Historische Perspektive und ÖSG
Status Quo in Österreich
-
Rechtzeitiges Erkennen einer kritischen Erkrankung bei nicht-traumatologischen Patient:innen: Eine relevante Verzögerung bis zum Beginn einer intensivmedizinischen Behandlung (z. B. erst nach Aufnahme auf einer Intensivstation) aufgrund eines verzögerten Erkennens einer kritischen Erkrankung kann die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation sowie im Krankenhaus verlängern und die Überlebenschancen verringern [5, 6].
-
Schonung von Intensivkapazitäten: Eine adäquate, rasche Diagnostik und Therapie initial kritisch kranker nicht-traumatologischer Patient:innen in der Notfalleinrichtung ermöglicht bei verschiedenen Erkrankungsbildern innerhalb weniger Stunden eine Stabilisierung. Beispielhaft zu erwähnende Pathologien mit rascher Reversibilität sind das hypertensive Lungenödem („sympathetic crashing acute pulmonary edema“ – SCAPE) [7], die COPD-Exazerbation, hyperglykäme Entgleisungen, Dehydratationszustände, gastrointestinale Blutungen oder milde bzw. moderate Sepsisverläufe. Patient:innen mit solchen Krankheitsbildern können nach rascher intensivmedizinischer Behandlung in der Notfallabteilung oft unter Schonung von Intensivkapazitäten direkt auf eine Intermediate-Care-Station oder Normalstation transferiert werden, auch außerhalb der sonst für Intensivstationen typischen (vormittäglichen) Verlegungszeitfenster. Als weiteres Beispiel können AV-nodale Reentry-Tachykardien erwähnt werden. Diese Patient:innen sind üblicherweise innerhalb weniger Minuten erfolgreich therapiert und im Anschluss sogar aus dem Krankenhaus zu entlassen.Vom Rettungsdienst als kritisch krank eingeschätzte nicht-traumatologische Patient:innen benötigen nach Direkteinlieferung auf eine Intensivstation oft keine intensivmedizinische Behandlung. Als Beispiel kann man Patient:innen nach einem epileptischen Anfall nennen, die zwar im Rettungsdienst als komatös für eine intensivmedizinische Überwachung angekündigt sind, dann aber im Verlauf rasch aufklaren und eigentlich keiner intensivmedizinischen Betreuung bedürfen.
-
Patient:innensicherheit: Kritisch kranke nicht-traumatologische Patient:innen benötigen in der Initialphase oft mehrere diagnostische Untersuchungen und therapeutische Interventionen. Diese lassen sich einfacher in der Umgebung der Notfallabteilung unter Minimierung von risikobehafteten Intrahospitaltransfers und Zeitverzögerungen als von der Intensivstation aus durchführen.
-
Patient:innenwunsch und Therapieziele: Werden kritisch kranke nicht-traumatologische Patient:innen (mit oder ohne Verzögerung) notfallmäßig auf einer Intensivstation aufgenommen, können Patient:innenwünsche und Therapieziele häufig nicht vor der Aufnahme bzw. Einleitung einer intensivmedizinischen Behandlung suffizient erhoben bzw. detailliert besprochen werden. Gerade bei gebrechlichen Patient:innen oder jenen mit limitierender Grunderkrankung führt eine solche Strategie immer wieder zur Einleitung von nicht gewünschten Behandlungen oder einer intensivmedizinischen Übertherapie [8].
Das Schockraum-Versorgungskonzept in Deutschland
Welche Erstversorgung benötigen kritisch kranke Patient:innen in der Notfallabteilung?
-
Bei blutenden Mehrfachverletzten sind die umgehende Sicherung der Vitalfunktionen sowie die schnellstmögliche Diagnostik und Kontrolle der Blutungsquelle entscheidend für den Therapieerfolg. Bei optimaler Erstversorgung können polytraumatisierte Patient:innen so rasch und suffizient stabilisiert werden, dass die Aufnahme auf einer Intensivstation vermieden werden kann.
-
Patient:innen mit hypertensivem Lungenödem profitieren von einer möglichst frühen nichtinvasiven Beatmung sowie antihypertensiven Therapie mit hochdosiertem Nitroglyzerin oder Urapidil. Werden diese Therapien ohne Verzögerung eingeleitet, kann die respiratorische Funktion dieser Patient:innen in vielen Fällen nach wenigen Stunden soweit stabilisiert werden, dass keine weitere mechanische Atemunterstützung erforderlich ist und die Aufnahme auf einer Intensivstation vermieden werden kann.
