Diabetes: Was sagen die neuen Guidelines?

Im Rahmen der ESC-Jahrestagung 2019 in Paris wurden auch neue Leitlinien zu Diabetes vorgestellt, die einige interessante Neuerungen beinhalten, etwa den Stellenwert von Metformin in der first-line-Therapie. Kurz zusammengefasst sollen hier die Eckpunkte aufgelistet werden: Neue Klassifizierung der Patienten Die Patienten sollen je nach Diabetesdauer bzw. Begleiterkrankungen klassifiziert werden: Moderates Risiko: Junge Patienten (Typ I Diabetiker <35 Jahre, Typ II Diabetiker <50 Jahre) mit einer Diabetesdauer von weniger als 10 Jahren und ohne andere Risikofaktoren. Hohes Risiko: Diabetesdauer über 10 Jahre ohne weiteren Risikofaktor und ohne Endorganschaden. Sehr hohes Risiko: Patienten mit Diabetes und kardiovaskulärer Erkrankung oder Organschaden oder 3 oder mehr Risikofaktoren oder früher Onset eines Typ I Diabetes , der bereits mehr als 20 Jahre besteht. Neuer Algorithmus der Einleitung der antidiabetischen Therapie Folgende Neuerungen sind sicherlich die bedeutendsten Änderungen in den Diabetes-Guidelines, welchen Studien zugrunde liegen, bei denen insbesondere SGLT2-Inhibitoren und GLP1-Rezeptor-Agonisten einen deutlichen kardiovaskulären Benefit aufwiesen; unter Empagliflozin und Liraglutid konnte sogar eine Reduktion der Mortalität nachgewiesen werden, sodass diese beiden Substanzen bei hohem Risiko besonders empfohlen werden. Hier nur die wichtigsten Neuerungen: Metformin wird als „first line“-Therapie nur beim übergewichtigen Typ II Diabetiker ohne kardiovaskuläre Erkrankung und mit nur moderatem Risiko empfohlen. Beim Metformin-„naiven“ Patienten, also jenem Patienten, bei dem noch keine Metformin-Therapie eingeleitet wurde, mit hohem oder sehr hohem Risiko sollte mit einem SGLT2 -Inhibitor (Empagliflozin, Canaglifozin, Dapagliflozin) oder einem GLP1-RA (Liraglutid, Semaglutid, Dulaglutid) begonnen werden. Je nach HbA1c sollte dann die Therapie um Metformin erweitert werden und in einem weiteren Schritt eine Kombination von SGLT2 -Inhibitor und GLP1-RA mit Metformin gegeben werden. Beim Patienten mit hohem oder sehr hohem Risiko, der bereits mit Metformin behandelt wird, soll unabhängig vom HbA1c ein SGLT2-Inhibitor oder ein GLP1-RA dazu geben werden. Je nach HbA1c sollte dann die Therapie durch die Kombination von SGLT2-Inhibitor und GLP1-RA in einem zweiten Schritt erweitert werden. Bei Herzinsuffizienz werden der DPP4-Inhibitor Saxagliptin und die Thiazolidinedione (Pioglitazon, Rosiglitazon) nicht empfohlen. Strengere Blutdruckeinstellung Es soll ein systolischer Blutdruck von 130 mmHg angestrebt werden; wenn der Patient es toleriert, sollte der systolische Blutdruck idealerweise <130, aber nicht <120 betragen. Ist der Patient über 65 Jahre, sollte der systolische Blutdruck zwischen 130 -139 liegen. Der diastolische Wert sollte < 80, nicht aber < 70 betragen. Besonders streng soll die Blutdruckeinstellung bei diabetischer Niereninsuffizenz und/oder hohem zerebrovaskulären Risiko erfolgen. Zur antihypertensiven Therapie beim Diabetiker wird ebenfalls Stellung genommen: Bevorzugt wird eine Therapie mit RAAs (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System)-Blockern, ganz besonders beim Diabetiker mit Endorganschaden, gegenüber einer Therapie mit Betablocker und Diuretika. Empfohlen wird eine Kombination aus RAAS-Blocker und Calciumantagonist bzw. RAAS-Blocker und Thiazid-Diuretikum. Auch die Gabe von GLP1-RA führt nachweislich zu einer Blutdrucksenkung, stärker noch ist der blutdrucksenkende Effekt von SGLT2-Inhibitoren beschrieben. Lipidmanagement Es werden noch strengere LDL-Zielwerte empfohlen. Der Patient mit moderatem Risiko sollte ein LDL <100 erreichen, während bei dem Patienten mit hohem Risiko ein LDL < 70 und bei dem Patient mit sehr hohem Risiko sogar ein LDL <55 angestrebt werden soll. Dies soll mittels maximal tolerierter Statintherapie, Ezetimibe bzw. bei Unverträglichkeit oder Nicht-Erreichen des LDL Zielwertes mit einem PCSK9-Hemmer erfolgen. Weiters wird die Therapie mit einem Statin beim asymptomatischen über 30 jährigen Typ I Diabetiker empfohlen. KHK Risiko-Stratifizierung Jeder Diabetiker soll folgende Untersuchungen erhalten, um das individuelle Risiko zu evaluieren: Ruhe-EKG bei arterieller Hypertonie oder Verdacht auf KHK. Carotis- oder Femoralis-Sonographie zur Plaques-Detektion zur Risiko-Modifizierung Koronare CT-Angiographie oder Ischämietest als Screening hinsichtlich KHK – hier wird allerdings einschränkend betont, dass nicht invasives Screening nicht das kardiovaskuläre Outcome beim Diabetiker beeinflusst. Es wird dies in erster Linie