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Ärzte Woche

16.05.2022 | Intensivmedizin

Keine Panik, nur Omikron

verfasst von: Von Martin Krenek-Burger

Alpha und Delta wurden längst von der Omikron-Variante verdrängt, die sich nun aber weiter aufspaltet. Was ist zu tun, wie gut sind wir geschützt? Antworten von Forschern aus Österreich und Deutschland.

Wien Mitte The Mall – diese wurlerte Mischung aus Bahnknoten und Einkaufszentrum zieht Tag für Tag Zehntausende Besucher an. Wer häufig hier durch muss, dem fallen zwei Dinge auf: Die Desinfektionsspender sind leer, und kaum einer der Passanten trägt Mund-Nasen-Schutz. Die Corona-Seuche hat ihren Schrecken verloren. Erstmals seit acht Monaten hat sich die Zahl der kritisch kranken Menschen mit COVID-19 auf Österreichs Intensivstationen wieder im zweistelligen Bereich eingependelt. Das sei zwar kein Grund, das Ende der Pandemie auszurufen, aber die aktuelle Entwicklung stelle „doch eine enorme Erleichterung für die Mitarbeiter in unseren Spitälern“ dar. Das sagt der Präsident der Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) Prim. Dr. Walter Hasibeder, St. Vinzenz Krankenhaus Zams. Es ist Frühling in Österreich. In Südafrika hingegen, wo gerade der Winter beginnt, sorgen zwei neue Omikron-Varianten für steigende Infektionszahlen: BA. 4 und BA. 5. Schon die erste Omikron-Variante, mit der sich Millionen Menschen weltweit infizierten, war dort entdeckt worden. Anfang Mai wurden dann aus Wien und der Steiermark erste Fälle von Infektionen mit der BA.5-Untervariante gemeldet. Hinweise auf schwere Krankheitsverläufe gab es zunächst nicht. Wie es weitergeht, hängt davon ab, wie groß die Immunität in der Bevölkerung heute ist. Nach der 4. Welle ist davon auszugehen, dass nur noch ein geringer Teil der Bevölkerung immunologisch komplett naiv ist. Und es wird davon abhängen, was im Herbst tatsächlich passiert. Kommt eine Omikron-Welle, sind Experten wie der Tropenmediziner Prof. Dr. Herwig Kollaritsch beruhigt, weil Omikron „nicht die Lunge angreift, sondern in den oberen Atemwegen zu Beschwerden führt“.

Variantenübergreifender Schutz vor schweren Verläufen

„Die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 hat weltweit eine weitere große Infektionswelle verursacht. Denn auch geimpfte Personen oder solche, die sich mit einer vorherigen Virusvariante infiziert hatten, können sich mit Omikron anstecken. Trotzdem sind schwere Verläufe relativ selten.

Wir haben detailliert aufgeschlüsselt, wie der variantenübergreifende Schutz vor Infektion beziehungsweise schwerem Krankheitsverlauf entsteht:

Wir konnten nämlich zeigen, dass Gedächtnis-T-Zellen, die nach Impfung oder Infektion mit einer früheren SARS-CoV-2-Variante gebildet wurden, auch die Omikron-Variante sehr gut erkannten und vor einem schweren Verlauf einer Infektion schützen konnten. Die Bindungsfähigkeit der Antikörper an die Omikron-Variante war dabei stark reduziert. Daher schützten sie jedenfalls auch nach einem Impf-Booster nur recht kurz vor einer Infektion mit der Omikron-Variante.

Wir haben auch mögliche Unterschiede der Immunantworten von Genesenen und Geimpften untersucht.

Beide Gruppen zeigen eine breite T-Zell-Antwort. Bei Genesenen erkennen die T-Zellen mehrere Virus-Eiweiße. Bei Geimpften richtet sich die Immunantwort im Wesentlichen gegen das Spike-Eiweiß, das ja aus dem mRNA-Impfstoff im Körper hergestellt wird und dann die Immunantwort hervorruft.

Die T-Zell-Antwort gegen das Spike-Eiweiß ist bei Geimpften breiter und stärker als bei Genesenen. Werden Genesene geimpft, fallen die T-Zell-Antworten ebenfalls vielfältiger aus, und somit steigt der Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bei zukünftigen Infektionen.

In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Immunantwort gegen SARS-CoV-2 oft auf die Bildung von Antikörpern reduziert. Unsere Studie trägt dazu bei, ein vollständigeres Bild des Immunschutzes im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 zu erhalten.“

Dr. Maike Hofmann , Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Freiburg, Heinz Maier-LeibnitzPreisträgerin 2022 der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Weitere Informationen:

https://tinyurl.com/s79mvccz


Atempause für sorgfältige Vorbereitung nutzen

„Das Sonderfach Anästhesiologie und Intensivmedizin hatte von Beginn der Corona-Pandemie an wichtige Bereiche des Krisenmanagements zu schultern: auf den Intensivstationen, beim Abarbeiten von OP-Wartelisten unter Hochdruck zwischen den Infektionswellen oder aufgrund der Zusatzbelastungen in der außerklinischen Notfallmedizin, die ebenfalls zu einem großen Teil von Anästhesiologen abgedeckt wird.