-
Bei onkologischen Patient:innen mit Sepsisverdacht müssen nicht nur die Vitalfunktionen umgehend stabilisiert, mikrobiologische Kulturen abgenommen und eine Antibiose eingeleitet, ein vermuteter Sepsisfokus identifiziert und gegebenenfalls kontrolliert werden, sondern auch die Prognose der onkologischen Grunderkrankung und der Wunsch der Patient:innen nach einer intensivmedizinischen Behandlung evaluiert werden. Abhängig von den Ergebnissen dieser Erhebungen kann sich der weitere Verlauf zwischen rascher Stabilisierung der Vital‑/Organfunktionen und Verlegung auf eine Bettenstation, einer fortgesetzten intensivmedizinischen Behandlung mit Aufnahme auf der Intensivstation und einer Therapiezieländerung unterscheiden.
Intensivmedizinischer Behandlungsbereich in der Notfallabteilung
USA | Österreich | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
Bezeichnung | Critical Care Resuscitation Unit | Resuscitation and Acute Critical Care | Emergency Critical Care Center (EC3) | Akutbereich | Schockraum & Beobachtung | Intensivmedizinische Notfallbehandlung |
Universität/Krankenhaus | University of Maryland, School of Medicine, Medical Center | Stony Brook University Medical Center | University of Michigan | AKH Wien, Medizinische Universität Wien | Klinik Floridsdorf | Kepler Universitätsklinikum Med Campus 3 |
Behandlungspositionen | 6 Intensivkojen | 3 Akutbehandlungsplätze 3 Intensivbetten 16 Überwachungsbetten | 5 Akutbehandlungsplätze 9 Intensivkojen | 7 Intensivbehandlungsplätze 7 monitorisierte Überwachungsbetten | 3 Intensivbehandlungsplätze 8 monitorisierte Überwachungspositionen | 1 Traumaschockraum 2 Intensivbehandlungsplätze (nicht-traumat.) & Überwachungsbetten im Aufwachbereich |
Patient:innenzahl pro Jahr | Ca. 1500 | Ca. 2500 kritisch Kranke, ca. 4000 Überwachungspatient:innen | Ca. 2500 | Ca. 1800 | Ca. 600 kritisch Kranke, ca. 4000 Überwachungspatient:innen | Ca. 750 kritisch Kranke, ca. 250 Überwachungspatient:innen |
Abteilungszuordnung | Department of Surgery (R Adams Cowley Shock Trauma Center) | Department of Emergency Medicine | Department of Emergency Medicine | Universitätsklinik für Notfallmedizin | Abteilung für Notfallmedizin | Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin |
Personelle Besetzung | 1 Facharzt 1 Advanced Practice Provider 1 Leitende Pflegeperson 4 Pflegepersonen 1 Patient Care Technician 1 Respiratory Therapist 1 Schreibkraft | 1 Facharzt 2–3 Assistenzärzte 1 Leitende Pflegeperson 8 Pflegepersonen 2 Schreibkräfte 1 Respiratory Therapist* 1 Klinischer Pharmakologe* | 1 Facharzt 2 Assistenzärzte 1 Leitende Pflegeperson 4 Pflegepersonen 1 Schreibkraft 1 Respiratory Therapist* 1 Klinischer Pharmakologe* | 1 Oberarzt 3 Fach‑/Assistenzärzte 6 Pflegepersonen | 1 Oberarztdienst 1 Schockdienst Arzt und 1 Pflege 1 Beobachtungsdienst Arzt und 1 Pflege Weitere Ärzte und Pflege in Ambulanz und Station als Reserve einsetzbar | 2 Fachärzte 2–3 Pflegepersonen 1 Pflegeassistenz |
Zuweisungs quellen | Sekundärtransferierungen von anderen Krankenhäusern Bettenstationen Notfallabteilung | Notfallabteilung andere Notfallabteilungen | Notfallabteilung andere Notfallabteilungen | Rettungsdienst Notfallabteilung Bettenstationen (Ausnahme) | Rettungsdienst Notfallabteilung | Rettungsdienst Notfallabteilung Bettenstationen andere Krankenhäuser |
