einem Statin-induzierten Diabetes länger als ein gleichaltriger Diabetiker, der kein Statin einnimmt. Weiters hat die Unterscheidung von Prädiabetes und Diabetes auf Ebene der Atherosklerose keine so große Bedeutung. Denn das eigentliche Problem einer starken kardiovaskulären Risikoerhöhung besteht ja schon vorher, beim Übergang vom normalen Glukosemetabolismus zum Prädiabetes.7 Ärzte Woche: Ihr Fazit zum österreichischen Lipidmanagement – generell und bezogen auf die neuen Therapieoptionen. Schernthaner: Der Status quo ist, muss man leider sagen, katastrophal. Die Mehrzahl der Patienten hat bereits die alten Therapieziele von < 70 mg/dl für Sehr-Hochrisikopatienten nicht erreicht. Nach Reduktion des Zielwertes auf < 55 mg/dl erreichen schätzungsweise nur noch zehn bis zwölf Prozent der Sehr- Hochrisikopatienten ihr LDL-C-Ziel. Generell müssen wir alle Medikamente einsetzen, die wir haben, aber vor allem alle Präparate nutzen, für die es positive Endpunkt-Studien gibt und die kostengünstig sind. Das schaffen wir nur in einer Allianz aller Beteiligten, von Hausärztinnen und Hausärzten, Fachgesellschaften, dem Hauptverband, der Versicherungsträger und selbstverständlich den Patientinnen und Patienten. Das Interview wurde im Februar 2023 und somit vor Veröffentlichung der CLEAR-Outcome-Daten geführt. Referenzen: 1. Yusuf S et al. Lancet 2004 Sep;364(9438):937-52 2. Nicholls et al. 2021 Am Heart J 2021; 235:104-12 3. Burger AL et al. Biomedicines 2022; 10(5):970 4. Banach M et al. JAMA Cardiol 2020 Oct 1; 5(10):1124-1135 5. Everett et al. J Am Coll Cardiol 2020; 76:1660-70 6 .Leiter et al. Diabetes, Obesity & Metabolism 2022; 24(5): 868-880 7. Haffner S et al. JAMA 1990 Jun 6; 263(21):2893-8 Als Mono- oder Kombinationstherapie belegen Outcome-Daten für Statine, Ezetimib, Bempedoinsäure und PCSK9-Inhibitoren, dass sie ihr Ziel, effektiv das LDL-Cholesterin zu senken, nicht verfehlen. BIL/23/0067, erstellt im Februar 2023

Home

Zeitschriften

Zeitungen

Podcast

Gesundheitspolitik

Praxis

Leben

Jobs

Fachgebiete

Subfächer Innere Medizin

Fortbildungen

Springer Medizin Österreich