Die Atempause bei der Zahl schwerer COVID-19-Erkrankungen sollten wir für eine sorgfältige Vorbereitung auf den Herbst nutzen, damit wir keine bösen Überraschungen erleben. In den einzelnen Häusern ebenso wie in der Ampelkommission und anderen Gremien wird intensiv an verschiedenen Szenerien gearbeitet. Aus Sicht der ÖGARI ist es notwendig, Strukturen wie Aufwachräume und Intermediate Care Einheiten ( IMCU ) personell und teilweise auch apparativ besser auszustatten, sodass diese im Bedarfsfall intensivmedizinisch noch besser genutzt werden können. Genauso ist es wichtig, über die Lehren zu reflektieren, die wir aus dem Pandemieverlauf mittelfristig für die Zukunft ziehen können. Diese Pandemie hat die Schwächen unseres Gesundheitssystems genauso wie die Stärken deutlich gemacht. Unter anderem hat sich unsere im internationalen Vergleich sehr gute Ausstattung mit Intensivbetten in Zeiten hoher Zusatzbelastung durch schwer kranke COVID-19-Patienten bewährt, allen Unkenrufen diverser Gesundheitsökonomen zum Trotz. Um für künftige Krisen gerüstet zu sein, ist es unumgänglich, regional unterschiedlich IMCU- und Intensivbereiche zu erweitern.

Es ist für eine breite Öffentlichkeit deutlich geworden, dass Intensivbetten nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn ausreichend viel spezialisiertes Personal zur Verfügung steht. Hier hat sich leider gezeigt: Wir haben Engpässe bei der spezialisierten Fachpflege, und es drohen in einer ganzen Reihe von Häusern ebensolche bei Fachärzten, wenn wir nicht rasch und konsequent gegensteuern. Hier muss an vielen Rädern gedreht werden, von einer angemessenen Entschädigung für Höchstbelastungen über Finanzierungsmodelle für die Pflegeausbildung bis hin zur Sicherstellung ausreichend vieler und qualitativ hochwertiger Ausbildungsplätze für Fachärzte der Anästhesiologie und Intensivmedizin.“

Prim. Prof. Dr. Walter Hasibeder, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI)

Ein Frühwarnsystem für Atemwegsinfekte

„Als Lungenarzt habe ich gelernt, dass die grundlegende Kenntnis und auch das Verständnis von Atemwegsinfektionen in der medizinischen Welt verbesserungsfähig sind und wir hier noch viel Arbeit vor uns haben. Dass es über ein Jahr gedauert hat, in der Breite den Unterschied zwischen einer Tröpfcheninfektion und einer Infektion über Aerosole zu erklären, hat mich gelinde gesagt schwer verwundert. Schwere Atemwegsinfektionen und auch Pandemien werden immer wieder vorkommen, und darauf müssen wir uns in der Medizin vorbereiten, um bei einer neuen Notlage schneller und koordinierter reagieren zu können. Dafür brauchen wir ein Frühwarnsystem – ähnlich wie in betroffenen Tsunami-Regionen, nur eben für Atemwegsinfekte.

Es gibt schon heute einzelne Kliniken oder Arztpraxen, die Infektionen der Atemwege zentral melden und die Abstriche auf Atemwegsviren im RKI, dem Robert-Koch-Institut, analysieren lassen. Das passiert seit vielen Jahren sehr regelhaft und liefert uns wichtige Daten zur Ausbreitungskinetik der Influenza und zu den zirkulierenden Viren – allerdings eben nur im niedergelassenen Bereich. Die Krankenhäuser mit den schweren Fällen sind noch außen vor. Hier sehe ich eine große Chance: Sollten wesentlich mehr Krankenhäuser entsprechende Viren untersuchen und diese automatisiert einer zentralen Stelle wie dem RKI zukommen lassen, dann wissen wir deutlich früher als jetzt, wie gefährlich neue Virenvariationen sein werden. Und über interaktive Grafiken – ähnlich der uns bekannten Wetterkarten – könnten wir sehen, welche Viren genau wann in bestimmten Landesregionen auf uns zukommen.

Mit den Erfahrungen aus der Pandemie wissen wir aber, dass wir mithilfe einer Virenvarianten-Früherkennung schneller auf neue Behandlungsumstände reagieren können. Das rettet nicht nur Menschenleben, sondern entschärft zugleich die Überbelastung von Krankenhauskapazitäten.“

Prof. Dr. Torsten Bauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)


Metadaten
Titel
Keine Panik, nur Omikron
Publikationsdatum
16.05.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 20/2022

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