Aufnahmediagnosen (Auswahl) | Akute neurologische Notfälle Akute respiratorische Notfälle Akute Aortensyndrome Kardiogener Schock Hämorrhagischer Schock Intraabdominelle Sepsis Septischer Schock (Sub‑)Massive Lungenembolie Nierenversagen Intoxikationen | Patient:innen der Triagekategorien ESI 1 ESI 2 und einige ESI 3 | Akute neurologische Notfälle Akute respiratorische Notfälle Akute Aortensyndrome Kardiogener Schock COPD-Exazerbationen Diabetische Ketoazidosen End-of-Life Care Hämorrhagischer Schock Gastrointestinale Blutungen Akutes Leberversagen Z. n. Reanimation Nierenversagen Septischer Schock (Sub‑)Massive Lungenembolie Intoxikationen Unklare Fälle | Akute Arrhythmien (tachykard, bradykard) Akute Koronarsyndrome Reanimation (Z. n. oder laufend) Akute Aortensyndrome COPD-Exazerbation Lungenembolie Pneumothorax Intoxikationen Akutes Abdomen Gastrointestinale Blutungen Ischämischer Schlaganfall Intrakranielle Blutungen (spontan) Nierenversagen Elektrolytstörungen Metabolische/endokrine Krisen (z. B. Ketoazidose) Schock Sepsis | Akute Arrhythmien (tachykard, bradykard) Akute Koronarsyndrome Akute kardiale Dekompensation Reanimation (Z. n. oder laufend) Akute Aortensyndrome COPD-Exazerbation Lungenembolie Pneumothorax Intoxikationen Akutes Abdomen Gastrointestinale Blutungen Ischämischer Schlaganfall Intrakranielle Blutungen (spontan oder traumatisch) Nierenversagen Elektrolytentgleisungen Metabolische/endokrine Krisen (z. B. Ketoazidose) Mono- oder Polytrauma ohne SHT Schock Sepsis Präoperative Stabilisierung | (Poly‑)Trauma Sepsis Schock COPD-Exazerbationen Pneumonie Andere respiratorische Notfälle Reanimation (Z. n. oder laufend) Koma Gastrointestinale Blutungen Akute Aortensyndrome Metabolische Notfälle (inkl. diabetische) Intoxikationen Akute Organversagen Präoperative Stabilisierung |
Spezielle Therapien | vvECMO vaECMO intraaortale Ballonpumpe Externe Ventrikeldrainage REBOA Nierenersatztherapie Leberersatzverfahren (MARS) | vaECMO VAD Management Externe Ventrikeldrainage Leukapherese/Plasmapherese Bronchoskopie Endoskopie SLED | vaECMO VAD Management Nierenersatztherapie Leukapherese/Plasmapherese Bronchoskopie Endoskopie Externe Ventrikeldrainage | vaECMO (eCPR) Invasive und nicht-invasive Beatmung Mechanisches Thoraxkompressionsgerät Bronchoskopie Endoskopie Transvenöse Schrittmachertherapie Massivtransfusion | Invasive und nicht-invasive Beatmung Mechanisches Thoraxkompressionsgerät vaECMO Bronchoskopie Endoskopie (fallweise) | Invasive und nicht-invasive Beatmung Punktionen/Drainagen Massivtransfusion Bronchoskopie Endoskopie eCPR transvenöse Schrittmachertherapie |
Mehr frühzeitige intensivmedizinische Behandlungen für kritisch kranke Notfallpatient:innen |
Reduktion der Intensivstationsaufnahmen von der Notfallabteilung, insbesondere von kritisch kranken Notfallpatient:innen mit leichtem bis mittelschwerem Krankheitsverlauf (z. B. gastrointestinale Blutung oder Sepsis) |
Reduktion der Intensivstationsaufnahmen von der Notfallabteilung zu reinen Überwachungszwecken |
Reduktion der Intensivstationsaufnahmen von kritisch kranken Patient:innen, die zuvor von der Notfallabteilung auf Bettenstationen verlegt wurden |
Kürzere Verweildauer auf der Intensivstation für kritisch kranke Patient:innen, die von der Notfallabteilung auf der Intensivstation aufgenommen wurden |
Erhöhung der freien Bettenkapazitäten auf der Intensivstation für kritisch kranke Patient:innen aus anderen Bereichen als der Notfallabteilung |
Reduktion der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus |
Reduktion der Sterblichkeit von kritisch kranken Notfallpatient:innen innerhalb der ersten 24 h, auf der Intensivstation, im Krankenhaus, nach 30 Tagen, nach 60 Tagen und nach 365 Tagen |
Kostenneutralität bzw. Kostensenkung |