beim Patienten mit hohem Risiko als überlegenswert erwähnt. Ca Score oder AB (ankle-brachial) Index zur Risiko-Modifizierung Nicht empfohlen hingegen wird die Bestimmung der Intima-Media-Dicke! Als weitere diagnostische Schritte werden das Herz-Echo und die Bestimmung von Mikroalbuminurie (Organschaden?) empfohlen. Koronare Herzkrankheit Nur beim Patienten mit sehr hohem Risiko wird T-ASS erstmals auch zur Primär-Prävention empfohlen. Die duale Plättchenhemmung soll beim koronar-intervenierten Diabetiker prolongiert bis zu drei Jahre gegeben werden, sofern keine Blutungskomplikationen aufgetreten sind. Bei Vorliegen eines erhöhten Risikos hinsichtlich GIT Blutung sollte ein PPI hinzugefügt werden. Bezüglich der Interventionsart (PCI vs. CABG) wird bei koronarer Drei-Gefäß-Erkrankung mit einem Syntax-Score >22 bzw. bei einer Hauptstammstenose mit einem Syntax Score ≥33 von einer PCI abgeraten, während bei allen anderen Situationen prinzipiell beide Strategien möglich sind. Wie oben bereits erwähnt, kann beim asymptomatischen Patienten mit hohem Risikofaktorprofil, also Diabetes + positive Familienanamnese oder hohem Score, das Screening mit koronar CT-Angiographie oder Ischämietest in Erwägung gezogen werden. Univ.-Prof. Dr. Senta Graf, Klin. Abteilung für Kardiologie, Univ.-Klinik für Innere Medizin II, Wien KOMMENTAR von Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi Neusortierung vor allem der First-Line-Medikation Generell wird in den neuen Guidelines bei Patienten mit kardiovaskulärem Risiko empfohlen, entweder SGLT-2-Hemmer oder GLP-1-Analoga einzusetzen, Empagliflozin und Liraglutide werden zusätzlich hervorgehoben mit der Reduktion von Todesfällen, wobei dies für Empagliflozin aus meiner Sicht nicht Klasse 1A nachgewiesen ist. Ebenso wird dargestellt, dass Saxagliptin bei Patienten mit Herzinsuffizienz nicht empfohlen wird. Die Empfehlungen für die glykämische Kontrolle bei Diabetes ergibt in den neuen Leitlinien einen Zielbereich für den HbA1c-Wert von < 7 % und zwar, um mikrovaskuläre Komplikationen zu reduzieren. HbA1c-Werte < 7 % sollten erwogen werden, um makrovaskuläre Komplikationen zu verhindern - eine Class II A Empfehlung. Bezüglich der LDL-C-Zielwerte haben sich die Empfehlungen auf < 100/70/55 mg/dl jeweils in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko reduziert. Dies ist in Analogie zu vielen bereits nationalen und auch internationalen Leitlinien. Die Aspirin-Therapie in der Primärprävention ist nur mehr für Patienten mit sehr hohem bzw. hohem kardiovaskulären Risiko empfohlen, dies mit einer Klasse II B-Empfehlung, das heißt, dass hier die Effektivität nicht sehr gut untermauert wurde. In der Primärprävention wird Aspirin bei Diabetes mellitus Typ 2-Patienten nicht mehr empfohlen. Bei den blutzuckersenkenden Medikamenten wurde eine Neusortierung vor allem der First-Line-Medikation unternommen. Es ist in Analogie zu den neuen EASD-ADA-Guidelines eine Tabelle angeführt, die bei Typ 2 Diabetes Patienten ohne bestehende antihyperglykämische Medikation mit CVD Erkrankungen nicht mit Metformin als First-Line-Therapie beginnt, sondern einen SGLT-2-Inhibitor oder einen GLP-1-RA empfiehlt. Sollte nach initialer Therapie mit SGLT-2 und GLP-1-RA der HbA1c-Wert weiter über dem Zielbereich bleiben, wird empfohlen, als Second-Line Metformin zu geben. Wenn eine Therapie mit Metformin bereits besteht, sollte diese beibehalten werden. Dieser Switch weg von der Metformin-Therapie als initiale Therapie wird damit begründet, dass die Medikation in allen rezenten kardiovaskulären Outcome-Studien sowohl in der Verum- wie auch in der Plazebo-Gruppe zu ca. 80 % als Hintergrundmedikation bestand. Es wird daraus geschlossen, dass es durch Metformin scheinbar keinen zusätzlichen Benefit gibt und es wird deswegen den SGLT-2-Hemmern und den GLP-1-Agonisten der Vorzug gegeben. Dies ist aus meiner Sicht eine Expertenmeinung. Eine tatsächliche Evidenz Level A (kontrollierte Studien) gibt es aus den bestehenden Daten nicht. Es könnte durchaus sein, dass Metformin als Basistherapie ein sehr gutes Additiv für die neuen Medikamente ist. Gerade bei kardiovaskulären Erkrankungen hat sich Metformin als benefiziell herausgestellt. Wie auch immer, es ist eine Änderung in den Leitlinien, die ich grundsätzlich nachvollziehen kann, evidenzbasiert ist es nicht. Dies mit Level A zu empfehlen, ist aus meiner Sicht im Grunde unrichtig, auch wenn es vielleicht richtig ist. Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Barmherzige Brüder Linz Die umfassenden Guidelines finden Sie hier.

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